Tag #118606 - Interview #78294 (Herbert Lewin)

Selected text
Dann hat unser Rabbiner mir eine Lehrstelle in einem Kolonialwaren-Geschäft besorgt. Ich wollte auch von zu Hause weg, denn ich hab gesehen, die Eltern hatten nichts mehr zu essen. Mein Vater ist mit mir zum Besitzer des Geschäfts gefahren, aber als sich herausstellte, dass ich mit dem geistig behinderten Kind der Familie in einem Zimmer schlafen sollte, hat mein Vater mich gleich wieder mit nach Hause genommen. Ein paar Monate später hat mir der Rabbiner eine Lehrstelle als Bäcker besorgt. Ich war glücklich, mein Freund Hans war Bäcker, und ich wollte deshalb auch Bäcker werden. Das war schon immer mein Traum, das zu machen, was er macht, denn wir waren ja ein Herz und eine Seele.

Der Bäcker war Jude, aber in der Backstube arbeitete ein Nazi, der hat nur auf die Arisierung gewartet. Was ich gelernt hab, hab ich nur vom Zuschauen und vom eigenen Üben gelernt. Kostgeld haben meine Eltern zahlen müssen, die Schmutzwäsche habe ich per Post nach Hause schicken müssen, essen musste ich bei einer Bekannten. Mit einem jungen Mann, den ich kennen gelernt hatte, bin ich sonntags mit dem Rad auf die Dörfer zu den Bauern gefahren. Wir wussten, bei denen wird uns nichts passieren.
Interview
Herbert Lewin