Tag #120241 - Interview #79228 (Irene Bartz)

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Wir mussten arbeiten. Ich habe immer für die Mutti und für mich gearbeitet, denn meine Mutti war ja nicht gesund. Die erste Zeit habe ich am Bau der Eisenbahnlinie gearbeitet. Die Schmalspurbahn wurde weiter in den Wald hineingebaut. Mit der Schmalspurbahn wurde auch gefälltes Holz in die Stadt transportiert. Früh am Morgen wurden wir unter Bewachung russischer Soldaten zur Arbeit in den Wald gebracht, und abends wurden wir wieder zurück gebracht. Das waren je vier Kilometer.

Auch viele junge russische Gefangene aus dem Lager neben unserem haben mitgearbeitet, ich glaube jedenfalls, dass sie alle Gefangene waren. Die Arbeit war schwer. Es wurden Kieselsteine mit der Bahn gebracht, die für das Schienen legen gebraucht wurden und die wir abladen mussten. So lang wir noch am Bau der Eisenbahnlinie gearbeitet haben, ging es halbwegs, aber dann wurden wir in den Wald zum Arbeiten geschickt.

Es war ein Wald mit Birken und Tannen. Wir hatten Brigadiere, die haben gesagt, welcher Baum gefällt werden soll. Wir haben von den Birken den Saft abgezapft und getrunken. Das hat man eigentlich nicht dürfen, weil man den Baum kaputt gemacht hat damit.

Im Birkenwald war der Boden immer feucht und schlammig. Wir hatten den Schlamm auch in den Schuhen, weil es keine richtige Arbeitskleidung gab. Und weil es immer feucht war, gab es viele Gelsen, die uns gefressen haben. Manches Mal sind wir nach Hause gekommen und hatten völlig geschwollene Hände und Gesichter.

Nach drei Wochen haben wir einen Koller bekommen. Diese Enge hat sich psychisch auf alle ausgewirkt. Das hat man Waldkoller genannt, wir sind einfach durchgedreht, weil wir nur die Birken und Tannen gesehen haben. Da haben uns die Russen an einen See gebracht, der vier Kilometer weit weg war. Das war ein herrlicher See mitten im Wald, riesengroß, da durften wir auch baden. Von dem See wurden wir dann ins Lager gebracht.

In den Mittagspausen gab es immer Hagebuttentee und Brot. Der Tee wurde in einem großen Kessel zu uns transportiert. In diesen Mittagspausen habe ich auch meine ersten Liebespaare gesehen. Das waren russischen Pärchen, die plötzlich verschwunden sind. Da wir auch Holz für die Öfen zum Kochen gesammelt haben, habe ich sie gesehen. Ich wusste nicht, wieso die verschwinden und was die machen. Aber es hat mich fasziniert.
Interview
Irene Bartz