Tag #133065 - Interview #78548 (Emilia Ratz)

Selected text
Dreimal versuchten wir herüber zu kommen, dreimal übergaben uns die Russen zum Glück nicht den Deutschen, das war so ein neutraler Streifen. Dann beschlossen wir - ich war die Jüngste - wir gehen ins Dorf und versuchen, einen Bauern zu finden, der uns über die grüne Grenze fährt. Der Bauer, den wir fanden, gehörte zu einer deutschen Minderheit, die sehr arm war. Er fuhr uns ein Stück mit seinem Boot. ‚Zur Sicherheit’, wie er sagte, nahm uns dieser Bauer allen Schmuck, auch meine Uhr und meinen Ring, den mir mein Onkel Ignatz aus Südamerika geschenkt hatte, ab. Diese Flucht missglückte, aber wir schafften es dann doch, illegal die Grenze zu passieren. Ich verkühlte mich, es war Oktober und die Nächte waren schon kalt. Mit 17 Jahren denkt man nicht so viel an Krankheiten, denn ich hatte einen Mantel, den ich aber vergessen hatte anzuziehen. Als ich in Bialystok bei meinen Verwandten ankam, öffnete die Frau von Onkel Joel die Tür, schaute mich an und wollte mich nicht hereinlassen, weil sie mich nicht erkannte - in so einem schrecklichen Zustand war ich. Sie hat geglaubt, vor ihr steht eine Bettlerin.
Period
Location

Lemberg
Polen

Interview
Emilia Ratz