Tag #119216 - Interview #79443 (Rachelle Muzicant)

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Mein zweiter Mann hieß Marcel Orenstein. Es war Zufall, dass wir uns wieder getroffen haben. Ich kannte ihn bereits in meiner Jugend, denn wir waren Jugendfreunde. Er gehörte zu der Gruppe Jugendlicher, zu der ich auch gehörte. Ich war schon damals verliebt in ihn. Aber in meiner Jugendzeit waren die Beziehungen zwischen den jungen Leuten anders als heute. Da war man noch so ein bisschen mehr auf Abstand. Er ist mit seiner Familie vor mir nach Bukarest gezogen, da war ich noch in Galatz. Und dann habe ich in Bukarest meinen Mann kennen gelernt und geheiratet, und wir sind nach Israel emigriert. Marcel hat fünfzig Jahre in Rumänien gelebt. Er war Textilingenieur in Bukarest. Seine Eltern sind dort geblieben und gestorben. Er hat geheiratet, hat sich aber scheiden lassen und seinen Sohn zu sich genommen. Seine Mutter hat den Buben praktisch aufgezogen. Mein Mann war ja die Generation meiner Brüder, und die hatten Freunde. Und einer von denen war ein sehr, sehr, guter Mensch. Er war wirklich wie unser Bruder, denn er ist als Christ unter Juden aufgewachsen. Er hieß Cornelius Stefanescu, war Anwalt und mit einem Cousin von ihm bin ich noch in Verbindung gestanden. Dieser Cousin lebt seit langer Zeit in Schweden. Cornelius Stefanescu hat erfahren, dass ich verwitwet bin. Seine Tochter wiederum war nach Amerika ausgewandert. Er wollte zu ihr nach Amerika, hatte ein Ausreisevisum aus Rumänien bekommen, musste aber in Rom noch auf seine Papiere warten. Da habe ich gesagt, dass ich nach Rom komme, um ihn zu sehen. Wir waren zwei Wochen in Rom und haben viel über die Vergangenheit gesprochen. Und er hat mich gefragt, ob ich mich nicht vielleicht einmal mit dem Marcel treffen möchte. Und ich habe gesagt, dass ich es nicht weiß. Wir hatten uns ja die ganzen Jahre nicht gesehen und auch nichts voneinander gehört, denn mein Mann war sehr eifersüchtig auf diese Bekanntschaft. Wir hatten uns ja nicht getrennt, sondern das Leben hatte uns auseinander gerissen. Cornelius ist nach Amerika gefahren, hat sich dort aber nicht einleben können und ist wieder nach Bukarest gegangen. Dort hat er den Marcel getroffen und hat unser erstes Treffen eingefädelt. .Das war eben Schicksal.

Als wir uns das erste Mal getroffen haben, war das sehr ergreifend. Er war mir trotz der vielen Jahre, die vergangen waren, relativ vertraut. Einen ganz Fremden hätte ich nicht kennen lernen wollen und können. Ich war so eingeschüchtert. Aber nachdem wir doch die Kindheit miteinander verbracht hatten, gab es viel, was uns verbunden hat. Auch die Kriegsjahre und vor allem habe ich seine Familie gekannt, wir hatten denselben Background, und das war schon besonders verbindend. Wenn daraus ein Film gemacht werden würde, würde man sagen, das sei Kitsch. Als mein Mann gestorben ist, war ich 50 Jahre alt, und 53 Jahre war ich alt, als mein zweiter Mann nach Wien gekommen ist. Wir waren also noch jung. Marcel war ein Jahr älter als ich. Als er kam, war mein Sohn Ari schon verheiratet, und meine Tochter Daisy war achtzehn Jahre alt. Wir haben gut zusammengelebt. Vor vier Jahren ist Marcel gestorben.
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Interview
Rachelle Muzicant
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