Tag #115253 - Interview #78548 (Emilia Ratz)

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Der Krieg brach am 1. September 1939 [13] aus. Meine Freundin und ich fuhren Ende August mit der Straßenbahn zur Technischen Universität, um unsere Papiere für das Studium einzureichen. Ich wollte Chemie studieren, es war mein Wunsch, einmal als Chemikerin zu arbeiten. Im Zentrum der Stadt hörte ich, dass kleine Buben laut schreiend die ‚Extraausgabe’ einer Zeitung verteilten. Ich sagte zu meiner Freundin, dass ich aussteige, weil ich sehen muss, was in der Zeitung steht. Der Krieg lag bereits in der Luft! Als ich über die Mobilmachung der Männer in der Zeitung las, sagte ich zu meiner Freundin: ‚Ich gebe meine Papiere nicht her, der Krieg ist so gut wie sicher.’ Sechs Tage später waren die Deutschen vor Warschau. Die Männer und die jungen Leute versuchten zu fliehen. Auch ich wollte weg, weil ich ahnte, dass es schlimm werden würde.

Ich war hundertprozentig davon überzeugt, dass man fliehen muss. Die polnische Regierung sagte: ‚Wir sind stark, wir werden kämpfen und wir werden siegen!’ Und in meinem kleinen Gehirn - damals glaubte ich allerdings, ich sei wahnsinnig erwachsen und weiß schon alles - wusste ich in dieser Zeit, dass der Kampf gegen die Deutschen verloren war. Warschau fiel nach drei Wochen in die Hände der Deutschen.

Mein Vater - das war eine Katastrophe - wollte mich nicht gehen lassen. ‚Du verlässt die Familie?’ sagte er, und ich blieb. Ich war die einzige Person Lebensmittel besorgte - meine Schwester war 12 Jahre alt, meine Mutter dicklich und keine Anstrengungen gewöhnt, mein Vater war wahrscheinlich Herz- und Nierenkrank und schwitzte immer- und sich nach Wasser anstellte, denn es gab keines mehr.

Als die Deutschen in Warschau einmarschierten stand ich mit den Händen zu Fäusten geballt auf der Strasse. Sie marschierten ein wie die Helden: schwarz gekleidet, mit Panzern und mit überheblichen Gesichtern. Ich lief nach Hause und kämpfte mit meinen Eltern, ich wollte, dass wir zusammen fliehen. Mein Vater sagte: ‚Was willst du, du bist ein Kind, du verstehst nichts, das ist alles übertrieben.’ Und meine Mutter sagte: ‚Weißt du, die Deutschen sind doch ein zivilisiertes Volk, denk an Goethe und Schiller!’ Ich musste einsehen, dass es aussichtslos ist. Zwei Jahre vor dem Krieg war die wirtschaftliche Lage besser geworden: meine Eltern hatten Möbel und solche Sachen gekauft, und daran klammerten sie sich. Dann kämpfte ich um meine Schwester. Da bekam mein Vater wirklich einen Wutanfall. ‚Was bildest du dir ein, du bist nicht erwachsen!’ Daraufhin zog ich zu meiner Freundin Halina Altmann. Sie hatte sehr fortschrittliche Eltern, die Mutter war damals sogar für ihre politische Überzeugung im Gefängnis, oder schon entlassen, ich weiß das nicht mehr so genau. Sie waren alle links und beschlossen zu flüchten. Halina floh nach Lemberg [heute Lviv, Ukraine] und studierte an der Universität. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder flohen nach Lutzk, einem kleinen Ort, der unter russischer Herrschaft war und heute in der Ukraine liegt. Der Vater war gerade auf einer Dienstreise in Kiew, als die Deutschen in Lutzk einmarschierten und die Mutter und den Bruder von Halina ermordeten. Halina und ihr Vater überlebten den Holocaust.
Interview
Emilia Ratz