Tag #132478 - Interview #78289 (Gertrude Kritzer)

Selected text
Antisemitismus, so komisch es ist, spürte ich nur durch meinen Mann und
seinen Bruder geschäftlich und in Spitälern. Mein Schwager war ein sehr
jüdischer Typ, ein Ostjude, und die Leute wollten von ihm nichts kaufen. In
den 1950er Jahren gab es noch ganz offenen Antisemitismus, aber ich hätte
das gar nicht bemerkt, weil man mir nicht ansieht, dass ich Jüdin bin.
Außerdem spreche ich einen schrecklichen österreichischen Dialekt.
'Frau Kritzer, kommen Sie, Ihr Mann kann auch einmal kommen, aber ihr
Schwager bitte nicht.' Das habe ich oft gehört. Sie wussten auch, dass ich
Jüdin bin, aber mich hielten sie aus. Zweimal ist es mir passiert, dass
Leute auf die andere Straßenseite wechselten, als ich mit jüdisch
aussehenden Männern den Gehsteig entlang gegangen bin. Ich glaube nicht,
dass ich überempfindlich bin.
Period
Location

Vienna
Österreich

Interview
Gertrude Kritzer