Peter Landesmann

DDr. Dipl. Ing. Georg Peter Landesmann
Wien, Österreich
Interviewer: Artur Schnarch

Peter Landesmann ist groß und schlank und macht einen sehr gepflegten und distinguierten Eindruck. Dieser wird noch durch das Ambiente seiner auf der Hohen Warte gelegenen Altbauvilla unterstützt. Ich werde freundlich und mit großer Höflichkeit empfangen. Da Peter Landesmann ein Mensch mit Effizienz und Selbstdisziplin ist, was sich aus seinem Leben leicht ablesen lässt, besteht beim Interview eine echte Arbeitssituation. Wodurch ich chronologisch geordnet, zu vielen genauen Daten gekommen bin, die für dieses Projekt sicher wertvoll sind.

Meine Familiengeschichte

Meine Kindheit

Flucht nach Ungarn

Nach dem Krieg

Meine Familiengeschichte

Mein Großvater mütterlicherseits, an den ich mich sehr gut erinnern kann, hieß Edmund Grünstein. Er hat von seinem Vater Samuel Grünstein einen Gutsbetrieb geerbt, den er auch geführt hat. Der Gutsbetrieb befand sich an der späteren ungarisch-slowakischen Grenze und bestand aus zwei Höfen. Tornyosnémeti war die ungarische Grenzstation, wenn man mit dem Wagen fuhr, die Bahnstation war in dem angrenzenden Ort Hidasnémeti.

Mein Großvater war Kavallerieoffizier in der k-u- k. Armee. Er war immer eine sehr stattliche Erscheinung, ich kann mich noch gut an ein Bild erinnern, auf dem er in Uniform auf einem Pferd fotografiert wurde. Er hatte den ungarischen Titel Hadnagy, ich weiß nicht genau, wie man das auf Deutsch übersetzt. Alle Menschen haben sich immer nach ihm umgedreht, weil er so respekteinflößend, aber auch sehr gütig aufgetreten ist.

Nach dem Ersten Weltkrieg hat er als ungarischer Patriot bei der Grenzziehung, die durch seinen Betrieb gegangen ist, die Gründe für die dort errichteten Zoll- und Grenzhäuser dem slowakischen und dem ungarischen Staat abgetreten. Allerdings unter der Bedingung, dass, wenn irgendwann einmal die Grenze wieder verschwindet, und das haben ja alle Ungarn nach 1918 gehofft, sowohl das Grundstück als auch die dort errichteten Gebäude an uns zurückfallen.

Der Betrieb war schätzungsweise 400 Hektar groß. Er war der größte Zichorien-Produzent, besaß aber auch eine große Schafherde für die Produktion von verschiedenen Schafmilchprodukten. Zichorien wurden für Ersatzkaffee verwendet, ich kann mich noch an die Kaffeefabrik ‚Frank’ in Wien erinnern, an die mein Großvater geliefert hat. Wir sind sehr oft mit der Kutsche meines Großvaters zu der Alm hinaufgefahren, wo sich die Schafherde und auch eine Käserei befanden. Mein Großvater starb 1942.

Meine Großmutter Etelka, geborene Schwartz, kam aus dem Komitat Hajdu. Als wir später verfolgt wurden, war sie mit uns zusammen in Budapest. Nach dem Krieg lebte sie mit uns auf unserem Gutsbetrieb in Österreich, in Unterwaltersdorf. Sie starb meiner Erinnerung nach Mitte oder Ende der 1960er Jahre. Ich kann mich noch an Hugo, einen Bruder meiner Großmutter, erinnern. Er und seine Frau wurden mit ihrem Kind von den Deutschen ermordet.

Meine Vorfahren mütterlicherseits, bis auf meine Mutter und meine Großmutter, sind auf dem kleinen jüdischen Friedhof in Tornyosnémeti begraben.
Mein Großvater war religiös, er hielt alle Feiertage, aber der Haushalt wurde nicht koscher geführt. Ich kann mich erinnern, dass er mit mir ein Kaparot Ritual über meinem Kopf durchgeführt hat. Es gab zwar nicht sehr viele Juden in dieser Gegend, aber an den Feiertagen war ein Minjen vorhanden. Da sind wir dort in eine kleine Shil gegangen, was mich damals sehr beeindruckt hat.

Meine Mama Klara Grünstein wurde am 11. August 1905 in Tornyosnémeti auf dem elterlichen Hof geboren. Die Schule besuchte sie in Kaschau. Sie hatte zwei Schwestern, die jüngere Juzi [Judith] und die ältere Baby.

Ich kenne Babys wirklichen Namen nicht. Baby war in erster Ehe mit einem Görög verheiratet und hat dann Dr. Benkö Engel geehelicht. Mit diesem ist sie 1938 nach Palästina ausgewandert, wo sie 1943 an einer Krankheit verstarb. Sie hat eine Tochter Susi, welche in Haifa lebt und ihrerseits auch zwei Töchter hat.

Juzi, wurde mit einem Willhelm Schlesinger verheiratet. Wilhelm Schlesinger war ein Onkel, zu dem ich sehr enge Beziehungen unterhalten habe. Er hat in Kaschau eine Holzgroßhandlung geführt und in Schwedlar, in der Slowakei, ein Sägewerk besessen. Dort waren wir häufig zu Besuch.

Tante Juzi ist mit ihren Kindern Paul und Evi in Auschwitz ermordet worden. Onkel Willi hat mehrere Konzentrationslager überlebt. Er war dann in Budapest eine zeitlang in dem ungarischen Monopol-Exportunternehmen für Holz tätig, hat sich dann nach Österreich abgesetzt und lebte hier, wenn ich mich richtig erinnere, bis 1970 am Esteplatz. Er heiratete nochmals, aber die Ehe war nicht sehr glücklich.

Mein Großvater väterlicherseits hieß Markus Landesman und wurde im Nordosten Ungarns in Nagymihaly geboren. Die Familie war dort im Viehhandel, Weinausschank und auch im Weinbau tätig. Er heiratete Julia Moskovits und hatte mit ihr 3 Söhne und eine Tochter Irene. Der Älteste hieß Stefan, dann kam mein Vater Alexander und der Jüngste Ladislaus. Nachdem mein Großvater früh Witwer wurde, heiratete er noch einmal und hatte noch eine Tochter Olga und einen Sohn Bandi [Andreas].

Mein Onkel Lazi (Ladislaus), welcher mit Dizzi verheiratet war, ist aber schon 1943 gestorben. Er hatte einen Sohn Paul, welcher auch die Verfolgungen überlebt hat. Dieser hat zweimal geheiratet und ist vor vier Jahren gestorben. Die Dizzi hat mit uns in Budapest gelebt. Sie war mir sehr behilflich, als mir 1946 beim Schifahren die Hände gefroren waren. Sie hat nochmals geheiratet, einen gewissen Josef Melczer, und hatte mit ihm einen Sohn Tibor, der erst kürzlich verstorben ist.

Onkel Stefan hat geheiratet und zwei Kinder gehabt, Juci und János. Beide haben, wie auch mein Onkel Stefan, die Verfolgungen überlebt. Juci und János sind dann zuerst nach Wien und danach nach Amerika ausgewandert. János wurde an die Universität Hartford berufen, wo er als Professor bis zu seinem Ableben vor acht Jahren Vorlesungen hielt. Judith lebt, glaube ich, noch in Hartford. Sie kommt jedes Jahr nach Budapest, und ich sehe sie ab und zu.

Mein Vater hieß Alexander Landesmann. Er wurde am 10. Jänner 1894 geboren. Die Familie ist um 1900 nach Budapest gezogen. Mein Vater war im Ersten Weltkrieg an der Russischen Front, ist dann 1916 in Gefangenschaft geraten und nach Sibirien verschleppt worden. 1917, in den bolschewistischen Unruhen, ist es ihm gelungen, sich nach Ungarn durchzuschlagen.

Er hat, wie der Großvater, gemeinsam mit allen Söhnen im Kommissionsunternehmen, das aus Ungarn den Viehexport in verschiedene westliche Länder, nach Wien, nach Prag, dann auch über Fiume in die Levante, nach Paris durchgeführt hat, gearbeitet. Das Unternehmen hieß auf Deutsch Markus Landesmann und Söhne und ungarisch Landesmann Mark Es Fiai. Überall an diesen Stellen wurden auch Niederlassungen gegründet, die die einzelnen Söhne geführt haben. Mein Vater gründete 1922 die Niederlassung in Wien. Die Firma hieß erst Landesmann und Gross, nach dem der Partner verstarb, führte mein Vater die Firma alleine weiter. Sein Büro hatte er in St. Marx am Schlachthof. 1928 heiratete er meine Mutter Klara Grünstein.

Meine Kindheit

Ich wurde am 4. Oktober 1929 im Auersperg-Sanatorium in Wien geboren. Zweieinhalb Jahre später, am 1. März 1932, kam dann mein Bruder Hans zur Welt, mit dem ich immer unzertrennlich war. Wir haben im 3. Bezirk, am Esteplatz 5, gewohnt.

Obwohl meine Eltern beide aus Ungarn kamen und wir bei Verwandtenbesuchen auch oft dort waren, sprachen weder mein Bruder noch ich ungarisch und hörten es eigentlich nur, wenn unsere Eltern es als Geheimsprache benutzten. Zu Hause wurde nur Deutsch gesprochen. Unsere Volksschule war in der Strohgasse.

Jüdische Feiertage wurden bei uns zu Hause kaum eingehalten. Bloß mein Vater ging zu den jüdischen Feiertagen  in das Bethaus in der Unteren Viaduktgasse, wohin ich ihn ab und zu begleitete. Zu Weihnachten hatten wir, wie damals beim jüdischen Großbürgertum üblich, einen Baum.

Mein Vater hat 1932 auch einen Familien-Gutsbetrieb in der Nähe von Wien, in Unterwaltersdorf an der Fischa, erworben. Es war ein Geflügelhof dabei, und ich besuchte meinen Vater sehr oft in diesem Betrieb. Der Betrieb hatte 740 Hektar und wurde von 150 Arbeitern bewirtschaftet, wovon 70 Saisonarbeiter waren. Mein Großvater Mark erwarb im südwestlichen Ungarn, südlich vom Plattensee, einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Leokádiapuszta und pachtete dazu von Fürst Esterhazy einen Betrieb, der an die 3500 Hektar groß war. Auf den Gutshöfen meiner beiden Großväter habe ich meine Sommerurlaube abwechselnd verbracht.

Dieser Betrieb wurde dann auch in der Nazizeit arisiert oder übernommen. Nach dem Krieg gelang es meinem Vater, einige Geräte von dort zu retten und in einem in der Nähe von Budapest gelegenen Austauschbetrieb zu nutzen, der meinem Vater aber nach ein, zwei Jahren dann auch weggenommen wurde.

Flucht nach Ungarn

Beim Einmarsch der Deutschen im März 1938 ist uns zu Gute gekommen, dass wir ungarische Staatsbürger waren. Ich musste aus der Schule Strohgasse in eine jüdische Schule in die Juchgasse übersiedeln. Ich habe kaum ein antisemitisches Erlebnis in der Strohgasse gehabt. Unangenehm war, dass wir uns alle beim Weggehen mit dem Führergruß verabschieden mussten. Ein jüdisches Mädchen aus der Schule hat aus Protest beim Führergruß die Finger gespreizt. Es ist ihr aber nichts passiert. Ein anderes Mal hat ein Mitschüler mich Judenschwein genannt; als ich mich bei der Lehrerin beschwert habe, hat sie zwar versucht, mich zu beruhigen, hat es aber nicht gewagt, den Mitschüler zurechtzuweisen. Ich war dann noch ein paar Monate, bis zum Ende des Schuljahres in der Juchgasse, dann sind wir nach Budapest übersiedelt.

Das Kinderfräulein ist mit uns nach Ungarn gekommen, und ich kann mich noch erinnern, dass sie mir den Text der österreichischen Bundeshymne gegeben hat und gesagt hat: „Vergiß nicht, dass du Österreicher bist und vergiß Österreich nicht“. Das waren ihre Abschiedsworte. Interessanterweise, nach dem Krieg, als ich ein Buch publizierte und in der Zeitung Erwähnung fand, hat sie mich gefunden, sie lebte irgendwo in Tirol. Das war ein sehr schönes Wiedersehen. Sie hat mir auch noch alte Bilder gebracht, die sie bei sich aufbewahrt hatte.

In Budapest habe ich mir schwer getan. Wir haben eine Fremdsprache gesprochen, Wienerisch, und ich musste dann Ungarisch lernen. Ich habe dann durch meine mangelnden Ungarischkenntnisse ein Schuljahr verloren und bin ein Jahr in die Bürgerschule gegangen, Polgári hieß die auf Ungarisch. Ich bin nach diesem einen Bürgerschuljahr in das jüdische Gymnasium aufgenommen worden.

Wir sind zu den großen Feiertagen in den Tempel gegangen. Es war der orthodoxe Tempel in der Rombachgasse, in dem mein Großvater Markus Landesmann Tempelvorsteher war. Meine Bar Mitzva habe ich auch dort gefeiert.
Meine Mutter hat sich bei der WIZO und bei der KKL betätigt und war - ganz im Gegensatz zu meinem Vater - zionistisch eingestellt. Es hat deswegen immer auch Kontroversen gegeben, weil es mein Vater nicht gerne gesehen hat, dass meine Mutter bei anderen jüdischen Persönlichkeiten antichambriert hat, um dort Spenden zu erbitten oder entgegenzunehmen.
1942 ist dann meine Großmutter Etelka Grünstein nach dem Tod des Großvaters von Tornyosnémeti zu uns nach Budapest übersiedelt.

Ab 1940 wurden alle jüdischen Pfadfindergruppen aus der Pfadfinderorganisation ausgeschlossen, wir haben uns dann als Jungmitglieder des Roten Kreuzes eingetragen, und so ging alles normal weiter. Es wurden auch ältere Juden zum Arbeitsdienst eingezogen, so auch mein Vater. Wir haben ihn dort auch besucht. Er lebte mit anderen Juden in Baracken und verrichtete schwere körperliche Arbeit.

Gelebt haben wir nach wie vor vom Kommissionsgeschäft, welches bis zum 19. März 1944 ganz normal lief. Ich war bei einer Pfadfindergruppe und im jüdischen Gymnasium. Als am 19. März 1944 die Deutschen Ungarn besetzten, begannen die Judenverfolgungen.

Meine Mutter war damals schon schwer an einem Krebsleiden erkrankt und ist mitten in all diesen Wirren am 28. April 1944 gestorben.

Noch am Tag der Besetzung sind wir in eine Pension am Schwabberg übersiedelt, da wir antisemitische Ausschreitungen fürchteten. Von dort mussten wir dann weg und sind in ein Hotel in der Nähe übersiedelt. Dieses wurde von der Gestapo als Hauptquartier beschlagnahmt, und alle Juden in diesem Hotel und aus der Umgebung wurden nach Budapest in eine Schule überführt. Gott sei Dank war mein Vater damals nicht bei uns, da alle Männer ins Lager kamen, während die Frauen und Kinder freigelassen wurden.

Wir sind dann wieder in unsere Wohnung zurückgegangen. Ich habe weiter die Schule besucht und außerdem für die Kultusgemeinde als Bote gearbeitet. Ich hatte von der Kultusgemeinde einen Ausweis, mit dem ich mich auch während der Sperrstunden frei bewegen konnte. Die Kultusgemeinde unter ihrem Präsidenten Stern hat in der Hoffnung, das Schicksal der Juden mildern zu können, mit den Nazis kooperiert. Als 1943 ein ungarischer Flüchtling aus Polen kam und der Kultusgemeindevertretung von den Gräueln, die er dort gesehen hatte, berichtete, hat ihm niemand geglaubt.

Im Juni 1944 wurden alle Juden in jüdische Häuser übersiedelt. Da haben wir in großen Wohnungen gelebt, wo jede Familie ein Zimmer hatte. Am 15. Oktober 1944 hielt Horhty die Ansprache, wo er den Waffenstillstand mit den Alliierten anbot. Wir waren alle ganz euphorisch, aber am Abend haben dann die Pfeilkreuzler die Macht übernommen, und wir mussten uns sofort nach einer neuen Bleibe umsehen. Mein Bruder und ich kamen ins Internat Don Bosco des Salesianerordens. Dort waren etwa 20 jüdische Kinder versteckt. Wir mussten als Christen gelten, und so haben wir an den Gottesdiensten teilgenommen. Ich habe sogar ministriert.

Dann habe ich gesehen, dass es bei den Salesianern nicht mehr sicher genug war. Man hat dann leider, als wir von dort weggegangen sind, jüdische Kinder, die dort waren, erschossen. Wir sind dann in einem Christenversteck gewesen. Von dort mussten wir auch flüchten und sind dann ins Schweizer Haus in der Vadász Utca gekommen. In der Vadász Utca war es auch gefährlich, und so sind wir dann in ein schwedisch geschütztes Haus gekommen, bis wir, mein Bruder und ich, wieder von diesem schwedisch geschützten Haus durch das noch brennende Budapest in die Vadász Utca zurückgekommen sind. Dort sind wir dann am 18. Jänner 1945 von den russischen Truppen befreit worden.

Nach dem Krieg

Ich habe dann in Budapest meine Schule fortgesetzt, habe Gott sei Dank dann 1945 auch noch das Rumpfjahr als Schuljahr angerechnet bekommen, so dass ich kein weiteres Schuljahr verloren habe und bin dann im Jahr 1947 nach Wien gekommen. Ich habe damals nur den Abschluss der siebenten Gymnasiumsklasse gehabt, es gab aber die Möglichkeit, durch einen Überbrückungskurs der Universität Wien dieses eine Jahr, dass ich durch die Emigration verloren hatte, wieder aufzuholen. Ich habe deshalb zuerst als außerordentlicher Hörer und dann als ordentlicher Hörer gleich 1947 an der Hochschule, damals hieß es Hochschule für Bodenkultur, heute heißt sie Universität für Bodenkultur, inskribiert und diesen Überbrückungskurs der Universität Wien absolviert. Zuerst für die naturwissenschaftlichen Fächer, anschließend im Sommersemester für die humanistischen Fächer, so dass ich dann aufgrund dieser Prüfung ein gültiges Maturazeugnis erhielt, was mir dann später sehr zu Gute gekommen ist. Ich habe dann die Hochschule für Bodenkultur 1952 mit dem Titel ‚Diplomingenieur’ absolviert. Jetzt erst, vor einigen Wochen, habe ich mein Goldenes Diplomingenieur-Diplom erhalten.

Schon 1948 trat ich in die väterliche Firma in Wien ein, die damals ‚Landesmann und Gross’ hieß. Dann wurde sie auf „Alexander Landesmann und Sohn“ umbenannt und ich habe mich mit der Führung des Landwirtschaftsbetriebes beschäftigt. Nachdem alle ungarischen Besitzungen verstaatlicht worden sind, war uns nur der Betrieb in Unterwaltersdorf geblieben.
Ich habe in den ungarischen Jahren nach der Befreiung bei meiner Großmutter mütterlicherseits und bei meiner Ziehgroßmutter väterlicherseits gewohnt. Beide sind nach Wien gekommen. Mein Onkel Bandi und mein Onkel Stefan sind in Budapest geblieben.

Als erst mein Vater und dann wir Kinder nach Wien zurückkamen, haben wir zuerst am Esteplatz gewohnt, mussten aber dem Ariseur diese Wohnung wieder zurückgeben. Nach dem damaligen Wohnungsgesetz war es nicht anders möglich, und so sind wir dann in die Reisnerstrasse 29 übersiedelt.
Mein Bruder Hans kam mit mir nach Wien zurück, ist aber dann nach London gegangen und hat dort die Schule besucht. Nach dem der Matura entsprechenden Abschluss ist er nach New York übersiedelt, hat vier Jahre studiert und seinen BA erworben.

Mein Vater heiratete nach dem Krieg ein zweites Mal und zwar die verwitwete Gertrude „Trude“ Frey. Sie war mit Frey verheiratet. Sie hatte aus dieser ersten Ehe einen Sohn, Robbi, der mit einer Gerda Brandl verheiratet ist. Sie haben drei Söhne und leben in Wien. Mein Vater starb 1957, und Trude überlebte meinen Vater um ein Jahr.

In Wien hatten mein Vater und ich einen Tempelsitz. Zu den hohen Feiertagen sind wir in den Tempel gegangen. Mein Vater wurde dann auch zur Mitarbeit in einer zionistischen Organisation geworben, aber er hat nur Beiträge gezahlt.

Als mein Vater 1957 starb, kam mein Bruder aus New York zurück, um mit mir gemeinsam das väterliche Unternehmen weiter zu führen. Mein Bruder hatte inzwischen das PhD an der Columbia Universität gemacht. Hat dort auch eine Christin geheiratet, die dann zum Judentum übergetreten ist. Sie heißt Elaine Wayne. Mein Bruder hat aus dieser Ehe drei Kinder. Eigentlich vier Kinder, eines ist gestorben. Der Älteste heißt Marcel, die Älteste ist die Tochter Claire, und die Jüngste ist auch eine Tochter, Susi. Sie haben alle noch Kinder.

Mit meinem Bruder zusammen führten wir das Unternehmen weiter. Ich habe mich immer mit dem Judentum beschäftigt und habe deshalb vor 15 Jahren mein erstes Buch verfasst, ‚Die Juden und ihr Glaube’. Ich habe auch in verschiedenen Kommissionen in der Kultusgemeinde teilgenommen. Dann beschloss ich, da ich mich für das Judentum  interessiere, Judaistik zu studieren. Nach Abschluss dieses Studiums habe ich einen Doktortitel mit einer Dissertation über die Geschichte der Rabbiner in Wien erworben. Dieses Werk wurde dann ebenfalls publiziert. Inzwischen habe ich aber nach dem großen Erfolg des ersten Buches ein zweites Buch geschrieben, ‚Das Judentum und ihre Widersacher’. Nach dem Abschluss des Studiums habe ich an der evangelisch-theologischen Fakultät inskribiert und habe das Studium ebenfalls mit einem Doktorat vor zwei Jahren abgeschlossen. Die Dissertation hieß: ‚Die Himmelfahrt des Elija’. Ich hoffe, dass auch diese Dissertation in gedruckter Form bald erscheint. Demnächst erscheint auch die zweite Auflage von ‚Die Juden und ihr Glaube’. Von der ersten Auflage sind über 15000 Exemplare, Hardcover und Softcover, verkauft worden.

Meine Frau, die ich 1959 geheiratet habe, hieß mit dem Mädchennamen Ellen Urabin. Ich habe sie durch Bekannte kennengelernt. Sie hat in Israel gelebt, dann später in Zürich, wo sie die Dolmetscher-Schule absolviert hat und dann noch in London. Als sie einmal mit ihrer Mutter zu Besuch in Wien war, habe ich sie kennengelernt.

Wir haben drei Kinder, wobei unsere Tochter Sandra leider gestorben ist. Die zwei Söhne sind Michael und Mark. Die drei Kinder haben geheiratet. Sandra hat Richard Kerpner geheiratet und hat eine Tochter aus dieser Ehe, Nomi Kerpner. Sie haben bis jetzt in Israel gelebt und werden jetzt nach Wien kommen. ‚Ricky’ hat wieder geheiratet.

Mark hat in Stanford und Harvard studiert und dort sein MBA in Business Administration und ein BA in Social Studies gemacht. Er hat Jennifer geheiratet, die aus Kolumbien stammt und auch übergetreten ist. Sie haben eine Tochter Rachel und leben in Kalifornien.

Michael hat seinen Magister an der Wirtschaftsuniversität gemacht. Er ist mit Alla verheiratet. Sie stammt aus einer Familie aus Kasachstan namens Kwirski. Sie haben zwei Kinder, Paul und Katharina und leben in Wien.

Meine Frau ist Präsidentin der Freunde der Hebrew University Jerusalem. Ich unterstütze sie in ihrer Arbeit, und wir haben vor vier Jahren das Austria Center und einen Lehrstuhl an der Hebrew University gegründet. Es entstand ein Liaisonkomitee mit der Einbindung aller Österreichischen Universitäten. Ich bin Generalsekretär dieses Liaisonkomitees. Außerdem bin ich auch Mitglied im Rahmen eines neu gegründeten Vereins: Österreichische Freunde des Austrian Centers, deren Präsident der Nationalbank-Gouverneur Liebscher ist.

Wir veranstalten jedes Jahr zwei kulturelle Events, meistens im Burgtheater, aber auch in der Oper oder im Konzerthaus, die sehr gut besucht sind. Außerdem arbeiten wir an wissenschaftlichen Projekten. Erst kürzlich habe ich ein Symposion über Nietzsche unter dem Aspekt Nietzsche und jüdische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts organisiert.

Im Verlauf meines Lebens habe ich mich immer intensiver mit dem Judentum beschäftigt und bin so auch zu einem Reform-Glaubensjuden geworden. Ich beteilige mich auch am christlich-jüdischen Dialog und habe in unserem zum Großteil christlichen Freundeskreis festgestellt, dass der mit der Muttermilch aufgesogene Antisemitismus auch bei den intelligentesten und liberalsten Menschen vertreten ist. Diese Menschen sind sich dessen aber bewusst, und sobald sich das Ungeheuer des Antisemitismus bei ihnen zeigt, bringen sie dieses Gefühl intellektuell unter Kontrolle. Damit ist schon viel erreicht und eine Entwicklung möglich.