Tag #118427 - Interview #78311 (Richard Kohn)

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1952 kam es zum Ärzteprozess in Russland. Es wurden elf Ärzte verhaftet, alles Juden, denen vorgeworfen wurde, sie hätten Stalin ermorden wollen. Das war schlecht für die Juden. Man schrieb überall: 'Schlagt die Juden, rettet Russland!' Jidow, das ist auf ukrainisch Jude. Aber der Russe, wenn er 'Jid' sagt, ist das eine Kränkung, ein sehr ordinärer Ausdruck für den Juden. Meine Frau ging in ein Geschäft hinein und die Verkäuferin sagte: 'Was machst du denn hier, du willst Lebensmittel kaufen? Für dich Jüdin gibt es nichts.' Das passierte ihr mehrere Male. Die Juden erlebten viel Schlimmes in dieser Zeit. Aber der Sekretär der Partei trat auf und sagte: 'Wenn man ein Brot mit Schimmel hat, schneidet man den Schimmel heraus, aber wirft nicht das ganze Brot weg.' Er war ein Freund der Juden.

Stalin starb am 5. März 1953. Die Zeit unter Chruschtschow [13] hieß die 'Zeit der Erwärmung' in Russland. Er entließ alle politischen Gefangenen, weil er sagte, es gäbe in der Sowjetunion keine Feinde des Kommunismus mehr, jeder hätte eingesehen, dass der Kommunismus die beste Lebensform für die Menschen sei. Er rehabilitierte auch die jüdischen Ärzte, alle waren unschuldig. Der Direktor von unserem Kohlenbergwerk war Jude. Er lud daraufhin alle Schichtleiter ein und trank mit ihnen Wein, sonst nahm er nie einen Schluck Wein. Ich erinnere mich, manche Leute schämten sich, uns in die Augen zu schauen. Antisemitismus habe ich nur in der Zeit des Ärzteprozesses [14] erlebt.
Period
Interview
Richard Kohn