Tag #119570 - Interview #78281 (Max Tauber)

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Im Februar 1934 [18] wurde sofort alles, was mit den Sozialdemokraten in Verbindung stand, unter Dollfuß [19] eliminiert. Die Sozialdemokratische Partei wurde verboten, alle Genossenschaften wurden aufgelöst, so dass mein Vater nicht nur politisch gefährdet war, sondern auch wirtschaftlich am Ende. Zum Vorstand der Schuhmachergenossenschaft wurde ein Nobelschuhmacher aus der Innenstadt - Lakovich hat er geheißen. Kurz nach dem 12. Februar hat er meinem Vater einen Brief geschrieben, dass er auf die Genossenschaft in der Florianigasse, im 8. Bezirk, kommen soll. Dort hat er zu meinem Vater gesagt: 'Herr Tauber, Sie können Ihre Funktion sofort wieder einnehmen, aber Sie müssen der Vaterländischen Front [20] beitreten.' Daraufhin hat mein Vater gesagt: 'Lieber Herr! Erstens bin ich a Jud und zweitens werde ich nicht mit dieser katholischen Partie zusammen arbeiten.' Daraufhin hat der Lakovich gesagt: 'Dann muss ich annehmen, dass Sie illegal weiter tätig sind. Herr Tauber, ich bin verpflichtet, gegen Sie Anzeige zu erstatten.' Im Mai 1934, eines Sonntags gegen sechs Uhr früh, wir lagen noch in unseren Betten, klopfte es draußen an der Tür. Es war der Bezirksoberinspektor der Kriminalpolizei vom Bezirk. Jeder hat ihn gekannt, der Rimbacher war eine markante Gestalt. Ich öffnete die Tür, er kam herein und sagte: 'Herr Tauber, bleiben Sie im Bett! Ich hab gegen Sie einen Haftbefehl, aber Sie sind ja nicht zu Haus. Ich werde im Protokoll festhalten, dass ich Sie nicht angetroffen hab. Ich mache Sie darauf aufmerksam, lassen Sie sich hier nicht mehr sehen.' Alle Leute, die sich politisch verdächtig gemacht hatten, sind in das erste österreichische Konzentrationslager nach Wöllersdorf gekommen. Das war aber nichts anderes als ein Gefängnis, es war nicht zu vergleichen mit den deutschen Konzentrationslagern.

Mein Vater ist untergetaucht. Zuerst war er bei seinem Bruder und hat versucht, irgendwie ins Ausland zu kommen. Er ist in der Nacht nach Haus gekommen und sehr zeitlich wieder gegangen, aber es kam niemand mehr. Seine Partei hatte Kontakt zur Sowjetunion, aber da war zum Glück nach Februar 1934 eine Einreisesperre. Die haben nur die ersten Schutzbündler [21], die am 12. Februar nach Bratislava geflüchtet waren, aufgenommen. Die sind dann in die Sowjetunion emigriert, es sind aber nur wenige zurückgekommen, viele wurden dort ermordet. Mein Vater ist dann aufs Palästinaamt [22] gegangen, das war eine private Organisation, und konnte Kontakt mit einem Fabrikanten, der in Jerusalem eine Schuhfabrik gegründet hatte, aufnehmen.
Period
Location

Wien
Austria

Interview
Max Tauber