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Grete, meine ältere Schwester, machte bei dem Fotografen, bei dem ihre Schwester als Verkäuferin gearbeitet hat, eine Lehre als Fotolaborantin. Das Besondere an dem Atelier war, dass Robitschek zuerst die Person in seinem Atelier zeichnete und dann von der Zeichnung das Foto machte. Nach ihrer Lehre wechselte Grete in das Fotogeschäft Rothschild und arbeitete dort als Fotolaborantin. Herr Rothschild war aus Deutschland nach Jerusalem gekommen. Als das Fotogeschäft zusperrte, begann sie beim Distriktkommissar von Gaza als Hausmädchen zu arbeiten. Das Baby der Familie betreute eine Krankenschwester aus Wien, meine Schwester war für die Fläschchenzubereitung und solche Dinge zuständig. Das war knapp vor 1939. Dann wurde Grete arbeitslos und lebte wieder zu Hause. Ihren Mann, Dennis Gordon Tayler, lernte sie in Jerusalem, im Militärspital, kennen. Es gab dort einen großen Saal, in dem Tanzveranstaltungen stattfanden. Aber da es kaum englische Frauen in Uniform gab, durften auch Zivilistinnen an den Tanzveranstaltungen teilnehmen. Es war aber strikt untersagt, dass die Angehörigen der Britischen Armee private Beziehungen mit diesen Zivilistinnen knüpften. Nachdem meine Schwester und der Dennis sich kennen gelernt hatten, haben sie sich trotzdem getroffen. Dennis stellte dann offiziell den Antrag bei seinem Vorgesetzten auf Bewilligung mit einer 'Eingeborenen', so wurde die nichtenglische Bevölkerung von den englischen Behörden genannt, zugehen. Daraufhin versetzte man ihn nach Kairo. Er hat aus Kairo viele Briefe an meine Schwester geschrieben, und sie musste am Anfang jedes Wort aus dem Wörterbuch suchen, denn sie konnte noch kein Englisch. Ein Jahr schrieben sie sich Briefe. Nach einem Jahr kam Dennis auf Urlaub nach Jerusalem und verbrachte eine Woche mit Grete auf einer Rundreise durch Palästina. Danach stellte sie ihn unseren Eltern vor. Das war komisch, denn unsere Eltern sprachen ja auch kein Englisch, aber er war ihnen sehr sympathisch. Sie feierten Verlobung, und Dennis stellte in Kairo den Antrag auf Bewilligung, eine 'Eingeborene' heiraten zu dürfen. Das wurde von den englischen Armeevorgesetzten auch abgelehnt und Dennis war schon ganz verzweifelt und wollte desertieren. Aber dadurch hätte er sich seine Zukunft verdorben. Es gab noch eine andere Möglichkeit: Wenn meine Schwester Angehörige der Britischen Armee wäre, dann könnten sie erneut einen Antrag auf Ehe stellen. Also meldete sich meine Schwester zur Britischen Armee. Sie wurde in Kairo Fotolaborantin bei der Luftwaffe. Das war ein sehr geheimer Posten, und sie wurde auch sehr schnell befördert. Aber als mein Schwager wieder den Antrag auf Eheschließung mit meiner Schwester stellte, wurde das wieder abgelehnt. Meine Schwester war sehr hübsch und suchte daraufhin um eine Audienz beim Vorgesetzten ihres Verlobten an, und sie schaffte es - es wurde eine Riesenhochzeit gefeiert. Dennis war kein Jude, meine Schwester trat zur anglikanischen Kirche über. Anfang 1944 bekam Dennis Heimaturlaub. Er stellte seine Frau seiner Familie in London vor und erreichte, dass sie in London bleiben durften. Er wurde 1946 aus der Armee entlassen und arbeitete dann wieder in seinem alten Beruf als Büroleiter einer Notariatskanzlei. Meine Schwester wurde Hausfrau. 1945 wurde Robert geboren. Er besuchte die Technische Hochschule und wurde Verkehrsregelungsexperte. Dennis starb 1991 und Robert ist bereits Pensionist. Grete lebt in London.
Interview
Max Tauber
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