Tag #133038 - Interview #78548 (Emilia Ratz)

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Das Gymnasium kostete theoretisch ziemlich viel Geld, aber praktisch, da die Lehrer sehr engagiert waren, bezahlten die Familien der Mädchen, die aus sehr reichen Häusern kamen, fast alles, und die meisten Kinder erhielten dadurch eine ziemlich hohe Ermäßigung. Aber mein Vater sagte nach der kleinen Matura, die mit der 10. Klasse endete [die kleine Matura dauerte 10 Jahre statt 12. Sie reichte als Voraussetzung für ein Studium nicht aus]: ‚Du hast eine kleine Matura, jetzt ist genug! Du bist nicht krumm, du bist nicht schief, du bist ganz hübsch, jetzt kannst du heiraten!’ Nun, ich veranstaltete erfolgreich einen riesengroßen Skandal. Ich sagte zu meinem Vater: ‚Ich will lernen, und wenn du nicht zahlen kannst, werde ich Nachhilfestunden geben und die Schule selber bezahlen. Wenn ich weiter zu Hause wohnen kann, schaffe ich das.’ Da ich Freunde in verschiedenen Milieus hatte, sah ich deutlich den Unterschied zwischen meinem typisch kleinbürgerlichen Zuhause und anderen Lebensformen. Mein Vater war in allen Beziehungen ziemlich konservativ, und darum waren wir fast immer unterschiedlicher Ansicht. Er war ein typischer kleiner Geschäftsmann, der die Familie ernähren wollte und dem es darum ging, dass seine Töchter sich anständig und angepasst benehmen. Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, wäre alles so geblieben wie es immer war. Meine Schwester und ich hätten vor allem anderen gut heiraten sollen. Meine Mutter rebellierte damals im Inneren gegen meinen Vater, denn sie war eine sehr kluge Frau und hat nicht gutgeheißen, was mein Vater sagte. Aber sie traute sich nicht, öffentlich Sturm zu machen. Und doch setzte sie sich immer irgendwie durch.
Period
Location

Warsaw
Polen

Interview
Emilia Ratz