Selected text
Durch die österreichische kommunistische Tageszeitung 'Volksstimme' hatte ich zwei Briefmarkenfreunde in Österreich, einen in Wien und einen in Linz. Einmal fragte mich der Wiener Briefmarkenfreund, ob ich ihn besuchen will. Natürlich wollte ich ihn besuchen, und er schickte mir eine Einladung. Damit ging ich zu den Behörden und die sagten: 'Das gibt es gar nicht. Sie können nicht nach Österreich fahren.' Als Sowjetbürger konnte ich natürlich in der Sowjetunion herumreisen. Ich war sogar zweimal kostenlos in einen Kurort. Meine Frau und ich machten am Schwarzen Meer Urlaub, wir waren auf der Krim, aber wir durften nicht ins Ausland, nicht ins sozialistische und erst recht nicht ins kapitalistische Ausland. Ich schrieb meinem Briefmarkenfreund über die Absage. Daraufhin schrieb er dem damaligen österreichischen Bundespräsidenten Doktor Rudolf Kirchschläger. Zufällig kam Doktor Kirchschläger nach fünf Monaten nach Moskau zu Besuch. Auf einmal bekam ich Bescheid, ich soll mich noch einmal auf der Dienststelle melden. 'Was wollen Sie denn in Österreich machen', wurde ich gefragt. 'Ich will mich am Grab meiner Verwandten verbeugen. Ich will schauen, wie es in meiner alten Heimat aussieht, Österreich ist ein schönes Land', habe ich gesagt.
Ich musste dann ins Ministerium für Innere Angelegenheiten. Sie wollten wissen, wie meine Verwandten heißen, und ich schrieb alles auf. Nach einer Woche musste ich mit meiner Frau noch einmal ins Ministerium, und wir bekamen die Erlaubnis, nach Wien zu fahren. 'Hören Sie', sagte der Beamte, 'wenn Sie dort bleiben wollen, sagen Sie es gleich, dann muss ich andere Papiere ausfüllen.' Wenn ich das gesagt hätte, hätte er meine Papiere gleich zerrissen, aber ich wollte ja gar nicht in Österreich bleiben. Dann wollte er mir erklären, wie ich mich in Österreich zu benehmen habe. Ich sagte: 'Haben Sie keine Angst, ich weiß, wie man sich in Österreich benimmt.' 'Und noch etwas', sagte er, 'sagen Sie nichts Schlechtes über die Sowjetunion!' Das hatte ich sowieso nicht vor, denn ich hatte mich an das Leben bereits angepasst.
Meine Frau und ich mussten zuerst nach Moskau in die österreichische Botschaft. Aber niemand wollte uns sagen, wo sich in Moskau die österreichische Botschaft befand. Daraufhin übernachteten wir in einem Hotel, was nicht so einfach war, denn es war schwer in Moskau als Inländer ein Zimmer zu bekommen. Aber als ich sagte, ich fahr nach Österreich, und bin auch fast ein Österreicher, außerdem ein Invalide, bekamen wir ein Zimmer. Am nächsten Morgen rief ich im Ministerium für ausländische Angelegenheiten an und die sagten, sie könnten mir die Adresse der Botschaft nicht mitteilen. Meine Frau war sehr aufgeregt, aber dann hielten wir ein Taxi auf der Strasse an. Der Fahrer kannte die Adresse und fuhr mit uns zur Botschaft. Vor der Botschaft in einer Hütte stand ein Uniformierter.
Der österreichische Botschaftssekretär hat sich dann rührend um uns gekümmert. Er übergab uns die Papiere mit der Bitte, ihn nach unserem Fahrkartenkauf noch einmal zu kontaktieren, ob alles geklappt hätte. Das haben wir auch getan. Im Zug haben wir einen hohen Offizier kennen gelernt, der sich meine Lebensgeschichte anhörte, fast einen Liter Wodka getrunken hat, sehr fröhlich wurde und sagte: 'Hoffentlich werden euch diese Schweine in Österreich nicht beleidigen! Das sind Kapitalisten, da muss man vorsichtig sein.' Dann haben wir einige Botschaftsangehörige aus der russischen Botschaft in Wien kennen gelernt, die uns ihren Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen haben, weil sie glaubten, wir seien jüdische Dissidenten. Nachdem der hohe Offizier alles klärte, fuhren wir unbehelligt nach Wien.
Wien! Mein Herz schlug schneller. Im Jahre 1939 musste ich Wien verlassen, und nun war das Jahr 1984. Es war Weihnachten, überall waren Lichter. Am Bahnhof erwarteten uns mein Briefmarkenfreund mit seiner Frau, die Enkeltochter von Frau Pscheid, mit der ich in Hirschbach gespielt hatte, und ihr Mann. Noch auf dem Bahnhof gingen wir in ein Lokal und tranken ein bisschen Wein. Dann fuhren wir mit einem Taxi zu meinem noch unbekannten Wiener Briefmarkenfreund, wo wir die ersten Tage wohnten. Er war ursprünglich Kroate, hatte aber nach dem Krieg in Argentinien, Spanien, Italien und Uruguay gelebt. Ich weiß nicht genau, in welchem Jahr er nach Österreich kam.
Kaum waren wir angekommen, sagte er, er hätte für uns ein Treffen in einem Restaurant mit seinem Freund, dessen Frau gerade gestorben sei, arrangiert. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Taxi zu diesem Restaurant. Der Freund hatte eine große Narbe im Gesicht und stechende Augen, aber er war sehr nett. Er zeigte mir ein Familien Fotoalbum und dann sagte er: 'Ich möchte eine Erinnerung an unser Treffen hier, ich möchte Ihre Unterschrift.' Das gefiel mir nicht und ich habe gefragt: 'Was heißt, meine Unterschrift?' Er wollte meine Unterschrift auf ein leeres Blatt Papier. Ich dachte, was ist denn das? Vielleicht ist es genau das, wovor mich die Mitarbeiter des Ministeriums zu Hause gewarnt hatten? 'Was soll ich schreiben? Ein kleines Gedichtchen', habe ich ihn gefragt. 'Nein, nein, nur die Unterschrift als Andenken', sagte er. Ich wusste nicht, wie ich aus dieser Sache herauskommen sollte. Ich konnte ja nicht einfach aufstehen und gehen. Also blieb ich sitzen, der Freund hat immer mehr getrunken und gab auch mir immer mehr zu trinken. Dann habe ich plötzlich gesagt: 'Mir ist schlecht. Ich hab ein schlechtes Herz und brauche meine Spritze, die liegt zu Hause in meinem Zimmer.' Meine Frau hat einen Schreck bekommen, aber ich habe ihr zugeflüstert, dass alles in Ordnung ist. Durch die Begegnung mit dem Herrn im Restaurant habe ich mich in Wien nicht mehr gut gefühlt. Ich war ängstlich und hatte das Gefühl, beobachtet zu werden.
Mein Briefmarkenfreund hat ständig mit mir über den Kommunismus diskutieren wollen. Das wollte ich nicht, denn manche Sachen waren doch im Sozialismus nicht so schlecht. Es stimmt, Stalin hat sein eigenes Volk umgebracht, der Hitler andere Völker. Aber darüber wollte ich nicht diskutieren, ich begann mich fremd zu fühlen und war verkrampft. Dann habe ich mit meinem anderen Briefmarkenfreund in Linz telefoniert. Er verstand sofort, dass es mir in Wien nicht sehr gut geht, und kam am nächsten Tag aus Linz nach Wien, um meine Frau und mich zu sich zu holen. Er war schon in Pension, hatte eine kleine, aber sehr schöne Wohnung und dort fühlten wir uns sehr wohl.
Dann besuchten wir Hirschbach im Waldviertel. Das ist der Ort, wo ich jedes Jahr im Sommer, in meiner Kindheit, drei Monate mit meiner Großmutter verbracht habe. Da habe ich meine alte Freundin wieder getroffen. Das war schön. Ich habe auch ihren Mann kennen gelernt, der war bei der Waffen SS. Ich habe auch ein bisschen über mein Leben erzählt. An einem Nachmittag kam viel Besuch, und der Freund der Tochter schimpfte ständig über die Kommunisten. Für mich war das nicht schön, ich hatte versprochen nichts Schlechtes zu sagen, und ich habe nichts Schlechtes über den Kommunismus gesagt. Ich wusste, dass viel nicht in Ordnung ist, aber ich habe nicht einmal über den Kommunismus geschimpft.
Ich traf meinen alten Freund, der während des Krieges Aufklärungsflieger im Norden der Sowjetunion war. Er hat mir erzählt, er hätte nie geschossen. Ich hab ihm gesagt: 'Weißt du, jeder der im Krieg war, hat nicht geschossen. Alle liefen nur mit ihren Fäusten hin und her, aber keiner hat geschossen! Er sagte: 'Ich sag dir ehrlich, ich hab nicht geschossen, und wir wussten an der Front auch nichts über die Gräueltaten der Nazis.' Ich kann das glauben oder ich kann es nicht glauben, aber sollte ich denen böse sein?
Sie kümmerten sich sehr lieb um uns und als ich später, wieder in Karaganda, im Krankenhaus lag, bekam ich ein Telegramm aus der Steiermark: 'Es tut uns leid, dass du im Krankenhaus bist, wir wünschen dir gute Besserung.' Als meine Frau starb, bekam ich 70 Euro für Blumen für ihr Grab.
Im Maimonides Heim, dem jüdischen Altersheim in Wien, im 19. Bezirk, lebte 1984 noch meine Tante Sofie, die Frau von meinem Onkel Emanuel, der schon 1951 in Wien gestorben war. Tante Sofie wurde 1985, es war Anfang 1985, als ich sie besuchte, 99 Jahre alt. Als wir uns nach 45 Jahren begegneten, umarmten wir uns und weinten. Sie konnte nicht verstehen, dass ich neben ihr stand. Ich habe dann einen Freund aus meiner Kinderzeit getroffen, der war immer gegen die Nazis. Er wurde Professor und ist Verfasser vieler wissenschaftlicher Werke. Dann hatte ich noch viele nette Begegnungen, und es ging mir dann so gut, dass ich bei der russischen Botschaft in Wien um eine Verlängerung unserer Visa bat, und sie auch bekam. Tante Sofie hoffte auf ein Wiedersehen zu ihrem 100. Geburtstag, aber man ließ mich nicht fahren und so sahen wir uns nicht wieder. Sie starb einige Monate nach ihrem 100. Geburtstag.
Ich wollte meine alte Wohnung noch einmal sehen und sie auch meiner Frau zu zeigen. Die Familie, die in meiner Wohnung wohnte, war sehr nett und sie erzählten, dass sie die Wohnung von einem blinden Mann gekauft hätten, also von unserem Ariseur. Ich wandte mich mit Briefen an den Bürgermeister mit der Bitte, mir die Wohnung zurück zu geben. Ich schrieb, ich will zurück nach Wien und die Wohnung hat man schließlich meiner Familie gestohlen, aber ich habe eine Absage bekommen. Wenigstens konnte ich meiner Frau zeigen, wo ich gewohnt hatte. Auf dem Döblinger Friedhof hatte ich Angst, ich würde das Grab meiner Familie nicht finden, weil ich schon viel vergessen hatte, aber ich fand es. In dem Grab liegen meine Großeltern Kohn, mein Onkel Hieronymus und meine Tante Adele Herzog und mein Onkel Emanuel Kolm. Alle liegen zusammen in einem Grab. 1986 kam auch Tante Sofie dazu, aber das wusste ich noch nicht.
Ich bekam viel Gastfreundschaft zu spüren, und ich war sehr dankbar, aber ich fühlte mich nicht wie zu Hause, ich war ein Fremder in Österreich geworden. Mein 'zu Hause' war in Karaganda. Da hatte ich meine Freunde, da lebten meine Töchter. Trotzdem dachte ich über eine Übersiedlung nach Österreich nach, obwohl ich das Gefühl hatte, nie aus der Sowjetunion herauszukommen.
Ich musste dann ins Ministerium für Innere Angelegenheiten. Sie wollten wissen, wie meine Verwandten heißen, und ich schrieb alles auf. Nach einer Woche musste ich mit meiner Frau noch einmal ins Ministerium, und wir bekamen die Erlaubnis, nach Wien zu fahren. 'Hören Sie', sagte der Beamte, 'wenn Sie dort bleiben wollen, sagen Sie es gleich, dann muss ich andere Papiere ausfüllen.' Wenn ich das gesagt hätte, hätte er meine Papiere gleich zerrissen, aber ich wollte ja gar nicht in Österreich bleiben. Dann wollte er mir erklären, wie ich mich in Österreich zu benehmen habe. Ich sagte: 'Haben Sie keine Angst, ich weiß, wie man sich in Österreich benimmt.' 'Und noch etwas', sagte er, 'sagen Sie nichts Schlechtes über die Sowjetunion!' Das hatte ich sowieso nicht vor, denn ich hatte mich an das Leben bereits angepasst.
Meine Frau und ich mussten zuerst nach Moskau in die österreichische Botschaft. Aber niemand wollte uns sagen, wo sich in Moskau die österreichische Botschaft befand. Daraufhin übernachteten wir in einem Hotel, was nicht so einfach war, denn es war schwer in Moskau als Inländer ein Zimmer zu bekommen. Aber als ich sagte, ich fahr nach Österreich, und bin auch fast ein Österreicher, außerdem ein Invalide, bekamen wir ein Zimmer. Am nächsten Morgen rief ich im Ministerium für ausländische Angelegenheiten an und die sagten, sie könnten mir die Adresse der Botschaft nicht mitteilen. Meine Frau war sehr aufgeregt, aber dann hielten wir ein Taxi auf der Strasse an. Der Fahrer kannte die Adresse und fuhr mit uns zur Botschaft. Vor der Botschaft in einer Hütte stand ein Uniformierter.
Der österreichische Botschaftssekretär hat sich dann rührend um uns gekümmert. Er übergab uns die Papiere mit der Bitte, ihn nach unserem Fahrkartenkauf noch einmal zu kontaktieren, ob alles geklappt hätte. Das haben wir auch getan. Im Zug haben wir einen hohen Offizier kennen gelernt, der sich meine Lebensgeschichte anhörte, fast einen Liter Wodka getrunken hat, sehr fröhlich wurde und sagte: 'Hoffentlich werden euch diese Schweine in Österreich nicht beleidigen! Das sind Kapitalisten, da muss man vorsichtig sein.' Dann haben wir einige Botschaftsangehörige aus der russischen Botschaft in Wien kennen gelernt, die uns ihren Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen haben, weil sie glaubten, wir seien jüdische Dissidenten. Nachdem der hohe Offizier alles klärte, fuhren wir unbehelligt nach Wien.
Wien! Mein Herz schlug schneller. Im Jahre 1939 musste ich Wien verlassen, und nun war das Jahr 1984. Es war Weihnachten, überall waren Lichter. Am Bahnhof erwarteten uns mein Briefmarkenfreund mit seiner Frau, die Enkeltochter von Frau Pscheid, mit der ich in Hirschbach gespielt hatte, und ihr Mann. Noch auf dem Bahnhof gingen wir in ein Lokal und tranken ein bisschen Wein. Dann fuhren wir mit einem Taxi zu meinem noch unbekannten Wiener Briefmarkenfreund, wo wir die ersten Tage wohnten. Er war ursprünglich Kroate, hatte aber nach dem Krieg in Argentinien, Spanien, Italien und Uruguay gelebt. Ich weiß nicht genau, in welchem Jahr er nach Österreich kam.
Kaum waren wir angekommen, sagte er, er hätte für uns ein Treffen in einem Restaurant mit seinem Freund, dessen Frau gerade gestorben sei, arrangiert. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Taxi zu diesem Restaurant. Der Freund hatte eine große Narbe im Gesicht und stechende Augen, aber er war sehr nett. Er zeigte mir ein Familien Fotoalbum und dann sagte er: 'Ich möchte eine Erinnerung an unser Treffen hier, ich möchte Ihre Unterschrift.' Das gefiel mir nicht und ich habe gefragt: 'Was heißt, meine Unterschrift?' Er wollte meine Unterschrift auf ein leeres Blatt Papier. Ich dachte, was ist denn das? Vielleicht ist es genau das, wovor mich die Mitarbeiter des Ministeriums zu Hause gewarnt hatten? 'Was soll ich schreiben? Ein kleines Gedichtchen', habe ich ihn gefragt. 'Nein, nein, nur die Unterschrift als Andenken', sagte er. Ich wusste nicht, wie ich aus dieser Sache herauskommen sollte. Ich konnte ja nicht einfach aufstehen und gehen. Also blieb ich sitzen, der Freund hat immer mehr getrunken und gab auch mir immer mehr zu trinken. Dann habe ich plötzlich gesagt: 'Mir ist schlecht. Ich hab ein schlechtes Herz und brauche meine Spritze, die liegt zu Hause in meinem Zimmer.' Meine Frau hat einen Schreck bekommen, aber ich habe ihr zugeflüstert, dass alles in Ordnung ist. Durch die Begegnung mit dem Herrn im Restaurant habe ich mich in Wien nicht mehr gut gefühlt. Ich war ängstlich und hatte das Gefühl, beobachtet zu werden.
Mein Briefmarkenfreund hat ständig mit mir über den Kommunismus diskutieren wollen. Das wollte ich nicht, denn manche Sachen waren doch im Sozialismus nicht so schlecht. Es stimmt, Stalin hat sein eigenes Volk umgebracht, der Hitler andere Völker. Aber darüber wollte ich nicht diskutieren, ich begann mich fremd zu fühlen und war verkrampft. Dann habe ich mit meinem anderen Briefmarkenfreund in Linz telefoniert. Er verstand sofort, dass es mir in Wien nicht sehr gut geht, und kam am nächsten Tag aus Linz nach Wien, um meine Frau und mich zu sich zu holen. Er war schon in Pension, hatte eine kleine, aber sehr schöne Wohnung und dort fühlten wir uns sehr wohl.
Dann besuchten wir Hirschbach im Waldviertel. Das ist der Ort, wo ich jedes Jahr im Sommer, in meiner Kindheit, drei Monate mit meiner Großmutter verbracht habe. Da habe ich meine alte Freundin wieder getroffen. Das war schön. Ich habe auch ihren Mann kennen gelernt, der war bei der Waffen SS. Ich habe auch ein bisschen über mein Leben erzählt. An einem Nachmittag kam viel Besuch, und der Freund der Tochter schimpfte ständig über die Kommunisten. Für mich war das nicht schön, ich hatte versprochen nichts Schlechtes zu sagen, und ich habe nichts Schlechtes über den Kommunismus gesagt. Ich wusste, dass viel nicht in Ordnung ist, aber ich habe nicht einmal über den Kommunismus geschimpft.
Ich traf meinen alten Freund, der während des Krieges Aufklärungsflieger im Norden der Sowjetunion war. Er hat mir erzählt, er hätte nie geschossen. Ich hab ihm gesagt: 'Weißt du, jeder der im Krieg war, hat nicht geschossen. Alle liefen nur mit ihren Fäusten hin und her, aber keiner hat geschossen! Er sagte: 'Ich sag dir ehrlich, ich hab nicht geschossen, und wir wussten an der Front auch nichts über die Gräueltaten der Nazis.' Ich kann das glauben oder ich kann es nicht glauben, aber sollte ich denen böse sein?
Sie kümmerten sich sehr lieb um uns und als ich später, wieder in Karaganda, im Krankenhaus lag, bekam ich ein Telegramm aus der Steiermark: 'Es tut uns leid, dass du im Krankenhaus bist, wir wünschen dir gute Besserung.' Als meine Frau starb, bekam ich 70 Euro für Blumen für ihr Grab.
Im Maimonides Heim, dem jüdischen Altersheim in Wien, im 19. Bezirk, lebte 1984 noch meine Tante Sofie, die Frau von meinem Onkel Emanuel, der schon 1951 in Wien gestorben war. Tante Sofie wurde 1985, es war Anfang 1985, als ich sie besuchte, 99 Jahre alt. Als wir uns nach 45 Jahren begegneten, umarmten wir uns und weinten. Sie konnte nicht verstehen, dass ich neben ihr stand. Ich habe dann einen Freund aus meiner Kinderzeit getroffen, der war immer gegen die Nazis. Er wurde Professor und ist Verfasser vieler wissenschaftlicher Werke. Dann hatte ich noch viele nette Begegnungen, und es ging mir dann so gut, dass ich bei der russischen Botschaft in Wien um eine Verlängerung unserer Visa bat, und sie auch bekam. Tante Sofie hoffte auf ein Wiedersehen zu ihrem 100. Geburtstag, aber man ließ mich nicht fahren und so sahen wir uns nicht wieder. Sie starb einige Monate nach ihrem 100. Geburtstag.
Ich wollte meine alte Wohnung noch einmal sehen und sie auch meiner Frau zu zeigen. Die Familie, die in meiner Wohnung wohnte, war sehr nett und sie erzählten, dass sie die Wohnung von einem blinden Mann gekauft hätten, also von unserem Ariseur. Ich wandte mich mit Briefen an den Bürgermeister mit der Bitte, mir die Wohnung zurück zu geben. Ich schrieb, ich will zurück nach Wien und die Wohnung hat man schließlich meiner Familie gestohlen, aber ich habe eine Absage bekommen. Wenigstens konnte ich meiner Frau zeigen, wo ich gewohnt hatte. Auf dem Döblinger Friedhof hatte ich Angst, ich würde das Grab meiner Familie nicht finden, weil ich schon viel vergessen hatte, aber ich fand es. In dem Grab liegen meine Großeltern Kohn, mein Onkel Hieronymus und meine Tante Adele Herzog und mein Onkel Emanuel Kolm. Alle liegen zusammen in einem Grab. 1986 kam auch Tante Sofie dazu, aber das wusste ich noch nicht.
Ich bekam viel Gastfreundschaft zu spüren, und ich war sehr dankbar, aber ich fühlte mich nicht wie zu Hause, ich war ein Fremder in Österreich geworden. Mein 'zu Hause' war in Karaganda. Da hatte ich meine Freunde, da lebten meine Töchter. Trotzdem dachte ich über eine Übersiedlung nach Österreich nach, obwohl ich das Gefühl hatte, nie aus der Sowjetunion herauszukommen.
Period
Interview
Richard Kohn
Tag(s)