Eva Köckeis-Stangl

Eva Köckeis-Stangl, Enkelin Verena und Mutter Lilly Brill

Lebensgeschichte Eva Köckeis-Stangl,
aufgezeichnet von Verena Krausneker

Eva Köckeis-Stangl zog nach ihrer Pensionierung von der Uni Innsbruck auf einen Bergbauernhof in Südtirol, wo sie 15 Jahre lang unter spartanischen Verhältnissen alleine als (Eigendefinition) „Eigenbrötlerin“ lebte. Sie machte, teilweise alleine, teilweise mit Begleitung, u.a. ihres Bruders, Berg- und Wandertouren. Sie reiste nach Marokko und mit ihrer Enkelin nach Israel. Im Jänner 2001 kehrte sie von einer lange geplanten Reise nach Äthiopien und Eritrea zurück und starb 2 Wochen später.

Meine Familiengeschichte
Meine Kindheit
Während des Krieges
Nach dem Krieg

Meine Familiengeschichte

Meine Mutter Lilly kam aus Budapest, mein Vater Otto aus Böhmen.
Öttchen ist noch in Pardubitz geboren, das ist eine kleine Stadt in der Tschechoslowakei, wo sein Vater Moritz Moses Schuster war…oder Schuhfabrikant. Aber der hatte kein Glück und war ständig aus unterschiedlichen Gründen am Rande des Ruins. Da gibts dann irgendeine Geschichte, dass das schiefgegangen ist. Vage erinner‘ ich mich, dass das Unglück dadurch entstanden ist, dass die Leisten, die man ja braucht, um Schuhe zu erzeugen, falsch zugeschnitten waren und dann waren alle Schuhe verkehrt oder nicht tragbar.
1882 schließlich wurde die Fabrik und alle Vorräte, das können wir in einem erhaltenen Brief von Moritz lesen, durch ein Feuer zerstört.
Und wie Öttchen zwei oder drei Jahre alt war, hat sich die Familie aufgemacht, in der Großstadt Wien ihr Glück zu versuchen. Hier in Wien hat mein Großvater Moritz dann offensichtlich versucht, seine Kenntnisse als Schuster und Lederer  für ein anderes Erzeugnis zu verwenden, also für etwas, von dem er inzwischen draufgekommen ist, dass man es zu dieser Zeit der Industrialisierung besonders gebraucht hat und das waren die Ledertreibriemen.
Also, jetzt haben sie diese Riemen gemacht und, ich weiß nicht, ob, aber wahrscheinlich hat es gleich in dem Haus Taborstraße 71 im 2. Bezirk angefangen, das es heute noch gibt. Auch sehr typisch für diese Zeit, da war also die Fabrik im Hinterhaus und im Vorderhaus, im nobelsten Stock, nämlich im 1. Stock, hat die Familie Brill gewohnt.

Soviel ich weiß, waren sie schon damals – wie es der jüdischen Tradition entspricht – sehr eingenommen für mehr Bildung, für mehr Schulbildung gewesen,  jedenfalls von Ottos Mutter weiß ich das, die Amalie Brill, aber wahrscheinlich auch der Moritz, sie waren Leute, die in der Großstadt Erfolg haben wollten, die sich als modern und fortschrittlich gesehen haben und denen wahrscheinlich ihre jüdische Herkunft wenig bedeutet hat… und wenn, dann eher als Hindernis.

Und deswegen dürften sie dem Otto, der nicht nur einfach dem Wunsch seines Vaters entsprechend Riemer und Sattler werden wollte, erlaubt haben, auf die technische Hochschule zu gehen, wo er Chemie studiert hat. Es ist wahrscheinlich auch ziemlich typisch, dass seine Schwestern, also jedenfalls die beiden jüngeren, meine Tante Mitzi und meine Tante Friederl, beide studiert haben. Dieser besondere Respekt vor Bildung, nehm‘ ich an, drückt sich auch darin aus, dass die beiden Schwestern, nein: alle drei, Akademiker geheiratet haben.

Mein Vater Öttchen machte damals eine aufregende Karriere als Ingenieur, in einem Zwischenbereich zwischen Physik und Chemie, die ihn als Assistenten und Mitarbeiter nach Berlin, Göttingen, kurz Paris, London und auch Amerika führte. Und da hat ihn besonders interessiert, oder er war beteiligt, an den ganz frühen Arbeiten in Richtung von dem, was wir heute Radioaktivität nennen. Da war diese Geschichte, auf die die ganze Familie sehr stolz war: nämlich da hat es in Paris die Marie Curie gegeben und sie hat einen unerhört kostbaren Stoff gebraucht für ihre Experimente und der wurde unter anderem gefunden in Joachimsthal in Böhmen, also im Bereich der österreichischen Monarchie. Und Öttchen wurde beauftragt, diese winzigen Menge von diesem Stoff, von dem man heute weiß, wie gefährlich er ist, weil er eben Strahlung aussendet, in irgendeinem Kofferle dieses, ich glaub 2 Gramm, Radium als Geschenk der österreichischen Regierung zu Marie Curie nach Paris zu bringen.

Meine Kindheit

1921 hat er schließlich an seinem Geburtstag Lilly Livia Gunszt, eine ganz besonders schöne, und wesentlich jüngere Frau geheiratet. Lilly war aus einer eher armen Familie mit vielen Geschwistern, die alle zusammen von Budapest nach Wien gezogen waren, als sie noch ein Kind war. Lilly war eine sehr schöne, sehr liebe übrigens, und sanfte Frau. Dass sie sehr schön war, war – glaub ich – für Otto sehr wichtig.
Sie haben zuerst in einer Wohnung in Hietzing gewohnt und dann aber hat Otto ein Haus gekauft in der Oberen Donaustraße, also im 2. Bezirk – und der zweite Bezirk war DIE jüdische Gegend. Und dort war eben auch die Fabrik. Aber andererseits doch am Rand vom 2. Bezirk, mit einem wunderschönen Blick über den Donaukanal bis zum Kahlenberg und Leopoldsberg. Und es war wieder ein Haus, indem der erste Stock, die repräsentativste Wohnung, eine große, prächtige Wohnung, unsere war, die der Brills. Otto hat sich intensiv um deren Einrichtung angenommen, alles musste nach seinen Anweisungen geschehen. Den Kleinkram, natürlich, den hat er dann Lilly überlassen. Sie hat ihm übrigens immer nachgegeben, was mich als Kind sehr geärgert hat. Es gab Dienstpersonal, ein Stubenmädchen dazu, meistens, glaub ich. Und für die Kinder ein „Fräulein“, solang‘ wir Kinder kleiner waren. Wir lernten Sprachen, Reiten, Tanzen usw. usw.

Ich bin also am 1.8.1922 als erstes von drei Kindern geboren. Nach mir kam Agi, dann Hansi. Zu der Zeit hatte Otto seine Naturwissenschaftler-Karriere zugunsten der Übernahme der Fabrik seines Vaters (nach dessen Tod) aufgegeben. Und das war, glaub ich, für Otto eine arge Unterbrechung und das Ende von dem, was er eigentlich hätte tun wollen… aber es ist ihm nix anderes übriggeblieben.
Er hat also diesen Betrieb geführt und dann hat es noch eine Menge damit verbundene Dinge gegeben, für die er zuständig war und die hat er abwickeln müssen. So erinner‘ ich mich zum Beispiel, dass es mehrere Mietshäuser gegeben hat und dann so ein großes Bürohaus, den Industriepalast, die also ihm plus Familie gehört haben, und um die er sich hat kümmern müssen, aber er hat halt versucht, daneben auch noch Zeit zu finden für die Dinge, die er geschätzt hat.
Wissenschaft so nebenher zu betreiben ist ja ziemlich unmöglich, und so hat er aber versucht, sein Leben auszufüllen mit Interesse für künstlerische Sachen, für kulturelle Dinge, und auch so, als Mäzen tätig zu sein. Und in der Zeit, an die ich mich schon erinnern kann, also Ende der Zwanzigerjahre, war das „diesen Künstlern unter die Arme greifen“ auch wahnsinnig notwendig, weil es war eine wirtschaftlich eher sehr schlechte Zeit, war die große Wirtschaftskrise in Österreich, eine große Arbeitslosigkeit. Und da hat es zum Beispiel mehrere Maler gegeben, besonders der Herbert Böckl, dem er versucht hat, immer wieder zu helfen, mit Geld. Und das Helfen hat damals noch eine sehr traditionelle Form gehabt, nämlich dass man die Leute zum Essen, also zum Mittagessen oder zum Nachtmahl, einlädt. Für mich hat das eine große Bedeutung gehabt, was da sehr oft beim Essen über interessante, gescheite Sachen geredet worden ist, und ich hab diese Besuche oft sehr bewundert, mit denen Otto – so ist mir vorgekommen – auch fachlich sehr versiert geredet hat.

Der einzige Anlass, wo ich mich erinnern kann, dass über jüdische Tradition was erzählt wurde, war, wenn Otto Witze erzählt hat. Er hat gerne und ausgezeichnet Witze erzählt, jüdische Witze, über Juden, die sehr viel Selbstironie enthalten.
Aber sonst herrschte große Distanz und sicher auch ein Maß an Verachtung für die nichtassimilierten Juden, für die man damals gesagt hat, sehr herablassend, eigentlich bös‘, „die polnischen Juden“, die Juden aus den Ghettos in Polen, die aus der Ukraine wegen Pogromen flüchten mussten, von denen sehr viele da im 2. Bezirk gelebt haben, die mein Vater also eher verachtet hat, wahrscheinlich sie als nicht modern genug, etwas schmutzig, schmuddelig, nicht aufgeklärt empfunden hat. Diese Distanzierung kommt auch darin zum Ausdruck, dass ich zunächst nicht jüdischer Religion war, das heißt, in meinem Geburtsschein steht „ohne religiöses Bekenntnis“. Allerdings, … im Laufe der Zeit, also im Laufe der Zwanzigerjahre, wo der Antisemitismus immer direkter zum Ausdruck gekommen ist, hat aus diesem Gefühl von Fairness und „man muss für Verfolgte einstehen“, sich eine Änderung angebahnt, die darin zum Ausdruck kommt, dass, wie ich in die Schule gekommen bin, getauft jüdisch wurde. Es gibt an sich keine Taufe bei den Juden, aber anscheinend, ich kenn‘ mich da bis heute zu wenig aus, aber soweit ich mich auskenn, also, der nicht als Baby, nicht bei der Geburt zum jüdischen Glauben einbezogen wird, dann gibts eine Taufe. Und nachdem ich damals schon 6 Jahre alt war, also kurz bevor ich in die Schule eingetreten bin, kann  ich mich daran erinnern. War also so ein kleines Becken, wie ein ganz kleines Schwimmbad und dort musste ich so lange untertauchen, bis der Rabbiner seine Gebete fertiggesprochen hat. Ist mir sehr schwergefallen. Und ich glaub‘, des ist drei Mal schiefgegangen. Und wenn ich mich richtig erinnere, ist zu dem Zeitpunkt auch die Lilly, die vorher protestantisch war, zum jüdischen Glauben beigetreten. Lilly war jüdischer Herkunft, aber sie hat es vergessen gehabt oder vielleicht – aber das könnt‘ ich nicht sagen – ob sie nicht gelegentlich stolz darauf waren, nicht jüdisch zu sein.
Ich hatte dann in der Mädchenmittelschule im 8. Bezirk, Albertgasse, da so einen Religionslehrer, der war relativ jung, relativ zionistisch, mit dem hat man diskutieren können. Und er hat versucht, einem Anfangsgründe von Hebräisch beizubringen. Und da hat es auch so Zeiten gegeben, wo erwartet wurde, dass man am Samstag in den Tempel geht, damit man eine gute Note kriegt. Aber von zu Haus war nix.

Während des Krieges

Und dann war bald das Jahr 1933 da, wo Hitler in Deutschland schon an die Macht gekommen ist und jüdische Intellektuelle emigriert sind und unter anderem auch nach Wien geflüchtet sind – und auch solche Menschen sind zu uns auf Besuch gekommen. Aber mein Vater hat immer gemeint, in Wien ist das ganz unmöglich, in Wien sind die Juden ein so wesentlicher Teil des wirtschaftlichen  und kulturellen Lebens, das ist ganz unmöglich, die auszuschalten. Ja, allerdings, wie dann die Nazis in Österreich einmarschiert sind, sind sie binnen kurzem, schon nach wenigen Tagen, bei uns in der Wohnung aufgetaucht. Es wurde eine Hausdurchsuchung gemacht, vieles kaputtgeschlagen, mit der Brutalität und Niedertracht, genau derselben, die die Nazis woanders angewendet haben und Otto wurde verhaftet. Die Nazis haben in Otto keinen politischen Gegner gesehen, sondern vor allem einen wohlhabenden Juden, den man dazu zwingen muss, oder den sie durch die Haft dazu gezwungen haben, alle seine Besitztümer den Nazis zu schenken.
Ich bin damals schon, in den Jahren davor, geheim zu einer Jugendgruppe gegangen, die hat sich „Jung Urania“ genannt und später unter dem Deckmantel, dass wir ‚Pfadfinder‘ sind, waren vielleicht 20 Leute, zweimal die Woche. Wir waren kommunistisch. Und zu links-sein hat dazugehört, sich für Psychoanalyse zu interessieren und meine Freundin hat da so Originalschriften von Freud mitgebracht. Was wir als 13-jährige davon verstanden haben, frag‘ ich mich. Sicher hab ich das kommunistische Manifest in einer Gruppensituation gelesen, aber es war außerordentlich schwierig, solche Schriften aufzutreiben. Und in den allerletzten Monaten in Wien, wie der Otto schon eingesperrt war, bin ich zu denen gegangen und hab‘ gesagt: So, jetzt ist mein Vater im Häfn, jetzt kann ich machen was ich will. Und da haben‘s mich in den Kommunistischen Jugendverband aufgenommen, das war eine Gruppe, die war mehr proletarisch.
Die sind immer zu Fuß gegangen, und da sind wir einmal zu Fuß zum Peilstein gegangen, ein ganz schöner Hatscher, und haben dort in einer Höhle geschlafen, war meine erste Begegnung mit Bergsteigen. Hat sich sehr gehalten.
Wir Kinder, die Agi, der Hansi und ich, sind schon im Juni nach England geflogen. Und möglich war das im Wesentlichen dadurch, dass Otto aus der Zeit, wo er vor dem ersten Weltkrieg in England gelebt hat, eine ganze Reihe guter Freunde in England gehabt hat. Die haben gebürgt für uns.
Ja, und dann gab‘s also auch noch lange Verhandlungen, bis man Lilly und Otto die Ausreise nach England erlaubt hat, das war im Herbst 1938.
Ich war 16 und hab‘ als Haushaltshilfe gearbeitet, dann war der Versuch, Krankenschwester zu werden. Ich wollte dann nicht mehr zu den Eltern ziehen. Ich kann mich erinnern, wo ich zum ersten mal bei einer Demonstration am Trafalgar Square war, das war für mich unheimlich wichtig, wo man die Internationale offen singen kann! Ich glaub, es war eine Arbeitslosendemonstration. Ich wollte in London bleiben, aber Otto meinte, als der Krieg dann begonnen hatte, es ist blöd, in London zu bleiben, wegen der Bomben. Nach langem, so was wurde zu Hause ja niemals geredet, hab ich zugegeben, ich hab einen Freund und wegen dem will ich dableiben. In meiner Erinnerung hat er gesagt: Du bist ja ka Köchin!
Das war eine fürchterliche Watschn für mich. Und jedes Mal wenn ich mit ihm beisammen war, ist es sofort zu einem Krach gekommen. Das ist eigentlich bis zum Schluss so gegangen. Wahrscheinlich dewegen auch in der letzten Zeit, wo ich als junges Mädel und als junge Frau so a überzeugte Kommunistin war, dass er meine Art von Dogmatismus nicht ertragen hat. Ich war bei Young Austria, unser wichtigstes Ziel war es, etwas für die Befreiung Österreichs zu machen. Da hat es auch Zellen des Kommunistischen Jugendverbands gegeben und wöchentliche Treffen, wir haben Marx und Engels gelesen, es gab auch eine Zeitung. Es war für mich das wichtigste, ja ja, ich war sicher unheimlich dogmatisch. Aber nicht nur die politische Linie, sondern auch die Erinnerung an das Land, an Österreich wach halten, das war ganz wichtig. Wobei das mehr das Land war, die Landschaft und die Kultur, als die Leute. Für mich war immer klar, dass ich dahin zurück will. Und es war klar, dass das ein kommunistisches Land wird.

Nach dem Krieg

1943 hab ich dann geheiratet und 2 Jahre später ist meine Tochter Emmi zur Welt gekommen. Ich bin im August 1946, leider nicht mit der ersten Gruppe, da war mein Mann dabei, alleine nach Wien zurückgekommen, illegal, mit französischen Ausweisen, im Arlberg Express. Ich bin am Fenster gestanden und hab‘ geheult, es war unglaublich schön. Und in Wien war‘s schon enttäuschend und hart – und dass wir den Österreichern nicht so abgegangen sind. Das war schon ein latenter, den Leuten nicht so bewusster Antisemitismus.
Hab auch im ZK gearbeitet.
Da hab ich schon das Gefühl gehabt, ich will a Proletarierin werden, das war unheimlich wichtig für mich. Ich war Hilfsarbeiterin, hab mehrfach in sowjetisch geführten Betrieben gearbeitet und dann angestellt in den Wiener Industriebetrieben. Ich war in allen manuellen Dingen immer schon hoffnungslos, es war nicht leicht.
1956 habe ich dann in der Abendschule die Matura nachgeholt, meine Schulbildung war ja 1938 unterbrochen worden und habe, inzwischen schon ein zweites Mal verheiratet und mit einem zweiten Kind, Gustl, zu studieren begonnen.

Schon 1956 haben wir diskutiert, aber da waren immer irgendwelche Ausreden. Erst beim Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag, 1968, da hab ich endlich begonnen, da bin ich ausgetreten, da hab‘ ich auch schon weniger gemacht, weil ich studiert hab‘. Es war eine Gruppenentscheidung, wo ich mitgetan hab.
Jetzt, wo die Sowjetunion zerfällt und der Kommunismus, das ist schon mit einer gewissen Wehmut verbunden – aber sicher, ich denk mir, alles, wo man so eine Rettungsidee hat, wo man sich alles im Voraus zusammenkonstruiert, wie es sein soll, das ist sicher falsch. Solange ich das geglaubt habe, hab ich nie gesehen oder ernsthaft diskutiert, das starke Zentralistische.
Ich hab mich nicht geniert. Ich glaub auch eher, seit ich in Tirol leb‘, dass ich diskret war hinsichtlich jüdisch sein als hinsichtlich Kommunistin sein. Das ist schwer zu sagen, das Jüdischsein, du siehst, ich hab gezögert dabei, weil ich das einerseits bin und einerseits nicht bin. Das andere, das hab ich mir selber ausgesucht, hab ich die Krot gfressen, muss ich dafür einstehen, das ist ganz klar. Aber das andere… sicher, denk ich mir, es gibt Dinge, in die man hineingeboren wird, und das muss man auch mittragen, das ist nicht etwas, was ich mir ausgesucht hab‘. Und es ist auch komisch, wenn mich dann Leute fragen, hiesige, die nie einen lebendigen Juden gesehen haben, und die mich dann weiterfragen, dann muss ich sagen: weiß ich nicht. Dann merk ich‘s ja selber.

Zuerst hab‘ ich Staatswissenschaften studiert, hab‘ da auch das Doktorat gemacht, war aber dann 6 Jahre lang Assistentin am Soziologischen Institut an der Uni Wien und ab 1971 war ich am Institut für Erziehungswissenschaften in Innsbruck. Da hat jemand aus Innsbruck, der Peter Seidl, der mich von irgendwelchen Tagungen gekannt hat, gesagt, Du, wir brauchen eine Assistentin in Innsbruck. Hab ich gesagt: von Erziehungswissenschaften versteh‘ ich nichts! - Aber: Macht nix, macht nix!
Auf die Art bin ich nach Innsbruck gekommen. Da habe ich mich auch habilitiert, bin aber dann gewechselt an das Psychologische Institut und habe mich 1980 noch einmal habilitiert. Ich bin dann zur Anlaufstelle geworden für alle, die eine aufmüpfige Dissertation schreiben wollten. Zeitweise hatte ich schrecklich viele Dissertantinnen. Wir haben versucht, eine neue Art von Wissenschaft zu betreiben, nicht so theoretisch, mehr teilnehmend. Da gab’s zum Beispiel ein Projekt über Textilarbeiterinnen in Vorarlberg. Mit den Mitarbeiterinnen, die damals meine Studentinnen, Dissertantinnen, waren, habe ich mich sehr angefreundet. Wir sind bis jetzt sehr befreundet.
In Innsbruck hab ich dann auch die grünalternative Partei Tirols mitgegründet und auch kandidiert.

Ab den frühen 1960er Jahren, als ich durch meinen Freund Walter begonnen hatte, Bergzusteigen, haben wir ausgedehnte Reisen gemacht, nach Afghanistan, Indien, Ladakh und Nepal. Die Idee ist irgendwie entstanden, weil wir doch beide relativ interessierte Bergsteiger waren und ich hab gefunden, mich werden‘s doch nie auf so eine vom Bergsteigerverein organisierte Sache mitnehmen, weil ich eine Frau bin und nicht mehr ganz jung, und darüber hab ich gelästert. Da sind wir gerade durch die Herrengasse gegangen und dort ist ein Buchgeschäft mit einer Straßenkarte der Türkei in der Auslage gewesen. Da hat Walter gesagt, kauf ma uns das und schau ma, wie weit das eigentlich ist, vielleicht können wir das auf eigene Faust machen. Da waren wir dann mit dem Auto, das wir gerade gehabt haben, im östlichsten Zipfel der Türkei und am Ararat.
1964 war dann diese Reise, wo ich mit dem kleinen Renault 4 CV nach Moskau gefahren bin, wo meine Tochter gerade studiert hat. Dann war die Reise nach Persien, auch mit einem kleinen Zwutschgerl von Auto. Die haben alle gestaunt, weil die Straße nach Teheran sehr schlecht war damals, und da hast Du durch Flüsse fahren müssen und bist natürlich steckengeblieben.
Aber noch vor Teheran, durch die Hitze und so, hab ich mich mit dem Walter zerstritten, er hat keinen Führerschein gehabt, und ist ausgestiegen und alleine weiter. Da ist es ihm dann sehr schlecht gegangen, eine schwere Durchfallerkrankung, und er ist dann mit einem Fernlaster zurück nach Wien. Ich bin weiter gefahren, mir ist es nur insoweit schlecht gegangen, dass das in einem mohammedanischen Land nicht so ohne ist, allein. Und mit dem Auto hab ich viel Troubles gehabt. Aber sonst war‘s schön. Naja, da hat mich sogar, auf einem Berg, ein Hirte überfallen. Bei dem Gerangel ist mir meine Brille heruntergefallen und erst hab‘ ich‘s versucht mit ein bissl Farsi, was er wahrscheinlich nicht verstanden hat, aber dann hab ich auf Deutsch einfach losgeflucht, verstehst Du? Und darauf hat er mich gelassen. Also dann bin ich ein bissl zitternd doch wieder heruntergekommen, bin dann auch noch ein einen Bach gefallen, sodass dann alles nass war….
Dann waren wir – in Wien haben wir uns wieder versöhnt – hauptsächlich in dem von Kurden bewohnten Gebiet der Türkei, wie wollten die Nordseite vom Ararat hinauf, weil wir bei der letzten Reise gesehen hatten, die ist vergletschert und das war auch noch nicht begangen.
Dort sind wir auch in der Nacht ausgeraubt worden, aber das haben wir alles wieder zurückbekommen. Da waren wir circa 6 Wochen oder so.
Und das nächste war dann Afghanistan, da waren zu viert in einem alten VW-Bus, und das hat schon eine Spur Expeditionscharakter gehabt. Da sind wir also in das Berggebiet, dass wir uns vorgenommen haben, Wakhan Korridor, da war auch ein Gipfel, der nicht erklommen war. Korridor heißt es deswegen, weil ein schmaler Streifen Afghanistan, also den Afghanen, überlassen wurde, zwischen Sowjetunion und seinerzeit Englisch dominiertem Gebiet, heute Pakistan, nicht? Da sind wir hineingefahren, mit einer Erlaubnis, also wirklich, ich schüttel im Nachhinein den Kopf, was für verrückte Sachen ich organisiert hab‘. Über Kontakte hab‘ ich die Bewilligung für dieses Gebiet beschafft, ein Schriftstück in arabischen Buchstaben, kann keiner von uns lesen, aber wir sind losgefahren. Und das war dann falsch und wir sind sehr weit gefahren und mussten aber dann wieder umdrehen. Haben einen Lastwagen mieten müssen und sind dann auf Pferde umgestiegen. Bei diesen ersten Reisen hab ich, glaub ich, den Fehler gemacht und viel zu viel Zeug mitgehabt. Sind aber auch ein bissl Berggestiegen und auf einen Gipfel.
Weil, ohne Gipfel wär‘s sehr peinlich gewesen, wurde ja doch vom österreichischen Touristenklub unterstützt, und die Gipfel sind die Legitimation. Und damals, war irgendwie mein spezielles Glück, dass das halt damals erst alles in Mode gekommen ist, da war‘s noch was Besonderes. Dann haben wir Vorträge gehalten in der Urania, lauter so Diavorträge.
Wann das genau war, ich weiß nicht, also dazwischen waren wir doch auch in Nepal. Ich komm schon durcheinander mit den Jahren.
Unser großer Traum wäre gewesen nach Bhutan, aber wir haben keine Einreise bekommen. Zum Trost haben wir dann was anderes gemacht, das ist ein Landstrich, ein Stück östlich von Kaschmir, heißt Lahul. Lahul grenzt an das jetzt viel bekanntere Ladakh, das nördlich davon ist. Lahul ist Sperrgebiet, aber wir haben eine Genehmigung bekommen, die sogar an Ort und Stelle gehalten hat.
Lahul hat mir sehr gefallen, das ist eine Gegend, die buddhistisch ist, da gibt es schon buddhistische Tempel, das hab‘ ich zum ersten Mal gesehen. Im damals noch sehr kleinen Hauptort haben wir zwei junge Frauen gesehen, in buddhistischer Nonnentracht, aber mit europäischen Rucksäcken. Waren 2 Amerikanerinnen, die konvertiert sind und in so einem Bergkloster gelebt haben und uns eingeladen haben, wir sollen hinaufkommen, das war mein erstes buddhistisches Kloster, und es war auf diese Art auch sehr schön, weil die viel erklären konnten.
Dann war die Genehmigung aus, sonst wären wir viel länger geblieben, und wir sind  mit dem Auto nach Nepal. Oh ja, das war auch sehr schön, weil es war dann später Herbst, dann ist der Monsun schon vorüber und es ist zwar sehr kalt und oben schon Schnee, aber es war sehr schön. Dort hab ich zum ersten mal so ein Tempelfest erlebt, die lamaistischen Klöster haben immer so einen Jahrestag, mit diesen wunderbaren Tänzen.
Bis Dezember waren wir in Delhi, es ist wirklich sehr schön dort, wie bei uns im Frühjahr. Dort hab ich ein Forschungsprojekt gemacht. Jetzt denk‘ ich, auch eine ziemlich blöde Angelegenheit, aber okay. Bissl schwierig war dann die Rückfahrt, weil die Reifen vom Auto schon sehr waren schlecht und die Straßen in Afghanistan zum Teil vereist. Im Zelt schlafen war auch kein reines Vergnügen, war bissl mühsam, diese Rückfahrt.
Irgendwann sind wir dann wieder nach Nepal gefahren, bergsteigen. Aber da ist das Problem, das es im Sommer eigentlich ein Blödsinn  ist, weil da Monsun, Regen ist. Die Berge sind in den Wolken, du weißt, dass sie vielleicht da wären, die Achttausender, aber sehen tust du sie nicht. Und die Flüsse sind angeschwollen und du musst oft große Umwege machen, oder, sehr heikel, angeseilt mitten durch den Fluss durchwaten. Ist oft heikliger als eine Besteigung.
Und wie wir endlich dort waren, wo wir eine Besteigung machen wollten, hat es so geschüttet, wir sind nur auf dreieinhalb Tausend oder was, und dann haben wir‘s bleiben lassen müssen.
Wie wir in Kathmandu zurück waren, hat jemand gesagt, jetzt könnten wir nach Ladakh. Hab ich gesagt: bitte, Ladakh, wo ist denn das? Und da sind wir zum ersten mal nach Ladakh, wird so September gewesen sein. Dann hab ich mich erstens in das Land verliebt und zweitens hat es den Vorteil, dass, weil das schon nördlich der Himalaya-Hauptkette ist, dass dort der Monsun nicht hinkommt. Und mohammedanisch ist es auch nicht, das ist angenehmer. Ja, und da waren wir dann ein paar Mal dort.
Ich glaub‘, im Jahr darauf, da haben wir auf dieser zweitägigen Autobusfahrt nach Leh schon wieder ein bissl Meinungsverschiedenheiten gehabt. Weil ich hab‘ gehört, dass sich da viel verändert hat, da war der Heinrich Harrer, ein schrecklicher Mensch, der hat in Ladakh die große Businesschance für sich gewittert und Direktflüge nach Leh organisiert - das war der Anfang vom Tourismuswirbel. Und wie ich das gehört hab, wollt ich nicht mehr nach Leh fahren. Es gibt ja so viel anderes zu sehen. Aber der Walter ist eher jemand, der sagt, jetzt haben wir uns das so vorgenommen, da muss es so sein. Also, sind wir wieder auseinander und ich bin allein und zu Fuß… jössassna, nicht einmal die wichtigsten Ortsnamen fallen mir mehr ein. Also, Zaskar muss eine interessante Gegend sein, Karte hab ich keine g‘scheite gehabt. Da bin ich hingegangen und von Zaskar wieder über die Hauptkette und wieder durch Lahul nach Indien. War sehr schön, auch abenteuerlich, natürlich. Mit einer Menge Sprachschwierigkeiten, aber sehr schön. Da war ich 6 oder 8 Wochen unterwegs. Und bei der Gelegenheit war ich auch das einzige Mal über sechstausend. Weil der normale Weg, der ist eh schon, der Pass, auf fünftausendzweihundert, und da war ein schöner Tag, ist ein wunderschöner Schneeberg daneben gestanden, da hab ich mir gedacht, jetzt geh ich auf den auch noch. Das war das einzige Mal, dass ich auf einem Berg über sechstausend war, fünftausend war ich öfters. Da hab ich nicht einmal Steigeisen mitgehabt. Zwei Burschen, die waren höchsten vierzehn, fünfzehn, die sind mit mir, wegen dem ganzen Zeugs. Aber nach einem Tag haben sie zuviel Angst und Heimweh gekriegt, sind wieder umgedreht, da bin ich wieder dagestanden mit dem ganzen Zeug. Da hab ich mich 2 Tage abgezerrt mit dem und dann hab ich jemanden gefunden, einen sehr netten Menschen, der hat mir geholfen.

Dann war ich noch einmal alleine, und einmal mit einer Freundin, das war schon in den Achtziger Jahren und das letzte Mal mit meinem Sohn Gustl.

Es ist gut, wenn ich mir, in welcher Form immer, so Stücke der Vergangenheit zurückrufen will. Dann wenn ich es allein mach‘, ist es eigentlich immer mit so viel Selbstvorwürfen verbunden. Denk ich immer so stark nach, was da so ist an Sachen, die ich blöd gemacht hab‘ oder die nicht in Ordnung waren.