Tag #120073 - Interview #79228 (Irene Bartz)

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Eines Nachts hat es an unserer Tür geklopft. Russen standen da und haben gesagt, wir sollen zusammenpacken. Das war 1940. Man hat uns von Lemberg zum Ural gebracht. Die Reise in Viehwaggons hat drei bis vier Wochen gedauert. Wo wir genau angekommen sind, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass wir dann mit einer Schmalspurbahn viele Kilometer gefahren sind, mitten in den Wald.

Dort war ein Lager, aber es war nicht eingezäunt, und es gab auch keine Aufpasser. Neben unserem Lager war noch ein Lager mit Russen. Unser Lagerarzt zum Beispiel war ein russischer Häftling. Was er angestellt hatte, weiß ich nicht. Für das Lager war der Wald gerodet worden, und auf der gerodeten Fläche standen Holzbaracken, größere und kleinere. In den Baracken waren drei- oder Vierbettzimmer.

Die Zimmer waren groß genug, dass die Betten nicht dicht nebeneinander stehen mussten. Es war Sommer als wir ankamen, und um uns herum war nichts als Wald. Es gab einen herrlichen Brunnen, von dem wir Wasser schöpften konnten, ansonsten gab es nichts - ich kann mich an keine Kantine, an kein Geschäft erinnern. Ich weiß auch nicht, wie die Lebensmittel zu uns gekommen sind.

In jeder Baracke gab es eine Kochmöglichkeit und einen Herd, den man mit Holz heizen konnte. Verköstigen mussten wir uns allein. Ich weiß, meine Mutti ist einige Male mit der Schmalspurbahn ins Städtchen gefahren, um Sachen zu verkaufen oder einzutauschen für Lebensmittel.

Zuerst haben wir in einem Zimmer gewohnt, später in einer größeren Baracke zusammen mit zwei Familien, aber das hat uns nicht gestört. Faszinierend waren die berühmten Weißen Nächte im Sommer, die es am Ural gibt, da ist es taghell.
Location

Russia

Interview
Irene Bartz