Tag #115282 - Interview #78280 (Erika Rosenkranz)

Selected text
Zuerst blieben wir in San Remo und dann trafen wir uns mit meinem Vater und dem Opapa an der französischen Grenze in der Stadt Menton. Mein Vater und mein Opapa waren auf der einen Seite und meine Mutter, meine Omama, Onkel Ernst, Schufti und ich auf der italienischen Seite. Als es Abschied nehmen hieß, habe ich zu weinen begonnen. Ich war ja ein Kind, und für mich war es schrecklich, mich wieder vom Papa und Opapa trennen zu müssen. Der französische Zollbeamte konnte meine Tränen nicht ertragen und ließ mich und Schufti ohne gültige Papiere nach Frankreich einreisen. Zwischen Frankreich und Monaco gibt es keine richtige Grenze. Ich war dann mit meinem Papa und Opapa in Monte Carlo im Hotel, aber sie hatten keine Zeit für mich. Meine Mutter war immer viel strenger als der Papa, und es ging mir in dieser Zeit sehr gut. Da mein Opapa sehr viel mit dem belgischen Konsul in Monaco zu tun hatte, habe ich dessen Sohn kennen gelernt und hatte sofort einen Verehrer. Wir sind gemeinsam schwimmen gegangen, oder er lud mich zu einem Getränk oder ins Kino ein.

Nach 14 Tagen kamen meine Mutter, die Omama und der Onkel Ernst nach Monaco. Alle zusammen haben wir dann Monaco verlassen und gingen nach Cap d`Ail, einem kleinen Dorf, sehr nahe der Grenze zu Monaco, das aber schon in Frankreich liegt. Mein Großvater mietete eine Wohnung und meine Eltern lernten dort Papa Chardonneaux kennen, einen Mann, der im Bürgermeisteramt arbeitete und uns Aufenthaltsbewilligungen besorgte.

Es war September und ich ging in die Schule und lernte dort sehr schnell Französisch. Aber dann sind meine Großeltern und Onkel Ernst geschäftlich nach Belgien gefahren. Mein Vater ist auch weggefahren, nach Paris, um sich um seine Mutter und um seine Geschwister zu kümmern, die in Paris waren und um auch für uns eine Existenz dort aufzubauen.

Als dann meine Mutter hinterher fuhr, ging das nicht gut. Es war schrecklich! Meine Mutter hatte Probleme mit der Familie meines Vaters und es gab keine Arbeitsbewilligungen, weil die Flüchtlinge in Frankreich wie Touristen behandelt wurden. Bald hatten wir kein Geld mehr. Mein Opapa kam nach Paris und versprach uns wie immer finanzielle Hilfe. Meine Mutter wollte nicht mehr in Paris bleiben, und wir zwei fuhren nach Cap d`Ail zurück.

Einige Tage später begann der 2. Weltkrieg. Meine Mutter und ich waren in Cap d'Ail sowohl von meinem Vater, als auch von den Großeltern abgeschnitten. Das Geld ging zur Neige und meine Mutter war sehr verzweifelt. Nur durch die großzügige Hilfe von Papa Chardonneaux hatten wir wieder ein Auskommen. Er mietete für meine Mutter und mich in der Dordogne, ein Haus mit einem großen Garten. Dort hatten wir Fisolen, Gurken, Tomaten und Pfirsiche. Die Mutti arbeitete im Garten, ich habe das Obst und Gemüse auf dem Markt verkauft. Nachdem wir keine Waage hatten, verkaufte ich die Pfirsiche Stückweise.

Nach kurzer Zeit kam Marianne Fuchs aus Wien. Sie war die damalige Braut und spätere Frau von Onkel Rudy. Dann kam auch Onkel Rudy, aber das Haus war sehr klein und bald gab es Streitereien, woraufhin die zwei uns wieder verließen.

Ich stellte keine Ansprüche, ich hatte immer einen vollen Magen und was ich bekam, war gut. Das Wichtigste für mich während dieser ganzen Zeit war; ich war fast immer mit meiner Mutter zusammen. Ich weiß nicht, wie meine Mutter es schaffte, aber wir fristeten unser Leben dort.

Im Mai 1940 griff Deutschland auch Belgien an und der Opapa , die Omama und Onkel Ernst schafften es, aus Belgien zu flüchten und zu uns zu kommen. Meine Omama wollte nicht in so einem Haus wohnen wie wir, denn wir hatten ja nicht einmal Fließwasser, sondern nur einen Brunnen vor dem Tor. Mein Opapa mietete ein großes Haus mit einem eigenen Flughafen, auf dem viele Schwammerln [Pilze] wuchsen. Die kochten und davon lebten wir. Dann kam die Zeit der Weinlese, und wir konnten den Weinbauern helfen und bekamen ein wenig Geld dafür. In dieser Zeit bin ich jeden Tag fünf Kilometer zur Schule hin und fünf Kilometer zurückgegangen. Ich habe gemeinsam mit Bauernkindern gelernt, die auch alle arm waren. Mittags hat es in der Schule eine Suppe und ein Stück Brot gegeben, nachmittags habe ich manchmal in einem Gashaus Gemüse putzen dürfen und dafür eine ordentliche Mahlzeit bekommen.

Meine Mutter und ich sind wieder einige Zeit zur Familie Chardonneaux gezogen. Dort bin ich wieder in meine alte Schule gegangen, bin jeden Tag im Meer geschwommen und war sehr glücklich. Aber meine Mutter und mein Vater, der aus Paris zu uns gekommen ist, haben beschlossen, dass wir uns in Nizza ansiedeln. Da wir sehr wenig Geld hatten, mieteten wir uns in Nizza eine schlechte Wohnung. In der neuen Schule hat es mir nicht gefallen. Mein Vater hatte keine Arbeitsbewilligung Papa Chardonneaux half uns wieder. Wir verließen die Wohnung in Nizza, zogen alle zu ihm und dann borgte er uns Geld, damit wir in Nizza eine vernünftige Wohnung mieten konnten.
Period
Location

Monaco

Interview
Erika Rosenkranz