Tag #118303 - Interview #78289 (Gertrude Kritzer)

Selected text
Mein Bruder Willi emigrierte noch vor mir mit einem Transport der
Kultusgemeinde. In Arnoldstein [an der italienischen Grenze] wurde der Zug
drei Wochen lang aufgehalten. Dann mussten alle nach Wien zurück. Er
schaffte es dann mit einem anderen Transport über die Donau.

Ich fuhr mit einem italienischen Schiff nach Abessinien und dann nach
Palästina. Die Reise verlief ohne Zwischenfälle. Die Kinder fühlten sich
gut, nur ich war seekrank. Das Schiff schlingerte hin und her. Mir ging es
so schlecht, dass ich den anderen sagte, sie sollten alle meine Verwandten
noch einmal grüßen, weil ich jetzt sterben müsse. Meinen schönen
Regenmantel hat mir ein Italiener gestohlen. Der Regenmantel war für mich
so etwas Kostbares, und weg war er. Ich liebe die Italiener trotzdem.

In Haifa gingen wir an Land. Ich kam gerade noch zur rechten Zeit zu meinem
Bruder Willi. Man hatte ihn schon in einen Raum zum Sterben gebracht. Er
war krank, und man hatte ihn aufgegeben. Das Seelische ist sehr wichtig bei
Krankheiten, ich glaube ich habe ihm das Leben gerettet; dass ich kam, war
für ihn die beste Medizin. Gott sei Dank, nach ein paar Tagen ging es ihm
wieder besser und er kam in ein Erholungsheim.
Location

Israel

Interview
Gertrude Kritzer
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