Hilda Sobota

Jugendbild Hilda Sobota

Interview Hilda Sobota

Meine Familiengeschichte
Meine Kindheit
Während des Krieges
Nach dem Krieg

Meine Familiengeschichte

Mein Vater, Siegmund Schwarz, wurde am 3.8.1866 in Mähren, in Nikolsburg geboren. Er hatte einen Bruder und drei unverheiratete Schwestern. Ich kenne nur die Vornamen von zwei Schwestern. Sie hießen Emma und Jenny. Die Großmutter, den Großvater und die Schwestern habe ich nicht gekannt. Die sind wahrscheinlich in Mähren geblieben. Zwei Söhne des Bruders meines Vaters sind nach Wien gegangen.

Bei dem Großvater und der bösen Stiefgroßmutter waren wir nur zweimal. Meine richtige Großmutter war gestorben, die habe ich nicht gekannt. Der Großvater hatte eine Fleischhauerei. Als meine Großmutter starb, hat der Großvater noch einmal geheiratet, allein hat er es ja nicht schaffen können, drei Kinder und das Geschäft.
Für die Stiefgroßmutter waren wir nichts, nur ihre wirkliche Familie zählte.
Sie lebten in Stupava, in der Nähe von Pressburg. Deutsch heißt der Ort Stampfen.
Mein Großvater war ein sehr frommer Jude.

Meine Mutter, Anna Schwarz, geborene Nasch, wurde in Stupava am 18.4.1870 geboren. Sie hatte zwei Brüder:
Ludwig Nasch hatte drei Töchter und zwei Söhne, blieb in Stupava und war Viehhändler dort.
Fritz Nasch wohnte in Wien, besaß eine Fleischhauerei im 19. Bezirk und hatte drei Töchter und zwei Söhne. Zu denen hatten wir sehr engen Kontakt. Was aus denen dann geworden ist, weiß ich nicht.

Die Mutter ist schon als junges Mädchen nach Wien gekommen. Wahrscheinlich hat sie irgendeine Tante aufgenommen und sie hat in Wien meinen Vater kennen gelernt und ist dann in Wien geblieben.
Ich kann mich erinnern, als wir der Stiefgroßmutter einmal beim Abwasch geholfen haben und wir haben ein fleischiges Messer in einen milchigen Topf gesteckt, hat sie uns das Messer weggenommen und es in den Sand hineingesteckt damit es wieder koscher wird.
Ich war zwei Mal in Stupava, einmal als junges Mädchen, vierzehn Tage auf Urlaub und einmal, da war meine Mutter gestorben, da sind wir auch hinunter gefahren, aber ganz kurz nur.
Vom dritten Bezirk hat es eine Straßenbahn nach Pressburg gegeben, aber wir sind mit der Bahn gefahren.
Ich kann mich daran erinnern, wie ich den Großvater das erste Mal sah, aber nicht erkannt habe. Wir haben damals noch nachmittags Schule gehabt, Handarbeiten, Turnen und so etwas.
Wir haben im dritten Stock gewohnt, und ich gehe die Treppen runter, da kommt in der Hauseinfahrt ein komisches Manderl mit einem komischen Hut, insgeheim habe ich das Lachen verbergen müssen, und er kommt zu mir und sagt: „Wissen Sie wo, die Frau Schwarz wohnt?“ „Ja, im dritten Stock, Tür Nummer zehn“ und ich habe mich beeilt, ich musste ja in die Schule. In der Schule habe ich dann von dem komischen Mann erzählt, - aber das war mein Großvater!
Mit der Verwandtschaft mütterlicherseits waren wir viel zusammen.
Wenn meine Mutter ihre Cousins und Cousinen besucht hat, hat sie uns Kinder mitgenommen.
An die Namen erinnere ich mich nicht. Ich weiß nur, wo sie gewohnt haben. Ein Teil hat gewohnt im neunzehnten Bezirk, bei der Kreuzung wo der „38“ nach Grinzing und der „39“ nach Sievering gefahren sind. Direkt in dieser Gasse haben sie gewohnt. Zwei Gassen weiter hat auch jemand von der Mutter gewohnt, mit dem wir Kontakt hatten.
Bei uns war die Mutter dominant, in jeder Weise. Vom Vater zum Beispiel, habe ich ein einziges Mal eine Ohrfeige gekriegt, die Mutter hat gedroschen.
Die Mutter hat sechs Kinder zur Welt gebracht, sie war eingedeckt mit Arbeit.

Mein Vater war Verkäufer in einem Herrenkleidergeschäft am Sparkassenplatz im Kleiderhaus Hahn. Das war ein bekanntes Geschäft im 14. Bezirk, jetzt ist es der 15. Bezirk.
Trotzdem die Eltern sparen haben müssen - der Vater hat ja nicht weiß Gott was verdient - haben uns die Eltern jeden was lernen lassen.
Die christlichen Kinder, wenn sie arm waren, sind als Fabrikarbeiter in die Fabrik gegangen, Wir haben alle was gelernt. Aber ich glaube, das haben alle jüdische Eltern gemacht, die haben lieber nichts gegessen.

Die Mutter mußte alles machen, waschen, kochen, putzen. Ich war acht oder neun Jahre alt, und da habe ich schon zu Hause den Küchenboden aufgewaschen.

Wir haben jeden Feiertag eingehalten. Damals war ja schon eine sehr schlechte Zeit, da war es Sitte, das die, denen es ein bisschen besser gegangen ist, am Freitag nach dem Tempel irgendeinen armen Juden mit nach Hause genommen haben. die Mutter hat am Freitag immer jemanden mitgenommen, so war sie.

Ernst, mein ältesten Bruder, wurde 1890 in Wien geboren. Ich habe ihn fast nie gesehen, er war schon sechzehn Jahre alt, als ich auf die Welt gekommen bin und er ist mit siebzehn, achtzehn Jahren aus dem Haus. Er hat als Verkäufer gearbeitet und ist nach Palästina ausgewandert und starb in Tel Aviv.

Frieda, meine älteste Schwester, wurde 1894 in Wien geboren. Sie war Schneiderin und heiratete Siegfried Reiss. Sie hatten sieben Kinder: Erwin, Leopold, Walter, Hans, Elisabeth, Anna und ich verstehe nicht, warum ich mich weder an den Namen noch an das Gesicht des siebenten Kindes erinnern kann.
Ihr Sohn Erwin wurde 1922 und Walter wurde 1924 geboren, Leopold 1926, Anna 1927, Hans wurde 1935 und Elisabeth 1937.
Hans wurde, ich glaube 1939, mit einem Kindertransport der Kultusgemeinde nach Oslo geschickt. Er fand Aufnahme in einer Rabbinerfamilie. Wir haben so sehr gehofft, er hätte überlebt, aber die ganze Familie wurde ermordet.
(Frieda Reiss, ihr Mann Siegfried und sechs ihrer Kinder wurden am 14.9.1942 von Wien nach Maly Trostinec deportiert und ermordet). Niemand hat überlebt. Erwin und Walter hätten sich retten können, aber sie wollten bei ihrer Mutter bleiben.

Meine Schwester Grete wurde Mai 1900 geboren. Sie war Kontoristin in einem Büro, war nicht verheiratet und hat bis zum Tode meines Vaters mit ihm zusammen gewohnt. Sie wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Mein Bruder Hans wurde 1903 geboren. Er war Verkäufer in einem Damenmodengeschäft. Er war in Wien mit Grete, einer christlichen Frau verheiratet. Sie bekamen eine Tochter, die hieß Inge. Er ließ sich vor dem Krieg scheiden, verlor seine Arbeit und wanderte mit ein paar Freunden gemeinsam 1935 nach Palästina aus. Dort heiratete er eine polnische Jüdin. Ihren Namen habe ich leider vergessen. Ihr Sohn Ariel wurde 1941 oder 1942 geboren. Er lebt in Israel.

Meine Kindheit

Ich wurde am 6.12.1906 in Wien geboren und meine jüngste Schwester Ella wurde 1909 geboren. Sie wurde Schneiderin und heiratete Ludwig Weizs. Sie besaßen gemeinsam ein Elektrikgeschäft. 1938 flohen sie nach Palästina. 1947 kamen sie wieder nach Wien, bekamen ihr Geschäft zurück und 1947 wurde ihr Sohn Willi geboren.

Von meinen Geschwistern lebt niemand mehr.

Ich habe nie Hilda geheißen bei der Mutter, immer Hilduschka oder Hildinko.
Unsere Wohnung war sehr klein. Von meinem zweiten Lebensjahr bis zu meinem neunten Lebensjahr haben wir in einer Zimmer-Küche Wohnung gelebt.
Ich habe mit dem Vater im Bett geschlafen, die Kleine mit der Mutter im Bett. Die Schwester hatte in einer Kommode eine Lade zum heraus ziehen, das war ihr Bett. Wo die anderen zwei, der Bruder und die Schwester, geschlafen haben, daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.
1915, als ich neun Jahre alt war, das war dann das erste Kriegsjahr vom ersten Weltkrieg, sind wir in eine andere Wohnung umgezogen. Da hatten wir dann ein Kabinett mehr, also Zimmer, Küche und Kabinett.
Da war der große Bruder schon nicht mehr zu Hause, wir waren nur noch fünf Kinder, und es war dann ein bisschen leichter.
Alle armen Leute haben so gewohnt wie wir.
Wir wohnten im Fünfzehnten Bezirk, damals war es noch der Vierzehnte, auf der Sechshauserstrasse. Die größere Wohnung war in der Braunhirschengasse.

Ich war fünf Jahre in der Volksschule und drei Jahre in der Bürgerschule.
Das waren normale Schulen, keine jüdischen, und dann bin ich zwei Jahre in die Handelsschule gegangen. Die war aber von einem jüdischen Verein gegründet, sonst hätte es sich die Mutter nicht leisten können, mich auf die Handelsschule zu schicken.
Ich habe eine phantastische Lehrerin in der Schule gehabt, aber die Ella, meine Schwester, hat Antisemitismus in der Schule gespürt. Damals war es so eingerichtet, wenn die Schülerin in Deutsch gut war, dann hat sie Anspruch gehabt auf Französischstunden. Ich bin in Französischstunden gegangen. Die Ella war bestimmt mindestens so gut wie ich, aber die Lehrerin hat gesagt „Nein“.
Das war in derselben Schule, aber es war eine andere Lehrerin. Die war antisemitisch.
In jeder Klasse waren drei oder vier jüdische Mädchen. Das waren damals nur Mädchenklassen.
In einer anderen Schule habe ich einmal in der Woche eine Stunde am Nachmittag Religionsunterricht gehabt.
An Schreiben kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an das Lesen. Ein paar Buchstaben, nicht alle, aber ein paar Buchstaben kann ich noch.

Ich habe ja noch den Kaiser erlebt! Als er gestorben ist, das war 1916, da war ich zehn Jahre. Da sind wir auf der Mariahilferstrasse gestanden, und die ganze Mariahilferstrasse war gesäumt von Leuten, die zugeschaut haben, wie der Sarg von Schönbrunn in die Hofburg überführt worden ist.
Ich habe es ja nicht weit gehabt zur Mariahilferstrasse.
Wir hatten in der Nähe einen wunderschönen Park, damals hieß er Kaiserpark, jetzt Auer Welsbach-Park. Im Park sind die jüdischen Frau immer zusammen gesessen, und die Kinder dieser Frauen, das waren Freundinnen. Im Park war ein sehr großer Teich, der war für die Kinder zum Schwimmen hergerichtet. Dort habe ich Schwimmen gelernt.
Bei uns war ja das Theresienbad ganz in der Nähe, da sind viele Kinder Schwimmen gegangen. Wir nicht, wir sind in die Freibäder gegangen und der Teich im Kaiserpark war wunderschön. Es hat nichts gekostet, es gab Umkleidekabinen, also, sie haben schon viel für die Kinder gemacht.
Wir haben eine wunderschöne Kindheit gehabt. Die Mutter hat sich um uns gesorgt, wie eine Glucke, wenn sie auf den Küken sitzt. Wo sie konnte, hat sie geholfen. Das werde ich nie vergessen, das macht auch nur eine jüdische Mami.
Ich bin mit sechzehn in die Tanzschule gegangen, da ist die Mutter die ersten Male mitgegangen, damit sie sieht, ob ich auch einen Tänzer kriege. Ich habe mich dann eingewöhnt, und dann durfte ich alleine gehen. Am sechsten Dezember war das Nikolofest. Und da hat es geheißen, man kann Geschenke abgeben und wenn dann der Nikolo kommt, verteilt er die Geschenke. Ich habe mir gedacht, zwei Geschenke bekomme ich bestimmt von meinen zwei Tänzern, von jedem eines, aber gekriegt habe ich sieben. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, von wem ich die anderen fünf bekommen habe. Nach langer Zeit hat mir einer, mit dem ich getanzt habe, gesagt, die Mami sei an ihn herangetreten und habe gefragt, ob sie ihm fünf Pakete mitgeben kann, denn wenn das Kind nichts kriegt, hat es Herzweh. Das war eine jüdische Mutter.
Wir waren bescheiden, und die Bescheidenheit ist mir geblieben. Ich schenke sehr gerne, ich gebe, was ich kann, aber für mich selber bin ich bescheiden.

Der Papa war nicht im Mittelpunkt, aber wir haben ihn respektiert. Wir haben einmal in der Woche Fleisch gehabt, sonst immer Gemüse. Der Vater hat die schönste Portion Fleisch bekommen, das war selbstverständlich bei uns. Der Vater hat ja auch das Geld verdient. Also der Vater war wer, aber dominant für uns Kinder war die Mutter.
Wir haben ihn oft im Geschäft besucht. Das Geschäft am Sparkassenplatz war ja ganz in der Nähe, wo wir gewohnt haben.
In das Geschäft sind sehr viele Christen einkaufen gegangen, obwohl sie gewusst haben, es ist ein jüdisches Geschäft. Sie sind sehr gut bedient worden!

Ich hatte eine Schulkollegin, das war eine Christin. Mit der habe ich zu Weihnachten immer den Christbaum aufputzten dürfen, da war ich immer begeistert.

In der Herklotzgasse war ein jüdisches Haus, das der Kultusgemeinde gehört hat. Im zweiten Stock war ein Waisenhaus, unten war ein Speisesaal, da haben wir von der Schule aus Essen gehen können, dann war dort ein Hort, da haben wir gespielt. Es war ein sehr schöner Turnsaal im Haus.
Ich war auch im jüdischen Turnverein. Wir haben sogar zwei Schauturner gehabt.
Schwimmen und Turnen habe ich geliebt. Und zum Sportverein Makabi bin ich gegangen.
Da war wahrscheinlich in jedem Bezirk eine Gruppe, bei mir im fünfzehnten war jedenfalls eine.
Es gab auch einen jüdischen Kindergarten in dem Haus.
Meine jüngste Schwester Ella hat dort ihren Mann Ludwig Weisz kennengelernt. Das war eine Kinderliebe. Da gab es einen Schrank mit Spielzeug, und um zwei Uhr, wenn die Schwester gesagt hat, „Holt euer Spielzeug“, ist meine Schwester sitzen geblieben und er hat es ihr gebracht. Immer! Sie hat sich um kein Spielzeug kümmern müssen. Sie haben 1932 im Turner-Tempel in der Turnergasse im damals 14. Bezirk geheiratet. Im April 1939 sind sie nach Palästina geflohen und 1947 wieder nach Wien gekommen. Sie waren fünfundfünfzig Jahre verheiratet.

Der Hausbesorger war ein Christ und die Tochter war meine Freundin. Sie ist zu mit zu mir gekommen und ich bin mit zu ihr gegangen. Wenn ich mit einem anderen Kind zusammen sein wollte, hat sie immer gesagt, “Hilda, ich bin deine Freundin, mehr brauchst Du nicht.“ Und so ist es geblieben. Das war eine Freundschaft, die viele Jahre gehalten hat.

Wenn wir Schluss gemacht haben im Turnsaal, sind wir oft, drei, vier oder fünf Mädchen, ins Raimundtheater gegangen. Das war ganz in der Nähe. Da war immer die Pause vom zweiten zum dritten Akt, und wir sind hinein gegangen. Ich glaube das „Drei Mäderl Haus“ habe ich zwanzig Mal gesehen, aber immer nur den dritten Akt. Und der Billeteur war so nett, der hat ja gewusst, wir haben keine Karten und kein Geld, aber es war der letzte Akt, und es hat ihm nichts ausgemacht.
Ich war mit meiner Freundin oft in der Oper, wir hatten nur Stehplätze, hin sind wir zu Fuß gegangen, nur zurück sind wir gefahren. Einmal, da waren wir im Burgtheater, und in der Pause sind wir so herum gegangen. Da ist so ein älterer Mann auf uns zu gegangen, und er hat gesagt, er muss jetzt leider nach Hause gehen und ob wir seinen Sitzplatz haben wollen. Da sind wir dann einmal gesessen. Das war wirklich sehr nett.
Sonst sind wir immer gestanden. Der „Faust“ zum Beispiel, der dauert ja wirklich entsetzlich lange. Wir sind zu Fuß ins Volkstheater gegangen, haben uns lange angestellt fürs Karten kriegen, und dann standen wir während der Vorstellung.
Das war keine Kleinigkeit, aber wir waren immer mehrere von der Handelsschule, die gegangen sind. Das hätte ich auch nicht missen wollen.
Der Alexander Moissi war ein phantastischer Schauspieler. Meine Freundin ist einmal mit der zweier Linie gefahren und hat nicht gewusst, wo sie aussteigen soll, und sie hat einen Herrn gefragt, ob sie jetzt schon aussteigen muss fürs Volkstheater, da hat er gesagt: „ Nein, die nächste Station, gehen Sie zum Moissi?“ „ Nein zu meiner Freundin“, hat sie geantwortet. Ich habe damals so lachen müssen, sie geht nicht zum Moissi, sie geht zu ihrer Freundin. Wir haben sehr viel in Theatern, in der Oper und im Musikverein gesehen.

Es gab viele jüdische Vereine. Ich bin zwei Jahre mit einem jüdischen Verein auf Urlaub gefahren, der Verein hat das bezahlt. Mein Bruder Hans aber war in einem christlichen Verein, wo musiziert worden ist.

Der erste Posten, den ich gehabt habe, war in einem Getränkegroßhandel. Da war ich im Büro. Die haben dann zugemacht, da bin ich in ein Bankhaus gekommen, die sind damals aus dem Boden geschossen. Da war ich zwei oder drei Jahre, da war ich sehr gerne. Dann war schon die Arbeitslosigkeit, da war man froh, wenn man irgendeine Arbeit hatte.

1926 ist meine Mutter gestorben, sie war siebenundfünfzig Jahre alt und hatte Eierstockkrebs.
Wir haben sehr geweint. Nachher, in den späteren Jahren, habe ich oft denken müssen, Gott sei Dank hat die Mutter diese Zeit nicht erleben müssen, daß ihre Kinder überall hin verstreut wurden. Es ist ihr viel erspart geblieben, sie hätte sich zu Tode gekränkt.
Der Vater hat uns dann den Haushalt geführt, er hat gekocht, sogar sehr gut gekocht.
Er war ja schon in Pension. Bis zu seinem Tod hat meine Schwester Grete, die nicht verheiratet war, mit ihm zusammen in der Wohnung gelebt.
Er ist, zum Glück, 1940 im Alter von vierundsiebzig Jahren gestorben.
Meine Eltern liegen auf dem Zentralfriedhof, da komme ich auch hin.

Ab 1935 war ich dann bei den Sängerknaben.
Durch eine Zeitungsannonce bin ich zu den Sängerknaben gekommen. Da waren viele, die auf diese Annonce hin gekommen sind. Und alle waren jünger als ich, aber ich wurde genommen. Später habe ich dann einmal die Sekretärin gefragt, warum sie damals mich genommen habe, da waren doch viele junge Mädchen, da sagt sie: “Schauen Sie, das werde ich Ihnen sagen. Ich habe zu Ihnen gesagt, daß wir ein Hotel in Hinterbichel, in Osttirol, haben und da müssen Sie dann auch dort hin, da gibt es viel Arbeit.“ Ich soll drauf gesagt haben: „Ach, das ist doch gar nichts, je mehr Arbeit, desto besser“ und das hat ihr eben so imponiert.
Ich war noch nicht verheiratet. Hinterbichel war ein wunderschöner Ort, ganz am Ende eines Tals. Da geht es schon zum Großvenediger rauf. Da haben wir ein wunderschönes Hotel gehabt, es waren auch lauter Barone dort, und die Sängerknaben haben serviert und jeden Sonntag haben sie ein Konzert gegeben.
Ich habe dort im Büro gearbeitet. Die Gäste haben sich bei mir angemeldet, und es war da ein schriftlicher Verkehr und ich habe die Rechnungen ausstellen müssen, wenn die Gäste abgefahren sind.

Damals war eine große Arbeitslosigkeit. Meine frühere Arbeitskollegin hat halt keinen Posten gekriegt, und in ihrer Wut oder Verzweiflung, hat sie bei den Sängerknaben angerufen: „Das ist doch eine Frechheit, ich als Christin bin ohne Arbeit, und die Hilda Schwarz, als Jüdin, hat bei Ihnen eine Anstellung bekommen“.
Die Sekretärinnen haben mir gesagt, daß der Rektor geschrieben hat, sie sollen mich behalten, sie sollen mich nicht weggeben, er findet, ich bin eine gute Kraft. Ich habe das dann auf meine Weise erledigt. Meinen zweiten Mann, den kannte ich damals schon, habe ich gebeten, da er auch mit meiner früheren Arbeitskollegin bekannt war, auch er war Christ, zu sagen: „Was sagst Du zu der Gemeinheit, die haben die Hilda hinausgeschmissen, weil sie eine Jüdin ist,“ und eine Ruhe war. Die hat sich nie wieder gerührt.
Als der Krieg schon aus war, habe ich sie zufällig auf der Straße gesehen. Sie ist auf mich zu gekommen und wollte grüßen, und ich habe mich umgedreht und bin gegangen, ich habe nichts gesagt. Wir hatten solange zusammen gearbeitet und waren wirklich gute Freunde.

1927 im Verein „Sozialdemokratische Gastwirte“ habe ich meinen ersten Mann, Gustav Koch, kennengelernt. Er wurde 1894 in Wien geboren. Er war auch Angestellter im Büro.
Er hat mir gleich gefallen. Seine Firma war neben meiner Firma und so sind wir bekannt geworden.
Wir haben im Turner Tempel geheiratet.
Er ist dann zu mir gezogen, in meine Familie. Mein Mann war vom ersten Weltkrieg kriegsbeschädigt. Ich hatte bei den sozialistischen Gastwirten einen ausnehmend netten Chef und der hat eine Freundin gehabt und diese Freundin hat einen guten Bekannten im Ministerium gehabt und dadurch haben wir 1935 eine Trafik gekriegt.
Weil ich bei den Sängerknaben war, haben wir uns eine Verkäuferin genommen für die Trafik und dann 1937 hat es geheißen, wenn wir die Trafik nicht selber führen, nimmt man sie uns weg, da habe ich dann bei den Sängerknaben gekündigt.
Mein Mann hat geraucht, aber ich habe nie eine Zigarette angerührt. Vielleicht hätte ich auch geraucht, aber ich habe als junges Mädchen und als junge Frau immer einen Lidränder-Katarrh gehabt, immer rot entzündete Augen, das hat gejuckt und weh getan, da war Rauch eine Katastrophe. Darum, sonst hätte ich vielleicht geraucht, aber dadurch nicht eine Zigarette.

Mein jüngerer Bruder Hans ist 1935 arbeitslos geworden. Es herrschte zu dieser Zeit große Arbeitslosigkeit und er hat sich mit ein paar Freunden auf den Weg nach Palästina gemacht. Er hatte sich von seiner christlichen Frau Grete scheiden lassen und die gemeinsame Tochter Inge blieb bei ihrer Mutter.

Während des Krieges

1938 hat eine sehr nette Frau die Trafik übernommen. Wir haben damals noch die Wohnung neben der Trafik gehabt. Die Frau hatte ein Kind, das war ein Jahr alt und ich habe dem Kind das Gehen beigebracht. Ich bin oft mit ihm spazieren gegangen. Das war eine einmalige christliche Familie, da hat die Freundschaft gehalten bis weit über den Krieg hinaus, bis sie gestorben ist.
Als wir nach Theresienstadt deportiert wurden, habe ich sie gefragt, ob ich ihr ein paar Sachen da lassen kann, Sachen, an denen ich gehangen habe. Das haben sie alles genommen und nach dem Krieg haben sie alles zurück gegeben.

Mein ältester Bruder Ernst ist 1939 nach Palästina emigriert.

1942 war ich schwanger. Da bin ich ins Rothschild- Spital gegangen und habe mich untersuchen lassen. Der Doktor hat gesagt: „Ich gebe Ihnen einen guten Rat, heute oder morgen werden Sie verschickt, bitte behalten Sie das Kind nicht.“ Ich war ihm dankbar.

Im Oktober 1942 wurden mein Mann und ich nach Theresienstadt deportiert. Theresienstadt war das „Vorzeigelager“ der Nazis. Es ist uns ja auch viel besser gegangen, als den Menschen in den anderen Lagern.
Wir wurden in Viehwaggons vom Dritten Bezirk nach Theresienstadt transportiert.
Als wir ankamen, mußten wir wochenlang am Dachboden schlafen. Die Koffer sind uns sofort weggenommen worden, gleich am Bahnhof, „Die Koffer bleiben da, die Koffer kommen nach“ hat es geheißen. Die sind natürlich nie gekommen, und wir haben da nur einen Polster gehabt und was zum Zudecken.
Ich habe zuerst in der Kindermarodenstube arbeiten müssen. Das war ein Spital. Ich mußte aufräumen, saubermachen, und die Medikamente von der Apotheke holen.
Jede Woche einmal wurden so an die zweitausend Leute zusammen gestellt und nach Auschwitz geschickt. Einmal haben sie nicht zweitausend Leute zusammen gekriegt, da haben sie die ganze Marodenstube, Ärzte, Schwestern und die Kinder nach Auschwitz geschickt. Zuerst wurden sie gepflegt, das waren ja lauter jüdische Ärzte da, und dann nach Auschwitz geschickt, damit man sie töten konnte.
Ich bin dann in die Wäscherei gekommen, die war außerhalb von Theresienstadt, da sind wir in der Früh immer aufmarschiert, sind abgezählt worden, und dann raus zum Arbeiten und am Abend wieder zurück. Da war ich bis zum Schluss, bis zur Befreiung.
Mein Mann und ich haben zusammen in einem Raum mit Wanzen und Flöhen gewohnt.
Man war in ständiger Angst, jeden Tag, man wusste ja, jede Woche müssen zweitausend nach Ausschwitz.
Zwei Mal in der Woche haben wir Brot, ein paar Deka Fett und ein paar Deka Zucker gekriegt. Das haben wir uns einteilen müssen und in der Früh gab es so einen Abwaschwasserkaffee.
Zu Mittag gab es jeden Tag achtundzwanzig Deka Kartoffelsuppe und achtundzwanzig Deka Kartoffeln. Am Anfang war das gut, aber wenn dann die Kartoffelzeit zu Ende gegangen ist, dann sind die faulen Kartoffeln abgewogen worden. auch nur achtundzwanzig Deka, und am Freitag haben wir einen ungefüllten Germknödel gekriegt, und das die ganze Zeit. Ich hab schrecklich dünn ausgeschaut.
Zum Glück, wir bekamen alle die Menstruation nicht mehr, das war wegen der Unterernährung.
Bei uns waren ja die Russen später als in Wien, in Wien waren sie ja schon im April 1945, in Theresienstadt am dritten Mai. Wir sind noch zwei Monate geblieben, bis wir nach Hause konnten.

Nach dem Krieg

Dann haben sich zwei Familien zusammen getan und haben einem Tschechen Geld und Schmuck gegeben und der hat uns nach Wien geführt. Wir hatten noch etwas Geld und Schmuck verstecken können. Der hat uns dann nach Hause gebracht, damit wir nicht mit dem Viehwaggon fahren mussten.
Die holländische Königin und der holländische König haben Flugzeuge geschickt, die Ungarn haben Autobusse geschickt, alle sind wirklich schön von ihren Ländern abgeholt worden, nur wir Österreicher nicht. Sie haben gesagt, sie wären ein armes Land, sie sind ja selber überfallen worden, aber daß sie am Heldenplatz „Heil Hitler“ geschrien haben, das haben sie vergessen.

Mein Mann und ich haben die Trafik zurück bekommen.
Als wir die Trafik vor dem Krieg gehabt haben, mein Mann war sehr gesellig und sehr gescheit, da hat es eine Menge Kunden gegeben, die sind sogar früher in die Trafik gekommen, damit sie plaudern können und sind dann zur Arbeit gegangen. Da war einer dabei, der war sehr, sehr nett und auf einmal, als der Hitler da war, ich habe meinen Augen nicht getraut, war der in der SA-Uniform. Wir waren für ihn erledigt. Er hat auf der Gasse nicht gegrüßt, kein Wort mehr geredet mit uns. Als der Krieg dann zu Ende war, habe ich ihn zufällig auf der unteren Favoritenstrasse getroffen. Er kam strahlend auf mich zu, und ich habe mich umgedreht, habe kein Wort gesagt und bin weggegangen. Der war für mich erledigt. Ich habe nicht geschimpft mit ihm, gar nichts, er war für mich erledigt. So wie wir für ihn erledigt waren, als der Hitler da war.
Ich kann mich aber auch an Kundinnen erinnern, die sehr, sehr nett waren. Das waren zwei ältere Damen. Als wir zwangsübersiedelt in die Novaragasse wurden, sind sie uns besuchen gekommen und haben Essen mitgebracht, und das waren Christinnen! Es hat auch solche gegeben.
Nach dem Krieg hatte ich eine Amtsbescheinigung, weil ich im KZ war, und da bekam ich in der Oper Stehplatzkarten, ohne mich anstellen zu müssen. Das war schon was und da bin ich viel mit meinem Mann gegangen.

1949 ist mein Mann gestorben.

Meinen zweiten Mann, Alois Sobota, habe ich eigentlich schon früher kennen gelernt, der hat nämlich als Kind schon im Haus ums Eck gewohnt. Er wurde 1907 in Wien geboren. Er hatte Schuhmacher gelernt und im Krieg mußte er einrücken.
1953 haben wir geheiratet. Er war kein Jude, er war Christ.
Er war etwas jünger als ich, und wir haben als Kinder zusammen auf der Gasse gespielt.
Damals konnte man noch auf der Gasse spielen, wir haben in der Rauchfangkehrergasse gewohnt, gleich beim Wienfluss, dort ist ja noch kein Auto gefahren, nichts, die Gasse hat uns gehört.
Ende 1953 habe ich die Trafik zurückgegeben und bin wieder in ein Büro gegangen.
Ich habe für eine Ex- und Importfirma gearbeitet, Rechnungen und Bilanzen schreiben, das war meine Arbeit.
Sehr wenige meiner jüdischen Freunde sind zurückgekommen. Zu den großen Feiertagen bin ich in die Synagoge gegangen..
Ich habe kein Schweinefleisch gegessen und ich muß, bis heute, einen besonderen Milchtopf haben.
1961 haben mein Mann und ich uns in Deutsch Wagram Grund gekauft und uns ein Haus gekauft. 1964 sind wir eingezogen. Das war ein Traum für mich. Als ich dann in Pension war, haben wir nur noch in dem Haus gewohnt, Sommer und Winter. Hinter dem Haus ist ein richtiger Garten, vorn ist ein kleiner Vorgarten.
Bis zu seinem Tod hat er im Büro der „Volksstimme“ (Tageszeitung der Kommunistischen Partei Österreichs) gearbeitet Drei Monate vor der Silbernen Hochzeit ist mein Mann 1978 gestorben, aber das waren fünfundzwanzig wirklich wunderschöne Jahre.

Nachdem mein zweiter Mann gestorben ist, bin ich das erste Mal zu meiner Familie nach Israel gefahren.
Mit Inge, der Tochter meines Bruders Hans aus erster Ehe, habe ich mich sehr gut verstanden. Sie hat zu mir gesagt: „Wenn Du willst, Tante, fahren wir nach Israel“ und wir waren vierzehn Tage in Israel. Das zweite Mal sind wir zu einer Hochzeit gefahren, und das dritte und das vierte Mal nur so auf Besuch.
Das Land hat mir gefallen, die Leute haben mir gefallen, alles hat mir gefallen. Auch mit meinem Bruder Hans habe ich mich sehr gut verstanden.
Mit Inge bin ich dann sehr viel zusammen gereist. Das war wunderschön. Leider ist sie sehr früh gestorben.

Die Deutschen kann ich heute noch nicht leiden. Mit den Deutschen verbinde ich automatisch Hitler.
Aber in Österreich habe ich mich wieder gut gefühlt. Mich hat die Politik immer interessiert.
Ich kann mich erinnern, während der Waldheim-Affäre war eine äußerst ungute, fast antisemitische Stimmung.
Das war ja eine wirklich ekelhafte Geschichte.
Jetzt der Haider, der ist ja nicht weniger ekelhaft.
Und das die FPÖ jetzt in der Regierung ist, das ist ja noch weniger angenehm. Das hat uns sehr geschadet.
Den Judenhass gibt es nicht erst seit Hitler, den Judenhass gibt es ja schon seit Jahrtausenden.
Immer, wenn in einem Land Not ist, sind die Juden schuld, da geht man auf die Juden los, um von der eigenen Schuld abzulenken, und das wird immer so bleiben.