Tag #131164 - Interview #78309 (Paul Back)

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Meine Großmutter bemühte sich nach dem Tod des Großvaters weiterhin einen traditionellen Haushalt zu führen. Das war nicht immer leicht, weil sich das schon durch die physischen Gegebenheiten in einer so kleinen Wohnung mit vielen Kindern schwer aufrechterhalten lässt.

Sie versuchte milchiges und fleischiges [Dies geht auf die Bestimmung zurück: 'Du sollst das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter zubereiten.'] auseinander zu halten, obwohl das nicht einfach war, weil man getrenntes Geschirr und Besteck braucht. Trotzdem es ihr nicht gelang, den Haushalt hundertprozentig koscher zu führen, kam aber Schweinefleisch sicher nicht ins Haus!

Den Schabbat gestaltete sie feierlich. Es wurden Kerzen auf Leuchtern entzündet, es kam immer eine Challe [jüdische Festbrot in Zopfform], ein Schabbatbrot, auf den Tisch. Es roch auch anders, ein ganz besonderer Geruch war das.

Diese kleine Wohnung wurde geschrubbt und auf Hochglanz gebracht, das wurde all die Jahre beibehalten. Einmal im Jahr, zu den hohen Feiertagen, zu Rosch Haschanah [Jüdisches Neujahr] und zu Jom Kippur [jüdische Versöhnungstag; wichtigste Feiertag der Juden] ging meine Großmutter in den Tempel in der Klucky Gasse, aber sonst nicht. Die älteren Geschwister meiner Mutter lebten auch traditionell, die jüngeren kaum noch. Meine Mutter Miriam war genau in der Mitte.

Die Jüngeren sagten nichts gegen die Religion, denn vor ihrer Mutter hatten sie großen Respekt, aber sie machten sich eben nichts mehr daraus. Zum Beispiel fasteten am Jom Kippur die älteren Geschwister mit meiner Großmutter. Die jüngeren Geschwister, die nicht mehr traditionell lebten, versammelten sich im Kabinett und aßen heimlich. Ich habe das selber gesehen, und ich weiß, dass auch die Großmutter das wusste, die Augen davor aber großzügig verschloss.
Period
Location

Vienna
Austria

Interview
Paul Back