Mein Vater Sigmund Brandeis

Mein Vater Sigmund Brandeis

Mein Vater Sigmund Brandeis wurde am 14.09.1866 als zweitältester Sohn von Ignac und Hani Brandeis in Calma geboren.

1887 hat er meine Mutter Berta Bergl geheiratet. Sie hatten sechs Kinder: drei Söhne und drei Töchter.

Mein Vater hat ein Geschäft mit Kolonialwaren gehabt. Im zweiten Hauptberuf, denn das Geschäft hat mein ältester Bruder Julius geführt, hat er sich mit Agronomie befasst.

Er war ein Pächter von einer Puszta. Serbisch heißt das Pusztara. Das ist nicht die Puszta, das Land, sondern ein kleines Dorf mit einigen hundert Hektar Land. Der Eigentümer war dieser Graf Jankovic.

Es waren in der Nähe noch zwei so ähnlich große Pusztas, welche dem Grafen Odescalchi gehörten. Das war eine sehr berühmte italienische Familie.

Maria Theresia hat ihnen das Land geschenkt. Diese beiden Pusztaras waren in Pacht von den Familien Rosenberg und Braun aus Erdevik.

Die drei Pusztaras hatten die drei Familien gemeinsam. Später haben sie sich zerteilt, und mein Vater hat eine alleine übernommen. Sein Eigentum war das Vieh - also die Pferde, die Kühe - und die Maschinen - also die Mähmaschine und die Dreschmaschine.

Mit den Bauern, welche in dieser Pusztara gewohnt haben, hatte er einen Vertrag: Sie machen die Arbeit, und am Ende vom Jahr teilen sie mit meinem Vater.

Auf serbisch heisst das Napolicari (Hälftler). Es war vier Kilometer von Calma entfernt. Da ist er jeden Tag heraufgefahren und hat die täglichen Arbeiten koordiniert.

Als 1918 die Agrarreform kam, hat er sich zurückgezogen, denn man hat den Eigentümern nur ein Minimum an Land gelassen, und das war dann nicht mehr rentabel.

Er hat das Geschäft ganz meinem ältesten Bruder Julius übergeben und hat sich zurückgezogen.

Bis 1922 hat er noch in Calma gelebt, und dann ist er zu meiner ältesten Schwester Eugenie nach Zemun gezogen. Er hat von dem Geld, das er erworben hatte, gelebt.

Wir hatten einen Gick und einen Fiaker zu Hause, und zwei Pferde und einen Diener, welcher auch der Kutscher war. Aber am Schabbat ist er nie gefahren.

Bei der Großmutter Hani war noch alles koscher, aber mein Vater hat eine Reform des jüdischen Glaubens gemacht. Er hat es so gemacht, dass es einfacher war und gepasst hat.

Er hat Samstags nicht geraucht, er hat keine Reisen gemacht am Schabbat. Man hat Pesach (Fest des ungesäuerten Brotes) und Jom Kippur (Versöhnungstag) streng gehalten. Man hat zu Jom Kippur die Kapure geschlagen.

Ich kann mich noch an das spezielle Messer fürs Schlachten und den Schleifstein erinnern. Das hat aber niemand mehr benutzt, es wurde nur für die Kapurehendeln benützt.

In Calma hat man nur Gänse und Hühner gegessen, und die hat mein Vater nur für die Feiertage koscher geschächtet.

Er hat immer sehr viel gelesen und hatte eine riesige Bibliothek mit deutschen und serbischen Büchern. Die hat er auch alle mitgenommen, als er nach Zemun übersiedelt ist.

Dort hat er ein Zinshaus gekauft, und ich habe mit meinen Eltern dort gewohnt.

Eugenie, meine älteste Schwester, hat mit ihrer Familie auch dort gewohnt. In Zemun ist mein Vater dann auch immer Schabbes in die aschkenasische Synagoge gegangen.

Seine politische Einstellungen waren gemäßigt serbisch national. Er hat die Samostoli Demokrati gewählt, welche eine bürgerliche Partei war. Sozialisten gab noch keine.

1942 wurden alle 500 Juden von Zemun von Volksdeutschen Polizisten auf Viehwaggons verladen und nach Jasenovac gebracht, wo sie ermordet wurden.

Einer von den Volksdeutschen, der meinen Onkel Leopold kannte, hat ihm dann berichtet, dass mein Vater noch am Bahnhof mit einem Holzbeil erschlagen worden ist. Für die alten Leute war eine Kugel zu schade.

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