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Ich wollte die Tochter Liselotte Hirschfeld heiraten. Das hieß in den kleineren Ortschaften Schadchen Ehe. Da hatte der Rabbiner immer seine Hand im Spiel, aber der Lieselotte hat er dann einen sehr frommen jungen Burschen vermittelt. Sein Vater war Fischereipächter von allen masurischen Seen. Lieselotte hat meiner Mutter ihren zukünftigen Bräutigam vorgestellt und gefragt, was sie von ihm halte, und meine Mutter hat geantwortet: 'Lotti, der Bursch gefällt mir sehr gut, er ist ein netter gepflegter Mensch, sehr gebildet, aber du musst wissen, wenn du ihn heiratest, musst du koscher werden. Das ist das A und O. Alles andere interessiert ihn nicht, aber du musst deinen Haushalt koscher führen.' Lieselotte hat geantwortet: 'Tante Bertha, das nehme ich auf mich. Er gefällt mir, und ich werde ihn heiraten.' Der Rabbiner hat sie zu Hause getraut. Es war dann eine großartige Hochzeit. Da war sogar eine Chuppe [10], da hab ich wenigstens einmal eine Chuppe gesehen. Mein Vater hatte ein kleines Kammerl als Bar eingerichtet und den Angestellten beigebracht, wie man Cocktails mixt. Eine Musikkapelle von vier Musikern hat gespielt. Mit den Musikern sind wir dann in der Früh mit dem ersten Zug nach Hause gefahren. Im Zug habe ich gesehen, dass die Musiker unter dem Rockaufschlag Hakenkreuze trugen, jüdische Musiker gab es ja dort nicht. Da hat mein Vater zu den Musikern gesagt: 'Um Gottes Willen, was passiert Ihnen, wenn herauskommt, dass Sie auf einer jüdischen Hochzeit gespielt haben?' 'Herr Lewin, wenn es nicht jüdische Hochzeiten gäbe, müssten wir verhungern. Schauen sie mal, was die Frau Hirschfeld uns eingepackt hat: Kartons voll mit Essen. Wir müssen auch leben, das Hakenkreuz macht uns nicht satt.' Das war 1935, ich war damals 18 Jahre alt.
Year
1935
Interview
Herbert Lewin
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