Tag #117966 - Interview #78532 (Franziska Smolka)

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Vor 27 Jahren haben wir begonnen Religionsunterricht zu nehmen. Seit damals gibt es Schabbatot [Mehrzahl von Schabbat] und Feiertage bei uns Zuhause. Wir haben natürlich in der Zwischenzeit viel dazugelernt und auch eine eigene Tradition entwickelt. Zu Pessach sitzen wir um den Tisch und jeder darf in seiner Sprache lesen: tschechisch, englisch, russisch, hebräisch und deutsch. Also es ist sehr bunt und sehr lustig, und das war von Anfang an so.

Für uns ist es selbstverständlich geworden, dass wir Freitagabend Schabbat zu Hause feiern. Ich backe jeden Freitag die Barches, und ich freue mich eigentlich die ganze Woche darauf, denn die Woche hat dadurch eine Ausrichtung und ein Ziel. Es ist selbstverständlich, dass die Kinder abends zu uns kommen. Ich weiß nicht, ob sich das ändern wird, denn jetzt haben sie ein Baby. Vielleicht werden wir zu den Kindern gehen. Aber üblicherweise sind wir Freitagabend zu Hause und gehen nicht aus und sehr selten zu anderen Leuten zu Besuch. Ich glaube, das ist eine Klammer, die unsere engere Familie sehr zusammenhält. So weiß man zumindest einmal in der Woche möglichst genau, wie es den anderen geht. Es werden Themen ausgetauscht, Probleme gelöst, miteinander gelacht und natürlich etwas Gutes gegessen.
Am Schabbes, also Samstagvormittag, gehe ich in die Synagoge. Das bedeutet mir sehr viel. Dieser Vormittag gehört mir. Ich habe Zeit für mich und treffe auch Leute, mit denen ich über Themen, die mich interessieren reden kann. Das gibt mir ein zu Hause Gefühl.

Vom Standpunkt einer koscheren Küche ist meine Küche nicht koscher. Aber ich mische nicht Milch und Fleisch, und bei uns wird seit einiger Zeit koscheres Fleisch gegessen. Das hat eigentlich nicht meinetwegen begonnen, sondern weil unsere Kinder Freunde mitbrachten, die koscher sind, und ich wollte sie jederzeit zu mir einladen können.

Zu Pessach wird das Haus geputzt und in Ordnung gebracht. Selbstverständlich werden die Lebensmittel aus der Speis geräumt und selbstverständlich wird das Geschirr gewechselt. Selbstverständlich werden gefillte Fisch [29] zu Haus gemacht, und selbstverständlich wird gebacken. Das ist viel Arbeit, aber es macht enormen Spaß. Wir sind immer bis zu 20 Personen zum Seder [30].

Vergangenes Jahr habe ich auf Wunsch der Töchter vom Vladik einen Seder in Prag gemacht. Mischa und seine Frau waren auch dabei. Für den Seder habe ich alles in Wien gekocht und mitgenommen. Meine Familie in Prag hatte neues Geschirr gekauft und sie haben das Haus in Ordnung gebracht. Ich hatte ihnen einen Brief geschrieben und sie unterwiesen, wie das zu machen ist und die beiden Mädeln haben das mit großer Energie und Hingabe gemacht. Es war wunderschön. Aber im Allgemeinen bin ich lieber bei uns zu Hause. Vladiks Töchter, die keine jüdische Mutter haben, feiern jeden Pessach bei uns in Wien und es ist ihnen sehr bewusst, dass sie jüdisch sind, aber nicht vom Judentum anerkannt werden. Es war einige Zeit für sie ein großes Problem, und sie haben auch überlegt, ob sie übertreten sollen, aber heutzutage ist das nicht einfach. In Prag gab es Probleme mit dem Rabbiner. Die Chabad Bewegung [31] stufte ihn als zu liberal ein, und er wurde abberufen, weil in vielen Städten die Chabad Bewegung eine immer größere Bedeutung gewinnt. Aber ich denke, für jemanden, der aus Tradition und aus dem Bewusstsein, dass er aus einer jüdischen Familie kommt, zum Judentum zurückkehren will, ist der Weg nicht immer orthodox zu werden. Er sucht eine Zugehörigkeit und ein Zuhause. Und die Orthodoxie ist meiner Meinung nach viel zu strikt, weil sich dieser Mensch durch das Übertreten zur Orthodoxie, was verlangt wird, wieder außerhalb der Gesellschaft stellen würde, denn sein jüdischer Freundeskreis ist nicht orthodox. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg.

Zwischendurch kam es auch vor, dass wir nach Amerika zu meiner Cousine Joan, die aber jetzt in Wien lebt, fuhren, da hat sich dann dort die Familie getroffen. Es kamen dann nicht nur die nahe und unmittelbare Familie, sondern auch fernere Cousins mit ihren Kindern. Wir haben das alles sehr gern und schätzen das sehr. Ich könnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass das nicht stattfinden würde. Ich kann mir schon vorstellen, dass sich das im Laufe der Zeit verändern wird. Meine Kräfte werden nicht ewig reichen, aber vielleicht wird das dann einmal bei meinem Sohn und seiner Frau, unserer Anna, und den Kindern, bis dahin wird es hoffentlich mehrere geben, stattfinden.

Jeden Montagabend treffen sich in unserer Wohnung fünf jüdische Frauen. Gemeinsam mit unserer Hebräischlehrerin lernen mein Mann Timmy, die Frauen und ich, Hebräisch. Donnerstagmittag lesen wir zu fünft mit unserer Lehrerin den Wochenabschnitt aus einer israelischen Zeitung für Neueinwanderer auf Hebräisch. Wir lernen gemeinsam, wir essen gemeinsam, ohne das alles könnte ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen.
Interview
Franziska Smolka