Selected text
Von der ersten Klasse bis zum Schulaustritt hatte ich Religionsunterricht. Das war immer an einem Wochentag, meistens an einem Mittwoch, in der Volksschule eine Stunde und später in der Hauptschule zwei Stunden. Zuerst einmal haben wir die Grundbegriffe, das Schema Israel [jüdisches Hauptgebet], also die Gebete, gelernt. Im Laufe der Jahre sind wir das ganze Alte Testament durchgegangen, die jüdischen Riten, alles, was zur Jüdischkeit gehört. Der Lehrer hieß Antscherl, der Vorname ist mir entfallen. Er war in gewisser Hinsicht ein Genie: Wir haben miterlebt, wie Adam und Eva sich im Paradies bewegt haben, wie Kain den Abel erschlagen hat, denn so anschaulich hat er das geschildert. Er hat uns die einzelnen Buchstaben erklärt, das Aleph ist nach allen Seiten offen, die Ziffer 5 sieht genauso aus wie der Buchstabe A, jeden Buchstaben hat er uns so erklärt, dass wir ihn uns einprägen konnten. Alle, die das dreizehnte Lebensjahr erricht hatten, hat er im Stadttempel, in der Seitenstättengasse, zusammengefasst. Dort, in der Kultusgemeinde in einem Raum, hat er uns das Tefillin legen gelehrt.
Period
Location
Wien
Austria
Interview
Max Tauber