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Es gab nie eine Zeit, in der ich glaubte, nicht mehr in Österreich leben zu können. Ich habe genug jüdische Freunde, die genauso wie ich mit der Rechtslastigkeit der Regierung hier in Österreich keine Freude haben, aber man bewegt sich im Alltag wahrscheinlich auf einer Insel, wenn es gut geht, von hundert Personen, mit denen man sich umgibt und mit denen ich mich sehr gut verstehe. Ich fühle mich und die Juden in Österreich in keiner Weise bedroht. Natürlich nehme ich zur Kenntnis, dass es in Frankreich offenen Antisemitismus gibt. Und ich weiß, dass der deutsche Staat wesentlich mehr für die Juden tut als der österreichische Staat. Juden, hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion, werden in deutsche Gemeinden integriert, und die Gemeinden bekommen viel Geld dafür. Das gibt es in Österreich nicht.
Ich glaube auch, dass es in Amerika oder in England viel einfacher ist, sich in einer rein jüdischen Umgebung zu bewegen und so zu tun, als gäbe es keinen Antisemitismus. Es gibt ihn selbstverständlich, aber die jüdischen Gesellschaften an einer Universität, an einer Schule oder im Geschäftsleben sind so groß, dass man wahrscheinlich wenig berührt wird davon und es einem gelingt, sich nur mit Juden zu umgeben. Ich glaube auch, dass Antisemitismus nicht isoliert vorkommt - Antijuden, Antiausländer, Antischwarze, Antifrauen, Antischwule - das geht alles, glaube ich, Hand in Hand. Ich glaube aber nicht, dass Österreich dadurch ausgezeichnet ist. Es ist vielleicht ordinärer als in anderen Ländern. In Amerika und in England gibt es Gesellschaften, wo Juden nicht erwünscht sind. Man wird es ihnen höflicher mitteilen, als man das in Österreich vielleicht tun würde, aber so etwas gibt es hier nicht. Und es wurden meines Wissens in Österreich noch keine türkischen Asyle angezündet, was in Deutschland der Fall war. Ich arbeitete in Wien in einem Spital, in dem es eine Reihe von jüdischen Ärzten gibt. Keiner von ihnen hatte das Gefühl, das er in irgendeiner Weise diskriminiert wird. Ich bekam ohne Probleme und ganz selbstverständlich zu Jom Kippur frei. Für Rosch Haschana [32] wollte ich mir einen Urlaubstag nehmen, aber die Sekretärin des ärztlichen Direktors sagte: ‚Das ist für euch ein wichtiger Tag, Sie brauchen keinen Urlaubstag. Es gibt einen zweiten Tag, für den würde ich bitten, dass sie einen Urlaubstag nehmen, wenn sie freihaben möchten.’ Sie ist keine Jüdin. Natürlich würde man mir als Primar-Arzt keine Probleme machen, aber ich weiß auch von den Kollegen, ob das Turnusärzte waren, ob das Oberärzte waren, dass sie keine Probleme damit hatten. Vielleicht aber ist das in einem Tiroler Spital anders, als in einem sozialdemokratischen Spital der Gebietskrankenkasse. Das weiß ich nicht! Es gibt an der Wiener medizinischen Fakultät seit einigen Jahren, erstmals in der Geschichte, drei jüdische Ordinarien. Das hat es noch nie gegeben, auch in den großen Tagen der Wiener medizinischen Schule hat es ein praktizierender Jude nur bis zur Nummer zwei gebracht. Diejenigen, die Ordinarii wurden, mussten getauft sein. Ausnahme war vielleicht Tandler [33], der als Anatom in einem theoretischen Fach arbeitete. Aber auch Hoff, ein sehr bedeutender Neurologe und Psychiater, musste getauft sein, um in Wien Professor zu werden.
Ich glaube auch, dass es in Amerika oder in England viel einfacher ist, sich in einer rein jüdischen Umgebung zu bewegen und so zu tun, als gäbe es keinen Antisemitismus. Es gibt ihn selbstverständlich, aber die jüdischen Gesellschaften an einer Universität, an einer Schule oder im Geschäftsleben sind so groß, dass man wahrscheinlich wenig berührt wird davon und es einem gelingt, sich nur mit Juden zu umgeben. Ich glaube auch, dass Antisemitismus nicht isoliert vorkommt - Antijuden, Antiausländer, Antischwarze, Antifrauen, Antischwule - das geht alles, glaube ich, Hand in Hand. Ich glaube aber nicht, dass Österreich dadurch ausgezeichnet ist. Es ist vielleicht ordinärer als in anderen Ländern. In Amerika und in England gibt es Gesellschaften, wo Juden nicht erwünscht sind. Man wird es ihnen höflicher mitteilen, als man das in Österreich vielleicht tun würde, aber so etwas gibt es hier nicht. Und es wurden meines Wissens in Österreich noch keine türkischen Asyle angezündet, was in Deutschland der Fall war. Ich arbeitete in Wien in einem Spital, in dem es eine Reihe von jüdischen Ärzten gibt. Keiner von ihnen hatte das Gefühl, das er in irgendeiner Weise diskriminiert wird. Ich bekam ohne Probleme und ganz selbstverständlich zu Jom Kippur frei. Für Rosch Haschana [32] wollte ich mir einen Urlaubstag nehmen, aber die Sekretärin des ärztlichen Direktors sagte: ‚Das ist für euch ein wichtiger Tag, Sie brauchen keinen Urlaubstag. Es gibt einen zweiten Tag, für den würde ich bitten, dass sie einen Urlaubstag nehmen, wenn sie freihaben möchten.’ Sie ist keine Jüdin. Natürlich würde man mir als Primar-Arzt keine Probleme machen, aber ich weiß auch von den Kollegen, ob das Turnusärzte waren, ob das Oberärzte waren, dass sie keine Probleme damit hatten. Vielleicht aber ist das in einem Tiroler Spital anders, als in einem sozialdemokratischen Spital der Gebietskrankenkasse. Das weiß ich nicht! Es gibt an der Wiener medizinischen Fakultät seit einigen Jahren, erstmals in der Geschichte, drei jüdische Ordinarien. Das hat es noch nie gegeben, auch in den großen Tagen der Wiener medizinischen Schule hat es ein praktizierender Jude nur bis zur Nummer zwei gebracht. Diejenigen, die Ordinarii wurden, mussten getauft sein. Ausnahme war vielleicht Tandler [33], der als Anatom in einem theoretischen Fach arbeitete. Aber auch Hoff, ein sehr bedeutender Neurologe und Psychiater, musste getauft sein, um in Wien Professor zu werden.
Period
Interview
Timothy Smolka