Tag #115006 - Interview #78283 (Alice Granierer)

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Und wir sind vom Bahnhof in Wien nach Triest gefahren. Meine Tanten und die Oma standen am Bahnhof. Da habe ich die Oma das letzte Mal gesehen.

Wir waren nun zu sechst, und meine Mutter war wieder hochschwanger. In Triest sind wir in einem Flüchtlingslager gewesen und dann mit dem Schiff nach Haifa gefahren. Dort ist mein zweiter Bruder Dan zur Welt gekommen. Wir haben in Haifa gewohnt - fünf Kinder in einem kleinen Zriff [dt: Baracke].

Mein Bruder Dani ist in Haifa zur Welt gekommen, und wir haben in Maon Olim [Anm.: Zeitweise Unterkunft für Neueinwanderer] ein Zimmer gehabt und haben dort gewohnt. Wie der Papa die Mama zur Entbindung ins Spital gebracht hat, sind wir Mädchen auf drei Gastfamilien aufgeteilt worden. Nur meinen Bruder Naftali hat er nicht hergegeben.

Ich habe bei der jekkischen [Jekke: deutscher Jude] Familie Luft gewohnt. Sie hatten eine wunderschöne Villa am Carmel. In der Früh wurde meine Bettwäsche zum Lüften in den Garten gegeben, und davor stand ein kleiner Tisch.

Da habe ich Haferflocken mit Milch bekommen. Ich habe gesagt: 'Bitte, bitte, Frau Luft, ich kann Haferflocken nicht essen. Kann ich nicht ein Stück trockenes Brot haben? Kann auch mit Wasser sein, nicht einmal Milch ist notwendig.

Aber bitte keine Haferflocken!' Sie hat gesagt: 'Meine Tochter ist groß geworden mit Haferflocken, und du wirst auch Haferflocken essen, weil das gesund ist.' Mir hat gegraust davor. Also habe ich einen Löffel Haferflocken in den Mund genommen, bin aufgesprungen und hab ihn über die Tuchent ausgespuckt.

Nach zwei Tagen ist mir das nicht so gut gelungen, und es ist die Tuchent voll gewesen. Da hat die Frau Luft gesagt: 'Wenn´s so schlimm ist, dann kriegst du ein Brot.' Und ich musste die Haferflocken nicht mehr essen. Meine Schwester Inge hatte Glück. Die Frau, bei der sie war, konnte keine Kinder haben.

Die wollte sogar meine Schwester adoptieren, aber meine Eltern haben sie nicht hergegeben. Ruthi hatte Pech. Die Frau, bei der sie war, hatte eine Katze. Die Katze war ein unmögliches Viech. 'Ruthi - schon wieder hast du den Käse mir weggegessen', - das war aber die Katze.

Da ist meine Schwester zu meinem Vater gegangen und hat es ihm erzählt, und er hat sie nach Hause genommen, und sie ist nicht mehr dort geblieben.
Location

Haifa
Israel

Interview
Alice Granierer