Tag #115564 - Interview #78273 (Wilhelm Steiner)

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Trujillo y Molina, der Präsident der Dominikanischen Republik, hatte die Absicht, weiße junge Menschen in sein Land zu holen, die Kinder machen sollten. Das war sein Ziel, das hat er auch gesagt. Er hat auch Juden genommen, Hauptsache weiß. Es gibt darüber ein wunderbares Buch von Pessoa, einem guten peruanischen Schriftsteller. Ich hatte mich damals gemeldet, ich habe gedacht, warum soll ich nicht in die Dominikanische Republik?

Einige Zeit später rief mich der stellvertretende Direktor des Zuchthauses, übrigens ein entzückender Mann - der Direktor war ein Schweinehund - und sagte, er hätte einen Brief für mich, und ich müsse mir ein Foto machen lassen. Zuerst dachte ich, meine kommunistischen Freunde hätten das organisiert. Der stellvertretende Direktor hat dann ein Foto von mir gemacht, und er hat mir sogar noch seine Krawatte geborgt. Das Bild haben wir dann den Behörden geschickt, und tatsächlich habe ich eine Einreisegenehmigung in die Dominikanische Republik bekommen.

Aber zuerst einmal musste ich aus dem Zuchthaus raus. Die Amerikaner durften nicht wissen, die Reise in die Dominikanische Republik ging über Amerika, dass ich als Kommunist im Zuchthaus saß. Zum Glück ist das gelungen. Weil ich im Gefängnis war, habe ich auf einen Zettel Papier meinen Namen schreiben müssen, der Zettel wurde der amerikanischen Botschaft geschickt, und sie haben den Zettel mit meiner Unterschrift in meinen Pass unter das Foto geklebt. In der Früh habe ich meine Sachen bekommen, aber die Schuhe haben gefehlt. Sie haben mir dann irgendwelche Hausschuhe gegeben, und die Gefängniswärter haben gesagt: 'Verschwinde, du bist frei. Du musst aber innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen haben.' Sie haben mich rausgelassen, obwohl meine Strafe hieß: Auf Kriegsdauer interniert. Das war ja außerdem eine Lüge, ich war ja nicht interniert, das war keine Internierung, das war ein Zuchthaus.

So bin ich nach Zürich, und von Zürich mit der Bahn nach Genf, weil dort ein Autobus auf uns, das waren alle die, die für die Reise ausgewählt waren, warten sollte. In Genf bin ich spät nachts angekommen ohne einen Groschen Geld und habe in einem Obdachlosenasyl einen Platz zum Schlafen bekommen. In der Früh bin ich raus - so um fünf oder halb sechs musste man da raus. Da sind zwei Leute vor der Tür gestanden, die haben zu mir gesagt: 'Votre nom s'il vous plait, votre nom', das heißt, sie wollten wissen, wie ich heiße. Ich habe gesagt: Wilhelm Steiner, da haben sie gesagt 'avec nous' und mich verhaftet. Niemand hat mit mir geredet, die haben nur immer gesagt: 'Avec nous, avec nous!' Sie haben mich auf die Polizei gebracht und haben mich in einer Zelle eingeschlossen. Um fünf Uhr am Nachmittag hätte ich an einem bestimmten Platz sein sollen, aber niemand hat mit mir gesprochen. Ich habe überhaupt nicht gewusst, was mit mir geschieht. Sie haben mich dann um vier rausgeschmissen.

Der Autobus hat uns, wir waren ungefähr zwanzig Leute, auf abenteuerliche Weise durch das nicht besetzte Frankreich nach Spanien gebracht. In Madrid haben wir nur in Hurenhäusern geschlafen, es hat ja niemand für uns einen Platz gehabt. Und dann haben wir ein Schiff gekriegt, ein griechisches Schiff, das uns nach New York führen sollte. Der griechische Kapitän hat aber gesagt, er fährt nicht, weil inzwischen der Krieg zwischen Deutschland und Griechenland ausgebrochen war. 'Die schießen mir das Schiff unterm Hintern weg', hat er gesagt. Er fährt nicht, und damit basta!

So sind wir über die Pyrenäen nach Portugal gewandert. Portugal war ein neutrales Land. Dort haben wir dann auf ein Schiff gewartet. Alle haben in einem Zimmer geschlafen. Während dieser Zeit habe ich in einem Bordell gearbeitet. Ich habe gewaschen und geputzt, ich habe alles gemacht. Dann wurde ein Schiff, ein Küstendampfer gefunden. Der ist mit uns allen rübergefahren, das war schon einmalig. Der ist über das Meer geholpert, als würde er über eine Straße fahren.

Als wir in New York ankamen, wurden wir verhaftet, aber das war egal. New York war schon sehr weit von Europa weg, da konnte man schon frei atmen. Ich war sechs oder acht Wochen auf Ellis Island. In einem riesengroßer Saal, da sind vorne einige Amerikaner gesessen, haben wir uns aufgehalten. Wir haben wunderbar gelebt. Jeden Tag hatten wir Seife und ein sauberes Handtuch, und jeden Tag ein frisches Leintuch. Links und rechts standen voll gehängte Garderoben. Auf der linken Seite waren die Juden, die gebetet haben, auf der rechten Seite waren die Liebespaare. Im Hof haben wir Fußball spielen können. Dann plötzlich hat es geheißen, es geht los. Die Amerikaner fuhren uns nach Santo Domingo, über Kuba und Haiti, in die Dominikanische Republik. Ich saß auf dem Luxusdampfer mit einem Tropenhelm auf dem Kopf.

Santo Domingo ist die Hauptstadt der Dominikanischen Republik. Eine Straße ging durch das Land und wir wurden nach Puerto Plata gefahren. Jetzt ist Puerto Plata ein großer Ort mit vielen Hotels, aber damals war das eine kleine Kolonie im Urwald. Wir haben in Hütten gewohnt, die waren wie Pferdeställe. Fenster hat es ja keine gegeben bei der Hitze dort, da waren die Türen zweigeteilt, so wie in einem Pferdestall. Man hat oben den Schädel raus stecken können. Ich habe in der Landwirtschaft und im Schweinestall gearbeitet. Aber ich war jung, und mich haben weder die Moskitos noch die Hitze gestört. Wir haben gegen die Dominikaner aktiv Sport betrieben - Basketball, Fußball, Tischtennis. Die Dominikanische Republik hätte 10 - 20tausend Menschen aufnehmen können, aber wir waren 250 Leute. Wir haben dort während des Krieges gelebt, wie Gott in Frankreich.
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Wilhelm Steiner
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