Tag #133017 - Interview #78548 (Emilia Ratz)

Selected text
Onkel Ignatz war das schwarze Schaf der Familie. Er verließ die Familie in jungen Jahren und wanderte nach Südamerika aus. Ich sah ihn nur ein einziges Mal, das war im Jahre 1939. Ich kann mich erinnern, dass er mit einem Schiff kam und einen Überseekoffer dabei hatte. Er brachte meinem Vater zwölf Hemden mit weichen Kragen mit - heute tragen alle Männer solche Hemden. Mein Vater aber trug sein ganzes Leben lang nur Hemden mit steifen Kragen. Er bedankte sich bei seinem Bruder, aber als Onkel Ignatz wieder abgefahren war, sagte er: ‚Na Mila, jetzt kannst du dir 12 Blusen machen, so etwas werde ich nicht tragen.’ Aus einem Hemd machte ich mir eine Bluse, die den sogar den Krieg überlebte.

Onkel Ignatz war für mich die Personinfizierung des ‚reich sein’ - so einen Koffer zum Beispiel, zwölf Hemden auf einmal! Gut, mein Vater hatte wahrscheinlich auch viele Hemden, aber wenn man auf eine Reise geht, zwölf Hemden als Geschenk mitnehmen? Und so einen Überseekoffer hatte ich noch niemals gesehen. Das alles war für mich ziemlich exotisch. Ob er wirklich reich war, weiß ich nicht. Er war sehr sympathisch, und ich erinnere mich bis jetzt an den Ring, den er mir geschenkt hat. Das war mein erster Ring, ich war damals 17 Jahre alt. Der Ring war aus Gold und mein Name war eingraviert. Onkel Ignatz verunglückte tödlich bei einem Flugzeugabsturz. Wann das war, weiß ich nicht.
Period
Location

Warsaw
Polen

Interview
Emilia Ratz