Stella Semenowsky

Stella Semenowsky in Italien

Stella Semenowsky
Wien
Österreich
Datum des Interviews: Dezember 2002 
Name des Interviewer: Tanja Eckstein

Am Telefon glaubte ich, Stella Semenowsky wird eine komplizierte Interviewpartnerin werden, aber ich hatte mich geirrt. Sie empfing mich in ihrer schönen Innenstadtwohnung sehr herzlich und erzählte, zum Teil mit Unterstützung ihres Schwiegersohnes Tommy Smolka, der gerade geschäftlich in Wien zu Besuch war und sämtliche Familiendaten aus seinem Taschencomputer hervor zauberte, ihre Geschichte.

Meine Familiengeschichte
Meine Kindheit
Während des Krieges
Rückkehr nach Wien
Glossar

Meine Familiengeschichte

Meine Großeltern väterlicherseits hießen Josef und Tova Wachtel. Sie besaßen in der galizischen Stadt Rzeszow [heute Ukraine] eine Gastwirtschaft, auf jiddisch sagt man eine Schenk. Rzezsow ist eine wichtige Stadt, da kommen nämlich zwanzig Prozent aller jüdischen Witze her. Meine Großeltern waren orthodoxe Juden. Ihre Muttersprache war Jiddisch, sie sprachen aber auch polnisch. Die Wachtels waren arme Leute.

Mein Vater Norbert Wachtel, jiddisch Nuchem, wurde am 3. Juni 1882 in Podgusze bei Rzezsow geboren. Er hatte drei Schwestern und zwei Brüder. Die Söhne haben eigentlich nichts gelernt, sie lernten nur in der Jeschiwa 1.

Der älteste Sohn hieß Isaak Wachtel und war in erster Ehe mit Klara verheiratet. Er ist knapp nach dem 1. Weltkrieg nach Amerika gegangen. In Amerika hat er sich in Henry umbenannt. Sie hatten einen Sohn, der hieß Emil. Mein Onkel Isaak war Zahnarzt, hat aber auch politikwissenschaftliche Bücher geschrieben. Nach dem Tod seiner Frau Klara stiftete er in Jerusalem eine Kinderzahnklinik, die nach ihr benannt wurde. Die Klinik heißt heute noch so. Später heiratete er seine Assistentin Elisabeth. Sie hatten keine gemeinsamen Kinder. Onkel Isaak hat während des Holocaust Unmengen Affidavits 2 unterschrieben, und so seine Verwandten vor dem Tod gerettet, aber begegnen wollte er ihnen nicht. Ich glaube, er ist 90 Jahre alt geworden. Sein Sohn Emil hat in Kalifornien gelebt. Einer seiner Söhne war einmal in Wien. Er heißt Josef Wachtel wie mein Großvater.

Onkel Sigmund Wachtel war der Jüngste. Ich weiß nicht warum, aber alle haben ihn den meschiggenen [jidd: verrückt] Sigmund genannt. Er ist schon als Kind mit seinen Eltern nach Wien gekommen und hat die unbeliebte Tante Sofie geheiratet. Niemand hatte sie gern, auch nicht die Schwestern meines Vaters. Sie hatten einen Sohn, den Ernst. Nach 1938 sind sie mit Affidavits von Onkel Isaak nach New York emigriert. Onkel Sigmund ist dort dann ganz normal im Bett gestorben. Seine Frau Sofie ist erst vor ein paar Jahren in New York gestorben. Mein Cousin Ernst lebt in New Jersey mit seiner Frau Rose.

Die Tante Rosa Spiegel, geborene Wachtel, hatte eine Tochter Paula und einen Sohn. Der Sohn war im 1. Weltkrieg beim Militär. Nachher ist er an der Spanischen Grippe 3 gestorben. Paula war sehr oft bei uns zu Hause. Den Onkel habe ich nie gesehen. Meine Cousine Paula heiratete einen Herrn Heller. Sie arbeitete in Wien im Büro einer Speditionsfirma auf der Ringstraße und hatte ihn dort kennen gelernt. Sie hatten zwei Söhne. Am Tag des Einmarsches der Deutschen [1938] hat Tante Rosa stolz verkündet: 'Ich habe einen polnischen Pass, ich gehe nach Polen, dort wird mir nichts passieren.' Wir haben nie mehr etwas von ihr und ihrer Familie gehört.

Tante Gisela Kurz, geborene Wachtel, hatte eine Tochter Selma. Den Ehemann von Gisela habe ich nicht gekannt. Sie flüchteten vor dem Holocaust nach Peru. Tante Gisela wurde über hundert Jahre alt. Selma starb im Jahre 2002 in Wien.

Tante Anna, Hanja genannt, ist gleich nach dem Anschluss mit ihren beiden Töchtern nach Belgien geflüchtet. Alle drei sind ermordet worden.

Die Eltern meines Vaters sind ungefähr Anfang der 1920er-Jahre nach Wien gekommen, als ihre Kinder schon erwachsen waren. Mein Vater hat seine Eltern sehr geliebt und großzügig finanziert. In Wien wohnten die Großeltern mit Tante Rosa in einem Haus, das meinem Vater gehörte. Meine Großeltern starben um 1930 und sind auf dem Zentralfriedhof begraben.

Die Familien Wachtel waren untereinander furchtbar zerstritten. Ständig war einer mit einem anderen böse, und ich habe in meinem Leben die Tanten - bis auf eine - nicht öfter als zweimal gesehen.

Meine Großeltern mütterlicherseits, David und Lea Reicher, haben in Lemberg [Lwiw, heute Ukraine] gelebt. Ich glaube, auch ihre Eltern haben dort gelebt, aber sicher weiß ich es nicht. Sie waren sehr fromm und hatten sechs Kinder: drei Söhne - Isidor, Heinrich und Oswald und drei Töchter - Auguste, Anna und meine Mutter Fanny. Es soll auch noch andere Kinder gegeben haben, die jung gestorben sind. In Lemberg hatten die Großeltern auf dem Theaterplatz, einem sehr großen Platz, ein Geschäft mit Schneiderzubehör. Sie waren gutbürgerliche Juden und haben natürlich sämtliche Feiertage begangen. Den Schabbat 4 haben sie gefeiert. Jeden Freitagabend gab es ein großes Nachtmahl mit Kerzen. Mein Großvater ist auch jeden Freitagabend und an allen anderen Feiertagen in den Tempel gegangen. Ich weiß noch, dass der Großvater leuchtend blaue Augen hatte. Gott sei Dank sind sie rechtzeitig gestorben.

Onkel Isidor Reicher, der älteste Sohn, lebte in Lemberg und war mit Tante Mala verheiratet. Ihre Tochter hieß Erna. Den Namen von Ernas Mann weiß ich nicht. Sie hatten ein kleines Kind, und als die Deutschen Erna und ihr Kind abgeholt haben, haben sich Onkel Isidor und Tante Mala umgebracht.

Onkel Heinrich Reicher war mit Tante Fanny verheiratet. Heinrich hatte ein Geschäft in Lemberg. Sie hatten zwei Töchter: Else und Rosi. Else hat einen Herrn Streicher geheiratet und ist mit ihm nach Australien gegangen. Im Jahr 1939 kam sie mit ihren drei Kindern nach Lemberg, um ihre Eltern zu besuchen. Sie wurden alle umgebracht. Der Mann war in Australien geblieben und hat seine Frau und seine Kinder nie wieder gesehen. Rosi war im Ghetto Warschau 5 und bei den Partisanen. Sie hat damals ihren Mann kennen gelernt - beide haben den Krieg überlebt. Nach dem Krieg sind sie nach New York ausgewandert. Sie haben Kinder.

Onkel Oswald Reicher hat in Wien gelebt. Er hat seine Frau Elfriede ziemlich spät geheiratet. Sie war 20 Jahre jünger als er. Sie hatten einen Sohn und eine Tochter: Josef und Ruth. Alle sind vor dem Holocaust nach Palästina geflüchtet. Oswald ist ziemlich alt geworden und vor mindestens 20 Jahren in Tel Aviv gestorben. Tante Friedel lebt noch und ist fast 100 Jahre alt. Sie lebt in einem Elternheim in Bnei Brak [Anm.: Stadt in Israel] und ist sehr religiös. Ihr Sohn Josef ist auch ganz fromm geworden. Er lebt in Jerusalem und ist Leiter einer kleinen Gemeinde. Er hat einen Sohn und eine Tochter.

Tante Auguste Reicher war mit einem Jakov Korkes verheiratet und hatte drei Söhne: Lonek, Ludwig und Max. Onkel Jakov ist noch vor dem Einmarsch der Deutschen gestorben. Max ist schon als junger Mann, gleich nach dem Schulabschluss, nach Wien gekommen. Er hat eine Zeit lang in Wien gelebt und ist dann nach Palästina ausgewandert. Er lebte in Tel Aviv, kehrte aber nach dem Krieg nach Wien zurück, wo er dann ein Geschäft hatte. Ludwig floh 1938 auf abenteuerlichem Wege über Rumänien nach Palästina. Den Schmuck, den die Mutter ihm mitgegeben hatte, hat er geschluckt. Lonek blieb in Lemberg. Er wollte seine Mutter nicht allein in Lemberg zurücklassen. Beide wurden nie wieder gesehen.

Tante Anna Reicher, genannt Hanja, war mit Emil Benczer verheiratet. Sie sind ungefähr zur gleichen Zeit wie meine Eltern nach Wien gekommen und haben ein sehr großes Zubehörgeschäft besessen. Sie waren ziemlich vermögende Leute. Sie hatten einen Sohn Monek und eine Tochter Herta. Herta war verheiratet und ist mit ihrem Mann knapp vor 1938 nach Palästina ausgewandert. Monek ist in die Schweiz oder nach Holland emigriert und dann mit Frau und Tochter nach Amerika gegangen. Tante Hanja und Onkel Emil sind auch nach Palästina emigriert. Ich weiß nicht, wann sie gestorben sind.

Meine Mama hat Fanny Mathilde Reicher geheißen. Sie wurde am 29. April 1888 in Lemberg geboren. Sie hat meinen Vater im Jahr 1913 in Lemberg geheiratet. Als die Russen im 1. Weltkrieg [1914-1918] in Richtung Lemberg vorgestoßen sind, sind sie nach Wien geflüchtet.

Meine Mutter wurde von ihrer Familie sehr sekiert [Anm.: sekieren - wienerisch für ärgern], weil sie erst mit 28 Jahren geheiratet hat. Sie war die letzte der Schwestern, die geheiratet hat, ein 'spätes Mädchen', sozusagen. Das galt damals als Katastrophe. Im Alter von 14 Jahren hat sie im Geschäft ihres Vaters mitgearbeitet und Seidenstoffe, Bänder und Spitzen verkauft. Sie war sehr lernbegierig und traurig, dass sie nur so wenig lernen durfte. Ihre Muttersprache war Jiddisch, aber sie sprach auch Polnisch und ein sehr gutes Französisch. Alle ihre Schwestern haben mit 18, 19 oder 20 Jahre geheiratet, und sie war schon 28 Jahre alt. Das war damals ein beinahe schon 'greisenhaftes' Alter, und so hat man dann ihre Hochzeit arrangiert. Meine Eltern bekamen vier Töchter:

Meine Schwester Helene Thau, geborene Wachtel, wurde am 27. Oktober 1919 in Wien geboren. Helli ist vor 1 ½ Jahren hier in Wien gestorben. Sie hat den Krieg in New York überlebt, hat dort Sam Thau geheiratet und hat zwei Söhne: Kenny und Norman. Kenny lebt in Wien und ist Professor für Psychiatrie im Allgemeinen Krankenhaus. Norman lebt in Paris und ist Professor an der Sorbonne. Kenny hat eine Nicht-Jüdin geheiratet und hat zwei Kinder: Max ist ungefähr 4 ½ und Valery ist zwei Jahre alt.

Else Stock, jüdisch Noemi, geborene Wachtel, wurde in Wien am 9. Mai 1921 geboren. Sie ist mit einem Kindertransport 6 in einen Kibbutz 7 nach Palästina gekommen. Dort hat sie ihren Mann Ernst Stock kennen gelernt und geheiratet. Sie war bei den ATS [Anm.: Fraueneinheit in der britischen Armee] und hat Lastwagen und Ambulanzen gefahren. Ihr Mann war auch beim Militär. Sie haben einen Sohn und Zwillingsmädchen. Der Sohn lebt in Wien, ist verheiratet und hat eine Tochter. Er ist kaufmännischer Leiter der Wiener Ärztevereinigung. Eine Tochter ist in Cuneo bei Turin verheiratet und hat zwei Söhne, Luca und Ilja. Die zweite heißt Daphne, hat nicht geheiratet, lebt in Wien und ist Psychoanalytikerin.

Meine jüngste Schwester Blanka Horowitz wurde am 23. Juli 1924 in Wien geboren. Sie hat zwei Söhne und lebt in der Schweiz.

Meine Kindheit

Ich wurde am 13. August 1915 in Wien geboren. Wir haben in einer Dreizimmerwohnung in der Krummbaumgasse, am Karmelitermarkt, im 2. Bezirk, gewohnt. Meine Eltern hatten ein ganz großes Import-Exportgeschäft an der Ecke Marc-Aurel-Straße, Hoher Markt. Da ging es Stufen hinauf - uns hat die ganze Häuserfront gehört. Diese Ecke gibt es nicht mehr, sie wurde zerbombt. Deshalb schaut die Marc-Aurel-Straße heute auch ganz anders aus als damals. Anfangs war das Geschäft sehr groß, dann mussten meine Eltern jedoch Lokalitäten abgegeben; zum Schluss bestand es nur mehr aus einem Raum. Meinem Vater gehörte aber außerdem noch das Kleiderhaus 'Tip Top' auf der Mariahilferstraße, im 6. Bezirk, gleich neben dem berühmten Kaufhaus 'Herzmansky'.

Meine Mutter hat im Geschäft mitgearbeitet, und wir hatten Kindermädchen und eine Köchin. Ich kann mich auch erinnern, dass ich in einen Kindergarten mit großen weißen Türen gegangen bin.

Mama ist mit uns öfters nach Italien gefahren, Vater aber nie. Einen Sommer waren wir mit einer Kindergruppe in Grado [Italien]. Eine Wiener Ärztin hatte Kinder für die Ferien nach Italien gebracht. Dort haben wir in einem Kinderheim gelebt, was uns sehr gut gefallen hat.

Unsere Wohnung war in der Nähe der Sperlgasse, wo es bis heute eine Schule gibt. Als ich in die Schule kommen sollte, war mein Jahrgang überfüllt. Deshalb musste ich vier Jahre lang in die Volksschule in der Augartenstraße gehen. Nach der Volksschule war ich fürs Gymnasium in der Rahlgasse, im 6. Bezirk, angemeldet. Das war ein Gymnasium mit Latein und Griechisch. Aber Ende der vierten Klasse Volksschule bekam ich Scharlach. Mama hat mich nicht ins Spital gehen lassen und mich zu Hause gepflegt. Meine drei Schwestern hat sie mit den Großeltern nach Baden bei Wien geschickt. So bin ich krank zu Hause gelegen und habe den Aufnahmetermin ins Gymnasium versäumt. Wir Kinder hatten Klavierunterricht zu Hause, und da hat meine Mama sehr gejammert und sich bei unserer Klavierlehrerin ausgeweint. Die Klavierlehrerin hatte eine andere Schülerin, die in der Schwarzwaldschule 8 angemeldet war, und da hat meine Mama gemeint, ich könnte auch dorthin gehen. Das war dann ein großes Glück, denn die Schule hat mir sehr gefallen - ich war jeden Tag begeistert. In der Schwarzwaldschule habe ich auch meine Matura gemacht.

Meine Mutter war sehr fromm. Wir hatten einen koscheren Haushalt 9. Am Schabbat wurden Kerzen angezündet, und jeder Feiertag wurde festlich begangen. Wir hatten auch für uns reservierte Sitze im Leopoldstädter Tempel. Den Tempel gibt es nicht mehr, der wurde 1938 zerstört. Mein Vater war weniger fromm. Ihm hat es nichts ausgemacht, am Schabbes mit der Straßenbahn zu fahren, was meine Mutter nie gemacht hätte. Aber auf die Kerzen am Freitagabend hat er großen Wert gelegt. Als die Eltern meines Vaters wenige Jahre nacheinander gestorben sind, ist er Schiwe 10 gesessen und ein ganzes Jahr lang jeden Tag in den Tempel zum Beten gegangen. Aber ich denke, bei ihm war es mehr Tradition als Frömmigkeit. Mein Vater war mit Herzl 11 befreundet. Sie haben sich oft getroffen, und mein Vater war vom Zionismus sehr beeindruckt. Aber nach Palästina ist er nicht gegangen.

Da meine Mutter keine Söhne hatte, sondern nur Töchter, konnte sie keine Bar Mitzwah 12 vorbereiten. Darum hat ein Rebbe [Anm.: jiddisch für Rabbiner] vom polnischen Tempel - ich kann mich an seinen langen Bart erinnern - meiner Schwester Blanka und mir, ich war ungefähr elf Jahre alt, Hebräisch und ein bisschen Talmud 13 beigebracht. Meine anderen zwei Schwestern wollten nicht.

Meine Mutter war zumindest jedes Jahr einmal in Lemberg bei ihren Eltern, und die Tante Anna, die in Wien gewohnt hat, ist auch zu den Eltern gefahren.

Mein Vater war geschäftlich viel in der Tschechoslowakei und Polen unterwegs. Wir haben ihn nur selten gesehen, aber wir haben ihn vergöttert. Er hat sich sehr für Musik interessiert, war sehr musikalisch und hat mich ein paar Mal in die Oper mitgenommen. Die Mama ist eigentlich nie mitgegangen.

Mein Jugendfreund hieß Erich Goldschläger. Er hat in unserer Nähe gewohnt, und ich kann mich noch genau an seine Eltern erinnern. Als wir Kinder waren, sind wir an den Feiertagen immer im Tempel herumgelaufen, während die Erwachsenen gebetet haben. Sogar auf dem Dachboden waren wir. Erich Goldschläger hat später Medizin studiert. Er ist nach Palästina emigriert, und so lange ich in Israel war, waren wir sehr eng befreundet. Er hat dann in Beirut [Libanon] sein Studium zum Psychiater abgeschlossen. Er hat mich zu Betar 14 gebracht. Das war die Jabotinsky-Formation 15, eine zionistische Bewegung. Im Herbst 1933, nach der Matura, habe ich begonnen Medizin zu studieren.

Bei Betar habe ich meinen Mann, Julian Semenowsky und seinen Bruder Konstantin kennen gelernt. Einmal hat unsere Kwuzah [Anm.: hebr. für Gruppe] einen Ausflug nach Bratislava gemacht. Wir haben den letzten Zug nach Wien versäumt, und die Burschen und Mädchen haben sich in der Stadt in Lokalen verteilt. Einige sind am Bahnhof sitzen geblieben, um auf den Morgenzug zu warten, denn Geld für ein Hotel hatten wir nicht. Wir sind irgendwie ins Gespräch gekommen. Das war der Anfang zwischen meinem Mann und mir, diese Nacht am Bahnhof in Bratislava.

Mein Mann, Julian Semenowsky wurde am 23. Dezember 1911 [Anm.: 10. Dezember nach dem orthodoxen Kalender] in Odessa geboren. Seine Eltern Marc und Sonja Semenosky waren Werftbesitzer und sehr wohlhabend. Sein Bruder Konstantin, Kolja genannt, war ein Jahr älter als mein Mann. Die Familie war vor der russischen Armee nach Belgien geflüchtet, wo sie ein einige Jahre blieben. Dann kamen sie nach Wien, wo mein Schwiegervater eine Stelle als Handelsreisender für die Firma Lang bekam. Sie blieben in Wien, bis die Deutschen 1938 einmarschierten und sind dann zurück nach Belgien geflüchtet. Nach dem 2. Weltkrieg kamen sie zu uns nach Jerusalem.

Während des Krieges

1936 haben wir geheiratet. Mein Mann hat studiert, er hatte 1938 gerade sein Studium in Wien beendet und war von Beruf Dentist. Ich habe kurz aufgehört zu studieren und später wieder angefangen. Nach dem Anschluss 1938 musste ich das Studium abbrechen. Mein Mann war gerade 14 Tage in Wien. Er hatte bei der Heimwehr 16 eine hohe Funktion und hatte schreckliche Angst, dass alle Heimwehrleute sofort verhaften werden. So ist er zwei, drei Tage nach dem Einmarsch der Deutschen über die March, einen kleinen Fluss an der Grenze zur heutigen Slowakei, geschwommen. Mein Vater hat ihm dabei geholfen, denn er kannte Leute von den Donauschiffen. Einer von ihnen hat Marc bis zur March geführt und ihm gesagt: 'Da drüben ist die Tschechoslowakei, schwimm hinüber.' Als er aus dem Wasser gestiegen ist, wurde er angeschossen, und man hat ihn in Bratislava ins Gefängnis gesperrt. Ein tschechischer Zahnarzt-Kollege kannte einen Gefängniswärter, hat ihn bestochen und meinen Mann aus dem Gefängnis geholt. Ein tschechisch- jüdischer Kollege nahm ihn auf, der in Wien mit ihm an der Poliklinik gearbeitet hatte. Der hatte von illegalen Transporten nach Palästina gehört, die aus Griechenland weggehen sollten. Mein Mann ist mit der Bahn nach Athen gefahren und traf auf dem Bahnhof in Athen einen Freund aus Innsbruck. Sie hatten Hunger, aber kein Geld. Also sind sie zur jüdischen Gemeinde gegangen, wurden aber hinausgeschmissen. Die jüdische Gemeinde wollte prüfen, ob mein Mann wirklich jüdisch ist, und sie haben ihn aufgefordert, das 'Schma Israel' 17 zu sagen. Das hat er nicht gekonnt.

Dann ist meinem Mann die großartige Idee gekommen, zur weißrussischen Gemeinde zu gehen. Die haben ihn freudig aufgenommen, denn russisch konnte er ja. Sie haben ihnen zu essen gegeben, und am Hafen haben mein Mann und sein Freund dann das Schiff gefunden, das nach Palästina ging. Als sie dort ankamen, konnten sie nicht anlegen, weil die Engländer keine Juden herein gelassen haben. Aber sie sind dann bei Netanya [Anm.: Stadt in Israel] an Land geschwommen.

Ich bin mit einem illegalen Palästina-Transport aus Wien weggefahren. Wir wurden in Arnoldstein, an der italienischen Grenze, aufgehalten, weil das Schiff, das uns in Bari abholen sollte, nicht angekommen war. Die Italiener haben uns nicht herein gelassen, und so mussten wir auf der deutschen Seite bleiben. Der Zug ist drei Wochen an der Grenze gestanden - ohne Essen, ohne Trinken, ohne Toiletten. Aber das habe ich erst später erfahren. Nach ein paar Tagen ist mein Vater plötzlich am Bahnhof in Arnoldstein erschienen: Nachdem ich aus Wien weggefahren war, ist mein Zertifikat 18 nach Palästina gekommen. Mein Vater hat den ganzen Zug abgesucht, bis er mich gefunden hat. Daraufhin hat der Leiter des illegalen Transports gesagt: 'Da musst du jetzt aussteigen. Du gehörst nicht mehr zu uns.' So sind mein Vater und ich die ganze Nacht am Bahnhof gesessen. Obwohl es September war, war es nicht kalt. Die Bahnhofsbeamten haben uns Kaffee gebracht und waren furchtbar nett zu uns. In der Früh sind wir mit dem ersten Zug nach Wien zurückgefahren. Ich bin aufs Palästinaamt 19 gegangen, habe meine Papiere in Ordnung gebracht und bin dann ein paar Tage später legal nach Italien gefahren. Als ich Arnoldstein passierte, stand der Zug noch da. Die mussten dann zurück nach Wien und über die Donau nach Palästina.

Meine Schwester Helene ist zum Bruder meines Vaters nach Amerika geflüchtet.

Else ist mit einem illegalen Transport nach Palästina gekommen. Auch sie ist in Netanya in der Nacht heimlich vom Schiff ans Land geschwommen.

Blanka, die Jüngste, hat ganz großes Pech gehabt. Sie ist im November 1939 aus Wien mit einem Schiff die Donau hinunter gefahren. Das Schiff blieb in Jugoslawien liegen 20. Blanka wurde gerettet, denn sie war unter 18, und die 15-18jährigen wurden gerettet. Alle anderen wurden ermordet, auch ihr Freund. Die Männer wurden erschossen, die Frauen und Kinder in Lastwagen vergast.

Blanka hat dann in Palästina bei einer Schifffahrtsgesellschaft gearbeitet.

Auch meine Mutter ist mit einem illegalen Transport über die Donau nach Palästina gekommen. Das Schiff wurde von den Engländern aber gekapert, und die Flüchtlinge wurden im Anhaltelager Atlith, bei Haifa, eingesperrt. Von dort wurden sie mit einem Schiff nach Mauritius, im Indischen Ozean, deportiert. Meine Mutter kam dann 1945 nach Palästina.

Mein Vater hatte seine Frau und seine vier Töchter aus Wien weggeschickt, blieb aber selbst den ganzen Krieg über in einer Wohnung als U-Boot 21 versteckt. Die Wohnung war im 2. Bezirk, in einem seiner Häuser. Die Hausbesorgerin dieses Hauses hieß Frau Melzer. Ich weiß noch, dass meine Mutter sich vor dem Krieg immer aufgeregt hat, weil mein Vater die Hausbesorgerin per 'Gnädige Frau' angesprochen hat und ihr Weihnachten und Ostern Geschenke gebracht hat. Diese Frau Melzer hat vor die Tür zu einem Kabinett [Anm.: kleines Zimmer] in einer leeren Wohnung einen Kasten gestellt, so dass niemand sehen konnte, dass da noch ein Zimmer war, und sie hat meinen Vater mit Nahrung versorgt. Er hat aber sein Versteck von Zeit zu Zeit verlassen und ist in die Stadt gegangen, um 'Geschäfte' zu machen. Einmal - es war kurz vor Ende des Krieges - hat jemand meinen Vater in der Straßenbahn vor dem Parlament erkannt und geschrieen: 'Das ist ein Jud, der trägt keinen Stern!' Der Schaffner ließ die Straßenbahn anhalten und rief nach einem Polizisten. Der Polizist kam und zerrte meinen Vater auf die Straße. Nachdem die Straßenbahn weitergefahren war, sagte er zu meinem Vater: 'Jetzt schleich dich [Anm.: wienerisch für verschwinde], du Trottel.'

Mein Mann hat in Palästina sehr schnell Arbeit gefunden. Er arbeitete als Zahntechniker für zwei Zahnärzte, die er noch aus Wien gekannt hat. Der eine hieß Albert Shalit und war der Bruder eines sehr bekannten Schriftstellers. Er war bei der Civilian Guard [Anm.: britische Hilfspolizei]. Wenn man sechs Monate bei der Civilian Guard war, hat man die Staatsbürgerschaft bekommen.

Unser Freundeskreis in Palästina bestand zum großen Teil aus Österreichern und Deutschen. Die deutschen Juden in Palästina waren ungemein deutsch. Mein Mann ist sehr ungern ausgegangen, hat es aber geliebt, wenn möglichst viele Leute zu uns zu Besuch gekommen sind. In Jerusalem hab ich dann oft Kartoffelsalat für Freunde gemacht - österreichische und deutsche Juden- die unsere Gäste waren. Wir haben in Jerusalem gelebt, aber ich wollte immer nach Tel Aviv, weil Tel Aviv moderner war.

Als ich nach Palästina kam, habe ich bereits ein bisschen Hebräisch verstanden, gesprochen und geschrieben. Ich habe dann die Sprache sehr schnell erlernt. Mein Mann hat nie richtig Ivrit [Hebräisch] gelernt. Er hat zum Beispiel seine Patienten gefragt: 'jesch koew?', das heißt eigentlich 'gibt es tut weh?', und ist natürlich vollkommen falsch. Es tut mir heute noch weh, wenn ich das wiederhole. Er hatte kein Talent für Hebräisch. Aufgrund seiner Kindheit in Odessa hat er perfekt Französisch und Russisch gesprochen. Deutsch hatte er dann in Deutschland gelernt.

Vor der Geburt meines Kindes habe bei der britischen Armee in einem Büro der Royal Engineers [Pioniercorps] gearbeitet. Gleichzeitig war ich im Untergrund gegen die Briten tätig. Bei uns zu Hause fanden viele Versammlungen und Vorbereitungen für Aktionen statt. Ich habe mitgemacht, bis ich schwanger wurde. Dann haben sie gesagt, dass eine Frau mit einem Kind unzuverlässig ist. Als der Bauch zu sehen war, hat mein Vorgesetzter bei der Arbeit, ein britischer Oberst, gesagt, man könne nicht mit Soldaten arbeiten, wenn man ein Kind erwartet. Also musste ich auch meine Arbeit bei den Engländern aufgeben. Ein halbes Jahr vor Ende des Krieges wurde dann am 19. Oktober 1944 meine Tochter Dalia Charlotte geboren.

Rückkehr nach Wien

Meine Schwestern und ich hatten einen einzigen Grund nach Wien zurückzukehren. Meinem Vater gehörte ab 1947 das 'Hotel de France' am Ring, das seit 1945 ein Lazarett für französische Soldaten war. Mein Vater hatte versucht, die Franzosen herauszukriegen, aber es war ihm dann zuviel. So hat er seine vier Töchter mit ihren Ehemännern gerufen und jeder seiner Töchter einen Viertelanteil des Hotels geschenkt. Mein Schwager Ernst Stock, Elses Mann, den meine Schwester in Palästina kennen gelernt hatte, war in der Jewish Brigade 22, und er war der Erste, der nach Wien gekommen ist und meinen Vater getroffen hat. Meine Schwager Ernst Stock und Kurt Horowitz haben dann das Hotel geführt.

Ich wollte absolut nicht zurück nach Wien. Ich war glücklich in Israel und habe geheult, als ich nach Wien zurückgefahren bin. Ich habe sogar Freunde gebeten, meine Tochter bei sich zu behalten und nicht nach Wien zu lassen, damit ich nach Israel zurückkommen muss. Daraus ist dann aber nichts geworden.

Meiner Tochter, die damals elf Jahre alt war, haben wir erzählt, wir fahren nur für drei Monate nach Wien. Das wirft sie uns bis heute vor. Sie hat ja alles zurückgelassen: ihre Freunde, ihre Schulsachen und das Spielzeug. Und wir haben uns weggeschlichen, um von unseren Freunden nicht als Deserteure beschimpft zu werden.

Am 9. November 1957 ist mein Vater im Spital in der Pelikangasse gestorben. Er hatte ein Nierenleiden und Diabetes. Trotzdem er sehr viele Häuser gekauft und verkauft hatte, waren nach seinem Tod die Unterlagen nicht mehr auffindbar. Das war sehr merkwürdig.

Meine Mutter arbeitete nach dem Krieg in ihrem Konfektionsgeschäft 'Tip Top' in der Mariahilferstraße. Sie starb am 18. Juli 1971 in Baden bei Wien und wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof am IV. Tor begraben.

Nach dem Krieg habe ich in Wien zwei Schulfreundinnen wiedergesehen. Eine war Kommunistin, also gegen die Nazis, mit der habe ich mich öfters getroffen. Aber dann hat sie irgendetwas gesagt, was mich geärgert hat, und ich habe sie nicht mehr getroffen. Die andere, die eindeutig für Hitler war, traf ich bei einer Zusammenkunft in meiner alten Schule. Man hatte mit Müh und Not ein paar Mädchen aus meinem Jahrgang gefunden. Dann gab es auch noch eine Ärztin, die ich einmal getroffen habe; die war sehr katholisch.

Ich bin nach dem Krieg fast gar nicht mehr in die Synagoge gegangen, aber meine Tochter ging zusammen mit meinen Eltern. Mein Vater hat nach dem Krieg die Renovierung des Tempels mitfinanziert.

Meine Tochter hat in Wien maturiert und an der Wirtschaftsuniversität studiert. Dann hat sie Thomas Gordon Smolka geheiratet. Ich bin glücklich darüber, ich habe einen Sohn dazu bekommen und drei Enkel: Alexander Marc [geboren 1965], Felix Albert [geboren 1967] und Ruth Merle [geboren 1971].

Als der Vater meines Schwiegersohns gestorben ist, sind sie nach England übersiedelt. Ich habe meine Tochter sehr oft in England besucht und sogar meinen kranken Mann mitgenommen.

1980 waren mein Mann und ich in Israel und haben seinen Bruder Konstantin besucht, der inzwischen auch schon gestorben ist. Einen Tag, bevor wir nach Hause fahren wollten, hat mein Mann einen Schlaganfall bekommen. Er war dann längere Zeit in einer Rehabilitationsklinik. Er war acht Jahre lang sehr krank, und ich habe ihn zu Hause gepflegt. Ich wollte ihn nicht in ein Heim geben. Im Jahre 1988 ist er gestorben.

Später haben meine Tochter und mein Schwiegersohn beschlossen, nach Amerika zu gehen. Jetzt habe ich schon fünf Urenkelkinder und ein sechstes ist unterwegs. Alexander Marc hat vier Kinder: Tevya Peter, Aviel Max, Michaela Fanny, und Johanna Miriam. Felix Albert, seine Frau heißt Daphna Ruth und ist eine geborene Guttmann, ist Vater der kleinen Rebekka Lotty, sie erwarten im März 2003 einen Buben.

Ich wollte eigentlich immer weg aus Wien, habe die Entscheidung aber immer hinausgeschoben. Ich hatte zwei Operationen, die ein Vermögen gekostet haben. Deshalb will mich keine Krankenkasse mehr versichern. Die letzten zehn Jahre waren ein dauerndes hin und her. Ich besuche meine Kinder in Amerika regelmäßig, anfangs lebten sie in New York, jetzt sind sie in Boca Raton in Florida. Ich war mir nicht sicher, ob ich zu meiner Familie nach Amerika gehen soll oder nicht.

In Österreich fühle ich mich fremd und nicht dazu gehörend, obwohl ich hier geboren bin und die Schule besucht habe. Ich habe kaum Kontakt mit Österreichern, und wenn, dann bleibe ich auf Distanz. Wenn ich Freunde habe, dann sind das Juden. Ich hätte nicht aus Israel zurückkommen dürfen, ich wäre in Israel sehr glücklich gewesen. Wann immer ich dort war, habe ich den halben Flug zurück geheult. Das war mein zu Hause - trotz der Lage, in der sich das Land befindet.

Zwei meiner Schwestern leben noch. Zu Blanka habe ich einen engen Kontakt, auch zu ihren Kindern. Sie leben in Straßburg [Frankreich] und sind sehr fromm. Die Söhne gehen nicht auf eine Universität, sondern in eine Jeschiwa. Als ich das letzte Mal zu Pessach 23 dort war, habe ich nicht bei ihnen gewohnt, weil sie mir einfach zu religiös sind.

Während vieler Jahre habe ich in Mauer bei Wien und in Hietzing [14. Bezirk] gewohnt. Seit einigen Monaten wohne ich wieder in der Wohnung, die mein Vater nach dem Krieg für meinen Mann und mich gefunden hatte. Damit bin ich sehr zufrieden. Ich gehe regelmäßig Bridge spielen und komme so unter Leute. Meine Mutter hat immer gesagt: Bridge ist die beste Altersversorgung. Manchmal lädt man zu sich ein - da muss man einen Tisch decken. Oder man spielt bei anderen - da muss man sich anziehen, sich frisieren und irgendwo hingehen. So kann man nicht zu Hause verkommen.

Glossar

1 Jeschiwa [Pl

Jeschiwot; hebr]: Talmudhochschule. Jeschiwot gab es schon zur Zeit des zweiten Tempels, als die Inhalte des Talmuds noch mündlich weitergegeben wurden.

2 Affidavit

Im anglo-amerikanischen Recht eine schriftliche eidesstattliche Erklärung zur Untermauerung einer Tatsachenbehauptung. Die Einwanderungsbehörden der USA verlangen die Beibringung von Affidavits, durch die sich Verwandte oder Bekannte verpflichten, notfalls für den Unterhalt des Immigranten aufzukommen.

3 Spanische Grippe

weltweite Pandemie, welche zwischen 1918 und 1920 mindestens 25 Millionen Todesopfer forderte. Eine Besonderheit der Spanischen Grippe war, dass ihr vor allem 20- bis 40-jährige Menschen erlagen.

4 Schabbat [hebr

: Ruhepause]: der siebente Wochentag, der von Gott geheiligt ist, erinnert an das Ruhen Gottes am siebenten Tag der Schöpfungswoche. Am Schabbat ist jegliche Arbeit verboten. Er soll dem Gottesfürchtigen dazu dienen, Zeit mit Gott zu verbringen. Der Schabbat beginnt am Freitagabend und endet am Samstagabend.

5 Ghetto Warschau

1940 von den Nationalsozialisten errichtet, war das größte Ghetto seiner Art. Hierher wurden insgesamt 500.000 Juden aus dem deutschen Reichsgebiet und anderen besetzten Ländern deportiert. Im Juli 1942 begann die Deportation in die Vernichtungslager. Am 19. April 1943 erhoben sich etwa 60000 Menschen im Ghetto. Die SS beschloss, das Ghetto zu vernichten und marschierte ein, stieß aber auf Widerstand. Letztendlich zündeten die Deutschen das Ghetto Haus für Haus an. Am 8.Mai 1943 besiegten sie die letzten 120 Kämpfer. Nur wenige konnten fliehen.

6 Kindertransport

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs rief die britische Regierung eine Rettungsaktion ins Leben, um Kinder vor dem Nazi- Terror zu bewahren. Zehntausend größtenteils jüdische Kinder aus deutsch besetzten Gebieten wurden nach Großbritannien gebracht und von britischen Pflegeeltern aufgenommen.

7 Kibbutz [Pl

: Kibbutzim]: landwirtschaftliche Kollektivsiedlung in Palästina, bzw. Israel, die auf genossenschaftlichem Eigentum und gemeinschaftlicher Arbeit beruht.

8 Schwarzwaldschule

Von Eugenie Schwarzwald [geb. Nußbaum] gegründete reformpädagogisch ausgerichtete Schulanstalt. ,Die Schule muss versuchen, eine Künstlereigenschaft, die alle Kinder besitzen, die Vitalität, zu erwecken und zu erhalten.' [Eugenie Schwarzwald]. Schwarzwalds Reformideen bildeten die Grundlage für Otto Glöckels umfassende Schulreform nach 1918.

9 Koscher [hebr

: rein, tauglich]: den jüdischen Speisegesetzen entsprechend.

10 Schiwe od

Schiwa [jidd. bzw. hebr.: sieben]: jüdischer Brauch; bezeichnet die sieben strenge Tage der strengen Trauer nach dem Begräbnis eines nahen Angehörigen. Während der verlässt man das Haus nicht, trägt keine festen Schuhe und sitzt auf niedrigen Schemeln. Man soll nicht arbeiten und sich auch nicht mit dem Studium der Tora beschäftigen, weil das als eine Freude erachtet wird.

11 Herzl, Theodor (1860-1904)

jüdisch-österreichisch Schriftsteller, Publizist, Journalist und zionistischer Politiker. Als Korrespondent der Wiener Tageszeitung 'Neue Freie Presse' Zeuge des Prozesses gegen Alfred Dreyfuß schrieb er 1896 sein Buch 'Der Judenstaat', das wesentlich zur Gründung des Staates Israel beitrug. Herzl forcierte die Idee einer organisierten Emigration von Juden in einen eigenständigen Staat und initiierte den politischen Zionismus. 1897 auf dem 1. Zionistischen Weltkongress in Basel wurde Herzl zum Präsidenten der zionistischen Weltorganisation gewählt.

12 Bar Mitzwah [od

Bar Mizwa; aramäisch: Sohn des Gebots]: die Bezeichnung einerseits für den religionsmündigen jüdischen Jugendlichen, andererseits für den Tag, an dem er diese Religionsmündigkeit erwirbt, und die oft damit verbundene Feier. Bei diesem Ritus wird der Junge in die Gemeinde aufgenommen.

13 Talmud

wörtl: Lehre; wichtigstes nachbiblisches Buch des Judentums, Gesetzeskodex.

14 Betar

revisionistische zionistische Jugendbewegung. Betar ist eine Abkürzung und steht für 'Brit Josef Trumpeldor'. Die Bewegung wurde im Jahr 1923 in Riga [Lettland] gegründet.

15 Jabotinsky, Wladimir Zeev [1880 - 1940]

zionistischer Politiker und Autor. Gründer der Jüdischen Legion im 1. Weltkrieg. Aufgrund von Differenzen mit Chaim Weizmann, dem Präsidenten der Zionistischen Welt- Organisation verließ er diese und gründete 1923 die Revisionistische Partei und deren Jugendbewegung Betar, die ideologischen Vorgänger der heutigen Likud-Partei.

16 Heimwehr

Zusammenschluss [in Österreich] verschiedener Selbstschutzverbände nach Ende des Ersten Weltkriegs. Wurde dann zum militärischen Arm des Christlichsozialen sowie des Deutschnationalen [Großdeutschen] Lagers als Gegengewicht zum Republikanischen Schutzbund. 1930 Bekenntnis zum Austrofaschismus. Im Ständestaat [1934-1938] erfüllte sie polizeiliche und sicherheitstechnische Aufgaben.

17 Schma Israel [hebr

Höre Israel]: Gebet - beinhaltet das zentrale Glaubensbekenntnis des Judentums: das Bekenntnis zur Einheit und Einzigkeit Gottes sowie mehrere zentrale Gebote des Judentums. Es wird von gläubigen Juden dreimal täglich gebetet.

18 Zertifikat

Einwanderungserlaubnis in das von Großbritannien verwaltete Mandatsgebiet Palästina.

19 Palästinaamt

gehörte der Jewish Agency organisierte bis zu seiner Schließung 1941 die Ausreise von Juden aus Nazi-Deutschland. Es verhalf etwa 50000 Menschen zur Auswanderung. Hatte anfangs gute Kontakte mit den Nazis, welche daran interessiert waren, daß möglichst viele Juden aus Deutschland emigrieren.

20 Kladovo

Kladovo ist ein serbisches Dorf an der Donau. Der 'Kladovo- Transport' ist der [misslungene] Versuch, über 1000 Juden von Bratislava aus über die Donau nach Palästina zu bringen und so zu retten. Das Schiff erreichte Kladovo und die Flüchtlinge blieben dort stecken. Nur etwa 200 Jugendlichen gelang es wenige Tage vor dem Überfall auf Jugoslawien [April 1941] nach Palästina zu entkommen.

21 U-Boot

Bezeichnung für Juden, welche versuchten, die Nazi-Zeit mit Hilfe einer gefälschten Identität zu überleben.

22 Jüdische Brigade [Jewish Brigade]

1943 aufgestellte ausschließlich jüdische Einheit von palästinensischen Juden innerhalb der britischen Armee. Bestand aus 5.000 Soldaten und wurde im September 1944 in Italien eingesetzt. Insgesamt dienten während des Krieges mehr als 30.000 palästinensische Juden in der britischen Armee.

23 Pessach

Feiertag am 1. Frühlingsvollmond, zur Erinnerung an die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, auch als Fest der ungesäuerten Brote [Mazza] bezeichnet.