Robert Landesmann

Hochzeit Landesmann

Robert Landesmann

Meine Familiengeschichte
Meine Kindheit
Während des Krieges
Palästina
Rückkehr nach Europa

Meine Familiengeschichte

Meine Großeltern mütterlicherseits stammen aus einem kleinen Ort in Mähren,
Strawi, sie sind ungefähr im Jahre 1910 nach Wien gekommen, weil ihre
erwachsenen Kinder bereits in Wien waren und hier studiert haben. Meine
Großeltern haben David und Josefine Weinstein geheißen.
Ich kann mich an meinen Großvater erinnern, er ist gestorben, als ich zwei
Jahre alt war. Er war Kaufmann, hat sich ganz modern gekleidet, (na ja, was
damals modern war) und hatte ein Geschäft mit Geflügel im 20. Bezirk in
Wien.
Meine Großeltern waren überhaupt nicht religiös, aber die Feiertage haben
wir immer gehalten, in dem Sinne, dass wir sie gefeiert haben. Wir haben
keinen koscheren Haushalt gehabt, beide Großeltern haben keinen gehabt,
aber ich weiß nicht, ob sie Schweinefleisch gegessen haben. Sie haben immer
nur deutsch gesprochen, aber mein Großvater hat mit seiner Familie sehr
viel ungarisch gesprochen.

Er hatte wahrscheinlich Geschwister, aber ich weiß es nicht genau. Ich weiß
nur, dass eine Schwester von ihm in der späteren Slowakei gewohnt hat, wir
hatten aber überhaupt keinen Kontakt mehr zu ihnen. Mein Vater
wahrscheinlich schon, aber wir, die, die in Wien gewohnt haben, fast
überhaupt nicht mehr.

Meine Großeltern väterlicherseits [Anette und Nathan Landesmann] waren
beide tot, als ich geboren bin.
Meine väterliche Großmutter ist um 1900 herum oder noch früher gestorben,
und zwar in Budapest, sie liegt auch in Budapest begraben. Mein Großvater
hat in Wien gelebt und ist im Jahre 1919 gestorben. Mein Großvater
väterlicherseits und mein Großvater mütterlicherseits sind beide am
Zentralfriedhof in Wien begraben. Mein Großvater väterlicherseits im ersten
Tor und mein Großvater mütterlicherseits im vierten Tor.

Mein Vater Arthur Landesmann ist auch nicht in Wien geboren, er ist
irgendwo in einem slowakischen Dorf geboren, und als Kinder sind sie dann
alle [mit den Eltern] nach Wien gekommen.

Ich glaube, er hat in Wien studiert, er war ja jung hier. Er hat immer
Österreichische Zeitungen gelesen. Ich kann mich erinnern, dass wir immer
zu Hause das "Journal" gehabt haben, es gab eine Zeitung, die hat "Journal"
geheißen.
Er war Ingenieur und Architekt und hat zuerst in Wien gearbeitet, und dann
später hat er die Vertretung einer großen amerikanischen Firma für die
Tschechoslowakei bekommen und ist nach Prag. Und zwar war das eine Firma,
die Isoliermassen für Häuser erzeugt hat.
Mein Vater ist in den ersten Weltkrieg eingerückt, und da er an einem
slowakischen Platz geboren ist, musste er zur königlich ungarischen Armee.
Sein Regiment ist in Serbien einmarschiert, er wurde verschüttet und war
scheinbar verwundet, in jedem Fall psychisch verwundet. Nach ungefähr einem
halben, dreiviertel Jahr ist er scheinbar nur mehr beschränkt wehrfähig
gewesen und ist als Kurier zwischen dem österreichischen und ungarischen
Kriegsministerium eingesetzt worden.

Im Jahr 1918 kam der Bela Kun nach Ungarn, und da hat man ihn mit den
ganzen anderen österreichischen Soldaten und Offizieren eingesperrt, da
war er sehr gefährdet. Er ist eigentlich nur gerettet worden, weil ein
Gefängniswärter, der mit ihm zusammen in Serbien war, ihn erkannt und
freigelassen hat. Er konnte dann nach Österreich herauskommen und ist dann
zu seiner Familie nach Wien gekommen. Das muss im Jahr 1919 gewesen sein,
und ein paar Monate später hat er meine Mutter geheiratet, die er ja schon
vorher gekannt hat.

Meine Eltern haben im Juli 1919 geheiratet. Im Jahr 1919, wie in den Jahren
1916, 17 und 18, war Vermittlung in unserer Gesellschaft nicht mehr üblich,
es gab immer eine direkte Verbindung, und sie haben sich durch Freunde
kennen gelernt.
Sie haben beide in Wien gewohnt, meine Mutter im 20. Bezirk und mein
Vater im 9. Bezirk, das ist also nur durch den Donaukanal getrennt, und sie
waren in derselben Gesellschaft und haben sich so kennen gelernt.

Mein Vater hat vier Brüder und drei Schwestern gehabt, aber in Wien hat
lediglich eine einzige Schwester gewohnt. Ein Bruder hat in Bratislava
gewohnt, und die anderen zwei Brüder haben ab 1920 in Rio de Janeiro -
Brasilien gewohnt. Das war ein großes Glück, dadurch ist mein Vater
gerettet worden.

Wie seine Schwester nach Rio kam, ist eine sehr lustige Geschichte. Also,
die älteste Tochter von meinem Großvater, die hat Valerie geheißen, die ist
an die Universität gegangen, und im Jahre 1912 wollte sie sich etwas
dazuverdienen. Da hat sie der brasilianische Botschafter gebeten, seinen
Töchtern deutsch beizubringen. Und dann im Jahre 1913 wurde der Botschafter
nach Brasilien zurückversetzt. Ein paar Monate später hat er meiner Tante
geschrieben, die Kinder weinen so nach ihr, sie soll hinkommen und weiter
bei der Erziehung helfen. So ist meine Tante 1913 nach Brasilien gefahren
und wollte auf ein halbes, dreiviertel Jahr bleiben. Dann ist der Krieg
1914 ausgebrochen, und sie konnte nicht zurück und blieb also den ganzen
ersten Weltkrieg in Brasilien.
Im Jahr 1918/19, wie Österreich den Krieg verloren hat, hat sie dann Pakete
an ihre Familie geschickt, wie das üblich war. Und die beiden jüngeren
Brüder - der eine hat Heinrich, der andere Max geheißen - die sind aus dem
Militär alle zurückgekommen, und haben gesehen, dass in Österreich nicht
viel zu tun ist, und sind im Jahr 1921 auch nach Brasilien ausgewandert.

Eine andere Schwester meines Vaters, Arabella, hat einen deutschen Offizier
geheiratet, das war eine sehr ungute Sache, weil der deutsche Offizier ein
Christ war. Und da hat mein Großvater scheinbar sehr dagegen gewettet, und
hat quasi meine Tante aus der Familie rausgeschmissen. Er war ein adeliger
Offizier und ist dann nach dem Krieg in Deutschland geblieben, und er ist
dann irgendwann in den zwanziger Jahren gestorben - das hab ich alles
später erfahren - und meine Tante war dann im Jahre 1933 die Witwe eines
deutschen Offiziers, aber sie war nach den deutschen Nazigesetzen trotzdem
Jüdin, und da haben meine Geschwister sie auch nach Brasilien geholt, im
Jahre ´33, ´34.

Wir waren bewusste Juden, und wir hätten uns nie im Leben taufen lassen
oder so etwas.
Die Freunde meines Vaters waren christlich und jüdisch, beides, da gab es
kein Problem. Viele Kollegen waren natürlich aus der Branche. Und dann im
Jahre ´38 hat das Schicksal mir Recht gegeben, weil da ist Hitler gekommen
und hat gemeint: "Ihr seid keine Österreicher!".

Mein Vater war kein Mitglied in einer jüdischen Organisation, er war
natürlich Österreicher, das war für ihn ganz normal. Er war Österreicher,
und er war monarchistisch eingestellt. Wie er im Jahr 1938 verhaftet worden
ist, ist er nicht als Jude verhaftet worden, sondern als Monarchist. Aber
wie er dann nach Dachau gekommen ist, ist man draufgekommen, dass er Jude
ist, und da war er Jude.

Er war nicht religiös, aber die Feiertage hat er gehalten - also in dem
Sinne, dass wir mindestens vier, fünfmal im Jahr - zu den hohen Feiertagen
- in den Tempel gegangen sind. Wir haben auch immer zu Pessach einen Seder
gehabt, das hat mein Vater sehr gut gehalten, und die anderen Feiertage
eigentlich auch, aber nicht im strikten orthodoxen religiösen Sinne.

Es war bei uns nie eine Frage, dass wir Juden sind, und wir haben uns auch
als Juden gefühlt, für meinen Vater war das eine Religion. Für mich,
nachdem ich in einem Jugendbund war, war das ein Volk, das Judentum, und
der Zionismus war eigentlich die Quintessenz der Ideologie, dass das
Judentum ein Volk ist. Und das war die große Differenz zwischen mir und
meinem Vater, weil sein Volk war österreichisch, und mein Volk war das
Judentum.

Meine Mutter [Carla Landesmann, geborene Weinstein] ist aus einem
mährischen Dorf nach Wien gekommen, da war sie siebzehn oder achtzehn. Ihre
Brüder haben beide in Wien an der Universität studiert. In der K&K
Monarchie war es ganz normal, dass ein Deutschsprechender nach Wien
studieren geht, und meine Mutter ist also auch hergekommen. Sie hat
Modistin gelernt und war zuerst mit ihren Brüdern in Wien, bis dann ihre
Eltern aus Strawi nach Wien gekommen sind.
Der eine Bruder [Arthur] hat Welthandel studiert, der ist dann
Bankdirektor geworden. Aber die Bank hat zugemacht, und da seine beiden
Kinder schon im damaligen Palästina gewesen sind, ist er im Jahre 1935 auch
dorthin gegangen.
Und der zweite Bruder [Siegfried] hat Griechisch und Latein studiert und
ist dann Gymnasialprofessor geworden. Eine Zeitlang war er am Wasagymnasium
hier in Wien, dann ist der Krieg gekommen.
Nach dem ersten Weltkrieg ist er zurückgekommen, und er war natürlich durch
seine Geburt tschechoslowakischer Staatsbürger, weil er ja in Mähren zur
Welt gekommen ist. Und da haben die Österreicher gesagt, sie hätten so
wenig Plätze, sie könnten nur die Österreicher brauchen. Und da hat er dann
Glück gehabt - das ist auch ein bisschen mit Geschichte verbunden - ein
Teil von Österreich hat damals Bukowina geheißen, das ist heute Rumänien,
und nach dem Krieg wurde Bukowina wieder zu Rumänien. Aber die ganze
Bukowina war vollkommen deutsch, die Intelligenz und auch die Schulen. Dort
wurden Professoren, die in deutsch unterrichten können, gesucht - aber sie
mussten Mitglieder der Entente sein, und mein Onkel war tschechischer
Staatsbürger und Gymnasialprofessor. Da wurde er nach Bukowina in ein
Gymnasium versetzt, und dort ist er bis zum zweiten Weltkrieg geblieben. Da
haben die Rumänen dann die ganzen Juden nach Tawistra geschickt. Aber er
hat es überlebt und ist dann nach dem Krieg nach Palästina ausgewandert.

Meine Kindheit

Ich wurde am 15.Mai 1920 in Wien geboren.
Als ich ein Kind war, gab es immer viel Kontakt zu meiner Familie, auch der
Kontakt mit meiner Tante von der väterlichen Seite hier in Wien war sehr
groß, und wir haben uns nicht nur zu den Feiertagen gesehen. Wir haben
damals in Hütteldorf gewohnt, das ist ziemlich weit draußen - damals war
das Hietzing, der 13.Bezirk, und wir haben in einer Villa mit einem
herrlichen Garten gewohnt, und der Rest der Familie hat in der Stadt
gewohnt. Sie sind sehr oft zu Besuch zu uns gekommen.

Ich habe meine ersten vier Klassen Volksschule in Hütteldorf gemacht - aber
nicht in einer jüdischen Schule. Hütteldorf war damals ziemlich
naturbelassen, genau vis à vis von uns hat es eine Schiwiese gegeben, und
wir hatten eigentlich eine ziemlich unbeschwerte Jugend.
Ich bin danach ins Akademische Gymnasium gekommen, das ist mitten im
Zentrum am Beethovenplatz.

Während des Krieges

Ich war bis zum Jahre 1933, 34 bei den Pfadfindern, bis mich dann im Jahre
1934 einige Freunde zu einem zionistischen Jugendbund brachten. Das hat mir
sehr gut gefallen, auch von der Ideologie her. Bei den Pfadfindern war es
vollkommen international, da waren Christen und Juden, alles zusammen. Das
ist ein Jugendbund gewesen, man ging wandern und zelten, aber es gab
keinerlei innige religiöse Verbindung. Und der zionistische Jugendbund war
etwas ganz anderes, das war eine Ideologie.
Für mich war das Judentum ein Volk, und der Zionismus war eigentlich die
Quintessenz der Ideologie, dass das Judentum ein Volk ist.
Da war ich schon 16 oder 17, und da gab es immer Streit mit meinem Vater,
weil ich zionistisch war, und er war österreichisch. Er hat das nie
verstanden, aber das waren kindische Streitereien...

Ich hatte einen Bruder, Erich, der ist um drei Jahre jünger gewesen. Der
hat dieses Problem nie gehabt. Er war in keinem Jugendbund. Er ist zuerst
in die Volksschule in Hütteldorf und dann auch in das Akademische Gymnasium
gegangen, und dann mit 14 ist er in eine so genannte Fachhochschule
eingetreten. Er war aber nur ein Jahr dort, weil dann ist Hitler gekommen,
und da mussten die Juden von der Schule weg. Im Jahre 1938, wie Hitler
gekommen ist, war er fünfzehn.

Ich war damals achtzehn und wollte so schnell wie möglich nach Palästina -
das war logisch, eine zionistische Idee.
Ich bin das erste Mal im Juli 1938 mit einem Transport, der ein illegales
Schiff in Triest hätte erreichen sollen, mit der Eisenbahn nach Kärnten
gefahren.
Mein Vater war in Dachau, meine Mutter war allein, und mein Bruder war in
Wien. Da waren wir ca. 500 Leute, und die Italiener haben uns nicht
durchgelassen. Ca. zwei, drei Wochen sind wir in Arnoldstein an der
kärntnerischen Grenze gestanden und sind dann wieder zurück nach Wien. Und
dann, am 1. November 1938, sind wir mit einem DDSG-Schiff die Donau
herunter. Am 1.November sind wir weg, und sechs Tage später waren wir in
irgendeinem Schwarzen Meer Hafen, ich weiß jetzt nicht mehr, wie er heißt;
ich glaube, es war ein bulgarischer, ich bin mir da nicht sicher. Dort
haben wir dann ein Schiff bestiegen und sind bis zu einer griechischen
Insel gekommen. Und da waren ca. tausend Leute auf diesem Schiff, wir sind
in ein ganz kleines Schiff hereingekommen, da waren nur 150, 200 Leute, das
waren lauter Jugendbündler. Die anderen Jugendbündler haben noch gewartet
dort - weil die Engländer ja dagegen waren, dass die Leute illegal nach
Palästina kommen. Am 16. November, also nach 16 Tagen Fahrt, bin ich in
Palästina gelandet, und in Netanya ans Land gekommen, und dort habe ich die
erste Nacht in einem Kino übernachtet, und dann wurden wir in die
verschiedenen Teile verteilt. Das kleine Schiff ist wieder zurückgefahren
und hat wieder 200 Leute genommen. Ich hab einfach nur das Glück gehabt,
dass ich auf der ersten Gruppe war, das war alles.

Mein Bruder ist dann ein paar Monate später mit der Jugend-Aliyah nach
Palästina gekommen, in eine technische Schule, die Tiz-Schule, so dass mein
Bruder dann auch in Palästina blieb.

Mein Bruder hat mir nachher erzählt, dass, während ich in Arnoldstein war,
meine Mutter aus der Wohnung in Hütteldorf weg musste, die meisten Sachen
hat man ihr weggenommen. Da sind SA Leute und auch Zivil- und Privatleute
gekommen, und haben gesagt: "Das möchten wir gerne haben, und das...". Wir
haben in unserem Herrenzimmer ein sehr schönes Bild gehabt, eine
Landschaft. Der Chef von dieser SA, der da war, hat gesagt: "Ich möchte
gerne das Bild haben". Meine Mutter hat die Achseln gezuckt und gesagt:
"Bitteschön, nehmen Sie, die anderen haben mich ja auch nicht gefragt.". Da
sagt er: "Nein, nein, ich will das kaufen. Ich gebe Ihnen zehn Mark dafür,
aber ich möchte einen Kaufvertrag haben." Dann hat sie ihn unterschrieben,
der Mann hat das Bild um zehn Mark gekauft. Das waren so lustige Szenen...

Meinen Vater hat man schon im April 1938 nach Dachau weggenommen. Man
wusste, dass er nach Dachau kam, weil man Briefe und Karten bekommen hat.

Meine Mutter ist dann mit meinem Bruder zu einer Schwester im neunten
Bezirk gekommen, sie waren ja nur mehr zwei Leute, und sie haben dann dort
gewohnt, und wie dann mein Bruder wegging, war sie allein. Aber mein Vater
wusste, dass sein Bruder ihm das Visum nach Brasilien besorgt hat. Er ist
im August ´39 aus Dachau, oder es war damals schon Buchenwald , entlassen
worden, und die zwei sind dann mit dem Schiff über Hamburg nach Brasilien
gefahren. Ich muss ehrlich sagen, wir haben alle eigentlich sehr viel Glück
gehabt und nicht sehr viel mitgemacht; diese Verluste sind ganz
uninteressant.

Palästina

Wie ich im Jahre ´38 nach Palästina gekommen bin, habe ich sofort
Verbindungen gehabt und war in der Hagana [jüdische
Selbstverteidigungarmee] sehr aktiv.
Die Engländer waren damals die Mandatsmacht und haben also aufpassen
müssen, aber es ist ihnen nicht immer gelungen. Und die jüdische
Selbstverteidigungarmee - die schon vorher, im Jahre 1920, gegründet wurde
- war seit dem ersten Weltkrieg aktiv. Es war für uns Jugendliche, die
heruntergekommen sind, ganz normal, dass wir der Hagana sofort beigetreten
sind.
Ich war in den Jahren 1936-39 sehr aktiv in der Hagana, da waren die so
genannten arabischen Unruhen in Palästina, und wie der Weltkrieg dann
ausgebrochen ist, da gab es für uns verschiedene Aufträge zu erledigen.

Der erste Auftrag, den ich bekommen habe, war, in die palästinensische
Polizei einzubrechen, und zwar in eine besondere Abteilung. In Palästina
gab es damals Orte, die von Deutschen, die in der Mitte des 19.
Jahrhunderts nach Palästina gegangen sind, besiedelt waren. Das ist eine
Sekte gewesen, und das waren reine Deutsche. Diese deutschen Siedlungen
haben die Engländer mit Stacheldraht umgeben, weil sie ja dann Staatsfeinde
waren.
Es wurde eine eigene Polizei aufgestellt, die diese Orte bewacht hat. Diese
Orte haben "Settlements" geheißen, und wir haben "Settlement Police"
geheißen. Da war ich ca. ein dreiviertel Jahr, und dann ist ein Order von
der Hagana gekommen: "Geh weg von der Polizei und melde dich zum englischen
Militär". Und da hab ich mich dann zum englischen Militär gemeldet und war
ein englischer Soldat. In Palästina, in Ägypten, und dann wurde ich im
Jahre 1943 verwundet.
Damals haben die Engländer Leute gesucht, auf die sie sich verlassen können
und die sie mehr oder weniger benützen können, um die Plätze von den
Engländern, die zum Militär einberufen wurden, einzunehmen. Und ich habe
mich freiwillig gemeldet.

Das war ein sehr guter Job. Ich ging nach Persien, nach Abadan, in die
Anglo-Jordanian Oil Company und war dort dann Senior Staff und
Abteilungsleiter in der Accounting Section. Das war 1943 bis 45.
1945 war der Krieg aus, die Engländer, die diesen Posten früher gehabt
haben, sind zurückgekommen, und wir sind zurück nach Palästina.

Inzwischen hatte ich schon meine Frau kennen gelernt; sie war die Schwester
meines besten Freundes. Wir haben in Palästina geheiratet, und ich habe
gesagt, meine Hochzeitsreise möchte ich nach Brasilien machen, um meine
Eltern und meine Verwandten zu sehen, und vor allem, damit meine Frau meine
Eltern kennen lernt. Mein Vater hat nach dem Krieg weiterhin als Architekt
in Rio de Janeiro gearbeitet. Er hat nicht sehr viel Erfolg gehabt, aber es
ist ihm ganz gut gegangen. Es war ja Familie dort, das war kein Problem.
Die Hochzeitsreise war 1946, wir sind über Marseille gefahren und waren
auch in Paris. Und in Paris haben Verwandte meiner Gattin aus Mähren -
meine Frau ist aus Brünn, Tschechoslowakei - angerufen: "Wenn du schon in
Europa bist, komm uns besuchen. Also sind wir von Paris nach Prag und
Brünn geflogen. Sie hat dort drei Tanten gehabt, die haben wir besucht.
Die haben überlebt, weil sie mit Christen verheiratet waren. Und damals hat
mir der Onkel von meiner Frau gesagt: "Es gibt jeden Tag einen Bus nach
Wien, willst du nicht Wien sehen?". Da habe ich gesagt: "Nein, Wien sieht
mich nie mehr wieder.".

Ich hatte keine seelische Bindung an Österreich, überhaupt keine, und ich
bezweifle, dass ich das heute noch hab, ich habe keine. Für mich ist
eigentlich weiter Israel das Land, das mir am nächsten steht. Aber es ist
ja sehr schön, hier zu leben, man kann sehr gut leben, wenn man gut
verdient, und ich hab eigentlich Glück gehabt im Leben, und dann sind wir
irgendwie hier geblieben. Ich hatte natürlich immer sehr viel Beziehungen
zu Südamerika durch meine Eltern und meine Geschwister.
Mein Bruder ist, nach Ausbruch des Krieges, den er auch als israelischer
Soldat mitgemacht hat, auch mit seiner Frau nach Brasilien gegangen, und
die haben mit meinen Eltern zusammengelebt. Jetzt leben sie nicht mehr in
Brasilien, sondern in Amerika.

Inzwischen wurde ich von der jüdischen Industriellenvereinigung von
Palästina beauftragt, in Brasilien eine Art Messe für Exportartikel zu
machen. Da habe ich dann bei meiner Reise eine kleine Ausstellung in Rio
und in Sao Paulo gemacht, um Orders, für die jüdische Industrie in
Palästina zu bekommen. Ein paar Monate später sind wir zurück nach Hause,
das war 1947, und ´47 war schon der ganze Kampf, um Israel zu gründen. Wir
waren beide aktiv in der Hagana, meine Frau und ich auch.

Meine Frau war dann auch beim israelischen Militär, sie war im
Hauptquartier, und ich war Sicherheitsoffizier für einen Distrikt. Meine
Frau wurde erst aus der Armee entlassen, als sie im achten Monat schwanger
war. Dann ist unser erster Sohn zur Welt gekommen.

Rückkehr nach Europa

Und dann ist der Staat gegründet worden. Ich habe damals schon in einer
Versicherungsgesellschaft gearbeitet, und das ist ganz gut gegangen. Ich
war ein so genannter Schadensbevollmächtigter, das heißt, wenn irgendwelche
Schäden bei der Versicherung waren, hab ich das begutachtet und gesagt, wie
viel man zahlen soll und so weiter; und das hat mir sehr gut gefallen. Ich
hatte gute Beziehungen - ich hab das scheinbar ganz gut gemacht, weil die
Zentrale der Versicherung war in London, und in London haben die gesagt:
"Wir geben dir eine Möglichkeit, mach dich doch selbständig.", und haben
mir einen so genannten "Cover" gegeben, einen Insurance Cover für
Transportversicherung. Das hab ich eine Zeitlang gemacht, aber das ist
nicht sehr gut gegangen, weil damals in Israel eine ziemlich schwere
wirtschaftliche Lage war. Und im Jahre 1951 ist eine sehr große israelische
Firma an mich herangetreten, sie bräuchten jemanden der sie in Europa
vertritt, in Österreich und in Deutschland, ob ich das nicht ein paar
Monate machen möchte. Da habe ich gedacht, warum nicht, wenn es gut bezahlt
ist, und so bin ich wieder nach Wien gekommen, durch Zufall.

Ich habe schon erzählt, wie mein Sohn Uriel, der Erstgeborene, im Jahre
1949 auf die Welt gekommen ist. Und wir waren natürlich sehr glücklich. Er
war das erste Enkerl - auch von den Eltern meiner Frau. Im Jahre 1951 ist
er dann mit meiner Frau nach Wien gekommen. Wir hatten hier mehrere
Wohnungen, weil wir ja nie wussten, wie lange wir bleiben, das war ja nicht
klar. Teilweise haben wir auch in Zürich gewohnt. Er ist in Wien in die
Schule gegangen, in die jüdische Volksschule in der Ruthgasse im 19.
Bezirk. Da war er zuerst im Kindergarten und dann in der Schule.
Der zweite Sohn ist im Jahre 1952 auf die Welt gekommen, er heißt Michael.
Er ist in Brasilien zur Welt gekommen, weil wir gerade zu Besuch dort
waren, und als er zwei Monate alt war, sind wir wieder zurück nach Europa
geflogen. Er ist dort auch in diesen Kindergarten und diese jüdische Schule
gegangen. Mein erster Sohn ist ins Wasagymnasium gegangen, der Uriel, und
der zweite, der Michael, ist im 19. Bezirk in ein Gymnasium gegangen. Sie
haben beide maturiert, haben beide studiert. Mein ältester Sohn ist Arzt,
Internist, er ist Abteilungsleiter im Gesundheitsamt der Stadt Wien. Er hat
die so genannte Sektion für Pflegegeld unter sich für ganz Wien. Der zweite
Sohn ist Ökonom, hat in Oxford und in Cambridge studiert, er ist Professor
in Cambridge gewesen, und dann hat ihn die österreichische Regierung
zurückgerufen. Er ist Ordinarius auf der Ökonomieabteilung von Linz
geworden, wohnt aber in Wien und ist außerdem Chef von dem Institut für
vergleichende Wirtschaft in Wien. Das ist ein Institut, das sich besonders
mit den Ökonomien der Ex-kommunistischen Staaten befasst. Und er ist
Berater bei der Regierung und so weiter...

Meine Eltern hab ich vor ca. 30 Jahren zurück nach Wien gebracht, weil sie
dann ganz allein waren. Die Geschwister von meinem Vater sind alle
gestorben. Schließlich haben sie uns ja hier gehabt, meine Kinder, also
Enkel. Ich habe hier erledigt, dass sie in einem Pensionistenheim im
zehnten Bezirk gewohnt haben, sie waren sehr glücklich und zufrieden dort
und wir natürlich auch, bis sie dann gestorben sind. Die Mutti ist ein Jahr
früher gestorben, und zwar über Nacht, das ist sehr schnell gegangen, und
dann wollte mein Vater eigentlich nicht mehr leben. Das hat man gespürt,
und genau ein Jahr später ist auch er gestorben. Beide liegen hier am
Zentralfriedhof begraben.

Und ich hatte für diese israelische Firma sehr viel gearbeitet, und dann
haben wir eine Zeitlang in der Schweiz gelebt. Ich habe auch teilweise
versucht, mich selbständig zu machen, das ist aber nicht so leicht
gegangen. Dann hat mich die brasilianische Fluggesellschaft, die ich
zufällig bei einem Besuch bei meinen Eltern und bei meinem Onkel in
Brasilien kennen gelernt habe, als Direktor für Österreich und Osteuropa
ernannt. Dabei hab ich nichts von Fluggesellschaften gewusst, und der
Präsident hat gesagt: "Du bleibst jetzt auf zwei, drei Monate hier in der
Firma". Die Frage Osteuropa war damals eine diplomatische Frage. Brasilien
wollte nicht - aus Rücksicht auf die Vereinigten Staaten - diplomatische
Beziehungen mit den Ostländern haben. Aber sie wollten wirtschaftliche,
kommerzielle Konventionen haben, und da haben sie der brasilianischen
Fluggesellschaft die Pflicht auferlegt, sie sollen die ersten Beziehungen
schaffen. Und der Präsident hat mich kennen gelernt und gesagt: "Du bist
genau der Mann, den ich brauche.", und da hat er mich als Direktor der
brasilianischen Fluggesellschaft für Österreich und Osteuropa nach Wien
zurückgeschickt. Und da war ich also jede Woche in einem anderen Land, ich
hatte neun Länder unter mir und das Hauptbüro habe ich in Wien gehabt. Ich
habe viel Erfolg gehabt, ich habe sehr viel organisiert, zum Beispiel den
ersten Besuch des brasilianischen Präsidenten in Russland und der
Tschechoslowakei, und ich habe die ersten wirtschaftlichen Delegationen aus
Österreich, unter den der damalige Vizekanzler Pittermann war, da hab ich
seine Reise nach Brasilien organisiert. Die Verbindungen, die ich noch
damals abgeschlossen habe, laufen jetzt noch immer. Unlängst habe ich
jemanden von der VOEST getroffen, das ist diese Stahlfirma, und der hat mir
erzählt: "Dieser Vertrag, den du damals eingefädelt hast, der läuft noch
jetzt.".

Im Jahre ´64, da war ich also Direktor der brasilianischen Fluggesellschaft
hier, und dann war ein Militärputsch in Brasilien. Und da wurde unserer
Fluggesellschaft das Recht weggenommen, und einer anderen Gesellschaft
gegeben, und mir hat man damals vorgeschlagen: "Du kannst
selbstverständlich in deinem Rang zurückkommen.", aber Flugdirektoren,
Leute im Ausland sind so wie Diplomaten: Hier erleben sie ein sehr schönes
Leben und ein sehr schönes Niveau, aber wenn wir zurückgehen ins Hauptbüro,
dann verdient man nichts. Da hab ich gesagt: "Nein, ich bleibe lieber
hier.", und dann war ich hier in einer Bank, Abteilung für Südamerika,
tätig, da war ich aber sehr unglücklich. Ein Jahr später hat die
kolumbianische Fluggesellschaft den selben Job gesucht, und da ich einen
sehr guten Namen gehabt habe, haben sie mich genommen. Seit damals war ich
bis zu meiner Pension in der kolumbianischen Fluggesellschaft, auch
Direktor für Österreich und Osteuropa. Und dann bin ich in Pension
gegangen.

Ich war die ganze Zeit über journalistisch tätig, hab immer für Zeitungen
und Fachzeitschriften geschrieben. Wie ich dann in Pension gegangen bin,
hat man mir gesagt, "Du musst irgendwas machen, sonst gehst du zugrunde,
das ist nichts für dich". Da habe ich gesagt: "Gut, dann bleibe ich weiter,
und mach den Journalismus.". Das ist alles, das ist mein Leben.