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Die Erste, die emigrieren konnte, war meine älteste Schwester Erna. Sie war im März 1938 knapp vor Beendigung ihres Medizinstudiums. Man hat den Juden im September 1938 noch vier Wochen gegeben, um die Prüfungen zu absolvieren, und sie hat die Prüfungen absolviert und im Oktober promoviert mit einem Zettel: NICHT FÜR DEUTSCHLAND! Ernas Freund Hans Rosenberg war Arzt. Sie haben geheiratet und durch eine Verbindung nach England, sind sie im Dezember 1938 nach Manchester emigriert. Von dort haben sie versucht, uns heraus zu bringen. Ein Kollege meines Schwagers war bereit, mich als Kind zu nehmen, und so bin ich im Mai 1939 nach Manchester gekommen. Meine Schwester Paula konnte als Dienstmädel auch nach Manchester kommen. Wir wollten unsere Eltern herausholen, aber die jüdischen Komitees haben gesagt, dass unsere Eltern bereits über 50 Jahre alt sind, und sie sich um ältere Leute nicht kümmern können.
Ich kam zu einem Universitätsdozenten, einem Physiker. Die Frage war, was er mit mir anfangen sollte. Zuerst ging ich vier Wochen in eine Fortbildungsschule für Bürolehrlinge. Da habe ich auch Englisch lernen können. Ich hatte schon in der Mittelschule in Wien ein bisschen Englischunterricht. Bereits im Sommer 1939 hatte ich keinerlei Schwierigkeiten, mich zu verständigen. In dieser Zeit hatte ich das erste Mal engen Kontakt zu meiner ältesten Schwester. Ich war 15 Jahre alt, unsere Eltern waren in Wien, und sie hat sich um mich gekümmert. Erna und ihr Mann hatten in einer billigen Untermiete in der Nähe der Universität - einer etwas verrufenen Gegend. Sie hatten den Eindruck, dass ihre Landlady in ihrer Jugend eine Prostituierte gewesen sein könnte. Als meine Schwester ihr einmal erzählte, dass sie so unglücklich sei, weil sie es nicht schafft, ihre Eltern nach England zu holen, fragte die Landlady, wie sie helfen könne. Meine Schwester hat gesagt, sie bräuchte 150 Pfund - das war ungefähr ein Jahresgehalt - um ihre Eltern aus Österreich zu retten. Die Landlady hat gesagt: ‚Soviel Geld habe ich ungefähr, ich gebe es dir.’ Sie hat unsere Eltern gerettet, die dann im August 1939 nach England kommen durften. Im Juli 1939 sind Erna und ihr Mann nach Amerika emigriert, und ich war im Sommer noch bei der Familie, die mich aufgenommen hatte.
Dann ist der Krieg gekommen und der Physiker, der mich aufgenommen hatte, hat für die Luftwaffe gearbeitet und mich nicht brauchen können. Außerdem sind meine Eltern gekommen. Meine Schwester Paula hat begonnen in einer Schneiderei zu arbeiten, und da wir sehr wenig Geld hatten, begann ich in einer Regenmantelfabrik zu arbeiten. Das war Akkordarbeit, man hat mir eine Nähmaschine zur Verfügung gestellt, aber der Unternehmer hat nicht mir das Gehalt ausgezahlt, sondern dem Mann, neben dem ich gesessen bin und dem ich zugearbeitet habe. Der hat mir dann meinen Lohn gezahlt. Ich hatte eine 48 Stunden-Woche und das Tageslicht habe ich nur am Wochenende gesehen. Dort war ich sechs Monate, dann hat mein Vater eine Arbeit gefunden.
Zu Beginn des Krieges war ich drei Monate interniert, denn alle Österreicher waren nach der Annexion Österreichs keine Österreicher mehr, sondern Deutsche und somit feindliche Ausländer. Das Internierungslager war für mich eher wie ein Jugendlager, ich habe mich dort sehr gut gefühlt. Ich war sechzehn Jahre alt, vorher hatte ich noch Hilfsarbeiten gemacht und dort haben sich die Alten um die Kinder gekümmert, und ich hatte ein schönes gemütliches Leben, das mir Spaß gemacht hat. Nach den drei Monaten habe ich in einer Holzbearbeitungsfirma Wäscheklammern hergestellt, aber der Betrieb ist durch einen Bombenangriff beschädigt worden, und ich habe als Packer gearbeitet. Dann wurde ich als Dreher umgeschult und bis Ende des Krieges habe ich für die Rüstungsindustrie gearbeitet.
In dieser ganzen Zeit war das österreichische Zentrum ‚Young Austria’ [12] das Zentrum meines Lebens. Dort habe ich den größten Teil meiner Freizeit verbracht, und dort habe ich meine Frau, Elisabeth Jellinek, kennen gelernt. Ich hatte damals eine 60-Stunden Woche. Ich habe gearbeitet, und weil die Deutschen jeden Abend Manchester bombardiert haben, fand die Maturaschule, die ich besuchte, Samstag und Sonntag statt. Ich habe die Matura gemacht, aber wie ich das alles geschafft habe, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Ich war 18 und es hat mir eine ungeheure Befriedigung verursacht, dass ich die Matura 1942 geschafft habe - in dem Jahr nämlich, in dem ich sie gemacht hätte, wenn der Hitler nicht gekommen wäre.
Ich kam zu einem Universitätsdozenten, einem Physiker. Die Frage war, was er mit mir anfangen sollte. Zuerst ging ich vier Wochen in eine Fortbildungsschule für Bürolehrlinge. Da habe ich auch Englisch lernen können. Ich hatte schon in der Mittelschule in Wien ein bisschen Englischunterricht. Bereits im Sommer 1939 hatte ich keinerlei Schwierigkeiten, mich zu verständigen. In dieser Zeit hatte ich das erste Mal engen Kontakt zu meiner ältesten Schwester. Ich war 15 Jahre alt, unsere Eltern waren in Wien, und sie hat sich um mich gekümmert. Erna und ihr Mann hatten in einer billigen Untermiete in der Nähe der Universität - einer etwas verrufenen Gegend. Sie hatten den Eindruck, dass ihre Landlady in ihrer Jugend eine Prostituierte gewesen sein könnte. Als meine Schwester ihr einmal erzählte, dass sie so unglücklich sei, weil sie es nicht schafft, ihre Eltern nach England zu holen, fragte die Landlady, wie sie helfen könne. Meine Schwester hat gesagt, sie bräuchte 150 Pfund - das war ungefähr ein Jahresgehalt - um ihre Eltern aus Österreich zu retten. Die Landlady hat gesagt: ‚Soviel Geld habe ich ungefähr, ich gebe es dir.’ Sie hat unsere Eltern gerettet, die dann im August 1939 nach England kommen durften. Im Juli 1939 sind Erna und ihr Mann nach Amerika emigriert, und ich war im Sommer noch bei der Familie, die mich aufgenommen hatte.
Dann ist der Krieg gekommen und der Physiker, der mich aufgenommen hatte, hat für die Luftwaffe gearbeitet und mich nicht brauchen können. Außerdem sind meine Eltern gekommen. Meine Schwester Paula hat begonnen in einer Schneiderei zu arbeiten, und da wir sehr wenig Geld hatten, begann ich in einer Regenmantelfabrik zu arbeiten. Das war Akkordarbeit, man hat mir eine Nähmaschine zur Verfügung gestellt, aber der Unternehmer hat nicht mir das Gehalt ausgezahlt, sondern dem Mann, neben dem ich gesessen bin und dem ich zugearbeitet habe. Der hat mir dann meinen Lohn gezahlt. Ich hatte eine 48 Stunden-Woche und das Tageslicht habe ich nur am Wochenende gesehen. Dort war ich sechs Monate, dann hat mein Vater eine Arbeit gefunden.
Zu Beginn des Krieges war ich drei Monate interniert, denn alle Österreicher waren nach der Annexion Österreichs keine Österreicher mehr, sondern Deutsche und somit feindliche Ausländer. Das Internierungslager war für mich eher wie ein Jugendlager, ich habe mich dort sehr gut gefühlt. Ich war sechzehn Jahre alt, vorher hatte ich noch Hilfsarbeiten gemacht und dort haben sich die Alten um die Kinder gekümmert, und ich hatte ein schönes gemütliches Leben, das mir Spaß gemacht hat. Nach den drei Monaten habe ich in einer Holzbearbeitungsfirma Wäscheklammern hergestellt, aber der Betrieb ist durch einen Bombenangriff beschädigt worden, und ich habe als Packer gearbeitet. Dann wurde ich als Dreher umgeschult und bis Ende des Krieges habe ich für die Rüstungsindustrie gearbeitet.
In dieser ganzen Zeit war das österreichische Zentrum ‚Young Austria’ [12] das Zentrum meines Lebens. Dort habe ich den größten Teil meiner Freizeit verbracht, und dort habe ich meine Frau, Elisabeth Jellinek, kennen gelernt. Ich hatte damals eine 60-Stunden Woche. Ich habe gearbeitet, und weil die Deutschen jeden Abend Manchester bombardiert haben, fand die Maturaschule, die ich besuchte, Samstag und Sonntag statt. Ich habe die Matura gemacht, aber wie ich das alles geschafft habe, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Ich war 18 und es hat mir eine ungeheure Befriedigung verursacht, dass ich die Matura 1942 geschafft habe - in dem Jahr nämlich, in dem ich sie gemacht hätte, wenn der Hitler nicht gekommen wäre.
Interview
Robert Walter Rosner
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