Tag #116781 - Interview #79580 (Timothy Smolka)

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Im Jahre 1940 marschierten die Deutschen in Paris ein, und meine Eltern waren überzeugt, dass sie früher oder später auch England erobern würden. Ein Freund, ein amerikanischer Journalist, der in London gelebt hatte und nach Amerika zurückgegangen war, schickte ihnen ein Telegramm, in dem stand: ‚Schickt uns die Kinder, wir werden uns um sie kümmern!’

Während dem Krieg

Die Eltern waren der Ansicht, wenn sie draufgehen, sollen wenigstens die Kinder überleben, denn mein Vater war sicher, als Journalist, der auch über Österreich berichtete, auf der ‚Schwarzen Liste’ der Gestapo zu stehen. Meine Mutter fand daraufhin ein junges Mädchen, die nach Amerika fuhr um ihren Freund, einen Amerikaner, zu heiraten. Sie beteiligte sich an den Reisekosten dieses Mädchens unter der Bedingung, dass sie uns nach Amerika mitnimmt und auf uns aufpasst. In Glasgow wurden wir dieser jungen Frau übergeben. Nach einigen Wochen erhielten meine Eltern einen Brief von vollkommen fremden Leuten, in dem sie schrieben, wie sie sich freuten, uns aufnehmen zu dürfen. Es stellte sich heraus, dass dieser Journalist dasselbe Telegramm an 16 verschiedene Freunde in London geschickt hatte, die alle ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten, und so musste er die vielen Kinder in der Bekanntschaft verteilen. Ich war zu dieser Zeit noch keine zwei Jahre, mein Bruder war viereinhalb Jahre alt. Wir kamen zu einem sehr reichen Ehepaar nach Scarsdale, nahe New York. Der Pflegevater, ein Verleger, und seine Frau hatten drei erwachsene Kinder. Der Sohn war, glaube ich, schon in der Armee oder wurde 1941 in die Armee eingezogen, die Töchter studierten bereits. Ich war ein dickes, lustiges Baby und alle freuten sich über mich. Mein Bruder war sehr betroffen durch die Trennung von den Eltern, und daher wahrscheinlich kein so freundliches Kind. Er ist auch heute noch davon überzeugt, dass ich sehr vorgezogen wurde, aber wir lebten beide dort wirklich in Saus und Braus; im Sommer fuhren wir zum Beispiel immer nach Vermont, wo die Familie ein Ferienhaus mit einem ziemlich großen Gelände und einem Teich hatte. Es war wunderschön!

Mitten im Krieg, im Jahre 1943, kam ein Freund meiner Eltern, auch ein Verleger, beruflich nach Amerika. Meine Eltern hatten ihn gebeten uns zu besuchen, und er kam nach London mit der Mitteilung zurück: Den Kindern geht es sehr gut, sie sind bei Millionären, ihr werdet ihnen nie das bieten können, was die ihnen bieten, und es wäre das Gescheiteste, die Kinder überhaupt dort zu lassen und Neue zu machen. Daraufhin verkaufte meine Mutter alles Wertvolle, das waren wenige Schmuckstücke, die sie als Erinnerung an ihre Mutter besaß und ließ uns nach England zurückkommen. Ich war nun viereinhalb Jahre alt, und ich erinnere mich, wie wir auf das Schiff gebracht wurden. Wir gingen in Philadelphia auf ein portugiesisches Schiff, denn Portugal war ein neutrales Land. Auf dem Schiff waren viele, wahrscheinlich hauptsächlich jüdische, Kinder. Auch die 13jährige Tochter unseres Hausarztes und Freundes meiner Eltern, der geholfen hatte, mich auf die Welt zu bringen, die ein Jahr in Amerika gewesen war, war Passagierin, und sie passte nun auf uns auf. Ich weiß aus Erzählungen meines Bruders, dass irgendwann ein deutsches U-Boot auftauchte, die Besatzung auf das Schiff kam, und die Kinder versteckt wurden. Im April 1943 kamen wir in Lissabon an, wurden dort von einem Kollegen meines Vaters abgeholt, und nach zwei oder drei Tagen in Lissabon flogen wir mit einem Flugzeug nach Schottland. Von dort fuhren wir mit dem Zug nach London zu unseren Eltern.
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Interview
Timothy Smolka
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