Tag #115932 - Interview #78542 (Edith Landesmann)

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Endlich kam der Tag unserer Abreise. Die Schwestern meines Vaters begleiteten uns noch bis Prag, dort wohnten wir noch zwei drei Tage im Hotel Paris, dann kam der Abschied auch von den letzten Familienmitgliedern. Besonders in Erinnerung ist mir der Abschied von meinen Großeltern. Unser Verhältnis war immer sehr distanziert. Ich erinnere mich nicht, mit ihnen gespielt oder Zärtlichkeiten oder Geschenke bekommen zu haben. Wir gingen hin, weil wir die Mama begleiteten. Doch an dem Tag, als ich mit meiner Mutter mich verabschieden ging, weinte mein Großvater bitterlich und suchte in einer Schachtel nach einem Geschenk für Kurt. Er wusste, wir würden einander nie mehr wieder sehen!

Von Prag fuhren wir über Wien nach Triest. Wir kamen zur Grenze des so genannten Protektorats Böhmen und Mähren. Einige Zollbeamte in deutscher Uniform sahen meinen kleinen Ring, den ich von meinem Bruder als Andenken bekommen hatte. Juden mussten schon längst alle ihre Wertsachen abgeben, nur Eheringe konnte man behalten. Also musste mein Vater aussteigen, um eine Adresse anzugeben, zu der man den Ring schicken sollte. Der Zug setzte sich in Bewegung, und mein Vater war nicht zurückgekommen! Wir beide gerieten in Panik. Als der Zug schon in voller Fahrt war, kam mein Vater endlich zu uns. Es war ihm gelungen, noch in letzter Minute aufzuspringen. Als ich im Jahre 1947 nach Brünn kam und Erkundigungen einholte, was mit unserer Familie geschehen war, fand ich diesen Ring bei einem Bekannten meiner Tante! Die Menschen wurden ermordet, aber der Ring wurde an der gewünschten Adresse abgegeben.

Wir saßen also in unserem Erste Klasse Abteil und fuhren in sehr bedrückter Stimmung durch das Deutsche Reich. In Triest angekommen, erwartete uns dank der Verbindung meines Vaters in der zionistischen Bewegung, jemand vom Auswanderungsamt. Wir hatten jeder 10 Mark in der Tasche, nicht einmal genug für die Übernachtung! Man brachte uns in ein Auswanderer-Zentrum. Dort blieben wir über Nacht und bekamen etwas zu essen. Wir fühlten uns elend, doch wenn ich später hörte, was andere mitgemacht haben, waren wir wirklich Glückspilze!
Interview
Edith Landesmann
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