Selected text
Als ich zurück auf meine Arbeitsstelle kam, wussten alle schon: Es ist Krieg! Diese Nacht ging ich nicht in mein Quartier. In der Früh hörte ich, dass die Deutschen schon in Lemberg sind.
Ein Ukrainer bot mir an, mit ihm und seiner Tochter zu fliehen. Ich hatte keine Zeit, irgendetwas mitzunehmen, ich floh so, wie ich war. Wir flohen mit einem Pferdefuhrwerk, auf einmal pfiffen Kugeln an uns vorbei. Ein Westukrainer, das waren furchtbare Leute, sie trugen Hüte mit Federn, schoss auf uns. Als unser Wagen kaputt ging, spannten wir die Pferde aus und spannten sie vor einen Wagen, der neben einem Haus stand.
Wir kamen zur früheren Grenze des ehemaligen Galizien nach Russland. Eine Wache sah in meinem Pass, dass ich Österreicher bin. Somit war ich ein feindlicher Ausländer, und sie ließen mich nicht durch die Grenze. Der Ukrainer und seine Tochter durften weiter fahren, ich blieb allein.
Zwei Nächte schlief ich bei einem Chassiden [11]. Der hatte aber Angst mich wegen der russischen Behörden zu sich nach Hause zu nehmen, weil ich ein Flüchtling war. Ich schlief im Heustall, es war warm, denn es war Sommer. Als ich mich am nächsten Tag nach Brot anstellte, standen ungefähr hundert Leute vor mir. Drei russische Flugzeuge kamen geflogen, und ich sah deutlich das SSSR auf ihrem Rumpf geschrieben. Plötzlich begannen sie, das kleine Städtchen zu bombardieren. Das waren Deutsche, die die Flugzeuge erobert hatten. Als die erste Bombe herunter fiel, gab es einen Krach, und mehr als die Hälfte der Leute lief weg. Als die zweite Bombe fiel, liefen fast alle weg, aber ich ging ins Geschäft. Die Verkäufer waren auch weg, und ich nahm mir Brot. Als ich hinaus lief, fiel die dritte Bombe. Ich setzte mich auf eine Wiese und begann das Brot zu essen. Diese Nacht schlief ich in einem Tempel. Der Rabbiner sperrte mich und andere Flüchtlinge im Tempel ein, wir waren ungefähr zehn Leute. Ich verteilte mein Brot und aß selbst auch noch einmal.
Am nächsten Tag hörte ich, dass die Deutschen Lemberg eingenommen hatten und näher kamen. Natürlich hatte ich große Angst, was wird sein? Plötzlich öffneten die Russen die Grenze für alle Flüchtenden. An der Grenze verlor ich den Stammbaum von Onkel Fritz. Ich muss ihn aus Versehen heraus gezogen haben, und er fiel zu Boden. Als ich die Grenze bereits überquert hatte, kam plötzlich ein russischer Soldat auf einem Motorrad gefahren. Er zeigte mir den Stammbaum und fragte, ob ich ihn verloren hätte, aber auf dem Stammbaum waren Stempel mit Hakenkreuz und ich verneinte. Also war der Stammbaum für immer verloren.
Ich schloss mich einer Gruppe von flüchtenden Polen und Juden an. Auf jedem Bahnhof gab es kostenloses Essen. Das hatten die Russen sehr gut organisiert. Mit Emaillekübeln trug man gute russische Suppen und Brot zu den Zügen, und jeder durfte essen, soviel er wollte. Ich wusste nicht, wohin der Zug fuhr, aber es war egal, ich wollte weg, nur weg, weit weg von den Deutschen. Dann hieß es, es wäre gut nach Kuibyschew [heute Samara: Russland] an der Wolga zu fahren, dort gäbe es Arbeit. Einer sagte, man solle nicht nach Kuibyschew fahren, dort wäre es sehr kalt. Wir fuhren in Viehwagen, auf Plattformen der Züge, und mit Zügen, auf denen ganze Betriebe aus den Grenzgebieten vor den Deutschen gerettet wurden, zum Beispiel Stahlgießereien. Bevor die Deutschen das Land eroberten, wurden auch die Felder angezündet. Das Korn war schon reif, es wäre eine gute Ernte geworden. Die Deutschen wollten bis zum Ural. Darum mussten die wichtigen Werke evakuiert werden. Hinter dem Ural wurden die Werke wieder aufgebaut. Ich schlief zum Beispiel auf einer Drehbank oder in einer Kiste. Es war auch sehr kalt in den Nächten, ich besaß nur meine Sommerkleidung, die ich am Körper trug. Als wir in Kiew ankamen, es war noch warm, schlief ich im Park. Kiew wurde bombardiert und im Park fühlte ich mich am sichersten. Man sagte, im Park ist es sicherer, weil die Bombe in der Erde verschwindet. Die Bomber in der Luft zu sehen, war unheimlich.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Donbass [Ukraine]. Ein deutscher Flieger beschoss den Zug mit einem Maschinengewehr. Der Zug blieb stecken und es gab Verwundete und Tote, darunter auch Kinder. Wir beerdigten die Toten und die Verwundeten verließen den Zug an der nächsten Station. Nach einigen Stationen hielten wir an einem Bahnhof und ich ging auf Wassersuche. Plötzlich gab es eine solche Explosion, dass mittags um 12 Uhr das Licht verschwand; man sah die Sonne nicht mehr. Von meinem Zug blieben nur Skelette übrig.
Zwei Kilometer weiter stand ein anderer Zug, und mit dem fuhren wir nach Astrachan [heute: Russland] an der Wolga. In Astrachan an der Wolga fand ich Arbeit als Gehilfe eines Schmiedes. Er war Georgier, ich war Österreicher. Wir arbeiteten gut zusammen. Das Schmieden ist eine internationale Sprache mit dem Hammer. Ich arbeitete dort knapp zwei Monate, dann kam ein Polizist, verhaftete mich und setzte mich in ein kleines Motorboot, in dem schon ein Wolgadeutscher [12] saß. Er hieß Friedrich, war aus Leningrad und sprach deutsch, richtiges Deutsch. Aber wir durften nicht deutsch miteinander reden. Das Motorboot brachte uns zu einem Hafen am Kaspischen Meer. Ich erfuhr, dass alle Deutschen aufgefordert worden waren, innerhalb weniger Tage die Wolgadeutsche Republik zu verlassen, die auch sofort aufgelöst wurde. Die Wolgadeutschen wurden nach Kasachstan und Sibirien deportiert. Sie galten als nicht vertrauenswürdig.
Wir fuhren bis Kasachstan. Kasachen erwarteten uns mit Pferdewagen. Dann fuhren wir einige Tage, ich weiß nicht mehr wie viele, durch die Wüste. Ohne Ende ist das Russland! Irgendwann tauchten Jurten [zeltartige Behausung] auf. Wir wollten mit den Kasachen sprechen, aber die sprachen weder deutsch noch russisch. Dann fuhren wir in ein Hochland. Kasachstan war in etliche große Gebiete eingeteilt, und die großen Gebiete sind in kleine Gebiete eingeteilt, die sich autonom verwalteten. Die Leute dort waren fast alle Kasachen. Es gab nur einige Russen, aber viele Wolgadeutsche. Der Sekretär der Kommunistischen Partei war natürlich ein Russe. Der Chef der Polizei war ein Kasache, ein hoher, großer Kasache. Der lud mich gleich ein und wollte wissen, woher ich käme. Dann nahm er mir meinen Pass weg.
Es war Winter, und es war kalt. Ich war umgeben von ärmlichen Hütten, ich war sehr mager, hatte nicht genug zu essen und habe gefroren. Im Winter fiel das Thermometer dort auf Minus 50 Grad, ich befand mich neben der chinesischen Grenze. Ich bekam gleich Arbeit als Schlosser und wohnte bei einer Frau mit ihrem Sohn in einem Holzhaus. Der Mann der Frau war zur Armee eingezogen. Im Vorzimmer schliefen ein Ungar, ein deutsches Mädchen, die nur ein Auge hatte und ich, jeder in einer Ecke auf einem Strohsack. Vom Brunnen holte man das Wasser, es war gutes Wasser.
Dann zog ich zu einem Wolgadeutschen und seiner Familie. Essen gab es nicht, das musste ich mir selbst besorgen. Ich bekam jeden Tag ein halbes Kilo Brot, mehr nicht. Für die Arbeit bekamen wir ein wenig Geld, aber es gab kein Geschäft, wo man hätte etwas kaufen können. Vielleicht gab es doch ein Geschäft, aber ich konnte mir sowieso nichts leisten. Ich besaß nur zerfetzte Schuhe, aber man hatte mir Filzstiefel geschenkt. Alles was ich am Körper trug, war mir geschenkt worden.
Noch während des Winters rief man mich in die Armee. Da ich keine Papiere hatte, bekam ich Militärpapiere. Dort waren Russen und Koreaner, warum die dort waren, weiß ich nicht. Es wurde geschrieen: 'Stillgestanden!' Alle standen und ich hatte die Hände in den Taschen, es war kalt und ich besaß keine Handschuhe. Der Offizier schrie mich an: 'Kannst du nicht russisch?' Sagte ich: 'Nein!' Er schickte mich weg. Darüber war ich sehr glücklich. Zweimal insgesamt wurde ich einberufen und jedes Mal wieder weggeschickt. Acht Monate war ich in diesem Nest.
Es kam der lang ersehnte Frühling. Mir wurde warm, sogar ums Herz. Ich hatte mich mit einem Mädchen bekannt gemacht, einer Russin, und sie brachte mir manchmal etwas Hirse und manchmal etwas Fleisch. Im Sommer wurde ich das dritte Mal, zusammen mit etlichen Russen und vielen Deutsche einberufen. Sogar von der Arbeit wurden sie beurlaubt, um an die Front zu gehen. Und man wusste wieder nicht, was man mit mir machen sollte. Ich war kein Deutscher, also hätte ich mit den Russen an die Front gehen müssen. Aber ich war ein Ausländer. Man schickte mich hin und her, weil die Russen zu mir Ausländer kein Vertrauen hatten. Endlich blieb ich bei den Deutschen. Die Russen wurden mit Lastwagen zu dem Fluss Irtysch gefahren und wir 'Deutschen' gingen 30 Kilometer zu Fuß.
Spät abends kamen wir in Krasnojarsk [heute: Russland] an, wo wir etwas zu essen bekamen; Brot und Rübenmarmelade. Ich aß soviel ich konnte und trank heißes Wasser dazu. Danach mussten wir ein Schiff mit Hirse und Maissäcken beladen. Bekommen haben wir dafür nichts, obwohl man es uns versprochen hatte. Dann fuhren wir auf einem Schiff in eine Stadt, die Ust-Kamenogorsk [heute: Kasachstan] heißt. Wir mussten einen ganzen Monat Steine hacken und Steine tragen. Es wurde das Fundament einer Glasfabrik gebaut. Wir bekamen gutes Essen, sogar Fleisch, und wenn man etwas schwindelte, konnte man zweimal essen. Meine letzten, schon zerrissenen Schuhe gingen vollständig im Steinbruch kaputt. Wir verdienten ein bisschen Geld. Da ich vorher, in dem kasachischen Dorf, viele Zündholzschachteln gekauft hatte und Zündhölzer sehr begehrt waren, tauschte ich dort Zündhölzer gegen Wurst. Die Wurst bestand aus verschiedenen Innereien, aber das war völlig egal. Für eine Schachtel Zündhölzer bekam ich ein großes Stück Wurst. Das war sehr wichtig und half mir sehr.
Dann ging es mit dem Schiff weiter und wir kamen in die Stadt Semipalatinsk [Kaschstan]. Dort waren wir etliche Tage. Und dann kamen wir in die Hauptstadt vom Altai, und man sagte: Liebe Genossen! Einerseits braucht die Armee Soldaten, andererseits brauchen wir Kohlen, um Stahl für Kanonen zu gießen. Ihr werdet alle nach Karaganda gebracht. Da sind Kohlenbergwerke, und dort werdet ihr in den Kohlenbergwerken arbeiten. Es war eine Zwangsarbeit, wir sind nicht gefragt worden.
Ein Ukrainer bot mir an, mit ihm und seiner Tochter zu fliehen. Ich hatte keine Zeit, irgendetwas mitzunehmen, ich floh so, wie ich war. Wir flohen mit einem Pferdefuhrwerk, auf einmal pfiffen Kugeln an uns vorbei. Ein Westukrainer, das waren furchtbare Leute, sie trugen Hüte mit Federn, schoss auf uns. Als unser Wagen kaputt ging, spannten wir die Pferde aus und spannten sie vor einen Wagen, der neben einem Haus stand.
Wir kamen zur früheren Grenze des ehemaligen Galizien nach Russland. Eine Wache sah in meinem Pass, dass ich Österreicher bin. Somit war ich ein feindlicher Ausländer, und sie ließen mich nicht durch die Grenze. Der Ukrainer und seine Tochter durften weiter fahren, ich blieb allein.
Zwei Nächte schlief ich bei einem Chassiden [11]. Der hatte aber Angst mich wegen der russischen Behörden zu sich nach Hause zu nehmen, weil ich ein Flüchtling war. Ich schlief im Heustall, es war warm, denn es war Sommer. Als ich mich am nächsten Tag nach Brot anstellte, standen ungefähr hundert Leute vor mir. Drei russische Flugzeuge kamen geflogen, und ich sah deutlich das SSSR auf ihrem Rumpf geschrieben. Plötzlich begannen sie, das kleine Städtchen zu bombardieren. Das waren Deutsche, die die Flugzeuge erobert hatten. Als die erste Bombe herunter fiel, gab es einen Krach, und mehr als die Hälfte der Leute lief weg. Als die zweite Bombe fiel, liefen fast alle weg, aber ich ging ins Geschäft. Die Verkäufer waren auch weg, und ich nahm mir Brot. Als ich hinaus lief, fiel die dritte Bombe. Ich setzte mich auf eine Wiese und begann das Brot zu essen. Diese Nacht schlief ich in einem Tempel. Der Rabbiner sperrte mich und andere Flüchtlinge im Tempel ein, wir waren ungefähr zehn Leute. Ich verteilte mein Brot und aß selbst auch noch einmal.
Am nächsten Tag hörte ich, dass die Deutschen Lemberg eingenommen hatten und näher kamen. Natürlich hatte ich große Angst, was wird sein? Plötzlich öffneten die Russen die Grenze für alle Flüchtenden. An der Grenze verlor ich den Stammbaum von Onkel Fritz. Ich muss ihn aus Versehen heraus gezogen haben, und er fiel zu Boden. Als ich die Grenze bereits überquert hatte, kam plötzlich ein russischer Soldat auf einem Motorrad gefahren. Er zeigte mir den Stammbaum und fragte, ob ich ihn verloren hätte, aber auf dem Stammbaum waren Stempel mit Hakenkreuz und ich verneinte. Also war der Stammbaum für immer verloren.
Ich schloss mich einer Gruppe von flüchtenden Polen und Juden an. Auf jedem Bahnhof gab es kostenloses Essen. Das hatten die Russen sehr gut organisiert. Mit Emaillekübeln trug man gute russische Suppen und Brot zu den Zügen, und jeder durfte essen, soviel er wollte. Ich wusste nicht, wohin der Zug fuhr, aber es war egal, ich wollte weg, nur weg, weit weg von den Deutschen. Dann hieß es, es wäre gut nach Kuibyschew [heute Samara: Russland] an der Wolga zu fahren, dort gäbe es Arbeit. Einer sagte, man solle nicht nach Kuibyschew fahren, dort wäre es sehr kalt. Wir fuhren in Viehwagen, auf Plattformen der Züge, und mit Zügen, auf denen ganze Betriebe aus den Grenzgebieten vor den Deutschen gerettet wurden, zum Beispiel Stahlgießereien. Bevor die Deutschen das Land eroberten, wurden auch die Felder angezündet. Das Korn war schon reif, es wäre eine gute Ernte geworden. Die Deutschen wollten bis zum Ural. Darum mussten die wichtigen Werke evakuiert werden. Hinter dem Ural wurden die Werke wieder aufgebaut. Ich schlief zum Beispiel auf einer Drehbank oder in einer Kiste. Es war auch sehr kalt in den Nächten, ich besaß nur meine Sommerkleidung, die ich am Körper trug. Als wir in Kiew ankamen, es war noch warm, schlief ich im Park. Kiew wurde bombardiert und im Park fühlte ich mich am sichersten. Man sagte, im Park ist es sicherer, weil die Bombe in der Erde verschwindet. Die Bomber in der Luft zu sehen, war unheimlich.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Donbass [Ukraine]. Ein deutscher Flieger beschoss den Zug mit einem Maschinengewehr. Der Zug blieb stecken und es gab Verwundete und Tote, darunter auch Kinder. Wir beerdigten die Toten und die Verwundeten verließen den Zug an der nächsten Station. Nach einigen Stationen hielten wir an einem Bahnhof und ich ging auf Wassersuche. Plötzlich gab es eine solche Explosion, dass mittags um 12 Uhr das Licht verschwand; man sah die Sonne nicht mehr. Von meinem Zug blieben nur Skelette übrig.
Zwei Kilometer weiter stand ein anderer Zug, und mit dem fuhren wir nach Astrachan [heute: Russland] an der Wolga. In Astrachan an der Wolga fand ich Arbeit als Gehilfe eines Schmiedes. Er war Georgier, ich war Österreicher. Wir arbeiteten gut zusammen. Das Schmieden ist eine internationale Sprache mit dem Hammer. Ich arbeitete dort knapp zwei Monate, dann kam ein Polizist, verhaftete mich und setzte mich in ein kleines Motorboot, in dem schon ein Wolgadeutscher [12] saß. Er hieß Friedrich, war aus Leningrad und sprach deutsch, richtiges Deutsch. Aber wir durften nicht deutsch miteinander reden. Das Motorboot brachte uns zu einem Hafen am Kaspischen Meer. Ich erfuhr, dass alle Deutschen aufgefordert worden waren, innerhalb weniger Tage die Wolgadeutsche Republik zu verlassen, die auch sofort aufgelöst wurde. Die Wolgadeutschen wurden nach Kasachstan und Sibirien deportiert. Sie galten als nicht vertrauenswürdig.
Wir fuhren bis Kasachstan. Kasachen erwarteten uns mit Pferdewagen. Dann fuhren wir einige Tage, ich weiß nicht mehr wie viele, durch die Wüste. Ohne Ende ist das Russland! Irgendwann tauchten Jurten [zeltartige Behausung] auf. Wir wollten mit den Kasachen sprechen, aber die sprachen weder deutsch noch russisch. Dann fuhren wir in ein Hochland. Kasachstan war in etliche große Gebiete eingeteilt, und die großen Gebiete sind in kleine Gebiete eingeteilt, die sich autonom verwalteten. Die Leute dort waren fast alle Kasachen. Es gab nur einige Russen, aber viele Wolgadeutsche. Der Sekretär der Kommunistischen Partei war natürlich ein Russe. Der Chef der Polizei war ein Kasache, ein hoher, großer Kasache. Der lud mich gleich ein und wollte wissen, woher ich käme. Dann nahm er mir meinen Pass weg.
Es war Winter, und es war kalt. Ich war umgeben von ärmlichen Hütten, ich war sehr mager, hatte nicht genug zu essen und habe gefroren. Im Winter fiel das Thermometer dort auf Minus 50 Grad, ich befand mich neben der chinesischen Grenze. Ich bekam gleich Arbeit als Schlosser und wohnte bei einer Frau mit ihrem Sohn in einem Holzhaus. Der Mann der Frau war zur Armee eingezogen. Im Vorzimmer schliefen ein Ungar, ein deutsches Mädchen, die nur ein Auge hatte und ich, jeder in einer Ecke auf einem Strohsack. Vom Brunnen holte man das Wasser, es war gutes Wasser.
Dann zog ich zu einem Wolgadeutschen und seiner Familie. Essen gab es nicht, das musste ich mir selbst besorgen. Ich bekam jeden Tag ein halbes Kilo Brot, mehr nicht. Für die Arbeit bekamen wir ein wenig Geld, aber es gab kein Geschäft, wo man hätte etwas kaufen können. Vielleicht gab es doch ein Geschäft, aber ich konnte mir sowieso nichts leisten. Ich besaß nur zerfetzte Schuhe, aber man hatte mir Filzstiefel geschenkt. Alles was ich am Körper trug, war mir geschenkt worden.
Noch während des Winters rief man mich in die Armee. Da ich keine Papiere hatte, bekam ich Militärpapiere. Dort waren Russen und Koreaner, warum die dort waren, weiß ich nicht. Es wurde geschrieen: 'Stillgestanden!' Alle standen und ich hatte die Hände in den Taschen, es war kalt und ich besaß keine Handschuhe. Der Offizier schrie mich an: 'Kannst du nicht russisch?' Sagte ich: 'Nein!' Er schickte mich weg. Darüber war ich sehr glücklich. Zweimal insgesamt wurde ich einberufen und jedes Mal wieder weggeschickt. Acht Monate war ich in diesem Nest.
Es kam der lang ersehnte Frühling. Mir wurde warm, sogar ums Herz. Ich hatte mich mit einem Mädchen bekannt gemacht, einer Russin, und sie brachte mir manchmal etwas Hirse und manchmal etwas Fleisch. Im Sommer wurde ich das dritte Mal, zusammen mit etlichen Russen und vielen Deutsche einberufen. Sogar von der Arbeit wurden sie beurlaubt, um an die Front zu gehen. Und man wusste wieder nicht, was man mit mir machen sollte. Ich war kein Deutscher, also hätte ich mit den Russen an die Front gehen müssen. Aber ich war ein Ausländer. Man schickte mich hin und her, weil die Russen zu mir Ausländer kein Vertrauen hatten. Endlich blieb ich bei den Deutschen. Die Russen wurden mit Lastwagen zu dem Fluss Irtysch gefahren und wir 'Deutschen' gingen 30 Kilometer zu Fuß.
Spät abends kamen wir in Krasnojarsk [heute: Russland] an, wo wir etwas zu essen bekamen; Brot und Rübenmarmelade. Ich aß soviel ich konnte und trank heißes Wasser dazu. Danach mussten wir ein Schiff mit Hirse und Maissäcken beladen. Bekommen haben wir dafür nichts, obwohl man es uns versprochen hatte. Dann fuhren wir auf einem Schiff in eine Stadt, die Ust-Kamenogorsk [heute: Kasachstan] heißt. Wir mussten einen ganzen Monat Steine hacken und Steine tragen. Es wurde das Fundament einer Glasfabrik gebaut. Wir bekamen gutes Essen, sogar Fleisch, und wenn man etwas schwindelte, konnte man zweimal essen. Meine letzten, schon zerrissenen Schuhe gingen vollständig im Steinbruch kaputt. Wir verdienten ein bisschen Geld. Da ich vorher, in dem kasachischen Dorf, viele Zündholzschachteln gekauft hatte und Zündhölzer sehr begehrt waren, tauschte ich dort Zündhölzer gegen Wurst. Die Wurst bestand aus verschiedenen Innereien, aber das war völlig egal. Für eine Schachtel Zündhölzer bekam ich ein großes Stück Wurst. Das war sehr wichtig und half mir sehr.
Dann ging es mit dem Schiff weiter und wir kamen in die Stadt Semipalatinsk [Kaschstan]. Dort waren wir etliche Tage. Und dann kamen wir in die Hauptstadt vom Altai, und man sagte: Liebe Genossen! Einerseits braucht die Armee Soldaten, andererseits brauchen wir Kohlen, um Stahl für Kanonen zu gießen. Ihr werdet alle nach Karaganda gebracht. Da sind Kohlenbergwerke, und dort werdet ihr in den Kohlenbergwerken arbeiten. Es war eine Zwangsarbeit, wir sind nicht gefragt worden.
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Interview
Richard Kohn
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