Tag #115275 - Interview #78280 (Erika Rosenkranz)

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Meine Großmutter väterlicherseits hat im 3. Bezirk, in der Löwengasse 11 gewohnt. Sie hatte eine kleine 1 ½ Zimmer Wohnung, bei der sich die Toilette am Gang war. Wenn wir sie besucht haben, hat sie immer auf einem Fauteuil neben dem Ofen gesessen. Ganz in der Nähe ihrer Wohnung, am Radetztkyplatz, hatte die Großmutter ihren Geflügelstand, wo sie gerupfte Hühner, Enten, Gänse und Gansleber verkauft hat. Sie war klein und dick, aber eine sehr starke Frau. Da sie nach dem frühen Tod ihres Mannes allein geblieben war, musste sie sehr hart arbeiten. In Mauer bei Wien hat meine Großmutter im Sommer manchmal eine Wohnung gemietet und fuhr dahin auf Sommerfrische. Damals ist man ja nicht auf Urlaub wie heute gefahren. Man hat sich einfach eine Wohnung in einer schönen Umgebung gemietet. Das war billiger, und die ganze Familie konnte davon profitieren, weil man zu Besuch kommen konnte. Auch wir haben die Großmutter in Mauer besucht, und ich glaube, wir waren manchmal sogar einige Tage bei ihr. Sie hatte ein sehr schweres Leben, es ging immer um die Existenz. Sobald mein Vater und seine Geschwister erwachsen waren, hatten sie es nicht sehr gern, dass ihre Mutter am Geflügelstand eine so schwere Arbeit machen muss. Aber ihr hat die Arbeit auch Vergnügen bereitet. Sie hat gern mit Leuten gesprochen, und sie konnte sehr gut Geflügel einkaufen. Ich schäme mich jedenfalls nicht, von einer Ganslerin abzustammen. Ganz im Gegensatz dazu die Omama mütterlicherseits, die es sich leisten konnte, auf viele Formalitäten zu achten.
Interview
Erika Rosenkranz