Tag #117853 - Interview #78544 (Robert Walter Rosner)

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Unsere Familie waren Flüchtlinge, aber sie waren nicht arm. Meine Eltern haben sich in Wien etabliert und eine Luxuswohnung im 8. Bezirk bezogen. Mein Vater hat nach einiger Zeit in der Metallbranche gearbeitet und dann im 15. Bezirk am Gürtel eine Wirkerei und Strickerei eröffnet. Es gibt ein sehr schönes Bild, auf dem er mit seinen Arbeitern zu sehen ist. Auch meine Mutter hat im Betrieb mitgearbeitet. Zu Hause hatten wir ein Dienstmädchen und ein Kinderfräulein. Das Kinderfräulein hieß Käthe Weiss und war Jüdin. Sie wurde als Teil der Familie betrachtet. Der Betrieb ist in der Weltwirtschaftskrise 1928 zugrunde gegangen, das waren schwierige Zeiten. Mein Vater hat sich mit Handel da und dort über Wasser gehalten Das Hauspersonal musste entlassen werden. Käthe Weiss arbeitete später mit Kindern in Ungarn. Sie wurde 1944 ins KZ Auschwitz deportiert, hat überlebt und kehrte nach dem Krieg nach Wien zurück.

Unmittelbar nachdem mein Vater den Betrieb in Wien zusperren musste, ist er noch auf 1 ½ Jahre in die Bukowina gegangen und hat versucht, sich dort neu zu etablieren. Aber dadurch, dass meine älteste Schwester gerade im Matura Jahrgang war, blieb das nur eine Episode. 1929 haben wir uns alle in Brünn [heute Tschechien] getroffen, weil mein Vater in Brünn zu tun hatte. Meine Mutter kam mit uns Kindern aus Wien, und mein Vater kam aus der Bukowina.

Meine Schwester erinnert sich noch an wohlhabende Zeiten, während in meiner Erinnerung absolute Not ist, obwohl ich in den ersten vier Jahren meines Lebens mit der Familie auch Urlaube, zum Beispiel in Kärnten, erlebt habe. Wir haben von der Hand in den Mund gelebt und um in unserer Fünfzimmer Wohnung zu überleben, Untermieter beherbergt. Es ist uns schlecht gegangen, aber es war selbstverständlich, dass meine älteste Schwester trotzdem ihr Studium, das sehr teuer war, absolviert hat. Es war auch selbstverständlich, dass wir, trotz aller Not, und das war wirklich auch sehr schwierig, in das Gymnasium gegangen sind.
Interview
Robert Walter Rosner