Tag #119845 - Interview #78288 (Ludwig Grossmann)

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Am 12. März marschierten deutsche Truppen nach Österreich ein. Ende Mai 1938 wurden mein Bruder und ich verhaftet. Zuerst hielt man uns in der Karajangasse [20. Bezirk] fest.

Von dort wurden wir am 2. Juni ins KZ Dachau [Deutschland] deportiert und am 23. September ins KZ Buchenwald [Deutschland], um in Dachau Platz für andere Juden zu schaffen. Mein Bruder und ich mussten im KZ Buchenwald aus der Quarantänestation die Toten heraustragen.

Mein Vater wurde im Herbst 1938 nach Buchenwald [KZ Buchenwald] deportiert. Nachdem er aus dem kleinen Lager ins große Lager gekommen war [Anm: Das Hauptlager im KZ Buchenwald war in 'kleines Lager' und 'großes Lager' gegliedert], wurde das Leben etwas leichter für ihn.

Er hat irgendwelchen Kapos gesagt, dass seine Kinder auch da sind. Die Kapos haben uns dann erlaubt, in der Quarantänestation mit ihm zu sprechen.

In Buchenwald war ich in einer Baracke mit Jura Soyfer zusammen, wir saßen am selben Tisch. Jura Soyfer war sieben Jahre älter als ich, der Altersunterschied hat dort eine große Rolle gespielt. Er war mit seinem Freund Max Hoffenberg Tag und Nacht beisammen.

Die beiden haben alles miteinander geteilt. Jura Soyfer war mit Doktor Hugo Ebner am 13. März 1938 beim Versuch, über die Berge in die Schweiz zu fliehen, verhaftet worden. Max Hoffenberg, Hugo Ebner und Jura Soyfer kannten sich von den sozialistischen Mittelschülern.

Die Österreicher hätten ihn durchgelassen, aber sie haben seinen Rucksack durchsucht, und da fanden sie Konservendosen. Dadurch wussten sie, dass er flüchten wollte.

Alle drei wurden erst nach Dachau [KZ Dachau] und dann mit uns nach Buchenwald [KZ Buchenwald] gebracht worden. Hoffenberg und Ebner haben den Krieg überlebt.

Jura Soyfer war auch Leichenträger wie mein Bruder und ich, dabei hat er sich dann angesteckt. Er sollte entlassen werden, aber es gab eine Typhus- Epidemie. Wir waren alle in Quarantäne. Man fürchtete, der Typhus könnte sich ausbreiten und hat alle Entlassungen gestoppt. Jura Soyfer ist an Typhus gestorben.

Meine Mutter hat wahrscheinlich bei der Kultusgemeinde für uns interveniert. Eine Zeit lang war es so, dass man freigelassen wurde, wenn man sich verpflichtet hat, zu emigrieren. Am 20. oder 28. April wurden mein Bruder und ich entlassen. Wir haben unterschreiben müssen, dass wir so schnell wie möglich aus Österreich weggehen.

Mein Vater wurde im August 1939 entlassen. Er hätte dann emigrieren können, aber wegen unserer Mutter ist er in Wien geblieben. Als mein Vater entlassen wurde, war mein Bruder schon weg. Er ist gleich nach seiner Entlassung im Mai 1939 nach England zu unserer Schwester gefahren.

Sie war schon 1938 als 'Domestic Servant' [Hausangestellte] nach England emigriert und hatte während des Krieges außerhalb Londons Deutsch unterrichtet. Ihren späteren Mann hat sie aus Österreich herausgeholt.
Period
Location

Germany

Interview
Ludwig Grossmann