Tag #118608 - Interview #78311 (Richard Kohn)

Selected text
Im Jahre 1995 kam der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky nach Israel, gestand die Schuld Österreichs am Holocaust ein und wandte sich als erster Bundeskanzler Österreichs nach dem Holocaust an die österreichischen Juden. Jeder vertriebene frühere Staatsbürger Österreichs sollte den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft Österreichs haben. Ich bekam einen großen Schein und reichte den Antrag in der österreichischen Botschaft in Tel Aviv ein. Mein Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, ich hätte eine russische Frau und russische Töchter.

Mein Enkel Sergej hatte in Israel zum zweiten Mal eine Universität absolviert und keine Hoffnung auf eine Arbeit. Er wollte mit seiner Schwester Olga und seiner Freundin zusammen nach Wien fahren und in Wien noch einmal eine Universität besuchen, das war im Jahre 2001. Das klappte und sie gingen nach Wien. Sie wohnten bei Frau Barbara Trimmel, einer Priesterin der evangelischen Kirche. Frau Trimmel half auch mir, als ich nach Wien kam. Meiner Frau ging es schlecht in Israel, sie vertrug die Hitze nicht, und mich zog Wien magisch an - es ist eben doch meine Heimat. Ich fuhr nach Wien und im Rathaus bestätigte ein Beamter mein Recht auf die österreichische Staatsbürgerschaft, weil ich ja nicht wirklich freiwillig eine andere Staatsbürgerschaft angenommen hatte.

Mein Enkelsohn Sergej bereitete alles vor, fand eine Wohnung für uns, denn auch meine jüngere Tochter, seine Mutter, mit ihrem Mann und den noch in Israel lebenden Kindern, Shenja und Andrej zogen nach Wien. Mein Enkel Alexander lebt in Chicago. Im Jahre 2002 übersiedelten wir nach Wien. Wir wohnen in einer Wohnung zu sechst am Rande Wiens, im 21. Bezirk, in Stammersdorf. So hatte ich mir das gewünscht, ich wollte in die Natur. Aber ich will doch in das jüdische Altersheim übersiedeln. Es ist schwer für die anderen, einen alten Mann im Rollstuhl zu betreuen. Jetzt bin ich ein oder zweimal in der Woche dort im Tagesheim.

Meine österreichische Staatsbürgerschaft bekam ich nicht sofort, aber ESRA [17] half mir dabei. Ich hatte Glück, man fand meinen Pass, den ich 1953 zurück geschickt hatte. Meine Frau wurde automatisch auch Staatsbürgerin, leider nur für drei Monate. Nach drei Monaten in Wien ist sie gestorben, und ich musste sie begraben.
Period
Interview
Richard Kohn