Tag #118089 - Interview #78276 (Renate Jeschaunig)

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Ich habe bis August 1945 nichts über meine Eltern gewusst. Dann bekam ich einen Brief mit der Schrift meiner Pflegemutter.

Ich machte ihn auf, da lag kein Schreiben von ihr drin, sondern ein Feldpostbrief. Damals gab es keine offizielle Post zwischen Deutschland, Österreich und England. Der Brief war von einem Offizier, dessen Name ich nicht kannte.

Ich machte den Brief auf, da war die Schrift meines Vaters. Ich weinte eine halbe Stunde, bevor ich den Brief lesen konnte. Und dann erfuhr ich folgendes: Der Papa ging über den Graben und sah einen britischen Offizier, von dem er annehmen konnte, dass er Jude wäre.

Er sprach ihn auf jiddisch an und bat ihn darum, seinen Kindern in England mitzuteilen, dass er lebe. Der Papa nahm ihn auch mit nach Hause, und die Mama bewirtete ihn. Im August 1945 habe ich dadurch erfahren, dass meine Eltern leben.

Meine Eltern waren von einem ehemaligen Patienten meines Vaters, der ein Kommunist war, in Klosterneuburg in einem Weinkeller versteckt worden. Im Februar 1947 kam ich nach Wien.
Interview
Renate Jeschaunig