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In Teplitz hatten sich wieder einige Juden niedergelassen, und alle besuchten uns, um Auskunft über Palästina zu bekommen. Denn sie wussten, dass sie in diesem Land nicht lange bleiben werden. Da wir nun schon in der Tschechoslowakei waren, fuhren wir auch nach Brünn, denn ich wusste, dass zwei meiner Tanten, die mit Nichtjuden verheiratet waren, den Krieg überlebt hatten. Mit Herzklopfen lief ich die Treppe zu meiner Lieblingstante hinauf, wir umarmten und küssten uns, weinten und lachten! Ich traf auch zwei meiner Mitschüler (aus einer Klasse von 32), die nach Brünn zurückgekommen waren. Die Stadt war sehr zerstört, viele leere Plätze, wo früher Häuser standen, und ich erinnerte mich immer wieder ....da wohnte...da lebte... Ich hatte eine Adresse eines Untermieters meiner Tante Rosa, der Schwester meiner Mutter, zu dem ich ging, um zu fragen, was mit meiner Familie geschehen war. Als ich seine Wohnung betrat, sah ich als erstes einen Teppich, den meine Mutter geknüpft hatte. Das Zimmer, in das er mich führte, war zur Gänze mit Möbel meiner Tante möbliert. Er bat mich, Platz zu nehmen und kam nach einer Weile mit einem fest verschlossenem Topf, den wir gemeinsam öffneten. Er hatte diesen Topf die ganzen Jahre unter den Kohlen versteckt gehabt, zusammen mit einer silbernen Zigarettendose, die bei uns immer auf dem Tisch gestanden war. Im Topf waren Liebesbriefe meines Großvaters an meine Großmutter und Gedichte, die er für sie geschrieben hatte. Leider habe ich diese nicht mitgenommen, da ich annahm, dass sich meine Mutter zu viel aufregen würde, und das wollte ich ihr ersparen. In der Zigarettendose waren verschiedene Schmuckstücke meiner Großmutter, Tanten und sogar mein kleiner Ring, der mir bei unserer Ausreise abgenommen worden war! Der Mann erzählte mir, dass er meinen Großeltern geholfen hatte einzupacken, als man sie angeblich in ein Altersheim verschickte. Sie wurden in Autobusse verfrachtet, die nirgends ankamen. Die Abgase wurden einfach in das Innere des Busses geleitet! Von den anderen Familienmitgliedern wusste er nur, dass sie verschickt wurden, wie alle Juden Brünns. Nur wenige kamen zurück. Es war ein trauriger Aufenthalt.
Interview
Edith Landesmann
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