Selected text
Es wird jetzt viel über linken Antisemitismus in der Kommunistischen Partei gesprochen, das ist ein beliebtes Diskussionsthema. Die Linke hat sehr viele Sünden begangen, aber das ist eine ihrer geringsten. Dass es in der Linken nicht nur Judenfreunde gab, ist ein anderes Kapitel, aber Antisemitismus würde ich nicht sagen. Im Gegenteil, ich bekam durch die Kommunisten sehr rasch gesellschaftlichen Anschluss. Ich kann mir das Leben ohne Kommunistische Partei, in den ersten Jahren nach meiner Rückkehr nach Österreich, nicht vorstellen.
Es ist schwierig, was man als Antisemitismus bezeichnet und was nicht. Ich kannte jemanden in der Kommunistischen Partei, der sagte öfter: ‚Wenn alle Juden so wären wie du!’ Das empfand ich damals nicht als sehr arg, teilweise gab ich ihm Recht. Es gab zum Beispiel im 4. Bezirk zwei jüdische Genossen, denen es relativ gut ging. Jeden Sonntag, bis Mitte oder Ende der 1950er-Jahre, gingen wir von Tür zu Tür und verkauften die Volksstimme [Zeitung der Kommunistischen Partei Österreichs]. Einmal im Monat nahmen sich die zwei jüdischen Genossen auch zehn Volksstimmen, die fand man nachher im Mistkübel. Sie zahlten die zehn Schilling, es war kein Problem für sie. Und da regten sich die anderen Genossen auf und brachten das mit deren ‚jüdisch sein’ in Verbindung. Aufgeregt habe ich mich auch, ich habe es mit dem ‚intellektuell sein’ in Verbindung gebracht, aber jüdisch und intellektuell sind verwandt in Österreich. Da in der Arbeiterschaft aus verschiedenen historischen Gründen ein Antiintellektualismus vorhanden ist, und die meisten Intellektuellen in den beiden Arbeiterparteien in der Zwischenkriegszeit Juden waren, war antijüdisch und antiintellektuell sehr verwandt. Das ist eine Sache, die bei Diskussionen oft nicht berücksichtigt wird.
Manchmal wusste ich nicht, soll ich mich ärgern oder lachen. Mein bester Kunde war lange Zeit ein katholischer Betrieb. Einmal kam ich zu einem Herrn, und der sagte zu mir:
‚Heans, i hob gor net g’wußt, dass Sie a Jud san [Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie ein Jude sind]!’ Da dachte ich, den bin ich los, aber dann sagte er:
‚Mochen’s eaner nix draus, ihre liebe Konkurrenz hot mir dös g’sogt, aber i bin a a Flüchtling aus Ostpreißen, und wir Flüchtlinge müssen zammenhalten [Machen Sie sich nichts daraus, ihre liebe Konkurrenz hat mir das gesagt, aber ich bin auch ein Flüchtling aus Ostpreußen und wir Flüchtlinge müssen zusammenhalten]!’ Nachher erzählte er mir einen katholischen Witz und ich ihm einen jüdischen. Wir unterhielten uns immer gut, leider ging er bald in Pension.
Von Herzl [25] gibt es etliche Zitate, in denen er gegen Juden polemisiert. Er benützt als Argument, dass sie Juden sind. Das gleich als Antisemitismus zu bezeichnen, scheint beim Herzl besonders schwer. Aber was man ihm zu Gute hält, muss man dem Danneberg [26] oder dem Bauer [27] auch zu Gute halten, die das auch getan haben. Es gibt ein Buch vom Spira [28], das heißt ‚Feindbild Jud’. Er beschreibt da eine Parlamentssitzung, wo christliche Banken zu Grunde gehen, und die hatten zum Großteil jüdische Prokuristen. Der Danneberg, selber ein Jude, sagte im Parlament zum Beispiel: ‚Zu Grunde gegangen ist die und die Bank, der Prokurist hieß: Moishe Rosenschwanz aus Czernowitz!’ Es war immer Applaus, aber dass der Danneberg dann in Auschwitz zu Grunde ging, ist eine andere Sache. Oder dass der Bauer glaubte, dass die Nazis 1932 so viel bei den Gemeinderatswahlen auf Kosten der Christlichsozialen gewannen, weil die Christlichsozialen den Antisemitismus nicht ernst nahmen, aber das Geld von den Juden nahmen. Der Emmerich Strasser gab denen sicher auch eine Spende. Das ist ein schwieriges Kapitel!
Es ist schwierig, was man als Antisemitismus bezeichnet und was nicht. Ich kannte jemanden in der Kommunistischen Partei, der sagte öfter: ‚Wenn alle Juden so wären wie du!’ Das empfand ich damals nicht als sehr arg, teilweise gab ich ihm Recht. Es gab zum Beispiel im 4. Bezirk zwei jüdische Genossen, denen es relativ gut ging. Jeden Sonntag, bis Mitte oder Ende der 1950er-Jahre, gingen wir von Tür zu Tür und verkauften die Volksstimme [Zeitung der Kommunistischen Partei Österreichs]. Einmal im Monat nahmen sich die zwei jüdischen Genossen auch zehn Volksstimmen, die fand man nachher im Mistkübel. Sie zahlten die zehn Schilling, es war kein Problem für sie. Und da regten sich die anderen Genossen auf und brachten das mit deren ‚jüdisch sein’ in Verbindung. Aufgeregt habe ich mich auch, ich habe es mit dem ‚intellektuell sein’ in Verbindung gebracht, aber jüdisch und intellektuell sind verwandt in Österreich. Da in der Arbeiterschaft aus verschiedenen historischen Gründen ein Antiintellektualismus vorhanden ist, und die meisten Intellektuellen in den beiden Arbeiterparteien in der Zwischenkriegszeit Juden waren, war antijüdisch und antiintellektuell sehr verwandt. Das ist eine Sache, die bei Diskussionen oft nicht berücksichtigt wird.
Manchmal wusste ich nicht, soll ich mich ärgern oder lachen. Mein bester Kunde war lange Zeit ein katholischer Betrieb. Einmal kam ich zu einem Herrn, und der sagte zu mir:
‚Heans, i hob gor net g’wußt, dass Sie a Jud san [Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie ein Jude sind]!’ Da dachte ich, den bin ich los, aber dann sagte er:
‚Mochen’s eaner nix draus, ihre liebe Konkurrenz hot mir dös g’sogt, aber i bin a a Flüchtling aus Ostpreißen, und wir Flüchtlinge müssen zammenhalten [Machen Sie sich nichts daraus, ihre liebe Konkurrenz hat mir das gesagt, aber ich bin auch ein Flüchtling aus Ostpreußen und wir Flüchtlinge müssen zusammenhalten]!’ Nachher erzählte er mir einen katholischen Witz und ich ihm einen jüdischen. Wir unterhielten uns immer gut, leider ging er bald in Pension.
Von Herzl [25] gibt es etliche Zitate, in denen er gegen Juden polemisiert. Er benützt als Argument, dass sie Juden sind. Das gleich als Antisemitismus zu bezeichnen, scheint beim Herzl besonders schwer. Aber was man ihm zu Gute hält, muss man dem Danneberg [26] oder dem Bauer [27] auch zu Gute halten, die das auch getan haben. Es gibt ein Buch vom Spira [28], das heißt ‚Feindbild Jud’. Er beschreibt da eine Parlamentssitzung, wo christliche Banken zu Grunde gehen, und die hatten zum Großteil jüdische Prokuristen. Der Danneberg, selber ein Jude, sagte im Parlament zum Beispiel: ‚Zu Grunde gegangen ist die und die Bank, der Prokurist hieß: Moishe Rosenschwanz aus Czernowitz!’ Es war immer Applaus, aber dass der Danneberg dann in Auschwitz zu Grunde ging, ist eine andere Sache. Oder dass der Bauer glaubte, dass die Nazis 1932 so viel bei den Gemeinderatswahlen auf Kosten der Christlichsozialen gewannen, weil die Christlichsozialen den Antisemitismus nicht ernst nahmen, aber das Geld von den Juden nahmen. Der Emmerich Strasser gab denen sicher auch eine Spende. Das ist ein schwieriges Kapitel!
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Interview
Paul Rona
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