Lucia Heilman

Dr. Lucia Heilman 
Land: Österreich 
Stadt: Wien 
Name des Interviewers: Tanja Eckstein 
Datum des Interviews: September 2012 

Frau Dr. Lucia Heilman wohnt noch immer in der Wohnung, die ihrer Mutter nach dem Krieg von der russischen Kommandantur zugewiesen wurde.

Sie hat in dieser Wohnung später mit ihrem Ehemann gewohnt, ihre zwei Töchter großgezogen, und so birgt die Wohnung viele Erinnerungen.

Richtig wohl fühlte sie sich mit ihrem Mann aber in der kleinen Wohnung am Semmering.

Sie sagt, diese Wohnung hat besser zu ihr gepasst.

  • Meine Familiengeschichte

Mein Großvater Josef Treister, der Vater meiner Mutter, ist 1873 in Debina geboren. Meine Großmutter Anna, eine geborene Friedmann, ist 1879 in Trembowla geboren.

Sie haben in Ilawcze gelebt, einem kleinen Ort nahe Trembowla, das damals, genauso wie Debina und Trembowla in Galizien lag und zur Österreichisch - Ungarischen - Monarchie gehörte.

Nach dem Zerfall der Monarchie im Jahre 1918, gehörte die Gegend zu Polen, ab 1939 zur Sowjetunion und seit dem Zerfall der Sowjetunion zur Ukraine.

Meine Großeltern haben in Ilawcze ein großes Gut besessen, auf dem sie mit ihren drei Kindern, meiner Mutter Regina, die 1900 geboren wurde, ihrem Bruder Arnold [Romek], der 1901 geboren wurde und dem Bruder Julian gelebt haben.

Julian war ihr jüngstes Kind. Er verließ die Familie in den frühen 1930ern und lebte in Frankreich. Ich habe ihn erst nach dem Krieg kennengelernt. Er war verheiratet und hatte drei Kinder, die noch heute in Frankreich leben. Ein Sohn ist sehr religiös.

Im Jahre 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, haben die Kosaken diesen Teil Galiziens überfallen, und viele Menschen sind geflüchtet. Auch meine Großeltern. Wien war damals die Hauptstadt der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, und so flüchteten meine Großeltern mit ihren Kindern nach Wien.

Meine Mutter war zu der Zeit 14 Jahre alt. In Wien ging sie in das Gymnasium in der Albertgasse, im 8. Bezirk, und beendete ihre Schulausbildung mit der Matura. Gleich nach der Matura begann meine Mutter auf der Universität mit dem Studium der Chemie. Da sie kein Geld für die Promotionsgebühren hatte, erhielt sie erst kurz vor meiner Geburt ihre Promotion.

Meine Großmutter habe ich nicht kennengelernt, sie starb 1921 an einem Herzfehler. Ihr Grab befindet sich auf dem Zentralfriedhof, am 4. Tor.

Meine Mutter heiratete 1921 in Wien Leon Steinig, der 1898 in Trembowla geboren war. Das war lange vor meiner Zeit. Gewohnt haben sie damals in der Währingerstrasse 110. Leon Steinig war Jurist, und ich weiß, dass er eine hohe Position beim Völkerbund 1 innehatte.

Der Völkerbund hatte die Idee, dass man Frieden herstellen kann, indem man weise Leute befragt, und die werden sagen, was man machen muss, dass Friede herrscht zwischen den Menschen.

Die berühmtesten Leute in dieser Zeit nach dem Ersten Weltkrieg waren Sigmund Freud und Albert Einstein. Und die Idee des Völkerbundes war, Freud und Einstein sollen in Briefwechsel treten, und diese beiden klugen Köpfe sollen herausfinden, wie man in Frieden in Europa miteinander lebt.

Und der Steinig war beauftragt den Freud zu bitten, dass er mit dem Einstein in Korrespondenz tritt. Einige Male haben die beiden dann miteinander korrespondiert [Anm. aus dem Internet:

1932 forderte der Völkerbund Albert Einstein auf, mit einer Person seiner Wahl in einen öffentlichen Meinungsaustausch über ein frei gewähltes Thema zu treten.

Der Physiker entschied sich für das Thema Krieg und den Gesprächspartner Sigmund Freud. Im Juli 1932 kam es zwischen dem weltberühmten Physiker und dem Vater der Psychoanalyse zu einem einmaligen Briefwechsel über das Thema Krieg.

Albert Einsteins zentrale Frage in seinem kurzen Brief lautete:

Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden? Sigmund Freuds ausführliche Antwort folgte im Dezember und fiel eher pessimistisch aus.

Er sah keine Aussicht auf Erfolg, die aggressiven Neigungen abschaffen zu wollen, fügte aber am Ende seines Briefes hinzu: Vielleicht ist es keine utopische Hoffung, dass der Einfluss der beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird.

Doch es sollte der Skeptiker Freud Recht behalten. 1933, als der Briefwechsel in kleiner Auflage erschien, standen mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland die Zeichen wieder unverkennbar auf Krieg].

Meine Mutter war sehr modern und der Meinung, man muss den Kindern von Anfang an alles der Wahrheit entsprechend erzählen. Darum weiß ich, dass meine Mutter 1923 einen Buben, Martin Elia Steinig, bekommen hat.

Sie hat ihn in Wien entbunden, und als der Kleine erst einige Monate alt war, ist sie mit ihrem Mann und dem Kind nach Polen, dahin, wo sie geboren war, gefahren. Sie wollten schauen, was vom Besitz, auch dem großen Gut des Großvaters, nach dem Krieg noch übrig war.

Es war nichts mehr da, die Häuser und die Felder waren zerstört, sie konnten nichts mehr finden. Das Kind hat sich dort mit Ruhr angesteckt, das ist ja eine furchtbare Seuche. Meine Mutter ist mit dem Kind schnellstens zurück nach Wien gefahren, er kam sofort ins Kinderspital.

Sie durfte ihn nicht einmal so richtig besuchen, denn die Krankheit ist sehr ansteckend. Das Kind starb im Alter von acht Monaten. Meine Mutter hat mir das alles erzählt und sich die größten Vorwürfe gemacht, denn sie fühlte sich schuldig am Tod ihres Kindes.

  • Meine Kindheit

Ich weiß, dass der Steinig meine Mutter betrogen hat, auch das hat sie mir erzählt. Die Ehe wurde aber erst 1933 geschieden. So war ich ein uneheliches Kind, geboren in einer ehelichen Gemeinschaft, denn ich wurde am 25. Juli 1929 als Lucia Johanna Treister in Wien geboren. Mein Vater hieß Rudolf Kraus.

Er war nicht jüdisch, meine Eltern waren nicht verheiratet und lebten nicht zusammen. Meine Mutter und ich lebten zusammen mit meinem Großvater und Fritz Hildebrand, dem Freund meiner Mutter, der auch nicht jüdisch war, in einer Wohnung in der Pappenheimgasse 6, im 20. Bezirk.

Das war eine sehr kleine Wohnung, Zimmer, Küche, Kabinett. Mein Großvater schlief im Kabinett, meine Mutter, Fritz und ich schliefen im Zimmer, in dem ein Bett, ein Sofa und ein Kinderbett standen.

Die Küche war auch Badezimmer, die Toilette war am Gang, und das Wasser war in einer Bassena [öffentliche Wasserstelle am Gang], auch am Gang. Den Fritz hat meine Mutter nach dem Krieg geheiratet. Ich hatte eine sehr schlechte Beziehung zu ihm; er hat mich nicht gemocht, ich hab ihn nicht gemocht.


In dem Haus in der Pappenheimgasse wohnten mehrere jüdische Familien, daran erinnere ich mich, denn ich habe mit jüdischen Kindern aus dem Haus gespielt. Unter uns wohnte die Familie Dankner mit vier Kindern, mit denen habe ich mich sehr befreundet. Ein Mäderl, Ernestine, Erna wurde sie genannt, war knapp drei Jahre älter als ich.

Mit ihr habe ich immer gespielt. Ich habe auch viel mit anderen Kindern der Umgebung gespielt; Tempelhupfen, Fangen und Eckerl gucken. Auch an Ballspiele erinnere ich mich gut.

Wir haben den Ball an eine Wand geworfen und dann in die Hände geklatscht oder man musste sich umdrehen, bevor der Ball zurück gekommen ist und man ihn wieder auffangen musste.

Ich kann mich erinnern, dass wir Löcher in dem Gehsteig gegraben und mit Kugeln gespielt haben. Die Kugeln gab’s in verschiedenen Farben, auch aus Glas. Es war immer etwas ganz besonderes, wenn man gewonnen hatte.

Damals gab es noch Pferdefuhrwerke. Ich erinnere mich deshalb so genau, weil mir einmal das Rad eines Pferdefuhrwerkes über meinen Fuß gefahren ist. Das hat mir furchtbar weh getan, aber es ist mir nichts passiert, Kinderknochen sind noch weich.

Mein Vater hat uns jede Woche besucht und hat sich sehr um mich bemüht. Er hat mit mir gespielt in den paar Stunden, die er mit mir in unserer Wohnung war. Und er ist immer zu meinen Geburtstagen gekommen und hat mir sehr schöne Geschenke gebracht.

Ich erinnere mich an eine Puppe und an eine Nähmaschine. Die Mutter meines Vaters lebte im 2. Bezirk, in der Engerthstrasse. Sie war Handarbeitslehrerin. Meine Mutter und ich waren selten bei ihr, Ostern waren wir dort, und Weihnachten waren wir dort.

Zu Ostern habe ich einmal ein weißes aus Zucker bestehendes Ei bekommen, in das man hineinschauen konnte, Weihnachten war ein Weihnachtsbaum dort, und es gab gutes Essen.

Kurz nach meiner Geburt hat meine Mutter eine Stelle im Krankenhaus Lainz [Teil des 13. Wiener Gemeindebezirks] bekommen. Das Krankenhaus war mit der Straßenbahn eine Stunde von unserer Wohnung entfernt.

Sie musste schon um sieben Uhr in der Früh dort sein und ist erst am Abend gegen sieben Uhr nach Hause gekommen. Da man damals samstags auch arbeiten musste, habe ich meine Mutter nur sonntags gehabt, und 14 Tage war Urlaub im Jahr. Zuerst waren wir viel zu arm, um Urlaub zu machen, aber als ich älter war, sind wir nach Rekawinkel [Anm.: Niederösterreich] gefahren.

Meine Mutter hat viel gearbeitet in einem verantwortungsvollen Beruf. Das ist für eine Frau schon sehr schwer, und wenn sie nach Hause kam, hat sie noch alles einkaufen und kochen müssen. Aber meine Mutter hatte viel Kraft. Jeden Abend kamen ihre Freunde zu Besuch.

Sie hat dann Tee gekocht, die Freunde haben meistens zum Essen etwas mitgebracht, denn servieren konnte sie nichts, dazu waren wir zu arm. Gemeinsam haben sie gesessen und geplaudert.

Das waren jüdische und nichtjüdische Freunde und nie wurde darüber gesprochen, das ist ein jüdischer Freund, das ist ein christlicher Freund. Das waren wirklich viele Freunde, und das war so leger, man ist einfach gekommen. Man hat sich nicht angemeldet, so wie das heute üblich ist. Die Tür stand offen für jeden.

Meine Mutter hatte ein besonderes Talent Menschen anzuziehen. Ihr ganzes Leben war das so. Sie war sehr gesellig, temperamentvoll und sympathisch, so dass sie auch den Männern gefallen hat. Als meine Mutter schon sehr alt und gebrechlich war und sie in der Josefstädter Strasse wohnte, konnte sie ihre Besuche zu Hause nicht mehr so richtig empfangen.

Im Cafe Hummel hatte sie einen Stammtisch, sie war dort eine bekannte Persönlichkeit. Jeden Tag um drei Uhr ist sie hingegangen. Selbstverständlich kannte sie den Ober und alle Kellner und den Besitzer, den Herrn Hummel. Dort ist sie gesessen, und dort hat sie ihre Besuche empfangen.

Das Hummel war immer ein sehr besuchtes Cafehaus, und wenn sie niemanden gehabt hat, und wenn sie gesehen hat, jemand ist hereingekommen und hat sich umgeschaut nach einem Platz, hat sie dem gewunken und hat gesagt:

kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, bei mir ist noch Platz’. Und kaum ist der gesessen, hat sie begonnen, ihn auf nette Art auszufragen und nach einer Stunde hat sie alles von ihm gewusst.

Sie konnte das wirklich, sie hatte das Talent, die richtigen Fragen zu stellen. Die Leute haben ihr immer ihr ganzes Schicksal erzählt. Man hat sofort gespürt, da ist wirkliches Interesse dahinter. Sie war eine ganz ungewöhnliche Person.

Mein Großvater hat mich den ganzen Tag betreut. Er hat Jiddisch gesprochen, so dass ich mich an Jiddisch gut erinnere. Wir sind am Donaukanal spazieren gegangen, er hat mir Bücher vorgelesen, und er hat sehr schön erzählt. Ich habe es geliebt, wenn er mir Geschichten erzählt hat.

Er hat jedes Mal gefragt: soll ich dir vom Himmel oder von der Hölle erzählen? Ich wollte immer, dass er von der Hölle erzählt. Er hat auch aus Operetten gesungen. Mein Großvater war ein religiöser Mann, der regelmäßig in die Synagoge gegangen ist. In welche, weiß ich nicht mehr, aber es war eine große Synagoge. Er hat mich oft mitgenommen in die Synagoge.

Meinen Onkel Arnold, den Apotheker und seine Familie, haben wir von Zeit zu Zeit besucht. Das waren sehr wohlhabende Leute. Seine Frau hieß Cecylia. Sie war aus Borszczow, in Jiddisch Bortschoff und eine geborene Friedmann.

Heute liegt der Ort auch in der Ukraine, aber bis 1918 gehörte er zur Österreichisch-Ungarischen-Monarchie. Mein Onkel und seine Frau hatten eine Tochter, die Renate, die drei Jahre jünger war als ich. Ich erinnere mich, dass Renate schönes Spielzeug gehabt hat, zum Beispiel ein Puppenwagerl und viele Dinge, die ich nicht besessen habe.

Da war ich natürlich sehr eifersüchtig. Der Onkel hat Lugeck 1 gewohnt. Wo die Apotheke war, weiß ich nicht. Die Apotheke hatte er zusammen mit einem Kompagnon. Er hat gut verdient, und nachdem der Großvater bei uns gewohnt hat, ist meine Mutter jeden Monat zu ihm gegangen und hat ihn gebeten, er soll zum Unterhalt des Großvaters etwas beisteuern.

Ich erinnere mich, dass es da immer Debatten gegeben hat. Er war nicht sehr großzügig und wollte für den Vater nur ein Minimum beisteuern. Und da meine Mutter Alleinverdienerin war für ihre Familie und für ihren Freund Fritz, der längere Zeit arbeitslos war, war jeder Groschen wichtig, und da hat sie oft mit ihm debattiert.

Als Kind bekommt man das natürlich mit. Der Fritz, der Freund meiner Mutter, war Zimmermann, ich glaube bis 1937 war er arbeitslos. Dann hat er eine Stelle als Laborant im Sanatorium Auersperg bekommen.

Im Jahre 1935 wurde ich in die Schule in der Gerhardusgasse, im 20. Bezirk, eingeschult. Mit mir gingen viele jüdische Kinder in die Klasse. Der Religionsunterricht war geteilt, aber ansonsten war das kein Thema. Ich glaube, ich war ganz gut in der Schule, aber nicht auffällig.

Richtig gern bin ich erst nach 1945 in die Schule gegangen. 1937 sind meine Mutter, der Fritz und ich übersiedelt in den 9. Bezirk, in die Berggasse 36. Meine Mutter hat mit einer Ablöse die Wohnung, die im vierten Stock war, gemietet. Zwei Zimmer waren dort, und da bekam ich ein eigenes Zimmer. Auch ein Badezimmer war in der Wohnung.

In der Zeit hatten wir ein Dienstmädchen, denn mein Großvater ist in der Pappenheimgasse geblieben. Ich kann mich an das Dienstmädchen kaum erinnern, aber man hat mir erzählt, dass sie mich einmal auf das Fensterbrett gesetzt hat, damit ich raus sehen kann.

Obwohl sie mich gehalten hat, war das natürlich gefährlich. Lange war sie aber nicht bei uns, denn ab Hitler durften christliche Dienstmädchen nicht mehr für jüdische Familien arbeiten. 

Ich bin nach unserem Wohnungswechsel in der Servitengasse in die Volksschule gegangen. 1938 kam dann schon der Hitler. Als Schuschnigg 2 am Abend des 11. März 1938 seine Rede hielt, wir hatten ein Radio und meine Mutter hat die Rede gehört, war sie sehr verstört und verzweifelt, und sie wusste nicht, was sie machen sollte.

Am 12. März sind die deutschen Truppen in Österreich einmarschiert. Ich war acht Jahre alt und bin, soweit ich mich erinnere, allein zum Heldenplatz gelaufen, weil es geheißen hat, dort ist eine Veranstaltung.

Als ich in der Nähe des Heldenplatzes war, konnte ich gar nicht mehr weitergehen, so viele Menschen waren am Ring und in den Nebenstrassen. Und ich bin dort gestanden und hab gehört das Schreien, das Grölen und diese Rufe, Heil, Heil, Heil…und ich habe gewusst, ich gehöre nicht dazu.

Ich habe dieses Schreien und diese Stimmung als bedrohlich empfunden, ungeheuer bedrohlich. Ich bin eine Weile gestanden, hab mir das angehört, hab gesehen, wie die Menschen auf die Bäume geklettert sind, damit sie besser zusehen können.

Dieses Schreien hat nicht aufgehört. Ich bin dann von dort unter der Gewalt der Bedrohung, die ich empfunden habe, ganz verstört nach Hause gekommen. 

Kurze Zeit später kam der Direktor der Schule in die Klasse und sagte, die jüdischen Kinder müssten die Klasse verlassen. Da haben wir unsere Schultaschen genommen, haben eingeräumt das Federpennal und die Hefte und sind aus der Klasse gegangen.

Ich habe das als eine fürchterliche Demütigung empfunden. Eine Ausgrenzung aus der Klasse, einen Hinausschmiss, aus mir unerfindlichen Gründen. Das teile ich mit allen Kindern, die aus der Schule hinausgeworfen wurden. Diese Demütigung hat uns als Kinder und bis zum heutigen Tag immer begleitet.

Von da an durften wir jüdischen Kinder die Schulen nicht mehr wie andere Kinder besuchen. Es wurden für uns Spezialklassen und Spezialschulen eingerichtet. In der Börsegasse war so eine Schule, in die bin ich gegangen. Dort gab es aber nur so ‚eine Art’ Unterricht, denn wir hatten keine qualifizierten Lehrer.

Nach der Schule waren wir Kinder immer gern in den Schlickpark gegangen. Ich wollte weiterhin gern in den Park gehen, denn Kinder spielen ja im Park. Ich erinnere mich, wir sind von der Schule in der Börsegasse in den Schlickpark gegangen, und auf allen Bänken stand ‚Nur für Arier’.

Die Mühe, die sie sich gegeben haben auf jede Bank das aufzuschreiben ‚Nur für Arier’. Jüdische Kinder durften dann den Park eigentlich gar nicht mehr betreten. Da haben wir in den naheliegenden Strassen gespielt. Dort waren natürlich auch christliche Kinder.

Ich war damals neun, zehn Jahre und die christlichen Buben haben sich einen Sport daraus gemacht, den jüdischen Mädchen nachzulaufen und sie umzuwerfen und zu schlagen. So habe ich mich oft gefürchtet überhaupt auf die Strasse zu gehen, weil ich Angst gehabt hab, die Buben werden mich überfallen.

Es war noch leichter, bevor es den Stern gab, da konnten die Buben jüdische Kinder noch nicht so gut erkennen. Aber dann, als  alle jüdischen Kinder einen Stern tragen mussten, war es gefährlich.

Ich bin manchmal als Zeitzeugin in Schulen unterwegs, und da hat mich eine Schülerin gefragt: warum haben Sie den Stern getragen, warum haben Sie ihn nicht zugedeckt?

Daraus habe ich ersehen, dass die Menschen heute sich die Angst nicht vorstellen können, die wir hatten. Ich hätte mich nie getraut, ohne Stern das Haus zu verlassen aus Angst, dass der Hausbesorger oder irgendein anderer, der weiß, dass ich einen Judenstern tragen muss, mich sieht und uns sofort anzeigt.

Wir wären sofort ins Gefängnis gekommen. Der Gedanke, so etwas zu tun, den Stern nicht zu tragen oder zu verdecken, ist uns aus Angst gar nicht gekommen.

Ich hatte auch noch eine Aufnahmeprüfung für das Chajes-Gymnasium [Anm.: jüdische Schule], an die ich mich erinnere. Ich ging dann noch ½ Jahr ins Chajes-Gymnasium in die Castellezgasse. Aber das war kein richtiger Unterricht mehr.

Fritz, der Freund meiner Mutter, musste ausziehen, denn wir waren ja eine jüdische Familie und mit meiner Mutter zusammen zu leben wäre Rassenschande gewesen. Er nahm sich ein Untermietzimmer, war aber weiterhin im Kontakt mit meiner Mutter.

Was er dann später über unseren Verbleib wusste, weiß ich nicht. Als der Krieg begann wurde er zum Militär eingezogen. Ich glaube mich zu erinnern, dass meine Mutter einmal eine Postkarte von ihm bekommen hat, ganz begeistert schrieb er: ‚wir sind am Eifelturm’. Ich glaube, er war ein begeisterter Soldat.

Es war so, dass man für alle Fluchtmöglichkeiten, die man erwogen hat, Geld brauchte. Und nachdem wir eine sehr arme Familie waren, hatten wir kein Geld. Ich kann mich erinnern, später hatten wir eine Einreise nach Amerika bekommen, ein Affidavit.

Von wem das Affidavit 3 war, weiß ich nicht, aber ich vermute von dem Chemiker Dr. Erwin Tramer, der ein Bekannter meiner Mutter war. Nun brauchten wir eine Schiffskarte. Erst dann hat der Hitler erlaubt, dass man ausreist.

Wir hatten die Ausreisebewilligung, aber keine Schiffskarte, und weil wir kein Geld hatten, hat meine Mutter, sie hatte doch diesen großen Bekanntenkreis, ihre jüdischen Bekannten gefragt, ob sie ihr Geld borgen können. Man dachte damals noch an Geld borgen. Aber sie hat das Geld für die Schiffskarten nicht zusammenbekommen.

Meine Mutter erfuhr von den Kindertransporten und sie hat mit mir zusammen überlegt, ob sie mich anmelden wird, damit ich wegfahre. Aber sie hat es dann doch nicht übers Herz gebracht, ihr einziges Kind, wo sie doch schon ein Kind verloren hatte, wegzuschicken zu fremden Leuten in ein fremdes Land.

Sie hat es nicht zu Stande gebracht. Und als dann die Transporte begonnen haben, hat sie sich wieder schuldig gefühlt, dass sie nicht wenigstens ihr Kind gerettet hat. Und dann hat sie alles unternommen, damit wir nicht deportiert werden. 

Mein Vater hat sich bemüht, uns aus Österreich herauszuholen. Er hat sich deshalb von Siemens, wo er gearbeitet hat, in den Iran versetzen lassen, und arbeitete im Iran als Beleuchtungsingenieur für Siemens. So wollte er uns die Einreise in den Iran ermöglichen.

Im Iran hatte er den Auftrag, die Beleuchtungsanlage für eine Trabrennbahn zu bauen. In dieser Zeit begann aber der Krieg. Als dann die Engländer und Russen in den neutralen Iran einmarschierten, wurde ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen.

Somit war mein Vater dort ein feindlicher Ausländer und wurde mit vielen anderen interniert und dann nach Australien gebracht. Zunächst war er auch dort für kurze Zeit in einem Internierungslager.

Dann wurde er freigelassen und hat sich als Mathematikprofessor in einem kleinen Städtchen, in Castlemaine, niedergelassen. Man hat ihm ein Haus zur Verfügung gestellt. Alle haben dort so gewohnt, jeder in einem Haus mit einem Garten.

Die Familie meines Vaters haben wir dann nicht mehr gesehen, die Leute haben sich alle gefürchtet. Die Mutter meines Vaters starb 1945.

Meine Mutter hat ihren Posten in Lainz verloren, dann wurde unsere Wohnung requiriert. Eines Tages ist ein Ehepaar gekommen, hat unsere Wohnung angeschaut, denen hat sie gefallen, und wir mussten binnen 14 Tagen hinaus.

Wir mussten in eine Sammelwohnung, die in der Berggasse 29 war, mit 20 Personen zusammengepfercht mit nur einer Küche und einem Klo, ziehen. Das waren ganz schreckliche Zustände. Natürlich hatten wir aus unserer Wohnung nichts mitnehmen können. Alles haben sich die Nazis genommen.

  • Im Krieg

Im Jahre 1938 lebte mein Großvater noch in der Pappenheimgasse. Dann hat der Hitler gesagt, man muss die Eltern zu sich nehmen, so wohnte mein Großvater wieder mit uns zusammen. 

Ich erinnere mich noch genau daran, wie die SS meinen Großvater aus der Berggasse nach Buchenwald [KZ Buchenwald in Deutschland, nahe der Stadt Weimar] abgeholt hat.

Das war ein ganz furchtbares Erlebnis. SS- Männer kamen an die Tür unserer Wohnung, schwarz gekleidet, es war Abend, aber man konnte noch in den Hof sehen. Mein Großvater ist mir plötzlich so uralt vorgekommen.

Er hatte einen dicken Wintermantel an, ein kleines Köfferchen in der Hand, und links und rechts marschierten die SS-Männer mit ihm durch den Hof. Mein ganzes Leben hatte ich mit diesem Großvater verbracht.

Er war enger und näher zu mir als alle anderen Menschen, denn er war immer bei mir. Er war meine Aufsichtsperson, und er war mein Spielgefährte. Da war es wieder, das Bedrohliche. Und jeder, inklusive mir haben gewusst, wir werden ihn nie, nie wieder sehen. 

Mein Großvater wurde im Prater, im Fußballstadion, mit anderen Männern, nur Männer hat man damals abgeholt, interniert. Meine Mutter wurde verständigt, dass sie ihm etwas zum Anziehen bringen darf.

Was sie bringen durfte, war vorgeschrieben. In einem kleinen Köfferchen mit seinem Namen versehen, haben wir uns beim Stadion angestellt, um die Sachen abzugeben.

Während wir dort gestanden sind in der Reihe durften wir nicht sprechen und uns kaum bewegen. Wer dem zuwider gehandelt hat, wurde von den Ordnern, auch SS-Männer, gestoßen und geschlagen. Fürchterlich war das!

Das sind schreckliche Erlebnisse für ein Kind, wenn man sieht, wie die eigene Mutter von anderen geschlagen wird, dass man hilflos anderen Menschen ausgeliefert ist. Wir haben das Köfferchen für den Großvater abgegeben und wenig später wurden die Menschen vom Stadion abtransportiert in das KZ Buchenwald.

Meine Mutter und auch ich haben gewusst, die Menschen werden ermordet und ich behaupte, auch alle anderen Wiener haben das geahnt und gehofft, dass diese Menschen, die man da abtransportierte, niemals wieder zurück kommen.

Vielleicht nicht gleich zu Beginn haben sie es gewusst, aber ab 1941, als die Transporte begonnen haben, haben alle Menschen gewusst, man fährt in den Tod.

Die sogenannten Arier haben alles von den Deportierten gestohlen, natürlich wollten sie nicht, dass die jemals wieder zurück kommen. Und dann kam das Telegramm mit der Todesanzeige meines Großvaters. Er starb am 23.Oktober 1939 im KZ Buchenwald.

1941 begannen die Transporte aus den Sammelwohnungen. Das heißt, die Lastautos sind vorgefahren vor die Häuser und alle, die in den Sammelwohnungen wohnten, mussten die Lastautos besteigen und wurden abtransportiert; zunächst in eines der Sammellager in der Castellezgasse zum Beispiel, einer ehemaligen jüdischen Schule um dann weiter in die Ghettos, Konzentrations-und Vernichtungslager. 

Meine Freundin Erna Dankner, mit der ich immer gespielt hatte, war mit ihren Eltern Sarah und Moshe 1942 nach Theresienstadt deportiert worden und von Theresienstadt weiter nach Auschwitz, wo sie mit ihren Eltern ermordet wurde. Ich weiß, dass ihr Bruder Sami und ihre Schwester Hannah überlebt haben, weil sie in Yad Vashem [Holocaustgedenkstätte in Jerusalem] Gedenkblätter für ihre Eltern und für ihre Schwester ausgefüllt haben.

Reinhold Duschka war der beste Freund meines Vaters. Meine Eltern und er waren schon als Jugendliche miteinander befreundet und in einer Jugendorganisation. Was für eine das war, weiß ich nicht.

Sie sind zusammen Wandern gegangen, haben zusammen gesungen, haben diskutiert über Gott und die Welt - wie Jugendliche damals ihre freie Zeit miteinander verbracht haben. Und in dieser Jugendorganisation hatte auch meine Mutter meinen Vater kennen gelernt.

Der Reinhold und mein Vater sind auch immer zusammen klettern gegangen. Sie haben alle möglichen Berge bestiegen, so richtig mit Seilen haben sie die Felsen erobert. Jeden Sonntag sind sie klettern gegangen.

Reinhold hat uns nach Hitlers Einmarsch weiterhin regelmäßig besucht. Natürlich hat er auch Angst gehabt, aber er ist trotzdem gekommen. Wie diese Transporte begonnen haben, ist  Reinhold zu uns gekommen und hat angeboten, dass er meine Mutter und mich bei sich versteckt.

Er wollte nicht zuschauen, dass man das Kind seines besten Freundes einfach umbringt. Meine Mutter war froh und glücklich, dass er so mutig war, diese Gefahr auf sich zu nehmen. Ich glaube, es gab in Wien wenige Menschen, die so mutig wie der Reinhold waren. In ganz Österreich waren es 88.

Reinhold hatte eine kleine Wohnung bei Hietzing [13. Wiener Gemeindebezirk], in der er gewohnt hat und eine Werkstatt in der Mollardgasse 85a. Die 85a ist kein Wohnhaus sondern ein Werkstättenhaus, bis heute.

In dem großen Haus gibt es fünf Stockwerke, in denen es nur Werkstätten gibt; für Holz, ein Geigenbauer hatte dort seine Werkstatt und für Metall. Ich erinnere mich an eine Werkstatt, die Emaillearbeiten gemacht hat.

Der Reinhold hatte eine Metallwerkstatt, er war künstlerisch sehr begabt, in der er sehr schöne Metallgegenstände hergestellt hat. Was er hergestellt hat war aus Messing, aus Kupfer und Silber.

Die Gegenstände aus Silber waren sehr kostbar, auch der Staub, der beim Feilen entstanden ist, war kostbar, den hat man aufgesammelt. Durch Hämmern wurde geformt, er hatte verschiedene Hammerformen mit denen er das Künstlerische gestaltet hat.

Der Boden wurde gelötet. Ich habe Löten gelernt und war dann ‚der Löter’. Vasen hat er hergestellt in allen Größen und Formen, wunderschöne Kupfergegenstände, Schalen für Obst und Aschenbecher.

Auch Armbänder hat er gemacht. Meistens wurden die Gegenstände bestellt, das heißt die Kunden sind gekommen und haben gesagt, ich brauche zehn Vasen in diesen oder jenen Größen. Seine Werkstatt war auch so eine Art Ausstellungsraum, wo alle seine kunstgewerblich wirklich schönen Gegenstände zu sehen waren.

Reinhold hatte noch bei dem berühmten Architekten und Designer Josef Hoffmann in der Kunstgewerbeschule gelernt. Er war sehr talentiert. Seine Käufer waren die Wiener Werkstätte 4 vor dem Bankrott 1932 und Geschäfte. Auch Privatkunden haben bei ihm Gegenstände gekauft. Später hat er kein Kupferblech mehr bekommen, denn das war ja für die Rüstung wichtig. Er hat dann mit Aluminiumblech gearbeitet.

In der Werkstatt hat er uns versteckt. Er hat für uns eine Art Verschlag gebaut, so dass, wenn jemand die Werkstatt betreten hat, es kamen ja verschiedene Leute; Kunden, der Postbeamte und Lieferanten, und wenn so jemand an der Tür geläutet hat, sind wir in den Verschlag gekrochen.

Der Verschlag war aus Holz und wie eine sehr, sehr große und lange Kiste. Wir hatten darin Matratzen und Decken, und wir konnten darin schlafen. Niemand hat vermutet, dass darin Menschen versteckt sind.

Wenn jemand in der Werkstatt war, mussten wir natürlich ganz ruhig sein, durften nicht husten, und der Reinhold hat sich bemüht, denjenigen so schnell wie möglich wieder hinauszukomplimentieren. Er hat uns die ganzen Jahre versorgt.

Meine Mutter und ich haben mit ihm gearbeitet, und je mehr wir gearbeitet haben, umso mehr Gegenstände konnte er herstellen und verkaufen und für dieses Geld für uns Lebensmittel besorgen.

Er hatte damals eine Verbindung zu einem Lebensmittelgeschäft, die haben ihm immer zu teuerem Preis Lebensmittel schwarz verkauft. Brot hatten wir immer. Wir waren tagsüber in der Werkstatt, und wenn es geläutet hat, sind wir schnell in den Verschlag gekrochen.

Der Reinhold war in den vier Jahren so etwas wie mein Vater. Diese schwere Zeit schweißt natürlich zusammen. Er hat alles gemacht, um mir zu helfen, mit mir zum Beispiel Brettspiele gespielt und mir Bücher ausgeborgt.

Er hat mir vieles beigebracht, für eine künstlerische Ausfertigung hatte ich aber nicht das Talent. Aber ich habe gelötet und gehämmert und die Gegenstände vorbereitet, und er hat sie dann geformt. Es war ein Segen, dass ich zu tun hatte.

Meine Mutter war während der ganzen Jahre nie draußen, aber ich war ein Kind. Ein Kind ist doch viel schwieriger in einer Werkstatt zu halten, weil der Bewegungsdrang ein enormer ist.

In einer Werkstatt kann man nicht laufen, man kann Turnübungen machen, aber man kann nicht laufen. Wenn meine Mutter und der Reinhold gesehen haben, dass ich es nicht mehr aushalte und wenn sie mich nicht rauslassen ich durchdrehe, dann haben sie mich rausgelassen.

Das war natürlich sehr gefährlich, denn ein Kind muss ja in der Schule sein. Aber es hat mich nie jemand gefragt. Ich bin gelaufen bis nach Grinzing. Ich bin den Cobenzl [492 m hoher Berg im 19. Wiener Gemeindebezirk] hinauf, durch den Wald und hinunter gelaufen, alles im Laufschritt. Ich erinnere mich an drei,- vier Mal in vier Jahren.

Ich hatte weder Orientierungsprobleme noch Angst. Merkwürdigerweise bin ich ein Mensch, der kaum Angst hat; bis heute. Ich möchte es beinahe bezeichnen als leichtsinnig. Angst hatte ich in der Werkstatt, wenn es geläutet hat an der Tür. Bis heute ist es mir im ersten Moment nicht angenehm, wenn es an meiner Tür läutet.

Das ist eine Sache von einem kurzen Moment, aber das ist mir geblieben. Ansonsten bin ich ziemlich angstfrei.

Man kann sich vorstellen, in welch verzweifelter Situation meine Mutter war, dass sie erlaubt hat, dass ich unser Versteck verlasse. Sie muss schreckliche Angst um mich gehabt haben.

Ich hatte in der Werkstatt eine Landkarte und mit Stecknadeln hab ich gesteckt, wo der Hitler mit seinen Soldaten ist. Wir hatten auch ein Radio, so einen Volksempfänger, so dass wir die Nachrichten hören konnten.

Die ersten Jahre des Krieges waren ja nur Erfolge, das habe ich mit den Nadeln auf der Landkarte gesteckt, bis die deutschen Truppen 50 Kilometer vor Moskau waren. Ich war nach dem Krieg einmal in der Sowjetunion, und da hatte man das gekennzeichnet.

50 Kilometer, das ist nicht viel weiter als von Wien nach Baden. Aber dann mussten die Deutschen zurück. Das habe ich natürlich auch mit den Stecknadeln markiert.

Im März 1944 begannen die Luftangriffe auf  Wien. Was meine Mutter gefühlt hat, weiß ich nicht, aber ich habe Freude empfunden. Fast täglich gegen 11 Uhr wurde eine Vorwarnung gegeben, dass die Flugzeuge kommen und Wien bombardieren. Das wurde im Radio durchgesagt.

Die Menschen konnten sich vorbereiten auf den Angriff, und wer konnte, ist in seinen Luftschutzkeller gegangen. Wir haben uns nicht in den Keller getraut, denn wenn wir gekommen wären, hätte man uns nach einem Ausweis gefragt und woher wir kommen. Eines Tages im November war an einem Sonntag Fliegeralarm.

Meine Mutter sagte: heute gehen wir, heute wird niemand im Keller sein, denn die Leute vom Werkstättenhof arbeiten ja nicht, und wenn man uns fragt, werden wir uns irgendwie heraus reden. Die Werkstätte war im 4. Stock und wir gingen die Stufen hinunter.

Bis wir den Keller erreicht hatten, sind schon die Bomben gefallen. Auch in den Werkstättenhof ist eine Bombe gefallen. Der Reinhold war, wie an jedem Sonntag, in den Bergen klettern. Bevor wir im Keller waren, fiel wieder eine Bombe, und wir waren vollständig mit Staub bedeckt.

Wir sahen nichts mehr und bewegten uns in diesem Staub und zwischen den Trichtern, die durch die Bomben entstanden waren vielleicht zehn Minuten. Wir haben versucht uns hinzuhocken, wir sahen niemanden anderen, weil es keine Sicht gab.

Nach einer gewissen Zeit beruhigte sich alles, die Flugzeuge verschwanden. Wir sahen, dass im Werkstättenhof der 5. Stock des Hauses weg war, kein Dach mehr existierte und aus dem 4. Stock loderten Flammen. Also haben wir gewusst, wir können nicht mehr zurück. Die Werkstatt, unsere Unterkunft, unser Versteck war verbrannt.
Wir konnten nicht weg.

Endlich ist der Reinhold gekommen. Wir waren alle glücklich, dass wir leben. Dann sagte der Reinhold: es ist zwar sehr kalt, aber wir müssen nach Hütteldorf [Teil des 14. Wiener Gemeindebezirk] in sein Sommerhäuschen gehen.

Wir kannten das Sommerhäuschen, denn vor dem Krieg waren wir im Sommer beim Reinhold oft eingeladen. Dort wird sicher niemand sein, das ist gut, denn es wird uns niemand sehen, wenn wir kommen.

Andererseits, wenn uns jemand sieht, werden wir sicher gefährdet sein, denn in dieser Zeit ist in der Siedlung kein Mensch. Zum Glück war schon so ein Durcheinander und viele obdachlose Menschen sind herumgeirrt.

Also sind wir zusammen zu Fuß, es fuhren ja keine Straßenbahnen mehr, denn die Straßenbahnschienen waren auch bombardiert worden, mit nichts dorthin und haben dort übernachtet. Es war November, es war eiskalt, es war ein Sommerhaus, es gab nichts zum Zudecken und zum Heizen auch nichts.

Am nächsten Tag haben der Reinhold und meine Mutter beschlossen, dass wir zurück gehen um zu schauen, ob man nicht noch irgend etwas gebrauchen kann, vielleicht ist ja nicht alles verbrannt. Das Wichtigste für uns waren die Werkzeuge.

Vielleicht finden wir noch dort in dem Schutt irgendwelche Werkzeuge. Wir gingen also zu dritt in die Mollardgasse. Es waren chaotische Verhältnisse, man wurde nicht beachtet. Es war sogar eine Küche eingerichtet, um den obdachlosen Menschen etwas zu essen zu geben.

Ich erinnere mich an die Suppe, die mir sooo gut geschmeckt hat. Als wir im Treppenhaus waren sahen wir, dass die Stufen nicht beschädigt waren. Als wir oben ankamen, konnten wir gar nicht sehen, wo die Werkstatt einmal war, denn der ganze Schutt vom Dach lag verbrannt und zerbröselt im 4. Stock.

Der Reinhold ortete dann, wo die Werkstatt gewesen war, und wir begannen zu suchen. Der Fußboden existierte noch, sonst war alles voller Schutt. Wir mussten zuerst den Schutt mit den Händen wegschieben.

Wir haben dann wirklich die Hämmer gefunden, aber ohne Stiel, denn die waren durch die Phosphorbomben, die verbrennen ja alles zu Asche,  verbrannt, aber die Metallteile waren erhalten.

Da haben wir da gehockt und haben in dem nassen Schutt, denn die Feuerwehr hatte ja gelöscht, nach Brauchbarem gesucht. Auf einmal fand meine Mutter ein Gebetbuch. Als wir begannen uns zu versteckten, hatte sie verschiedene Dinge zum Reinhold gebracht, unter anderem vier Gebetbücher meines Großvaters für die jüdischen Feiertage.

Ganz zu unters hatte sie diese Gebetbücher versteckt. Meine Mutter war ganz entsetzt, wenn das ein Feuerwehrmann gefunden hätte, nicht auszudenken!  Eines besitze ich, eigentlich ist es gut erhalten, bis auf den Rand und die Hülle, die verkohlt sind. Wieso die überlebt haben, weiß ich nicht. Ein Wunder!

Wir wussten nicht wohin. Wir haben die geretteten Sachen alle zusammen in eine Ecke gelegt und sind noch einmal nach Hütteldorf in das Häuschen gegangen. Es war ziemlich hoch gelegen, am Wolfersberg, und hatte ein großes Fenster.

Dort bin ich gestanden und habe geschaut, wie Wien brennt. Und ich habe mich wirklich gefreut, dass Wien brennt. Ich habe mich gefühlt wie Nero. Nero hat Rom angezündet, ich war Nero, und Wien hat gebrannt.

Auch meine Sachen waren ja verbrannt, ich hatte noch Teddybeeren beim Reinhold, alles war verbrannt. Ich war damals 15 Jahre alt, drei Jahre bereits im Versteck.

Am nächsten Tag hat sich Reinhold bemüht, ein Ausweichlokal für seine Werkstatt zu finden. Ein Bekannter hatte in der Gumpendorfer Strasse [nahe dem ersten Versteck] ein Geschäftslokal, das er nicht benützt hat, und das hat er dem Reinhold gegeben.

Zwei oder drei Nächte haben wir in der schrecklichen Kälte in Hütteldorf geschlafen. In den ganzen Jahren bin ich nie krank gewesen, aber meine Mutter hatte einmal eine schreckliche Grippe. Sie ist in dem Verschlag in der Mollardgasse gelegen, und es wurde immer schlimmer.

Da hat sie mit dem Reinhold besprochen, was sein wird, wenn sie stirbt. Sie hat vorgeschlagen, wenn sie wirklich sterben muss, dass er sie zerstückelt und in dem Garten von seinem Gartenhaus die Stücke vergräbt. Das habe ich alles gehört, das war schon sehr, sehr schrecklich. 

In dem Geschäftslokal in der Gumpendorfer Strasse war ein großer Ofen, und es gehörte ein Kellerabteil für Holz und Kohle zu dem Lokal.

Der Reinhold hat erst einmal den Ofen geheizt, damit wir uns etwas aufwärmen konnten, dann haben wir das Kellerabteil besichtigt, und in dem sind wir dann im Finstern gesessen, denn das Lokal hatte ein großes Auslagenfenster, und dort konnten wir uns nicht aufhalten.

Nachdem auch die Heizmittel beschränkt waren, hat der Reinhold in der Gumpendorfer Straße Bauholz aufgesammelt.

In der Gumpendorfer Straße hatte es auch diesen Bombenregen gegeben und da sind mehrere Häuser zerstört worden, und Holz lag auf der Strasse. Der Ofen wurde mit dem Holz sehr heiß. Wir mussten im Keller sitzen, aber wenn uns schon sehr kalt war, sind wir hinauf und haben uns gewärmt.

Für mich war diese Zeit von November 1944 bis April 1945 eine sehr, sehr schwere Zeit. Ich wurde depressiv und war nicht mehr ansprechbar, so dass meine Mutter Angst um mich hatte.

Diese Zeit war so schwer für mich, dass ich nicht mehr gesprochen habe. Der finstere Keller, die Kälte, keine Tätigkeit und sehr, sehr ruhig sitzen, denn andere Leute sind ja in den Keller gekommen. Das war für mich fast unerträglich.

Am 13. April kam der Reinhold und hat uns geholt. Er hatte russische Soldaten gesehen. Wir sind ganz vorsichtig und voller Angst aus unserem Versteck gekommen und haben gesehen, dass russische Soldaten durch die Gumpendorfer Strasse marschiert sind. Tausende… Wahnsinn… ja, Tausende!

Wie die Russen gekommen sind und ich war endlich befreit, war das ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann. Ein ungeheuer belebendes Gefühl! Ich war glücklich, ich war selig, ich konnte endlich laufen, wohin ich wollte, und ich konnte mich auf jede Parkbank setzen.

  • Nach dem Krieg

Mein Onkel Arnold Treister, der Bruder meiner Mutter, war mit seiner Frau und ihrer Tochter Renate nach Frankreich geflohen.

Seine Frau und die Tochter haben überlebt, mein Onkel wurde von den Franzosen ausgeliefert und von Drancy 5, das liegt 20 km östlich von Paris und war ein Sammel-und Durchgangslager, nach Polen deportiert und in Polen im Vernichtungslager Sobibor oder Majdanek ermordet.

1994 habe ich das erste Mal meine Geschichte der israelischen Fotografin Alisa Douer für den Film ‚Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt’, ein Spruch aus dem Talmud, erzählt. Auch mein Mann hat unseren Töchtern kaum etwas über seine Geschichte erzählt. Wir hatten keine Zeit zu erzählen, die Schule, unsere Arbeit, unsere Reisen…

Meine Töchter wussten, dass meine Mutter und ich beim Reinhold versteckt waren, sie kannten den Reinhold, denn wir waren ja immer befreundet mit ihm, aber Genaues wussten sie nicht. Und 1994 waren sie ja schon erwachsen.

Das Erzählen über diese Zeit ist mir dann 1994 sehr, sehr schwer gefallen. Ich hab nicht mehr als 20 Minuten erzählen können, dann hatte ich das Gefühl zu ersticken. Es würgte im Hals. Aber das hat die Alisa natürlich verstanden und hat dann immer gesagt: morgen komm ich wieder.

Im Nachhinein sagt mir meine ältere Tochter, sie ist 1955 geboren, dass sie durch meine Geschichte ein geschädigtes Kind ist, ein Kind der 2. Generation. Sie fühlt sich anders als andere, egal ob ich es ihr erzählt hätte oder nicht erzählt habe. Sie hat es gefühlt, es hat sich übertragen.

Zuerst lebten wir noch in dem Geschäft. Dann ist es meiner Mutter gelungen, durch die russische Kommandantur im 8. Bezirk, eine eingerichtete leerstehende Wohnung in der Albertgasse für uns zu bekommen.

Die Wohnung gehörte einem ziemlich hohen Nazi, der nach Westösterreich geflüchtet war. Das Wichtigste für meine Mutter und mich waren erst einmal Dokumente, denn wir sind ohne Dokumente dagestanden.

Meine Mutter ist ins Rathaus gegangen, und es war überhaupt kein Problem innerhalb kürzester Zeit unsere Geburtsscheine und Staatsbürgerschaftsurkunden zu bekommen. Der nächste Schritt war die Arbeit.

Wir brauchten ja Geld, wir besaßen ja nichts. Wir haben unsere Sachen am Abend gewaschen und am Morgen wieder angezogen. Manchmal waren sie noch feucht, aber das waren für uns Kleinigkeiten. Ohne Geld, das war schwierig.

Also ist meine Mutter mit mir zusammen nach Lainz ins Krankenhaus gegangen, denn dort hatte ja meine Mutter bis 1938 gearbeitet. Es sind noch immer keine Straßenbahnen gefahren, und wir hätten auch mit niemandem mitfahren können, denn die Strassen waren auch noch kaputt.

Also sind wir zu Fuss gegangen. Meine Mutter hat in der Direktion ihre alte Stelle zurückverlangt. Man hat ihr gesagt, das sei unmöglich, denn diese Stelle habe ja jetzt eine Andere. Das war die Chemikerin, die meine Mutter 1938 hatte ausbilden müssen, damit die ihre Stelle übernehmen konnte.

Als wir zurück gingen, trafen wir den bekannten Schauspieler Paul Hörbinger. Paul Hörbiger war so bekannt, dass auch ich ihn kannte. Auch er ist zu Fuß gegangen, und er hat uns erzählt, dass er in einer Widerstandsgruppe war.

Meine Mutter hat dann im Rathaus urgiert und ihren Posten zurückverlangt und dadurch, dass die Russen in Wien waren und viele Leute Angst vor den Russen hatten, ist es meiner Mutter gelungen, ihren Posten wieder zu bekommen.

Aber da das Krankenhaus ihrer Nachfolgerin nicht kündigen wollte, haben sie das Labor geteilt. So arbeitete meine Mutter mit dieser Frau Tür an Tür. Sie haben sich die Arbeit geteilt, und meine Mutter hat die Blutabnahmen und die Blutzuckerbestimmungen übernommen. So hat meine Mutter wieder Geld für uns verdient.

Im April war der Krieg zu Ende, und im Juni wurden die Schulen wieder eröffnet. In der Albertgasse hat es ein Mädchengymnasium gegeben. Meine Mutter ist mit mir zur Frau Direktor gegangen, das war eine neue Frau Direktor, die alte Nazidirektorin hatte die Schule verlassen müssen.

Meine Mutter hat die ganze Geschichte erzählt. Vier Jahre hatte ich die Volksschule besucht und dann war nichts mehr.

Die Direktorin machte den Vorschlag, dass man mich die ersten Monate altersmäßig einschreibt, dann würde man sehen. Wenn es nicht geht, könne man mich noch immer zurück versetzen. So kam ich in die 4. Gymnasialklasse.

Die Direktorin sagte, es gäbe auch viele Lehrer, die gern Nachhilfeunterricht geben würden, und wir sollten solche Lehrer für Mathematik und Englisch nehmen, denn diese Gegenstände muss man von Anfang an lernen.

So ging ich in die Schule. Schon allein das Gefühl, dass ich in die Schule gehen kann, war unglaublich; ich bin nicht gegangen, ich bin gehüpft. Ich bekam Nachhilfeunterricht, besonders in Mathematik.

Ich bin jeden Morgen zwischen ½ Fünf und Fünf Uhr in der Früh aufgestanden, teilweise war es eiskalt in der Wohnung, denn es gab Schwierigkeiten nach dem Krieg mit dem Heizen, und hab intensiv und konzentriert gelernt.

Nachdem ich nach Lernen so ausgehungert war, habe ich alles aufgesogen wie ein Schwamm. Von dem laufenden Unterricht hab ich nicht einmal soviel lernen müssen, weil ich es gleich konnte, ich habe es mir alles gemerkt.

Im ersten Jahr war es sehr schwer, besonders wegen Mathematik und Englisch, aber da haben mir die Lehrer das auch nachgesehen, weil sie gesehen haben, wie sehr ich mich bemühe. Schon im dritten Jahr war ich unter den Besten.

Ich war eine Exotin in der Schule, die einzige Jüdin. Es gab noch Nazi-LehrerInnen, die versucht haben, mich ungerecht zu behandeln, aber dafür waren die Kinder umso netter zu mir.

Sie haben das ungerechte Handeln durch besondere Freundlichkeit kompensiert. Mit den Kindern hatte ich nie Schwierigkeiten, die haben mich von Anfang an gemocht. Ich war gut in die Klasse integriert. Ich war die Tafellöscherin, ich habe das geliebt.

Niemand wollte das machen, aber für mich bedeutete das SCHULE. Und in all den Jahren saß ich in der zweiten Bank. Neben mir saß die Klassenbeste, ein sehr nettes Mädchen. Was mir sehr schwer fiel war Orthografie, denn das ist etwas, was man mit den Jahren lernt.

Wenn wir Aufsätze schrieben, war ich immer sehr schnell fertig, und sie hat dann unter der Bank meine Orthographie verbessert.

Nach der Schule bin ich immer nach Haus gelaufen, um zu lernen. Das war bis zum Schluss so. Und meine Mutter hat mich immer unterstützt, sie hat alle Nachhilfelehrer bezahlt und alles dafür getan, dass ich lernen konnte.

Nach meiner Geschichte gefragt hat niemand, ich habe auch nichts erzählt. Für mich war das abgeschlossen, das war verdrängt, das lag hinter mir. Ich habe Tag und Nacht gelernt und dann im Alter von 18 Jahren maturiert. 

Der Freund meiner Mutter, den sie 1946 geheiratet hat, wohnte auf der Josefstädter Strasse, sie haben nur zeitweise und nicht sehr harmonisch zusammen gelebt. Das Verhältnis meiner Mutter zu dem Fritz war von Anfang an so, dass alle ihr Freunde und Verwandten es nicht verstanden haben, wie sie sich überhaupt mit ihm befreunden konnte. Aber so war es.

Die  jüdischen Freunde und Freundinnen meiner Mutter gab es nach dem Krieg nicht mehr. Entweder sie waren geflüchtet oder ermordet worden. Ich kann mich erinnern, dass sie viel mit Freunden, die in die USA geflüchtet waren, korrespondiert hat.

Aber da meine Mutter so gesellig war, hat es nicht lange gedauert und sie hatte einen riesigen Bekanntenkreis. Und die sind dann alle in unsere Wohnung gekommen.      

Nach der Matura wollte ich unbedingt Medizin studieren. Das wollte ich schon als Kind. Ich hab dann in Wien inskribiert und hab auch schon die ersten Prüfungen gemacht, Physik und Chemie. Dann bekam ich die Bewilligung nach Australien auszureisen.

Nach diesen Erlebnissen in Österreich in den Jahren des Holocaust hatte ich das Gefühl, ich kann hier nicht bleiben. Es ist unmöglich für einen jüdischen Menschen mit den in der Nachbarschaft befindlichen Nazis und mit der Gesinnung der Bevölkerung weiterzuleben.

Ich wollte in ein anderes Land um diese Leute hinter mir zu lassen. In meinen Augen hatten alle Blut an den Händen, und das war ein Grund auszuwandern. Australien bot sich an, weil mein Vater dort war. Meine Mutter wollte nicht nach Australien, und sie wollte auch nicht auswandern.

Damals musste man auch eine Einreisebewilligung haben. Und dann musste man auch einen Teil der Schiffskarte bezahlen. Es war ein Auswandererschiff, denn zu dieser Zeit sind viele Leute ausgewandert, und es gab eine jüdisch-amerikanische Hilfsorganisation, den Joint, die hat den größten Teil meiner Reise bezahlt.

Zu dieser Zeit kannte ich bereits meinen Mann. Er wollte mit mir nach Australien auswandern. Ich sollte zuerst fahren, mich umschauen und dann hätte ich mich um eine Einreisegenehmigung für ihn bemüht, und er wäre nachgekommen.

Als ich in der siebenten Gymnasialklasse war, ist mein späterer Mann, Alfred Heilman, eines Tages vor unserer Tür gestanden. Er wollte meine Mutter besuchen.

Geboren war er in Lemberg. Er hatte sechs Geschwister, Henje, Rosa, Dora, Lina, Philipp und Wolf. Vor dem Krieg lebte die Familie in Lemberg, und mein Mann besuchte dort ein Gymnasium, in dem auch Deutsch gelehrt wurde. Nach der Matura konnte er nicht studieren, weil es in Polen einen Numerus Clausus für Juden gab.

Darum hat er Buchbinder gelernt. Dann kam der Krieg. Hitler und Stalin hatten kurz zuvor einen geheimen Pakt unterzeichnet, den Hitler-Stalin-Pakt. Da haben sich die Russen und die Deutschen Polen geteilt. In Lemberg sind die Russen einmarschiert.

Als die Deutschen im Juni 1941 in Lemberg einmarschierten, flüchtete mein Mann ist in die Sowjetunion und wurde Soldat der polnischen Streitkräfte in der Sowjetunion. Diese Armee kämpfte gemeinsam mit den Alliierten Streitkräften.

Mein Mann hat 1943 auf der Krim als Sanitäter gegen die Deutschen gekämpft und dabei einen russischen Soldaten aus den Kampfhandlungen herausgeholt, weil der stark verwundet war und zu einer Sanitätsstelle gebracht.

Dieser Mann war Jude und hat meinen Mann nach dem Krieg lange gesucht und gefunden. Das war sehr schwer, da mein Mann zwei Zunamen hatte. Seine Eltern hatten jüdisch, aber nicht standesamtlich geheiratet, so hießen die Kinder Rittner, nach dem Namen der Mutter.

Nach dem Krieg nahmen alle sechs den Namen des Vaters, Heilman, an. Ich glaube, es war in den 1960er Jahren, da hat er meinen Mann gefunden. Sein Nachname war Kofel, und wir haben ihn mehrere Male in Haifa besucht.

Wir haben ihn immer ‚der Gerettete gerufen. Als mein Mann und er schon gestorben waren, habe ich mich in Haifa, wenn ich zu Besuch in Israel war, noch immer mit seiner Frau getroffen. 

Warum mein Mann aus der Armee ausschied oder ausscheiden musste, weiß ich nicht. Er arbeitete dann in Swerdlowsk, in Sibirien, unter sehr schlechten Bedingungen in einer Gießerei.

Nachdem er die Frau des Fabrikdirektors kennengelernt und sie sich ineinander verliebt hatten, hat sie ihn protegiert und durchgesetzt, dass er in Swerdlowsk eine technische Hochschule besuchen konnte.

Bis der Krieg zu Ende war, hat er dort studiert. Nach dem Krieg wollte er seine Familie in Lemberg suchen. Seine Geschwister hatten christliche Sportkameraden, alle Geschwister waren sehr sportlich und seit vielen Jahren Mitglieder in einem Sportclub.

Von einigen Sportkameraden bekamen sie deren Papiere. Als sich die Geschwister trennen mussten, haben sie verabredet, der Hausbesorgerin ihres Hauses in Lemberg nach dem Krieg Mitteilungen über ihren Verbleib zu hinterlassen. Mit Genehmigung der Universität fuhr mein Mann nach Lemberg, seine Geschwister suchen.

Das Haus stand, und die Hausbesorgerin hatte wirklich Nachrichten. Alle hatten überlebt, zum Teil in Deutschland als polnische Zwangsarbeiter. Sie waren in der Stadt Beuthen [poln. Bytom] verabredet. Mein Mann hat auf die Fortsetzung seines Studiums verzichtet und hat in Beuthen seine Geschwister getroffen. Die Eltern gab es nicht mehr, sie waren ermordet worden. 

Philipp, der ältester Bruder, hatte eine Wohnung gemietet, aber dort bleiben wollten sie nicht. Sie hatten beschlossen nach Südamerika auszuwandern und bemühten sich um eine Einreisegenehmigung. In dieser Zeit des Wartens fand mein Mann eine Arbeit als Kellner in einem kleinen Kaffeehaus.

Ungefähr ein Jahr blieben sie in Beuthen, dann fuhren sie alle nach Wien. Wien war damals für viele Flüchtlinge eine Zwischenstation zwischen der alten und der neuen Heimat. Als mein Mann sich vom Besitzer des Kaffeehauses verabschiedete und sagte, dass er nach Wien fahre, sagte der:

Oh, wenn du nach Wien fährst dann sei so gut, ich habe dort eine weitläufige Cousine, grüße sie und erzähl ihr von mir.

In Wien angekommen, wohnten sie in einem Hotel in der Heinestrasse, das für Flüchtlinge hergerichtet war. Mein Mann hat eines Tages die Adresse genommen und ist auf die Suche nach der Verwandten seines Chefs gegangen.

Diese Verwandte war meine Mutter. Also stand er eines Tages vor der Tür unserer Wohnung. Meine Mutter, gastfreundlich wie sie war, lud ihn zum Nachtmahl ein und spazierte mit ihm  ein wenig durch Wien.

Dann sagte sie: meine Tochter ist im Moment nicht da, in einer Woche kannst du sie aber kennenlernen. Das wars! Unglaublich! Als ich meinen Mann das erste Mal sah, hab ich ihn angeschaut und war schon verliebt. Und ihm ging es nicht anders, auch er war sofort in mich verliebt.

Ich war noch sehr jung, erst 17 Jahre alt, er war 26 Jahre alt und schon ein reifer Mann. Ich war trotz meiner Erlebnisse ein junges Mäderl. Ich kam mir sehr erwachsen vor, war’s aber natürlich nicht.

Mein Mann konnte nicht sehr gut Deutsch, aber mit mir musste er Deutsch sprechen, denn ich konnte nicht Polnisch. Das hat ihm sicher geholfen, schnell Deutsch zu lernen. Innerhalb eines Jahres ist es ihm gelungen.

Dann wurde die Einreise der Geschwister nach Bolivien genehmigt. Mein Mann wollte natürlich hierbleiben, erstens hatte er sich in mich verliebt und zweitens die Aussicht, in Wien Technik zu studieren. Seine Schwestern Henje und Rosa hatten während des Krieges französische Kriegsgefangene kennengelernt und wollten nach Frankreich, um sie zu suchen.

So haben sich die Geschwister getrennt. Mein Mann ist in Wien geblieben, Henje und Rosa sind nach Paris gefahren, haben ihre Freunde gesucht und gefunden und haben geheiratet.

Dora, die dritte Schwester ist auch mit nach Paris gefahren, obwohl sie keinen Freund dort hatte, und Philipp, der älteste Bruder wollte die Schwestern nicht allein lassen und begleitete sie. Nur Wolf ist wirklich nach Bolivien gefahren. Er hat eine Freundin mitgenommen, sie geheiratet und blieb in Bolivien.

Dora erkrankte schwer an Tuberkulose. Ihr Bruder Philipp hat alles getan, damit Dora gerettet wird. Man hat sie nach Südfrankreich geschickt, nach Briancon, einem Gebirgsort mit Sanatorien.

Philipp war ein sehr tüchtiger Mann, er hat sofort in Paris gearbeitet, und hat alles für seine Schwester finanziert. Sie wurde dann auch operiert, der Herd wurde entfernt, aber sie war dadurch natürlich nicht mehr ganz gesund. 

Mein Mann hat hier an der Technischen Hochschule inskribiert, Geld hatte er keines und musste sich mit Gelegenheitsgeschäften über Wasser halten.

Er konnte sich dadurch dann ein Untermietzimmer leisten, aber arm war er immer noch. Und nun mussten wir uns erst einmal trennen, denn eines Tages war es soweit, meine Reise nach Australien, die lange vorbereitet war, begann.

Zuerst bin ich nach Marseille mit dem Zug gefahren, dort wurden wir gesammelt. Wir waren dann etwa 1 000 Passagiere, darunter viele junge Leute. Das Schiff war ein richtiges Auswanderungsschiff. Im Frachtraum hatte man Stockbetten aufgestellt, um alle unterzubringen. Ich war allein und abenteuerlustig.

Es war eine wunderschöne Fahrt. Sie dauerte einen Monat bis wir in Melbourne ankamen. Eine Woche musste das Schiff zwischendurch repariert werden, alle waren aufgeregt, mich hat das nicht gestört. Eine Woche länger auf See, dachte ich. Ich habe die Reise sehr genossen. 

Mein Vater hat mich vom Hafen in Melbourne abgeholt. Ich habe ihn sofort erkannt, er mich wahrscheinlich nicht, denn er hatte mich verlassen, da war ich elf Jahre alt. Er hatte sich nicht so sehr verändert. Es war ein Wiedersehen mit vielen Tränen. Wir haben beide sehr geweint.

Wir fuhren von Melbourne zwei Stunden mit dem Zug nach Castlemaine, den Ort, in dem mein Vater damals lebte. In Castlemaine gab es ein Kino, mehrere Tennisplätze und mehrere Schulen. In einer dieser Schulen hat mein Vater Mathematik unterrichtet.

Er wohnte in dem kleinen Haus mit dem Garten mit einer Frau zusammen, die er später geheiratet hat. Ich bekam ein Zimmer für mich allein, und ein Zimmer hatte er als Laboratorium eingerichtet. Mein Vater forschte über Kristalle.

Es ist ihm gelungen, Metall zu kristallisieren. Bis dahin hatte man nicht gedacht, dass das möglich ist, man konnte zu dieser Zeit nur Salze in Kristallform bringen. Aber damals wusste man nichts mit dieser Entdeckung anzufangen. Erst, seit es das Fernsehen gibt, haben diese Kristalle ihren Sinn.

Castlemaine war ein typisch englisches Städtchen. Die Menschen hatten dort schon lange in Frieden gelebt, sie hatten keine Ahnung von lebensbedrohlichen Situationen, und ich empfand sie alle als langweilig. Mein Vater war natürlich nicht langweilig, aber er ist arbeiten gegangen.

Seine Freundin hat mich sehr nett betreut. Ich habe mich aber wirklich gelangweilt. Nun wollte ich ja Medizin studieren, aber dazu hätte ich in ein Internat gemusst, das war gekoppelt, Internat und Studium. Und das Studium musste man bezahlen, und das Internat kostete viel Geld, das konnte mein Vater sich nicht leisten.

Studieren konnte ich dort nicht. Mein Vater und ich haben überlegt, denn man konnte viele wunderbare Berufe erlernen, aber ich wollte unbedingt Medizin studieren. Wir haben uns genau erkundigt, wie man das vielleicht doch machen kann, aber es ist am Materiellen gescheitert.

Mein Vater hätte viele Jahre finanzieren müssen, so ein Studium dauert lange. Ohne Studium wollte ich in Australien nicht bleiben, denn in Wien gab es damals das Studium für alle wirklich umsonst. Also hab ich mich entschlossen, ich gehe zurück, um zu studieren.

Zurück hat es keinen Joint mehr für mich gegeben, mein Vater hat einen Kredit aufgenommen, um mir nach einem Jahr die Rückreise zu bezahlen. Er war sehr traurig, aber er hat mich verstanden.

Ich habe ihn nie Wiedergesehen, doch wir waren immer im Kontakt, und er hat mir immer zum Geburtstag ein Geschenk geschickt. Und ich hab ihm immer Bücher über Kristalle geschickt. Mit 85 Jahren ist mein Vater in Australien gestorben.

Mein Mann war enttäuscht, dass ich zurückgekommen bin, denn er hätte sehr gern mit mir in Australien gelebt. Aber obwohl das Schiff bis Genua fuhr, hat er mich schon in Neapel abgeholt, und wir sind zusammen mit dem Zug nach Wien gefahren.

Ich konnte dann gleich weiter studieren, hatte zwar ein Jahr verloren, aber viele meiner Kommilitonen hatten die ersten Prüfungen in Chemie und Physik nicht bestanden, also waren sie nicht viel weiter als ich.

Ich habe erfolgreich studiert, und irgendwann haben wir beschlossen zu heiraten. Aber mein Mann hatte nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, und wenn ich ihn geheiratet hätte, wäre ich staatenlos geworden. Ich musste einen Antrag auf Beibehaltung meiner Staatsbürgerschaft stellen, das dauerte seine Zeit.

Das nächste Hindernis war, das es bei religiösen Juden so eine Art ungeschriebenes Gesetz gibt, dass, wenn Schwestern da sind, die zuerst heiraten müssen. Drei seiner Schwestern waren verheiratet, aber die eine noch nicht.

Also wollte er warten, bis sie auch verheiratet war. Dora lernte dann endlich in Briancon einen jungen Mann kennen, den sie heiratete. Wir heirateten dann auf dem Standesamt in der Währingerstrasse.

Damals gab es nur einen orthodoxen Rabbiner im 2. Bezirk, bei dem haben wir dann richtig jüdisch geheiratet. Ich war in Weiß mit einem Schleier, aber mein Schleier war dem orthodoxen Rabbiner nicht genug.

Man hat mir noch einen weißen Schal überworfen, damit man wirklich nichts sieht. Alles war richtig traditionell, mit sieben Mal herumgehen, und  mein Mann hat die Ketubba 6 unterschrieben.

Unsere Hochzeit war eine der ersten jüdischen Hochzeiten in Wien. Viele meiner Studenten waren dabei. Einen von diesen Studenten treffe ich noch heute, und jedes Mal wenn er mich sieht, sagt er: deine Hochzeit werde ich nie vergessen.

Als ich verheiratet war, hat meine Mutter gesagt: ich gebe dir die Wohnung, wozu brauche ich soviel Zimmer allein. Ich wollte das nicht, ich war immer noch Studentin, ich wollte lernen und nicht Böden putzen. Kochen habe ich auch nicht können. Aber mein Mann wollte sie unbedingt, ihm hat die Wohnung natürlich gefallen. Also habe ich mich gefügt.

Meine Mutter zog zu ihrem Mann, den sie ja 1946 geheiratet hatte, in die Josefstädter Strasse und überließ uns die Wohnung. Als es uns finanziell besser ging, hatten wir eine Bedienerin.

Aber das hat eigentlich nicht zu mir gepasst, denn so hatte ich nie gelebt, so war ich nicht aufgewachsen. In der Wohnung am Semmering, die wir uns gekauft haben, und die sehr klein war, fühlten wir uns sehr gut. Genau deswegen, weil sie so klein war, haben wir uns dort so richtig wohl gefühlt.

Meine Tochter Viola wurde 1955 geboren. Was für eine große Freude! Durch Viola geschahen lauter Wunder. Das war so schön, dass ich sogar begonnen habe, mich mit der Küche anzufreunden. Mein Studium hatte ich unterbrochen, so dass ich alles mit ihr zusammen erleben konnte.

Nach eineinhalb Jahren war ich wieder schwanger, das zweite Kind kam, ein Bub. Wieder eine große Freude! Kurz nach der Geburt sagte man mir, das Kind sei nicht in Ordnung. Es hatte einen angeborenen Herzfehler und lebte nur vier Monate.

Das war so schrecklich, dass ich mich von diesem Schock nicht erholen konnte. Ich war nur noch traurig, furchtbar traurig. Aber ich hatte doch meine kleine Tochter, die Viola, ich musste mich also irgendwie zusammennehmen.

Mit meiner ganzen Kraft habe ich es bewerkstelligt zu leben. Das war schrecklich für mein Kind mit einer Mutter, die immerzu traurig war. Das war sehr, sehr schwer, und das wirkt sich sicher bis heute auf meine Tochter aus.

Sechs Jahre war ich eine depressive Mutter. Meine Schwägerin kam einmal aus Frankreich zu Besuch. Viele Jahre später hat sie mir erzählt, ich hätte damals immer dasselbe angehabt, und ich hätte nie gelächelt. Ich habe gerade mal gelebt, aber sonst nichts. Ich konnte und konnte mich von diesem Schock des Todes meines Kindes nicht erholen.

Ich wollte nicht einmal mehr studieren. Mein Mann hat auch gelitten, aber er hatte auch große berufliche Erfolge in diesen Jahren. Er hat sich keinen Urlaub gegönnt, er musste das Geld für uns verdienen. Er hat immer gearbeitet, auch samstags und sonntags.

Ich glaube, Viola ging schon in die 2. Klasse, da hat es sich ergeben, dass wir beide in den Schulferien eine Schiffsfahrt nach Algerien unternommen haben. So etwas hat mich noch immer gelockt. Das war der erste Schritt zu meiner Gesundung. Nach 14 Tagen kamen wir zurück, und ich fühlte mich ein wenig besser, konnte mich wieder besser anpassen.

Meine Mutter hat all die Jahre zu mir gesagt, dass ich weiterstudieren soll, ich war ja fast am Ende des Studiums, aber ich war nicht imstande dazu. Ich habe keinen Sinn mehr darin gesehen zu studieren. Nach einem Jahr haben Viola und ich mit dem Schiff eine Donaufahrt unternommen.

Wir fuhren die Donau entlang bis zum Schwarzen Meer, stiegen dann um auf ein großes Schiff und fuhren bis zur Krim. Das war eine herrliche Schiffsfahrt, und auf der Krim hatten wir einen wunderschönen Urlaub. Dort habe ich gesehen, warum das Schwarze Meer Schwarzes Meer heißt. Die Steine, die zum Meer führen, sind dort dunkelgrau.

Diese Reise hat mich aus meiner Depression herausgebracht. Auf der Rückreise ist es mir auch noch sehr gut gegangen und ich dachte, so jetzt werde ich mich zusammennehmen und mein Studium beenden.

Mein Mann hat für mich den Antrag an die Universität formuliert, und man erlaubte mir, trotz der langen Pause aus ersichtlichen Gründen, ohne nochmalige Prüfung mein Studium fortzusetzen.

Ich habe wieder begonnen zu Lernen, und mein Mann hat mich sehr, sehr unterstützt. Er war einmalig! Dann habe ich die erste Prüfung gleich mit Auszeichnung bestanden. Und dann kam eine Prüfung nach der anderen, nicht mehr mit Auszeichnungen, aber ich war froh, ich rutsch durch.

Dann hatte ich das Studium beendet. Bei meiner Promotion war meine Tochter Viola dabei, sie war zehn Jahre alt. Und meine Mutter war auch dabei. Sie hat sich sehr gefreut.

Damals war es so, dass man sich gerissen hat um die Absolventen, denn es gab zu wenige Ärzte. Man hat mir gleich gesagt, ich soll ins AKH [Anm.: Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien, Universitätsklinikum Wien, Sitz der Medizinischen Universität, größtes Krankenhaus Österreichs].

Zuerst war ich in der HNO-Abteilung des AKH. Ich hatte keine Ahnung und kam mit Illusionen dort hin. Ich dachte an wunderbare Ärzte, gute Beziehungen zu den Patienten, Diagnosen stellen und so weiter. Das AKH war ein Betrieb von ehrgeizbesessenen Menschen.

Das ging soweit, dass einer den anderen als Konkurrenten empfand. Die HNO-Abteilung hatte einen Dachgarten, und ich bin jeden Mittag hinaufgegangen und habe fast geweint. Gutes Verhältnis Arzt-Patienten, das hat’s überhaupt nicht gegeben, und dass ein Arzt etwas einem Frischling wie mir erklärt, das hat’s auch nicht gegeben.

Jeder wollte den anderen nur herunterdrücken. Und diese Hierarchie: wenn man zum Patienten kommt, geht zuerst der Professor, dann der Dozent, dann der Oberarzt usw. Ich war doch neugierig und wissbegierig, ich wollte doch alles beim Patienten hören und sehen, was der Professor sagt und was er macht.

Ich bin also nach vorn gegangen, und die Oberschwester hat mich sofort nach hinten gezogen. Ich hab dort die Monate absolviert und mir gedacht, wenn das die Medizin ist, für die ich so gekämpft hatte, das ist nichts für mich.

Aber ich hab auch gedacht, vielleicht ist es in einem anderen Spital anders. Ich hab mich dann im AKH abgemeldet, obwohl auf der Kinderstation ein sehr guter Professor war, der meinte, dass ich vielleicht Kinder als Fach machen sollte. Aber ich hab mich so gefürchtet vor diesem AKH, dass ich dort die Facharztausbildung zur Kinderärztin nicht machen wollte.

Mein nächstes Krankenhaus war das Kaiser-Franz-Josef-Spital, meine nächste Abteilung war die Interne. Da bleibt man neun Monate, und dort war es ganz, ganz anders. Dort war ein Oberarzt, der sich bemüht hat, mir alles beizubringen, was ein Internist können muss.

Das war wunderbar für mich. Ich habe mich bemüht, alles das, was ein Arzt braucht, zu erlernen. Für die Patienten war ich die junge Frau Doktor, auch das hat mein Selbstbewusstsein sehr gestärkt.

Ein Professor dort hat über Gicht geforscht. Gicht war damals eine Erkrankung, von der man in Österreich gar keine Ahnung hatte. Mein Mann hatte ja eine Schwester in New York, sie war bereits vor dem Krieg ausgewandert. Er hat ihr geschrieben, und sie hat mir einen langen Bericht über Gicht geschickt.

Mit diesem Wissen bin ich zu dem Professor der Interne gegangen, und er war begeistert. Es gab damals in Amerika auch schon Medikamente gegen Gicht, denn Gicht ist ja eine sehr schmerzhafte Krankheit. Das war eine große Sache für Wien.

Im Kaiser-Franz-Josef-Spital, herrschte auch ein ganz anderes Klima zwischen den Ärzten und den Patienten. Die Ärzte sprachen mit den Patienten und kümmerten sich auch psychisch um sie. Auch die Kollegen untereinander haben nicht einer den anderen hinaus beißen wollen, denn sie waren dankbar, dass ich ihnen Arbeit abnehmen konnte. Und je mehr ich konnte, umso mehr konnte ich ihnen abnehmen.

Ich bin dann durch alle Abteilungen durch, bis mein Turnus zu Ende war. Im Kaiser-Franz-Josef-Spital war ich ungefähr fünf Jahre. 1968 kam meine Tochter Monika zur Welt. Zu der Zeit habe ich schon im Spital der Barmherzigen Brüder gearbeitet. Da haben wir uns dann ein Kindermädchen geleistet.

Mein Mann ist sehr religiös aufgewachsen, doch durch sein Schicksal ist er von seiner strengen Religiosität abgekommen. Koscheres Essen und Schabbat halten, das war für uns finanziell unmöglich.

Auch waren unsere Lebensumstände in Wien so, dass wir nicht religiös leben konnten. Auch seine Geschwister sind von dem streng Religiösen abgekommen.

Mir hat das Traditionelle sehr gefallen. Ich hatte nie traditionell gelebt, weil meine Mutter gar nicht religiös war. Aber jetzt wollte ich gern traditionell leben. Da hat mein Mann mir Verschiedenes beigebracht. Ab und zu haben wir Freitag Lichter gezündet, und zu den Feiertagen gingen wir in den Tempel. Und den Seder 7 haben wir, da war ich noch sehr jung, begonnen zu halten.

Zuerst noch sehr schlicht, aber als meine zweite Tochter Monika 1968 geboren wurde, war das schon ein richtiger Seder mit vielen Gästen. Wir hatten viele jüdische Gäste, aber es gab auch nichtjüdische Gäste. Und ich habe alles traditionell hergerichtet, die Vorspeisen, den gefillten Fisch [Anm.: Fischgericht], die gehackte Leber.

Meine Töchter sind dadurch traditionell aufgewachsen. In ihren jeweiligen Schulen waren sie die einzigen jüdischen Kinder. Viola ging die ersten vier Jahre in die Albertgasse, dann in die Piaristengasse aufs Gymnasium.

Das Piaristengymnasium war ein katholisches Gymnasium, in dem Viola es durch das antisemitische Verhalten von Lehrern und Schülern nicht ausgehalten hat. Ich habe sie dann in der Kundmanngasse, im 3. Bezirk, angemeldet. Da war ein vollkommen anderes Milieu, dort hat sie maturiert.

Als Viola 20 Jahre alt war, ist sie in den 5. Bezirk gezogen. Wir hatten dort ein Haus, und Viola wollte selbständig sein.

Die Wohnung hat mein Mann nach ihren Wünschen herrichten lassen, Viola ist künstlerisch begabt und sehr phantasiereich. Sie hat schon damals gemalt und ihre Bilder auch ausgestellt. Eigentlich wollte sie ihr ganzes Leben die Sahara bewässern. Deshalb begann sie auf der Universität für Bodenkultur zu studieren.

Nachdem sie dort auf ein ausgesprochenes Bauernnazimilieu gestoßen ist, ist sie nach einer Woche davon gelaufen. Nun wusste sie nicht, was sie studieren sollte. Sie ließ das Studienbuch entscheiden, es fiel auf bei Publizistik.

Daraufhin hat sie Publizistik studiert und ihr Doktorat gemacht. Sie hat dann viele Jahre bei verschiedenen Zeitungen als Journalistin gearbeitet.

Nach ungefähr zehn Jahren hat sie etwas Neues gesucht, weil sie mit vielen Dingen nicht einverstanden war. Ihr Wissen ist groß und dazu ihre künstlerische Begabung, sie hatte also viele Möglichkeiten. Sie hat dann mit einem Rechtsanwalt zusammen gearbeitet.

Nach sieben Jahren intensiver Arbeit mit diesem Rechtsanwalt ging sie nach Israel. Sie ist mit unser aller Illusionen, die wir ihr suggeriert hatten, nach Israel gekommen: unsere Heimat, das Land, wo wir hingehören, wo es keinen Antisemitismus gibt, wo viele Dinge selbstverständlich sind, die man hier erst erkämpfen muss.

Was wir dabei nicht bedacht hatten, war, dass ihre Generation in Israel bereits viele Kriege miterlebt hatte, sie durch eine harte Schule gegangen ist.

Diese jungen Menschen waren im Land geboren und geformt unter anderem durch die ständige Bedrohung ihres Lebens. Und es war und ist in Israel noch immer ein Überlebenskampf. Aber Viola hat sich in Israel einen großen Freundeskreis geschaffen.

Fünf Jahre lebte sie in Israel, dann lernte sie ein französisches Ehepaar kennen und sie übersiedelte nach Frankreich, an die Cote Azur. Sie hat in den Bergen, sehr nah von Nizza eine Wohnung gemietet. Für mich war das herrlich, ich hatte sie jedes Jahr in Israel besucht, und nun konnte ich jedes Jahr nach Frankreich.

Es war wunderschön dort. Sie hat Französisch gelernt, es ist ihr leichter gefallen als Hebräisch, und nach fünf oder sechs Jahren in Frankreich, in denen sie als Journalistin auch für Wiener Zeitungen gearbeitet hat, hat sie die Kälte der Franzosen nicht mehr ertragen. Es ist ihr dort nicht gelungen, einen richtigen Freundeskreis aufzubauen.

Sie hat einen Kurs mit einem Rabbiner besucht, hat Golf gespielt, um Leute kennenzulernen, kennengelernt hat sie ein amerikanisches Ehepaar, ein jüdisches Ehepaar, aber keine Franzosen. Sie kam sich einsam vor und ist zurück nach Wien gekommen. Es war für sie sicher nicht einfach zurück zu kommen.

Aber hier hatte sie viele Freundinnen und Freunde, von der Schule, von der Arbeit und es kamen auch neue dazu, und so hat sie es in Wien ungefähr fünf Jahre ausgehalten. Dann wurde sie von einer Freundin nach Israel gerufen, der sie helfen sollte, den Bau ihres Hauses zu überwachen und ihr Wissen und Können mit einzubringen.

Da sie schon lange in Israel gelebt hatte, fuhr sie ohne Illusionen, und dieses Mal hat es ihr gefallen, dass die Leute so sind wie sie sind - individuell, eigensinnig, laut und kämpferisch. Das sind aufgeschlossene Menschen, die einen Fremden ausfragen bis auf seine Schuhgröße.

Das gehört dazu: man hat auch Interesse an der Schuhgröße des andern. Der menschliche Kontakt ist in Israel unvergleichbar mit einem anderen Land auf dieser Welt. Nichtjüdische Freunde verstehen nicht, wie empfindlich ich reagiere, wenn jemand etwas gegen Israel sagt.

Da bin ich schon an der Decke, und der andere ist sich gar nicht bewusst, dass er etwas gesagt hat, dass mich kränkt. Das ist natürlich eine Überempfindlichkeit, aber da bin ich überempfindlich. Ich weiß es, aber ich kann ja nicht aus mir heraus. Ich weiß, das man auch Negatives über Israel sagen könnte, wo gibt es nichts Negatives, aber bitte nicht zu mir.

Nach einem Jahr kam Viola zurück, um ihre Sachen zu holen, und um wieder nach Israel zu übersiedeln. Ihr israelischer Freundeskreis hat sich gefreut.

Seit einiger Zeit lebt sie ein halbes Jahr in Israel und ein halbes Jahr in Wien. Meine Tochter arbeitet jetzt für ein Immobilienjournal.    

Monika, meine jüngere Tochter, habe ich gleich aufs Lycee [französische Schule] gegeben. Dort ist ein internationales Milieu. Es gab dort Kinder aus anderen europäischen Ländern, natürlich auch französische Kinder, und es gab jüdische Kinder.

Auch die Lehrer waren ganz anders. Nach der Matura hat sie eine Weile studiert, hat geheiratet, früh ihr erstes Kind bekommen, Lilli ist jetzt 23.

Sie ist mit ihrem Mann aufs Land gezogen, in die Nähe von Graz. Ihr Mann hatte eine Arbeit in Graz angeboten bekommen. In Graz waren die Wohnungen zu teuer, also haben sie in der Nähe gesucht und haben in einem Haus die untere Etage mieten können.

Später wollte der Besitzer des Hauses nicht mehr vermieten, da haben sie ein großes Grundstück gefunden und ein sehr schönes Fertighaus darauf gestellt. Monika wollte ihren Kindern ein richtiges zu Hause bieten, das  bedeutete ein Haus, einen Garten, einen Hund.

Das war für sie sehr wichtig. Als die Kinder klein waren hatten sie auch eine Katze und Meerschweinchen. In einem halben Jahr war alles fertig, vom Keller bis zum Giebel. Monika bekam ihren Sohn Moritz, er ist  heute auch schon 20 Jahre alt.

Der Garten ist groß und wunderschön. Dort wo sie wohnen gibt es nichts, nur ein paar Gehöfte. Als die Kinder klein waren, gab es dort auch Nachbarkinder, zum Aufwachsen war das wunderbar. Als ihre Kinder schon etwas älter waren, begann meine Tochter in einer Waldorfschule Französisch zu unterrichten. Ihre Kinder konnte sie mitnehmen, das war ideal.

Monikas Mann organisiert mit einem Kompagnon in Österreich Kongresse für Ärzte. Er muss das Thema aussuchen, die Ärzte einladen, die Vortragenden einladen, den Platz aussuchen. Die Kongresse finden vier bis fünfmal im Jahr statt, es sind große Ärztekongresse bis zu 1000 Leuten.

Meine Tochter lebt unter Bauern und ist sehr glücklich mit ihrem Leben. Mehrmals im Jahr kommt sie in die Stadt mich besuchen. Ich liebe die Stadt, man kann so viele schöne Sachen sehen, hören, besichtigen.

Meine Tochter ist jedes Mal froh, wenn sie wieder aufs Land fahren kann. Der Lärm, der Staub…das erträgt sie nicht. Ich glaub, sie ist bis vor zwei Jahren nie auf Urlaub gefahren, die Kinder, der Garten, der Hund…

Als ihr Sohn Moritz 12 Jahre alt war, hat er gesagt, dass er eine Bar Mitzwa 8 haben will. In Graz gibt es ja keinen Rabbiner, weil dort zu wenig Juden leben. Aber es gab einen Mann mit dem der Moritz lernen konnte; ein Jahr lang.

Dieses Kind, das ein zwiespältiges Verhältnis zum Lernen hatte, ging wirklich ein Jahr lang jede Woche und lernte alles für seine Bar Mitzwa. Als es soweit war, ist der Pauli [Anm.: gemeint ist Paul Chaim Eisenberg, der Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien] aus Wien nach Graz gekommen, und es war eine der schönsten Bar Mitzwas, die ich erlebt habe; mit soviel Humor. Der Pauli hat gesungen und getanzt, und der Moritz hatte dann eine wunderbare Feier.

Ich bin sehr gern gereist, mein Mann und ich waren zusammen in New York, wir waren in Brasilien und in Europa fast überall. Ich wäre gern noch sehr viel mehr gereist, aber da mein Mann schwer gearbeitet hat, wollte er sich im Urlaub manchmal einfach nur ausruhen.

Mein Mann starb 1995 im Alter von 75 Jahren. Viel zu früh. Seitdem lebe ich allein.

Ich lebe gut in Österreich und sehr bequem. Ich hab ja ein bisschen von der Welt gesehen, so ein bequemes Leben und so eine soziale Absicherung gibt’s nirgendwo. Es ist aber nicht nur die soziale Absicherung, alles hier in Österreich ist einfach. Wenn man einen Pass haben will, muss man sich nicht anstellen, man zieht eine Nummer und ist nach zehn Minuten dran. Wenn man die Pension einreicht, läuft alles glatt und ohne Aufregung. Das Klima ist gut und die kulturellen Veranstaltungen sind großartig. Vieles an Kultur gibt es sogar umsonst, solche Dinge gibt es ja nirgends auf der Welt.

Als den Haider 25 Prozent gewählt haben, war meine Tochter Viola weg aus Österreich, meine jüngere Tochter Monika fühlt sich sicher in Österreich. Ich kann mich erinnern, dass vor 1938 fühlte man sich hier in Österreich auch sicher. Ich glaube aber, dass die Menschen sich nicht so sehr verändert haben.

Es kommt immer auf die Situation an, geht es ihnen gut, sind sie gut, geht es ihnen schlecht, sind sie schlecht. Es gab ja viele, die sich alles angeeignet haben. Niemand hat reklamiert, die Familien wurden ermordet oder sind oft irgendwo auf dieser Welt gestorben, ehe sie irgendetwas von ihrem Besitz zurückbekommen haben.

Ich persönlich traue niemandem. Aber ich bin zu alt und zu schwach um noch woanders hinzugehen, auch wenn die rechte Partei immer stärker werden würde.

Immer wieder komme ich darauf, dass ich anders als andere bin. Aber das ist ja auch kein Wunder, nachdem, was ich erlebt habe.

Anm.: 1990 wurde Reinhold Duschka vom Staat Israel als Gerechter unter den Völkern [Ehrentitel für nichtjüdische Personen, die während des Holocaust Juden gerettet haben] anerkannt.

Die Ehrung fand erst so spät statt, weil Duschka auch nach dem Krieg Angst vor dem Antisemitismus der Bevölkerung hatte, denn es war auch im Nachkriegsösterreich nicht populär, Juden geholfen zu haben. Duschka musste noch viele Jahre arbeiten, und er hatte Angst, dass ihm die Kundschaft ausbleibt.

Am 11. April 2013 hat auch Österreich die Heldentat des Reinhold Duschka, der vier Jahre lang sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, anerkannt und gewürdigt, indem in der Mollardgasse 85a, dem Haus, indem er die vielen Jahre Dr. Lucia Heilman und ihre Mutter versteckt hatte, eine Gedenktafel angebracht wurde.  

  • Glossar:

1 Völkerbund, der war eine Internationale Organisation mit Sitz in Genf (Schweiz). Er nahm am 10. Januar 1920, kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges, seine Arbeit auf, um den Frieden dauerhaft zu sichern, und wurde am 18. April 1946 in Paris, kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, aufgelöst.

Der Völkerbund gilt als indirekter, zeitgeschichtlicher Vorläufer der Vereinten Nationen (UNO).

2 Schuschnigg, Kurt [1897 – 1977]: österreichischer christlichsozialer Politiker. Er folgte 1934 dem von Nationalsozialisten ermordeten Dollfuß als Bundeskanzler. Er versuchte, Österreich zum ‚besseren deutschen Staat‘, als es das Deutsche Reich war, zu machen.

Am 9. März 1938 setzte er für den 13. März eine Volksabstimmung über den Erhalt der Eigenstaatlichkeit Österreichs an. Am 11. März 1938 trat er unter dem Druck Nazideutschlands zurück. Nach dem Anschluß wurde Schuschnigg inhaftiert und blieb bis Ende des Zweiten Weltkrieges in Haft.

1948 wanderte er in die USA aus und war bis 1967 Professor für Staatsrecht an der Universität St. Louis/Missouri.

3 Affidavit: Im anglo-amerikanischen Recht eine schriftliche eidesstattliche Erklärung zur Untermauerung einer Tatsachenbehauptung.

Die Einwanderungsbehörden der USA verlangen die Beibringung von Affidavits, durch die sich Verwandte oder Bekannte verpflichten, notfalls für den Unterhalt des Immigranten aufzukommen

4 Wiener Werkstätte GmbH, die war eine Produktionsgemeinschaft bildender Künstler. Gründungsmitglieder im Jahr 1903 waren Josef Hoffmann, Koloman Moser und der Industrielle Fritz Wärndorfer, der sich als Kunstmäzen einen Namen machte.

Ziel der Werkstätte war die Erneuerung des Kunstbegriffes auf dem Bereich des Kunstgewerbes. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise kam es zum Einbruch der Verkaufszahlen, da die Zielgruppe, das Bürgertum, verarmte. 1926 konnte sich das Unternehmen nur knapp durch Ausgleich vor dem Konkurs bewahren, und 1932 war der Bankrott nicht mehr abzuwenden

5 Drancy: Ab 1941 Sammellager für zu deportierende Juden im Norden von Paris. Zwischen 21. August 1941 und 17. August 1944 passierten 70.000 Menschen dieses Lager auf dem Weg in die Vernichtungslager.

6 Ketubba: jüdischer Ehevertrag, im orthodoxen Judentum definiert die Ketubba die Verpflichtung des Ehemannes gegenüber seiner Gattin. Er verpflichtet sich damit, ihr Unterstützung, Ernährung, gesundes Leben und Freude zu sichern.

Im engeren Sinne sichert die Ketubba die Rechte der Frau, zu denen sich der Ehemann verpflichtet:

1. Unterhalt, 2. Bekleidung, 3. Geschlechtsverkehr. Die Ketubba regelt auch die finanzielle Absicherung der Frau im Falle einer Scheidung oder des Todes des Mannes. Für die Frau sind  in der Ketubba keine Pflichten festgelegt.

7 Seder [hebr.: Ordnung]: wird als Kurzbezeichnung für den Sederabend verwendet. Der Sederabend ist der Auftakt des Pessach-Festes. An ihm wird im Kreis der Familie (oder der Gemeinde) des Auszugs aus Ägypten gedacht.

8 Bar Mitzwa: [od. Bar Mizwa; aramäisch: Sohn des Gebots], ist die Bezeichnung einerseits für den religionsmündigen jüdischen Jugendlichen, andererseits für den Tag, an dem er diese Religionsmündigkeit erwirbt, und die oft damit verbundene Feier. Bei diesem Ritus wird der Junge in die Gemeinde aufgenommen.