Tag #116784 - Interview #79580 (Timothy Smolka)

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Mein Vater fuhr 1945 als Kriegskorrespondent ins zerstörte Wien, beschlagnahmte als englischer Besatzungsoffizier die arisierte Villa seines Schwiegervaters, und wir kamen mit unserer Mutter 1946 nach Wien in das großväterliche Haus, das Haus, in dem meine Mutter aufgewachsen war. Verwandte des Ariseurs, er hieß Stockhammer, wohnten mit uns im Haus bis zur Rückstellungsverhandlung im Jahre 1947.

Ich weiß nicht, wann in meinem Vater die Absicht reifte, nach Wien zurückzugehen. Irgendwann war er der Meinung, dass man die Heimat aufbauen müsse, und dass er dazu vonnöten sei. Mein Bruder und ich hatten zu Wien und zu Österreich überhaupt keine Beziehung. Wir sprachen nur Englisch, die Eltern hatten, außer mit ihren Eltern, in England nicht Deutsch gesprochen. Sie wollten auch nicht Deutsch sprechen, sie wollten ‚Englisch’ sein.

Im Jahre 1945 erlebte mein Vater den Neuanfang der KPÖ, und er hatte viele kommunistische Freunde, lernte Literaten kennen, zum Beispiel Hans Weigel [17], der damals schon in Wien war. Zunächst arbeitete er als Korrespondent für den ‚Daily Express’ und dann auch für die Londoner ‚Times’. Später schrieb er für die Zeitung „Neues Österreich“, beteiligt daran waren die SPÖ [Sozialdemokratische Partei], ÖVP [Österreichische Volkspartei] und KPÖ [Kommunistische Partei Österreichs].

Mein Vater erkrankte sehr früh an Multiple Sklerose. Als ich zwölf Jahre alt war, war er 38 Jahre alt und bekam einen Rollstuhl. Er hatte ab 1945 in Wien die Spitzen der Kommunistischen Partei um sich geschart, das waren viele Juden, die behaupteten, keine Juden zu sein, so ähnlich wie es auch in meinem Elternhaus war. Er war nicht mehr imstande, seinen Beruf als Journalist auszuüben und musste - er hatte sich ja bereits als 16jähriger geweigert Kapitalist zu werden - die rückgestellte Firma seines Vaters nun doch übernehmen, die zu dieser Zeit fast am Boden lag. Er begann, mit dem Rollstuhl, in die Hochschule für Welthandel zu fahren, dort die Basis für Handelswissenschaften zu erlernen und beendete die Hochschule mit der 1. Staatsprüfung. Er baute den Betrieb seines Vaters wieder auf und machte ihn zu einem führenden Weltklassebetrieb, der Sportartikel und Schibindungen erzeugte. Mein Vater war nun Industrieller, hatte wahrscheinlich mehr Geld zur Verfügung als seine Freunde und dadurch, dass er physisch stark gehandicapt war, fanden die gesellschaftlichen Treffen immer im Haus meiner Eltern statt.
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Interview
Timothy Smolka