Tag #119082 - Interview #78302 (Hannah Fischer)

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Unvergesslich ist die Zeit von März 1938 bis zum Schuljahresende 1938 für mich. Das waren meine letzten Monate in Wien vor der Emigration. Da kamen viele Schüler in die Schule, die aus den anderen Schulen ausgeschult worden waren, weil sie jüdisch waren. Ich glaube, wir waren zu dieser Zeit über 50 Kinder in der Klasse.

Die dazu gekommenen Kinder haben mich tief beeindruckt. Die waren alle sehr deprimiert, weil sie zum Teil nicht einmal gewusst hatten, dass sie Juden sind. Sie waren oft aus getauften Familien, christlich erzogen, und auf einmal waren sie Juden. Das werde ich nie vergessen können.

Die ganze Klassengemeinschaft hat sich um diese Kinder gekümmert, wir nahmen sie absolut auf. Aber es gab schon eine Stimmung der Auflösung; mehrere wussten, dass sie emigrieren werden. Es war nur noch eine 'Schule auf Zeit' für viele der Schüler.

Meiner Lateinlehrerin Frau Dr. Klein-Löw ist dann die Flucht nach England gelungen, wo sie als Hausgehilfin gearbeitet hat. Lydia ist die Flucht nach Amerika gelungen. Nelly Szabo, auch eine Freundin aus der Schule, flüchtete ebenfalls nach Amerika.

Ich hatte noch längere Zeit Kontakt zu ihr, aber wenn man sich nie sieht, dann verliert sich das irgendwann. Etlichen aus meiner Klasse gelang die Flucht, aber natürlich nicht allen. Meistens schafften es die wohlhabenderen Familien. Den ärmeren Familien gelang die Flucht oft nicht mehr. Manchmal gelang es ihnen aber wenigstens, ihre Kinder wegzuschicken.

Wie alle jüdischen Kinder ist natürlich auch mein Bruder aus seiner Schule geworfen worden und musste dann im 14. Bezirk in eine Sammelschule für Juden gehen.

Mein Vater hatte in der Nähe des Aspanger Flughafens - dieser Flughafen existierte seit 1912 - ein Grundstück gekauft und bearbeitet. Er hatte es dort gekauft, weil es billig war. Jedes Wochenende fuhren wir also von der einen auf die andere Seite Wiens, nach Eßling, - das war eine lange Fahrt.

Allerdings mussten wir am Schwedenplatz umsteigen, da gab es schon damals das herrliche Eisgeschäft, das es auch heute noch gibt. Wir bekamen jedes Mal ein Eis um zehn Groschen. Ende März 1938 wurde mein Vater verhaftet. Der Nachbar des Grundstückes in Eßling war ein Nazi, das wussten wir. Und dieser Nachbar wollte unser Grundstück haben.
Year
1938
Interview
Hannah Fischer