Tag #117723 - Interview #82830 (Sylvia Segenreich)

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Mit unseren Eltern, Onkel und Tanten haben wir Kinder in der dritten Person gesprochen: ‚Wenn die Mama erlaubt‚ wenn der Papa will’… und so weiter. So hat man damals gesprochen. Wir waren so erzogen worden, und wir kannten keine Ausnahmen. Es gab das ‚Du’ nicht. So habe ich auch noch gesprochen, als wir nach dem Krieg in Bukarest lebten und ich schon verlobt war. Meine Tante Berta hat damals auch in Bukarest gelebt. Sie war so ein moderner Typ, und sie hat zu mir gesagt. ‚Sag einmal, ist es nicht an der Zeit, dass du ordentlich zu deinen Eltern sprichst?’ Ich habe gar nicht gewusst, was sie meint! ‚Was meint die Tante’, habe ich sie gefragt. Da sagte sie: ‚Sag nicht: was meint die Tante, sondern was meinst du, Berta. So sollst du zu mir sagen. Und genauso sollst du mit deiner Mama sprechen.’ Ich war es gewöhnt, so mit meinen Eltern, Tanten und Onkel zu sprechen, es war irgendwie so eingefleischt. Aber meine Eltern waren nicht streng, das hatte damit nichts zu tun. Wir hatten ein durchaus warmes, liebevolles Verhältnis miteinander.

Meine Mutter hat viel davon gehalten, armen Menschen zu helfen. Täglich kamen arme Juden zu uns, manchmal auch Christen und Zigeuner, allen hat sie etwas gegeben. Sie hat auch denen geholfen, die nichts verlangt haben, aber von denen sie wusste, dass es ihnen nicht gut geht. Sie hat immer ein ‚offene Tasche’ gehabt.
Interview
Sylvia Segenreich