Jindrich Lion

Der Journalist und Schrifsteller Jindrich Lion führt uns durch sein ereignisreiches Leben: in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit, dann in Palästina, bevor er schließlich in seine Heimat zurückkehrte, von wo er jedoch 1968 wieder floh, als die Sowjetunion sein Land besetzte.

Jindrich LION

Meine Familiengeschichte
Meine Kindheit
Während des Krieges
Palästina
Rückkehr nach Prag
Meine Arbeit als Redakteur
Rückkehr nach Wien

Meine Familiengeschichte

Über die Urgroßeltern weiß ich überhaupt nichts, die hab ich nicht gekannt.
Mein Vater war aus einem kleinen Ort, aus dem tschechischsprachigen Gebiet
in der Nähe von Prag. Seine Mutter hab ich noch gekannt. Sie ist nach Prag
übersiedelt. Der Großvater ist gestorben, bevor ich geboren wurde, und die
Großmutter hat dann noch bis zu meinem vierten, fünften Lebensjahr in Prag
gelebt. Ich kann mich erinnern, dass wir sie jeden Sonntag besuchen
mussten. Das war ein Horror für mich.
Sie hat eine sehr hübsche Wohnung gehabt, und sie wird vermögend gewesen
sein. Sie war eine Lady, aber sie hat kein Verständnis für kleine Kinder
gehabt. Ich musste dort still sitzen, meine Eltern haben dort die halbe
Stunde oder Stunde abgesessen bei ihr. Vorher hat man mir gesagt: nicht
hereinreden, nichts sagen, antworte nur auf Fragen, wenn du gefragt wirst,
aber ich wurde nie gefragt, weil ich sie nicht interessiert habe. Das war
ein Horror für mich.
Sie hat nicht weit von uns gewohnt, und ich kann mich noch erinnern, als
sie gestorben ist, Ende der zwanziger Jahre, bin ich zufällig
vorbeigegangen, wie der Sarg aus dem Haus getragen wurde. Ich war damals
fünf Jahre alt. Sie ist jüdisch begraben, liegt am neuen jüdischen Friedhof
in Prag, neben meinem Großvater.

Meine Großeltern mütterlicherseits haben in einem kleinen Dorf bei Saaz
gelebt haben.
Saaz liegt im heutigen Tschechien, dort gibt es riesige Hopfenfelder. Aus
Hopfen wird Bier gebraut.
Meine Großeltern haben in Maschau bei Podersam gelebt, das liegt im
deutschsprachigen Grenzgebiet. Maschau ist ein ganz kleiner Ort. Mein
Großvater hieß Robitschek. Ich habe die Großeltern mütterlicherseits nicht
gekannt. Ich weiß aber, daß der Großvater ein kleines Geschäft mit Stoffen
und solche Sachen hatte. Einmal war ich mit meinen Eltern dort. Sie hatten
sieben Kinder, drei Söhne und vier Töchter. Viele haben dann in Prag
gelebt.
Die Großeltern mütterlicherseits sind in Maschau begraben, da ist auch ein
jüdischer Friedhof. Dort leben schon lange keine Juden mehr. Der Friedhof
ist ganz verwachsen. Sonst alles gut erhalten, aber man kann die
Grabinschriften nicht lesen, weil es dort so verwachsen ist. Ich war mit
meiner Frau dort, und wir sind unter den Bäumen und unter den Sträuchern
gekrochen, ich habe sogar meine Brille dort verloren, das Grab aber nicht
gefunden.

Meine Kindheit

Meine Mutter, Elisabeth Lion, geborene Robitschek, wurde am 10.1.1885 in
Maschau geboren. Sie hat nach Prag geheiratet.
Eine ihrer Schwestern hat einen Arzt auch aus dem Grenzgebiet geheiratet,
und sie sind nach Wien übersiedelt, wogegen alle anderen Kinder in Prag
gelebt haben. Einer war Zahnarzt, einer hatte eine Werkstatt, wo Handschuhe
erzeugt wurden. Das waren die Männer der Schwestern meiner Mutter, zwei
Brüder haben in Wien gelebt. Wir waren so eine typisch Prager jüdische
Familie.

Ich habe sie alle gekannt, und alle hatten, bis auf eine einzige Ausnahme,
zwei Kinder. Mit allen haben wir uns sehr gut verstanden.. Ein Onkel war
fromm war, er war Vorstand der Alt-Neu-Synagoge in Prag.
Fischl hieß er, Karl Fischl. Er war der Älteste, also quasi anerkannt von
der ganzen Familie als Oberhaupt. Seine Frau, sie war für mich wie eine
zweite Mutter, die hab ich furchtbar gern gehabt. Bei meinem religiösen
Onkel war mein zweites Zuhause, ich war sehr oft bei ihnen. Sie haben ein
jüdisches Leben gelebt.
Am Pessach haben sie immer Familienseder gemacht, da waren wir vielleicht
30 Leute, mit den Kindern. Alle waren wir dort. Ich kann mich erinnern, man
musste die Tür zwischen zwei Zimmern öffnen, damit man den Tisch
durchtragen konnte.
Wir Kinder sind alle am Ende des Tisches gesessen.
Wir haben in der Pariser Straße gewohnt, das war direkt vis-à-vis der Alt-
Neu-Synagoge. Aus dem Fenster haben wir auf die Alt-Neu-Synagoge
heruntergeschaut.
Aber alle anderen Familienmitglieder waren überhaupt nicht fromm.

Mein Vater hieß Arthur Lion und wurde am 18.4.1883 in der Nähe von Prag
geboren.
Er war vielleicht nie in einer Synagoge, meine Mutter ist, so wie die
meisten Prager Juden, nur zu den sogenannten hohen Feiertagen in die
Synagoge gegangen, d.h. zweimal im Jahr. Aber durch den Einfluss dieses
Onkels bin ich in die jüdische Volksschule mit tschechischer
Unterrichtssprache gegangen. Sie hat sich nur dadurch von den anderen
Schulen unterschieden, dass dort die jüdischen Feiertage eingehalten
wurden.
Eine jüdische Mittelschule gab es in Prag nicht.
Ich hatte einen Bruder, der um 13 Jahre älter war, weil der Weltkrieg
dazwischen lag. Mein Vater war eingerückt, er war Offizier der
österreichischen Armee. Er durfte sogar seinen Hund, einen Boxer,
mitnehmen. Die Familie war väterlicherseits eher tschechisch orientiert.
Mütterlicherseits war die Familie auch deutsch orientiert. Und die
tschechisch Orientierten, das waren vier Cousins von meinem Vater, sie sind
während des Weltkrieges in die tschechische Legion eingerückt. Sie waren
österreichische Soldaten und sind übergelaufen zu den Alliierten. Dort
wurde eine tschechische Legion gegründet, sie haben für die Freiheit der
Tschechoslowakei gekämpft. Die vier Cousins waren in der französischen
Armee als Legionäre in Russland, in Frankreich und in Italien. Auf die war
ich sehr stolz, weil die Legionäre sehr angesehen waren während der Ersten
Republik. Die haben die Freiheit erkämpft für die Tschechoslowakei und sie
sind immer in den Uniformen zu den Feiertagen gegangen, auch in die
Synagoge sind sie in der Uniform gekommen.
Die Kinder von ihnen wurden alle tschechisch erzogen.

Bei uns zu Hause sprach man deutsch und tschechisch.
Meine Mutter sprach deutsch mit uns, mein Vater tschechisch und mit meinem
Bruder habe ich nur tschechisch gesprochen.
Wir hatten eine bürgerliche Drei-Zimmer-Wohnung. In Prag war die
Wohnungskultur höher als in Österreich.
Wir hatten in Wien Familie, mütterlicherseits zwei Brüder, Max und Ernst
Robitschek. Sie sind als junge Burschen in die Reichshauptstadt Wien
gegangen, um ein Handwerk zu erlernen und haben eine Familie gegründet.
Und da bin ich, um richtig Deutsch zu lernen, manchmal im Sommer nach Wien
gefahren und hab bei ihnen gewohnt.
Wir sind in Wien in Wohnungen gekommen, bürgerliche Häuser, wo das Klosett
für das ganze Stockwerk draußen am Gang war. Sogar Wasser hat man am Gang
geholt.
Das hat es in Prag in solchen Häusern nicht gegeben. Eine Bassena? Die
kannte man in Prag in den bürgerlichen Häusern nicht.

Jeden Sommer bin ich mit meinen Eltern auf Sommerfrische gefahren. Wir
waren in Österreich, aber auch in Deutschland.
In der Nähe der deutschen Grenze war Bad Schandau. Dort waren wir auf
Sommerfrische.
Ich bin auch oft in Kindercamps gefahren, weil mein Vater nur einen Monat
Urlaub hatte. Ich war einen Monat mit den Eltern und einen Monat in einem
Camp.

Mein Bruder Frantiŝek war 13 Jahre älter als ich. Er wurde am 5.1.1909 in
Prag geboren. Er hat den ganzen Krieg mit den Eltern erlebt. Ich bin erst
nach dem Krieg geboren.
Trotz des Altersunterschiedes hat er sich sehr liebevoll um mich gekümmert
und, da mein Vater schon ziemlich alt war, hat er mir eigentlich den Vater
ersetzt. Wenn ich Probleme hatte, bin ich zu ihm gegangen. Er hatte viel
Verständnis für mich. Die Eltern waren schon viel zu alt, um für
Kleinkinder Verständnis zu haben. Er hatte das Verständnis, und so habe ich
meine Probleme oft über ihn zu den Eltern gebracht. Ich hab immer zuerst
mit ihm gesprochen.
Mein Vater war ein Gesellschaftsmensch, er hat gern Leute um sich gehabt.
Wir hatten oft Gäste am Abend, die Köchin hat bei uns gelebt, sie hatte ein
kleines Zimmer neben der Küche. Die Wohnungen waren alle schon so
eingerichtet, dass die Küche mit einem kleinen Zimmer für die Köchin
vorhanden war. Wir hatten immer eine Köchin zu Haus. Es gab Köchinnen, die
waren christliche Mädchen. Ich kann mich erinnern, eine war in der
Heilsarmee, die hat mich manchmal mitgenommen. Die Heilsarmee hatte in Prag
so ein Haus, wo sie am Sonntag Nachmittag für Kinder alle möglichen
Programme hatten.

Ich wurde nicht spezifisch jüdisch erzogen. Mein Vater hat nie
verheimlicht, dass er Jude ist, im Gegenteil, er war Mitglied vom Bnai
Brith und hat für alle möglichen jüdischen Vereine gespendet. Durch den
Einfluss meines orthodoxen Onkels war ich Bar Mizwah. Während der Feier
wurde mein Vater aufgerufen. Er hat überhaupt nichts gekonnt, er war nie in
der Synagoge. Man hatte ihm vorher gesagt, er muss die Braha sagen. Er
hatte alles lateinisch auf ein Stückerl Papier aufgeschrieben und das
Papier ins Gebetbuch gelegt. Als er ausgerufen wurde, und er das Gebetbuch
öffnete, war das Papier weg. Er angefangen zu schwitzen und hat verzweifelt
das Papier gesucht. Der Kantor stand mit dem silbernen Finger daneben und
hat ihn gefragt, was er ununterbrochen suche, und sagte: "Ich zeig Ihnen,
wo die Stelle ist."
Mein Vater konnte ja nicht sagen, daß er die Schrift nicht lesen kann. Und
dann ist ihm irgendwie eingefallen, dass das Gebet mit dem Wort "Baruch"
beginnt und mit "Amen" endet. Und dass die orthodoxen Juden so schnell
beten, dass man sie nicht versteht. So hat er angefangen: "Baaaaruch
(Rhabarber Rhabarber Rhabarber). Amen." Kein Mensch hat bemerkt, dass er es
nicht konnte, nur ich habe es bemerkt und ich habe furchtbar angefangen zu
lachen. Der Rabbiner hat mir gedroht, dass er mich aus der Synagoge
hinauswirft, wenn ich noch einmal lachen werde.
Also bei uns wurde diese religiöse Seite sehr, sehr liberal behandelt. Und
wie die meisten Prager Juden hatten wir sogar einen Christbaum zu
Weihnachten. In der jüdischen Schule hatten die meisten Mitschüler
Christbäume zu Haus. Das war so, die Prager sind nicht so religiös, auch
die Christen sind weniger religiös. Das Weihnachtsfest, das ist ein
Volksfest. In der Schule spricht man einen Monat lang darüber.
Dann sind Feiern in Vereinen und Kinderbescherungen. Man spricht über
nichts anderes unter den Kindern. Und der Weihnachtsmarkt am Altstädter
Ring ist wunderschön.
Mein Vater war auch der Ansicht, es ist ein Volksfest, und wenn die Kinder
sich alle auf die Bescherung freuen, so soll sich auch mein Kind darauf
freuen.
In der Schule, nicht in der jüdischen Schule, aber als ich dann auf dem
Gymnasium war, stand ein Weihnachtsbaum in jeder Klasse.
Wir Schüler haben die Kerzen angezündet und der Lehrer hat gesagt, er werde
uns die Weihnachtslaune nicht stören. Und er hat nicht unterrichtet.

Antisemitismus habe ich in Prag nicht gespürt. Es gibt überall
Antisemitismus und Antisemiten, aber in Prag wenig, und ich hab es nicht
gespürt. Ringsherum gab es lauter faschistische oder faschistoide Staaten -
Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen, Rumänien. In der Mitte gab es die
demokratische Tschechoslowakei. Durch Masaryks Einfluß, er war sehr beliebt
in der Tschechoslowakei, quasi ein Abgott für die Leute. Er hat gegen den
Antisemitismus gekämpft, und was er gesagt hat, war für die meisten Leute
heilig.
In der Tschechoslowakei war der Antisemitismus eher national begründet. Die
Juden haben im Ghetto gelebt. Sie haben eigentlich das Ghetto unter den
tschechischen Fürsten, mit den Mauern herum, als Schutz bekommen. Die Leute
haben in furchtbaren Verhältnissen dort gelebt, weil das Ghetto klein war
und sie waren zusammengepfercht, zwei Familien in einem Zimmer. Mit Kreide
in der Mitte wurden die Zimmer geteilt.
Und dann ist Josef II. Kaiser geworden, der wollte die Juden in Böhmen
germanisieren.
Er hat gesagt, diejenigen Juden, die heraus wollen aus dem Ghetto und die
einen normalen Beruf ausüben wollen, können das tun, wenn sie folgende
Bedingungen erfüllen: Sie müssen einen deutschen Namen annehmen Deshalb
haben die meisten Juden dort deutsche Namen. Sie mußten die Kinder in
deutsche Schulen außerhalb des Ghettos schicken, müßten ihre
Geschäftsbücher in deutscher Sprache führen, usw. usw.
Daraufhin haben die Prager Juden eine Deputation nach Wien zum Kaiser
geschickt, um ihn zu bitten, die Bedingungen zu streichen. Aber der hat
darauf bestanden. Wegen der schlechten Bedingungen im Ghetto haben die
Juden dann nachgegeben.
Es gab natürlich auch solche, die geblieben sind.
Dadurch, dass die Kinder in deutsche Schulen mussten, haben sie sich dem
deutschen Kulturkreis angeschlossen. Das hat man den Juden später sehr
verübelt, denn als die Nazis schon in Deutschland waren, haben die Juden in
Prag immer noch Deutsch gesprochen. Viele, nicht alle, aber die Hälfte, und
sie haben auch zum Teil ihre Kinder noch in die deutsche Schule geschickt.
Das haben ihnen die Tschechen sehr verübelt. Sie wussten nämlich nicht,
warum sie sich zum Deutschtum bekannt haben. Ich kann mich erinnern, daß
bei den hohen Feiertagen vor den Synagogen - in Prag gab es allein in der
Altstadt acht Synagogen - die Leute draußen standen und sich in deutscher
Sprache unterhielten.
Aus jüdischen Jugendorganisationen, ich war auch dabei, sind dann immer
zwei gegangen, und wenn sie deutsch gehört haben, den Leuten gesagt: "Bitte
hören Sie auf und machen Sie keinen Antisemitismus hier. Gehen Sie irgendwo
hin, aber stehen Sie nicht vor der Synagoge und sprechen Deutsch!"
Die Rabbiner haben in vielen Synagogen Deutsch gepredigt. Und das musste
dann von der jüdischen Gemeinde verboten werden, und es musste tschechisch
gepredigt werden. Aber viele Rabbiner haben tschechisch nicht gekonnt.
Eine andere Gruppe waren die zionistischen Juden, die waren so zur Hälfte
tschechisch und zur Hälfte deutsch eingestellt. Aber sie waren jüdisch-
national und assimiliert.
In Prag und in den großen Städten war das so. In den kleinen Städten und in
den Dörfern waren die Juden tschechisch assimiliert.
Wir sind oft in das "Deutsche Haus" in Prag gegangen, das war ein großes
Restaurant mit Garten, und die waren, als die Deutschen gekommen sind, die
ersten, die eine Tafel rausgehängt haben, auf der stand: "Juden
unerwünscht".
Ich bin einmal mit meinem Vater dort vorbeigegangen und da kommt ein
Bekannter von ihm, ein Jude, heraus. Mein Vater sagt: "Wie kannst Du da
reingehen? Es steht doch, Juden unerwünscht." Sagt der: "Na ja,
unerwünscht, aber nicht verboten." Die Mentalität der deutschen Juden war
etwas ganz Besonderes. Das hat man ihnen sehr verübelt.

Während des Krieges

Meine Eltern hatten größtenteils jüdische Freunde. Dadurch, dass meine
Mutter nicht aus dem tschechischen Milieu kam, musste sie sich im deutschen
Milieu aufhalten, mehr oder weniger. Aber die Deutschen haben die Juden
nicht als ihresgleichen akzeptiert. Mit den Tschechen war das anders. Da
hatten sie nur jüdische Freunde.
Ich hatte einen christlichen Freund, der hatte eine deutsche Mutter und
einen deutschen Vater.
Die Deutschen haben ihn in die deutsche Studentenschaft gezwungen.
Ich kann mich erinnern, dass ich ihn in der Pariser Straße, das war die
Hauptstraße des gewesenen Ghettos, getroffen habe.
Plötzlich sehe ich ihn in der SS-Uniform für Studenten.
Ich bin auf die andere Straßenseite gegangen, aber er hat mich gesehen und
gerufen. Ich konnte nicht mehr ausweichen, er ist zu mir ´rübergekommen.
Ich habe mich furchtbar geschämt, dass ich mit einem Deutschen, noch dazu
einem SS-Mann, auf der Straße stehe und mich unterhalte. Er war Tscheche,
er war tschechisch erzogen, er war kein Nazi. Er hat Fußball mit mir in
einer Mannschaft gespielt. Nach dem Krieg waren meine Frau und ich bei ihm
und seiner tschechischen Frau eingeladen.
Als die Deutschen gekommen sind, durften die Juden nicht mehr die Schule
besuchen. So musste ich aus der Schule raus.
Der Bruder meines Vaters war in Palästina, er hat uns ein Zertifikat
verschafft. Und er hat uns gesagt, dass ich für Palästina ein Handwerk
brauche. Da habe ich in einer Fabrik als Schlosser gearbeitet, damit ich
das Handwerk erlerne. Aber nur ungefähr drei Monate lang, dann sind wir
weggefahren.
Wir sind noch legal herausgekommen.

Mein Vater hatte einen Onkel in New York.
Dieser Onkel war durch Zufall nach New York gekommen. Der Großonkel meines
Vaters lebte schon sehr lange in Amerika. Einmal kam er zu Besuch nach Prag
und sagte zu dem Onkel meines Vaters: "Na komm, begleite mich nach Bremen
zum Schiff." Er hat ihm die Fahrt mach Bremen und zurück nach Prag bezahlt.

Als sich der Onkel meines Vaters in Bremen das Schiff anschaute, ist es
losgefahren.
Der Großonkel meines Vaters ist zum Kapitän gelaufen und hat gesagt, er
habe seinen 17jährigen Neffen an Bord, der müsse zurück nach Prag, da hat
der Kapitän gesagt, er können doch nicht wegen meines Onkels zurückfahren.
Also ist der Onkel mit nach Amerika und dann wollte ihn der Großonkel von
Amerika zurück nach Prag schicken.
Der Großonkel hat in Amerika gesagt, mein Onkel solle sich, wenn er schon
mal da sei, ein bisschen Amerika ansehen.
Der Großonkel hatte sofort nach Prag telegrafiert, dass der Onkel auf dem
Schiff sei, und man soll keine Angst haben. Das war ja im tiefen Frieden,
also sie mussten wirklich keine Angst haben. Aber der Onkel ist dort
geblieben, er hat angefangen, die Schule zu besuchen, hat studiert und ist
Bergbauingenieur geworden.
Er wurde sehr reich in Amerika und ist jedes Jahr nach Prag gekommen.
Als der Onkel meines Vaters starb, hat er allen Kindern, Neffen, Nichten,
je 2000 Dollar vermacht.
Er war Zionist, aber in Palästina wollte er nicht leben.
Die 2000 Dollar haben uns das Leben gerettet. Er hat das Geld nach
Palästina geschickt, nicht nach Prag, und der Bruder meines Vaters, der
dort gelebt hat, hat von dem Geld eine Orangenplantage gekauft.
Und unser Geld hat er dort angelegt. Als Hitler kam, hat er Zertifikate für
uns gekauft und wir konnten nach Palästina. Mein Vater war sehr froh
darüber und so sind wir alle ´rausgekommen.
Meine Onkel und Tanten waren keine armen Leute, aber draußen hatten sie
kein Geld. Die Deutschen hätten ihnen schon nicht mehr bewilligt, Dollar
für eine Schiffskarte zu kaufen.
Beinahe alle sind umgekommen, ein paar Cousins und Cousinen haben sich
gerettet.
Von den sieben Geschwistern meiner Mutter gab es ja 14 oder 15 Kinder, die
waren alle schon verheiratet. Ich war der Jüngste von allen Cousins und
Cousinen, das Nesthäkchen in der Familie.

Palästina

Wir sind zweimal gefahren. Das erstemal kurz nachdem die Deutschen
einmarschiert sind. Da haben sie den Juden noch Bewilligungen gegeben, ins
Ausland zu fahren. Wir sind an die italienische Grenze gekommen und am
Abend hat Hitler im Radio eine Rede gehalten. Es hieß, er wird Italien den
Krieg erklären und die Grenze wird gesperrt, und wir werden nicht
weiterfahren dürfen. Man hat gesagt, wir müssen abwarten, was Hitler sagt.
Ich bin in die SS-Kaserne gegangen und habe die Hitler-Rede angehört. Ich
hatte in der SS-Kaserne keine Angst.
Mich hat niemand als Juden erkannt. Ich hab in Prag größtenteils
christliche Freunde gehabt, für eine Prager Fußballmannschaft und Eishockey
gespielt und war vollkommen im Prager Milieu assimiliert.
Ich bin aus der SS-Kaserne heraus und hab zu meinen Eltern gesagt, wir
müssen zurückfahren, Hitler hat den Krieg erklärt. Und mein Vater hat
gesagt, daß wir aber kein Geld zum Zurückfahren haben.

Wir hätten ja auch kein Geld mehr gebraucht, wir hatten die Fahrt bezahlt,
sogar die Fahrt mit dem Schiff von Triest nach Haifa. Das restliche Geld
hatten wir unseren Verwandten in Prag gegeben.
Jetzt wussten wir nicht, wie wir nach Prag zurückkommen sollten. Das waren
österreichische Bahnen, also deutsche Bahnen, nachdem die Deutschen
Österreich besetzt hatten. Da ist mein Vater zu einem Mann mit einem
Hakenkreuz am Revers gegangen. Er war Deutscher, kein Österreicher.
Mein Vater hat ihm die Situation erklärt: "Schauen Sie", hat er gesagt "wir
sind auf der Reise nach Palästina. Wir sind Juden, und wir müssen nach Prag
zurück, weil der Krieg ausgebrochen ist. Und jetzt haben wir kein Geld für
die Rückreise. Ich wollte Sie bitten, wir sind mit einem Kind unterwegs, ob
Sie uns Geld für die Reise nach Prag borgen könnten."
Der mit dem Hakenkreuz war ein Deutscher, er hat die Börse heraus gezogen
und gesagt: "Wieviel brauchen Sie?" Mein Vater hat gesagt: "Na ja, es
kostet so und so viel für drei Personen. Ich kann Ihnen nichts anderes als
versprechen, dass ich morgen früh, wenn ich in Prag ankomme, das Geld
sofort zurücksende." Das hat er, als wir in Prag waren, auch sofort getan.
Auf mein schönes Gesicht hin, hat der Nazi gesagt, und meinem Vater das
Geld gegeben. Aber es war ein Glück, dass es ein Deutscher war, ein
Österreicher hätte das damals nicht gemacht. Das waren Obernazis.
Wir konnten nach Prag zurückfahren. Jetzt hatten wir keine Wohnung mehr,
alles war weg und wir haben uns bei der Tante vis-à-vis der Alt-Neu-
Synagoge einquartiert.
Mein orthodoxer Onkel war schon gestorben, seine Frau war noch in der
Wohnung.
Die Frau ist geblieben, die ganze Verwandtschaft ist geblieben. Alle sind
umgekommen. Die Kinder sind fast alle weggefahren, aber die Alten sind in
Prag geblieben und umgekommen.
Dreissig Personen aus meiner Familie sind ermordet worden. Sie haben
geglaubt, es wird nicht lang dauern, und diese Zeit werden wir hier
überstehen.
Es sind noch weitere Transporte, die bewilligt waren, nach Palästina
gegangen, bis Ende 1939. Wir sind mit dem letzten Transport legal hinaus
gekommen.

Mein Bruder war mit seiner Frau schon draußen. Sie war zu der Zeit schon
seine Frau, weil sie in Rom geheiratet hatten. Mein Bruder hat erzählt, daß
die Italiener sich den Juden gegenüber sehr gut benommen haben. Sie waren
in jeder Hinsicht hilfreich.
Mein Bruder war Rechtsanwalt in Prag.
Er war Konzipient in einer Kanzlei, in einer Rechtsanwaltskanzlei. Er hat
eine Christin geheiratet, die zwar zum jüdischen Glauben übergetreten ist,
aber das war so eine formelle Sache. Sie hat es gemacht, damit sie beide
dieselbe Religion haben. Das war in Prag so Sitte.
Sie haben in Rom geheiratet und sind dann auf der Fahrt nach Shanghai
gewesen. Dort überlebten viele Juden den Krieg. Und während sie auf dem
Schiff waren, aber bevor das Schiff durch den Suezkanal fuhr, hat mein
Vater es geschafft, wir waren zu der Zeit schon in Palästina, ihn und seine
Frau in Suez vom Schiff zu holen und nach Palästina bringen zu lassen.
Ein Großteil der Familie meines Vaters war schon längere Zeit in Israel.
Das waren Zionisten, und sie hatten ziemlich hohe Positionen dort. Sie
haben den Bürgermeister von Tel Aviv gekannt, den Rokach, das waren Freunde
von ihm.
Sie kannten die Staatsmänner und haben für meinen Bruder ein Zertifikat
bekommen.
Wir haben aufs Schiff telegrafiert, man soll ihm sagen, er soll in Suez
aussteigen, wir haben für ihn die Bewilligung für die Einreise nach
Palästina. Er soll eine Fahrkarte nach Tel Aviv kaufen.. Und wir sind ihm
entgegen gefahren und haben ihm vor der Grenze das Zertifikat gegeben. So
kamen mein Bruder und seine Frau nach Tel Aviv. Sie war Schneiderin und
hatte im besten Salon Prags gearbeitet.
Mein Bruder und seine Frau haben sich in Jerusalem niedergelassen, und dort
hat sie einen Schneidersalon eröffnet.
Er war in der tschechischen Armee, die während des Zweiten Weltkriegs im
Ausland war.

Als wir in Palästina ankamen, war ich sechzehn Jahre alt.
Es war schwierig für mich. Mein Vater hat mich in Tel Aviv in eine
Schlosserschule eingeschrieben, in die Max-Bein-Schule. Ich weiß nicht, wer
Max Bein war. Ich hab dann die Schlosserei gelernt und hab kein Wort
verstanden. Der Lehrer war meinetwegen unglücklich. Er musste alles
übersetzen, und er selbst hat nur Jiddisch gesprochen, und da war er ganz
verzweifelt. Einmal hat er zu mir gesagt: "Ein Wort in Hebräisch, sagen Sie
EIN Wort!" Da hab ich gesagt, "Schalom", und er hat mich aus der Klasse
geworfen.

Zu dieser Zeit war die große deutsche Aliah. Tausende deutscher Juden sind
gekommen, und haben größtenteils Deutsch miteinander gesprochen. Sie haben
auch hebräische Worte verwendet, sie sind ins "Jam" schwimmen gegangen,
"Jam" heißt das Meer. Sie haben sich gegrüßt mit "Schalömchen" und so die
hebräische Sprache germanisiert.

Ich habe als Schlosser gearbeitet, aber dann war die Mobilisierung in
Israel und ich bin zur Polizei gegangen.
Wir sind nach Jerusalem übersiedelt, weil mein Bruder dort war, und haben
in einem arabischen Viertel gewohnt. Es war ein gutes arabisches Viertel,
wo sehr hübsche Wohnungen waren. Dort hatten wir eine Drei-Zimmer-Wohnung,
wie in Prag.
Mein Vater starb 1944 in Jerusalem

Der Dienst bei der Polizei war nicht leicht. Wir hatten die ganze Nacht
irgendwo Dienst, wir haben alle Elektrizitätswerke bewacht, weil die Araber
alle deutschfreundlich waren. Man hat Angst gehabt, dass sie etwas in die
Luft sprengen, ein Elektrizitätswerk vielleicht.

Jerusalem ist sehr kalt im Winter.
Tagsüber hab ich geschlafen und am Abend bin ich in den Dienst gegangen. Es
war furchtbar. Und dann gab es die tschechische Mobilisierung für
tschechische Bürger im Ausland. Mein Bruder war schon in der Armee, und ich
hab mich auch gemeldet. Ich war noch nicht 18 Jahre alt. Ich habe jüdische
Kinder gekannt, die haben sich älter gemacht, nur damit sie in der Armee
gegen Hitler kämpfen konnten. Aber ich hab das Alter nicht geändert, und
ich bin nach Persien geschickt worden. Dort war eine Gruppe tschechischer
Fachleute. Dadurch, dass ich Schlosserei gelernt hatte, bin ich als
Schlosserfachmann geschickt worden. Dort hat man Raffinerien gebaut. Die
Amerikaner haben damals das sogenannte "leichte Öl" für Flugzeuge
entwickelt, da haben sie dort Raffinerien gebaut für leichtes Öl. Von
vielen alliierten Ländern waren Fachleute dort.
Dort war ich zwei Jahre, aber dadurch, dass ich Englisch konnte - es gab in
der tschechischen Armee nicht viele Leute, die Englisch sprachen - haben
sie mich nach Jerusalem geschickt. Ich hab am Alliierten Headquarter,
Military Headquarter gearbeitet und dort bin ich meiner späteren Frau
begegnet.

Meine Frau Hannah kommt aus einer armen Familie und musste mitarbeiten, um
die Familie zu ernähren. Ihr Vater war ein geborener Schmuel Schlesinger
aus Russland, die Mutter aus Litauen. Er nahm in Palästina den Namen
Haramati an.
Hannah wurde am 30.4.1926 in Jerusalem geboren.
Ihre Familie war religiös, da wurden die Feiertage eingehalten, und der
Vater setzte sich beim Essen eine Kopfbedeckung auf. Ich habe das aber
abgelehnt, ich wäre mir so lächerlich vorgekommen. Es war blöd von mir,
aber ich war ein junger Bursch. Ich hatte nie gesehen, dass sich jemand
etwas auf den Kopf setzt, nur weil er ißt.
Hannahs Vater hat mich trotzdem sehr gern gehabt.

Rückkehr nach Prag

Zur Demobilisierung bin ich zurück nach Prag gekommen. Mein Bruder war
schon in Prag.
Als ich zurückkam, war mein Bruder im tschechischen Pressebüro tätig. Er
hat zu mir gesagt, ich wäre schon als Kind sehr neugierig gewesen, ich
müsste Journalist werden. Und auch für mich war selbstverständlich, dass
ich Journalist werde.
Ich hatte schon für eine Zeitung Artikel über Israel geschrieben. Israel
war damals interessant, weil dort der Kampf um die Freiheit Israels und die
Loskoppelung vom englischen Mandat begonnen hatte. Darüber hat die ganze
Weltpresse berichtet, und ich hab als Korrespondent nach Prag geschrieben.
So hab ich eigentlich angefangen, für Zeitungen zu schreiben.

Meine Mutter ist mit uns nach Prag zurückgegangen. Viele Juden sind aus den
Konzentrationslagern und aus der Emigration nach Prag zurückgegangen,. Die
tschechische Regierung hat organisiert, dass alle tschechoslowakischen
Staatsbürger, die emigrieren mußten, zurückkehren. Sie haben aus Übersee
Schiffe gechartert, um die Leute zurückzubringen und eigene Emigrantenzüge
organisiert, die die Juden zurück gebracht haben.
Ich bin aus Prag wieder zurück nach Jerusalem gefahren, und als ich mit
meiner Frau 1947 nach Prag kam, haben wir eine Wohnung zugeteilt bekommen,
in der Deutsche gewohnt hatten. Die deutschen Wohnungen wurden an Juden
oder an Soldaten, die zurückgekommen sind, abgegeben.
Zuerst wohnten wir in Untermiete in der Jesenska, das ist eine Nebenstraße
der Pariser Straße, vis-à-vis der Synagoge.
Und dann haben wir eine Wohnung in der Revolutionsstrasse zugeteilt
bekommen, auch wieder eine Drei-Zimmer-Wohnung. Ich muß immer in dieser
Gegend um den Altstädter Ring wohnen. Hier hat sich alles abgespielt -
Weihnachtsmarkt, Nikolomarkt, die ganzen Demonstrationen, Paraden, Militär,
alles war immer am Altstädter Ring. Das war mein zu Hause. In Prag waren
auch meine Freunde, Mitschüler und Mitglieder meines Fußballklubs. Es waren
viele Freunde dort.
Man hat nicht mehr über die Schrecken des Krieges gesprochen. Die jungen
Leute meiner Familie haben überlebt, in London waren vier Cousins, in
Israel hatten zwei Cousins überlebt.

Der Prager Oberrabbiner hat während des Krieges in Jerusalem gewohnt, und
er ist dann nach Prag als Oberrabbiner zurückgekommen. Er hatte uns noch in
Jerusalem getraut. Er hat zu meiner Frau gesagt, er übernehme die Rolle
ihres Vaters.. Und wir waren dann immer bei ihm zu den Feiertagen. Er war
ein Prager Jude. Er war zwar konservativ-religiös, aber er hat die Prager
Juden gekannt. Er wusste, dass ich von Religion nichts verstehe, aber er
Verständnis gehabt.
Religion als solche hat mich nie angezogen, weder jüdische noch andere. Ich
hab das Falsche gesehen, was in der Religion steckt. Alle reden sie über
Gleichheit, aber wohin man schaut, wird Krieg geführt.
Der Rabbiner starb, und als seine Frau im Krankenhaus auch im Sterben lag,
hat meine Frau sie besucht und sie sagte zu meiner Frau: "Hier nimm den
Schlüssel von meiner Wohnung, Du kannst in die Wohnung gehen. Alles, was Du
willst, kannst Du nehmen, es gehört Dir, nur das Geld auf der Bank gebe ich
Dir nicht, weil es nicht gut ist, jungen Leuten viel Geld zu geben. Ihr
seid zu jung und könnt das Geld nicht schätzen und es verdirbt euch den
Charakter."
Wir hatten wenig Geld, im Kommunismus hat man nicht viel verdient.
Meine Frau hat sofort, nachdem sie in Prag ankam, auch gearbeitet. Sie war
in einer Patentkanzlei, wo sie für die englische Korrespondenz zuständig
war. Die anderen jungen Frauen in der Kanzlei waren alle in ihrem Alter und
haben sie gefragt, ob sie auch Weihnachten feiert. Nein, Weihnachten feiert
sie nicht. Aber das wäre doch so ein schöner Feiertag, sagten die jungen
Frauen. Sagte sie: "Na ja, aber ich bin keine Christin, und das ist ein
christlicher Feiertag." Die jungen Frauen meinten, das sei ein Feiertag für
alle. Und sie hatten natürlich auch einen Weihnachtsbaum in der Kanzlei.
Sie haben ihr einen geschmückten Weihnachtsbaum vor unsere Wohnung
gebracht. Meine Frau kam nach Hause und da stand ein geschmückter
Weihnachtsbaum vor der Tür.
Nach zwei Jahren hat sie schon unterrichtet. Sie hat am orientalischen
Institut der Universität Hebräisch und Englisch unterrichtet Wer Hebräisch
lernen wollte brauchte eine Bestätigung vom Arbeitsplatz, dass er die
Sprache braucht. Aber man konnte das irgendwie organisieren.
Meine Frau hat auch auf der israelischen Botschaft die Kinder des
Botschafters für die Schule in Israel vorbereitet.
Sie hat eine besondere Bewilligung bekommen, um in die Botschaft
hineinzukommen.
In der Tschechoslowakei wurden alle Geschehnisse vom arabischen Standpunkt
aus geschildert. Israel war in der Tschechoslowakei kein Thema.
Die israelische Botschaft hat in Prag, zum Unterschied von hier, heute
noch, immer Feiern gefeiert. Zu allen Feiertagen waren wir eingeladen, weil
meine Frau dort unterrichtet hat. Unter den Gästen der Botschaft waren
sicher Leute, die der Staatspolizei berichtet haben.

Als meine Frau in der Sprachschule unterrichtete, hat meine Cousine, sie
war in der Partei, ihr geholfen. Der Leiter der Abteilung hat der Partei
gemeldet, er habe eine Lehrerin, eine Israelin, und er kann nicht
garantieren, daß sie nicht pro-israelische Propaganda macht. Meine Cousine
hat gesagt: "Ich kenne sie und ich garantiere, dass sie okay ist." Durch
Zufall hat sie auch einen Mann unterrichtet, der beim Innenministerium war
und Ivrit lernen mußte, um Dokumente zu lesen. Sie hat diesen Mann
angerufen, und er hat organisiert, dass sie weiter unterrichten konnte.
Er hat gesagt, fahrt nach Israel, deine Frau soll dort kommunistische
Propaganda machen, dass brauchen wir. Er war so ein Fanatiker.

Meine Arbeit als Redakteur

Ich hab viel gearbeitet habe, ich war Redakteur, zuerst in einer
Wochenzeitschrift, und dann in einer Tageszeitung. Die Wochenzeitschrift
gehörte zu einem großen Verlag. Vor dem Krieg war das die deutsche Zeitung
"Prager Tagblatt". Als die Nazis gekommen sind, haben sie die Redaktion
besetzt, weil dort viele jüdische Journalisten waren, die mussten natürlich
alle sofort raus. Dann haben sie eine Nazizeitung daraus gemacht.
Als dann die Kommunisten 1948 die Zeitschrift übernommen haben, hab ich auf
meinem Tisch ein Formular vorgefunden. Es war ein Formular für die
Anmeldung für die kommunistische Partei. Ich hab es genommen,
zusammengeknüllt und weggeworfen. Mir vis-à-vis ist einer gesessen, der war
Kommunist, ein junger Mann in meinem Alter, er hat gesagt: "Du verdirbst
Dir Deine eigene Zukunft, wenn Du das machst." Und ich hab gesagt: "So eine
Zukunft will ich nicht. Ich bin kein Kommunist, ich werde nicht in die
kommunistische Partei eintreten." Daraufhin hatte ich nächsten Tag wieder
das Formular auf dem Tisch. Ich hab es wieder genommen und wieder in den
Papierkorb geworfen. Und mein Kollege hat das der Direktion des Verlages
gemeldet. Ich bin am Vormittag weggegangen, und als ich in die Redaktion
zurückgekommen bin, hatte ich meine Kündigung am Tisch.
Tausende sind damals, weil sie die Anmeldung für die KPC nicht
unterschreiben wollten, aus der Arbeit herausgeflogen. Der
Ministerpräsident hat gesehen, dass es sich wirtschaftliches negativ
auswirken wird. Deshalb hat er eine Erklärung herausgegeben, dass die
Nichtmitgliedschaft in der kommunistischen Partei kein Grund zur Kündigung
sei.
Ich bin mit der Kündigung, die ich am Tisch, hatte auf die Rechtsabteilung
der Gewerkschaft gegangen und hab gesagt, "Schauen Sie, der
Ministerpräsident hat gesagt, dass man nicht Mitglied der Kommunistischen
Partei sein muß." Das waren noch Nichtkommunisten, die dort gesessen sind.
Die Rechtsabteilung der Universität war in den Händen der Rechten. Die
haben gesagt: "Gehen Sie zurück, und Sie werden auf dem Schreibtisch Ihren
neuen Vertrag vorfinden."
Ich bin zurückgegangen, und wirklich, ich hatte einen neuen Vertrag auf dem
Schreibtisch. Die hatten das telefonisch erledigt.
Dann war ich noch zwei Jahre dort. Ich hatte ein kleines Bild von Masaryk,
er war der Mitbegründer des selbstständigen tschechoslowakischen Staates,
auf dem Schreibtisch stehen.
Ich hatte einen Artikel geschrieben, in dem ich positiv über Masaryk
berichtete. Eine Leserin hatte mir ein ganz kleines Bild von Masaryk in
einem Bilderrahmen geschickt und mir geschrieben, dass es sie freut, dass
noch jemand tapfer genug ist, um positiv über Masaryk zu schreiben.
Im Jahr 1950 haben die Kommunisten eine Kampagne gegen Masaryk gestartet.
Er war sehr beliebt und er war eigentlich ein Symbol der Demokratie. Der
Kollege, der im Büro da neben mir saß, hat gesagt, ich solle sofort das
Bild entfernen. Und ich hab gesagt, das fällt mir nicht ein. Für mich ist
Masaryk immer das Muster eines Demokraten gewesen.
Als ich am nächsten Tag in den Dienst kam, war das Bild weg. Ich hab so
einen Wutanfall bekommen und hab angefangen, auf den Tisch zu schlagen, und
hab geschrien: "Sofort kommt das Bild wieder zurück!" Das Bild ist nicht
zurückgekommen und ich auch nicht mehr. Damals waren die Kommunisten schon
so etabliert, dass ich das zweite Mal gekündigt wurde, und da konnte ich
nicht mehr zurück. Das war im Jahr 1950.

1951, als meine Frau mit unserem ersten Kind im siebten Monat war, wollte
sie zu ihren Eltern, um sie zu besuchen. Sie mußte ins Innenministerium,
und sie haben gesagt: "Wissen Sie, was Sie dort, in Israel, erwartet? Alle
Journalisten werden Sie bedrängen und ausfragen. Was werden Sie dann
sagen?" Meine Frau antwortete: "Was kann ich sagen? Ich kann nur darüber
erzählen, was ich erlebe, es gibt keine Geheimnisse." Sie hat die
Bewilligung bekommen, aber kein Geld. Alles mußten die Verwandten bezahlen.
Es war schlimm für sie, weil ihr Vater starb. Er war herzkrank, und er hat
sehr darunter gelitten, dass meine Frau weggefahren ist.
Er ahnte die Schwierigkeiten, die wir haben würden, aber als er sagte, daß
die Russen kommen würden, hab nur gelacht, und das als Lächerlichkeit
abgetan. Ich hab ja den Kommunismus nicht gekannt. Im Gegenteil: Die
kommunistische Partei war die Partei, die gegen den Faschismus gekämpft
hat. Ich hab mir vorgestellt, jetzt wird eine Freiheit kommen, die man nie
hatte. Die Tschechoslowakei war ein demokratischer Staat, durch und durch.
Aber irgendwie hab ich mir was Besonderes unter dem Kommunismus
vorgestellt.
Der Vater meiner Frau wusste, wovon er sprach. Er sagte zu meiner Fraut:
"Ich sehe, dass Du verliebt bist. Wenn ich das verbiete und Du unglücklich
bist, bin ich Schuld. Ich muss Dich gehen lassen, aber ich bitte Dich, wenn
etwas passiert, komm zurück."
Er stammte aus Russland, er hatte die Progrome und den Antisemitismus
erlebt.
Damals, als meine Frau und ich nach Prag gingen, war die Tschechoslowakei
noch demokratisch. Die Russen haben die Regierung erst 1948 übernommen..
Aber der Vater meiner Frau hat immer gesagt, wenn die Russen das einmal
übernehmen, und das werden sie tun, dann ist Schluss. Dann sperren sie das
ab.

Unsere Kinder sind im Kommunismus geboren, Michael 1951 und Thomas 1956.
In Prag sind wir mit den Kindern in die Synagoge gegangen, nicht nur zu den
hohen Feiertagen, sondern auch zu den kleinen. Sie wurden auch beschnitten.
Aber wir haben nicht traditionell gelebt und Weihnachten gefeiert.
Ich konnte mir beruflich nicht erlauben, dass meine Frau die Kinder jüdisch
erzieht, aber sie hat jeden Freitag die Kerzen angezündet.
Nach Israel konnten wir mit den Kindern erst fahren, nachdem wir 1968 die
Tschechoslowakei verlassen hatten und in Wien lebten.
Wir sind auch einmal mit Bekannten und unseren Kindern zur Mitternachtmette
in die Jakobskirche, das ist eine berühmte Prager Kirche, gegangen.
Wir gehen mit unseren Kindern um Mitternacht herunter, und plötzlich ist
mein Sohn weg. Eine volle Kirche, man konnte sich nicht rühren. Mein Sohn
hat gesehen, man gibt etwas zu essen, hat sich angestellt und ist auch
essen gegangen. Er hat eine Hostie gegessen und ist zurückgekommen und hat
gesagt, es zerfließt auf der Zunge.

Ich hab´ Redakteure der Zeitung, für die ich gearbeitet habe, gebeten, als
hohe Feiertage waren, und wir mit den Kindern in die Synagoge gegangen
sind, uns zu begleiten, damit sie sehen, wie ein jüdischer Gottesdienst
ausschaut. Der Busek und der Kubik sind immer mitgegangen, weil es sie
interessiert hat.

Es gab in der Tschechoslowakei eine nichtkommunistische Zeitung, die
gehörte zu einer Partei, die nur als Beweis für die Welt existierte, dass
es auch nichtkommunistische Parteien im Kommunismus gibt.
Ich bin in diese Redaktion gegangen und habe gesagt, daß ich wegen Masaryk
rausgeworfen wurde. Sie haben gesagt, bei uns ist das ein Grund, dass Sie
aufgenommen werden. Ab morgen kommen Sie zu uns arbeiten. Aber die
kommunistische Partei hatte immer ein oder zwei Leute als Redakteure dort
eingesetzt, damit sie wissen, was dort passiert.
Wir wussten, dass sie geschickt waren, und wir wussten, vor denen darf man
nicht sprechen.
Ich kann mich erinnern, als Gottwalds Begräbnis war, ist der Trauerzug an
unserer Redaktion vorbeigezogen. Er ist in einem offenen Sarg gelegen. Wir
durften nicht zu den Fenstern gehen. Die Fenster waren bewacht von
Mitgliedern der Partei. Zehn Redakteure waren von einem bewacht. Den hat
man genannt "Zehnerbewachung".
In unserem Zimmer war so ein junger Mann, der uns bewacht hat. Der ist in
einen Weinkrampf ausgebrochen,
als der Sarg vorbeigefahren ist.
Die Kommunisten haben gesagt, dass es keinen Unterschied zwischen Jude und
Nichtjude gibt. Jetzt kommt etwas Neues. Und viele sind darauf
reingefallen. Sie sind Kommunisten geworden und haben es dann auf höhere
Positionen gebracht. In all diesen Ländern ist mit der Zeit der
Antikommunismus gewachsen, und die Juden saßen in oberen Positionen und das
hat man den Juden vorgeworfen.
Während des Prager Frühlings, als Dub?ek und seine Leute nach Moskau
entführt wurden und dort gezwungen wurden, ein Dokument zu unterschreiben,
hat Kriegl, ein Jude, nicht unterschrieben.
Die Leute haben gesagt, schau, ein Jude, und der fürchtet sich nicht, die
Juden sind doch nicht feige.
Ungefähr 80% der Bevölkerung war gegen die Kommunisten. Sie sind zwar
mitgezogen, weil sie mußten, waren Mitglieder der Partei, haben Funktionen
gehabt, sonst wären sie rausgeworfen worden. Um das zu verhindern und damit
ihre Kinder studieren konnten, sind sie in der kommunistischen Partei
gewesen. Das war in allen kommunistischen Ländern so.

Rückkehr nach Wien

1968 sind wir nach Wien geflohen. Ich war seit 1950, bis zum Eimarsch der
Russen 1968, Redakteur bei der Zeitung.. Weil die Redaktion Angst hatte,
dass ich nicht weiter bei ihnen arbeite, haben sie mich nach Wien als
Korrespondent geschickt, damit ich mal heraus komme.
Ich war ein Jahr offiziell in Wien als Vertreter meiner Zeitung.
Sowie die Kommunisten alles wieder in der Hand hatten, haben sie die
Redaktion gezwungen, mich zurückzurufen, aber ich bin nicht mehr
zurückgegangen.

Wenn meine Frau jemanden mit einem Kreuz an der Kette gesehen hat, hat sie
geglaubt, das sind Antisemiten.
Und dann war ihre beste Freundin eine mit einem Kreuz. Als die Russen 1968
einmarschiert sind, ist sie zu uns gekommen, hat uns den Schlüssel von
ihrem Häuschen gebracht und gesagt: "Da habt ihr den Schlüssel, wohnt dort,
bis die Russen weg sind."
Als die Russen gekommen sind, haben sie gesagt, wir machen nur Ordnung und
gehen dann wieder weg. Sie wollten nie wieder weggehen, bis zum Jahr 1989.

Wir waren jetzt von einer Freundin zum Smetana-Festival eingeladen. Das war
in einer tschechischen Stadt. Die Freundin ist Jüdin und sie hat einen
Christen geheiratet. Er hat ein Kreuz über dem Bett und sie hat einen
jüdischen Stern über ihrem Bett, damit symbolisieren sie, dass es keinen
Unterschied zwischen den Menschen gibt.

Ich war jetzt mit meinem Enkel zusammen in Prag, er arbeitet in einer Bank,
die dort eine Bank gekauft hat, und fährt beruflich hin. Wir sind durch
Straßen gekommen und ich hab gesagt, schau, hier hat mein Onkel gewohnt,
hier links, und da hat meine Großmutter in dem Haus gewohnt, und hier hat
mein Mitschüler gewohnt Ich bin in unsere alte Wohnung, wo ich geboren
wurde, gegangen.
Dort haben natürlich schon andere Leute gewohnt. Ich hab geläutet und hab
gesagt, ich hab hier in dieser Wohnung gelebt und wollte die nochmal
anschauen. Die Leute waren sehr nett, haben Kaffee gekocht und wir haben
uns unterhalten.
Ich hab wieder angefangen, als Korrespondent bei meiner alten Zeitung zu
arbeiten.
1989 wollten sie mich sogar zum Chefredakteur machen, weil sie den
Chefredakteur, der ein Kollaborateur war, absetzen mußten, und sie wussten
nicht, wen sie nehmen sollten.
Ich hab das abgelehnt, weil ich gesagt hab, daß ich nicht zurück kann.
"Komm immer Montag nach Prag, Freitag kannst du wieder nach Wien fahren"
haben sie gesagt.- Sag ich: "Dazu bin ich schon zu alt, als dass ich
ununterbrochen hin und her fahren kann." So bin ich wieder Korrespondent
bei meiner Zeitung geworden.
Die Zeitung ist dann eingegangen, die existiert heute nicht mehr, aber ich
bin Korrespondent von anderen Prager Zeitungen.
Tomi, unser jüngerer Sohn ist Leiter von einem Labor im St. Anna-
Kinderspital. Er ist Genetiker und Onkologe und hat schon internationale
Preise.
Michael, der Ältere, hat ein Doktorat in Philologie und Psychologie. Er
arbeitet in der Nationalbibliothek.

Ich bin in Wien nicht zu Hause. In einem Nazistaat leb´ ich nicht gern,
aber was soll ich machen?
Für mich ist diese lokale Politik hier nicht so interessant. Die
österreichischen Juden sind unglücklich darüber. Einige denken schon daran,
wieder wegzugehen. Ich weiß nicht, mich tangiert das überhaupt nicht. Ich
fühle mich nicht als Österreicher.

Ich habe Bücher geschrieben, eines auch über die Wiener.

[ENDE]