Tag #116523 - Interview #78523 (Vera Stulberger)

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Als wir zuerst auswandern wollten, hat man uns erwischt. Es war so, dass eine Schwester meines Onkels schon in Österreich lebte. Sie hat mir durch die Blume geschrieben, dass wir über die Grenze kommen, wenn wir mit dem Mann, der mein Foto mithat, mitgehen. Das war ein Zeichen, sie hat dem Schleuser mein Foto gegeben. Sie schrieb, dass ich ruhig mitgehen darf, denn der, der mein Foto bei sich hat, ist zuverlässig. Aber den Schleuser hat man gefangen, und das haben wir nicht gewusst. Die Staatsicherheit schickte einen anderen mit meinem Foto. Das wussten wir natürlich nicht. Und nachdem es hieß, wer mein Foto mithat, der ist zuverlässig, gingen wir mit. Bei Hegyeshalom wurden wir von der Staatsicherheit erwartet und gefangen genommen, dann war alles vorbei, wir kamen in Szombathely ins Gefängnis. Ich habe zehn Monate gesessen. Mein Mann war ein ganzes Jahr im Gefängnis. Inzwischen hat der Staat alles, was wir hatten, enteignet, und mein Mann kam nach dem einen Jahr in Polizeiaufsicht, er bekam keine Stelle. Das Staatsgut suchte einen Einkäufer, er hat sich dort gemeldet, und der Parteisekretär sagte ihm: “Wie stellst du dir das vor als Feind der Volksdemokratie, eine Stelle zu bekommen?“ Der Parteisekretär war ein alter Bauer. Dann hat man ihn zum Kutscher aufgenommen. Seine Arbeit war es, die frisch gemolkene Milch nach Hajdúnánás zu liefern, aber da er unter Polizeiaufsicht stand - was bedeutete, dass er nach 21 Uhr nicht aus dem Haus durfte - konnte er nach der Arbeit nicht einmal in eine Wirtschaft gehen, um ein Glas Wasser zu trinken. Zu Pessah zum Beispiel wollten wir den Sederabend bei meinem Schwager verbringen, aber der war nicht vor 21 Uhr zu Ende. Da mussten wir eine Sondererlaubnis holen, damit er auch nach 21 Uhr auf der Straße gehen durfte.
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Interview
Vera Stulberger