Tag #115013 - Interview #78283 (Alice Granierer)

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Meine Mutter wollte unbedingt nach Wien zurück. Nicht nur, dass wir zuwenig zum Leben hatten, sie wollte auch ihre Mutter und Geschwister suchen. Die Reise war kostenlos, da die UNRRA [Anm.: Hilfsorganisation] das bezahlt hat.

Da habe ich gesagt: Ihr könnt fahren, aber ich bleib da. Mein Vater hat gesagt: 'Glaubst du, ich werd dich dalassen?' 'Warum nicht? Ich bin 18 Jahre, und ich will dableiben.'

Herr Weiß, der Vater meiner Freundin Esther ist zu meinen Eltern gegangen und hat gesagt: 'Herr Silberberg, schauen Sie: Ihre Tochter ist 18 Jahre alt. Es wäre doch schön, wenn mein Sohn und Ihre Tochter ein Paar werden würden. Sie kann bei uns wohnen und schlafen.

Sie wird wie unser Kind sein, und das, was sie im Geschäft verdient, kann ich ihr als Taschengeld geben. Warum wollen Sie sie nach Wien schleppen? Lassen Sie sie doch da.' Und mein Vater hat gesagt: 'Ich habe fünf Finger Herr Weiß, und wenn man mir einen wegnimmt, fehlt mir was.

Es kommt nicht in Frage, dass ich mein Kind dalasse.' Und zu mir hat er gesagt: 'Pass mal auf Lizzy, wenn du dableibst, bleiben wir alle da. Aber wenn irgendwas passiert, bist du schuld.' Und so bin ich mit zurückgekommen nach Wien.

In Wien haben wir für die ersten Monate eine Wohnung ganz weit draußen in Sievering bekommen. Das war so eine Art Flüchtlingslager für Rückkehrer, und wir sind von den Amerikanern reichlich mit Essenpaketen versorgt worden.

Dann sind wir in den 3. Bezirk, in die Hansalgasse gezogen und konnten uns dort umsonst mit Möbeln aus einem Fundus einrichten. Ich habe ein paar Monate eine vom ORT [Anm.: amerikanische Fortbildungsorganisation] angebotene Frisör- und Kosmetiklehre gemacht.

Aber ich hab das nicht lange gemacht, weil ich wieder Geld gebraucht habe, und da habe ich als Verkäuferin in dem jüdischen Wollgeschäft Bonze gearbeitet. Das Geschäft war auf der Reinprechtsdorfer Straße. Mein Vater hat wieder Schreibartikel verkauft.
Period
Location

Vienna
Austria

Interview
Alice Granierer