Rachelle Muzicant

Familie Muzicant mit Rachelle Muzicants Mutter Chana Lanis

Oktober 2007

Frau Muzicant, die Mutter des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, ist eine liebe und sympathische Dame, mit der ich gern zusammen sitze und mich unterhalte. Bei fast jedem Treffen in ihrer Wohnung, steht frisch gebackener wunderbar schmeckender Kuchen auf dem Tisch, und sie erzählt mir ihre Lebensgeschichte - lachend und weinend.

Meine Familiengeschichte
Meine Kindheit
Während des Krieges
Nach dem Krieg
Mein Leben in Israel
Wien
Glossar

Meine Familiengeschichte

Ich habe nur meine Großeltern mütterlicherseits gekannt. Dass ich nichts über die Eltern meines Vaters weiß, verfolgt mich seit langer Zeit. Aber es ist zu spät - es gibt niemanden mehr, den ich fragen kann. Wie ist es möglich, dass ich nichts weiß? Man kann sich gar nicht vorstellen, dass Holocaust - Überlebende ihren Kindern und der Familie nichts erzählt haben. Ich frage mich jetzt immer wieder: wer waren sie, diese Grosseltern? Ich hab keine Ahnung! Es gibt kein Foto, es gibt nichts! Ich weiß nicht einmal, wie sie hießen. Wieso habe ich als Kind nicht nach ihnen gefragt? Warum habe ich nicht gesagt: ‚Wo sind deine Eltern, Papa?’ Mein Vater hat noch gelebt, da war ich schon erwachsen, aber das ist irgendwie verloren gegangen. Man war jung, man hat sie nicht gekannt, man war damit nicht konfrontiert.

Ich bin ohne Großeltern, ohne Tanten und Onkel aufgewachsen, denn die Familie mütterlicherseits hat in Bessarabien [Anm.: heute zum Teil Moldawien und zum Teil Ukraine] gewohnt. Der Ort heißt Tighina und liegt am Westufer des Flusses Dnister. Das war zu dieser Zeit in der Nähe der Grenze zwischen Russland und Rumänien. 1918 kam Tighina aber, als Teil Bessarabiens, zu Rumänien. Nach dem 2. Weltkrieg gehörte das Gebiet zur Ukraine, jetzt zu Moldawien.

Die Eltern meiner Mutter habe ich nur einmal gesehen. Der Großvater hieß Zwi Sultanovici und war ein ehrwürdiger alter Mann mit einem weißen Bart. Die Grosseltern besaßen in Tighina ein großes Geschäft mit Porzellan und Haushaltsartikeln. Die Reise von Galatz [Rumänien], wo wir gelebt haben, bis nach Tighina kam mir wie eine Weltreise vor. Vielleicht waren es gar nicht so viele Stunden, aber man musste mit dem Zug und mit dem Bus fahren, und damals war man das nicht so gewöhnt - man ist noch nicht soviel  herumgefahren wie heute. Meine Brüder waren öfter bei den Großeltern, die waren 8 und 10 Jahre älter als ich. Vielleicht war es für meine Mutter zu beschwerlich mit drei Kindern zu fahren. Ich war vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, als ich das erste und einzige Mal meine Großeltern gesehen habe.

Meine Mutter hatte in Tighina auch noch einen Bruder und eine Schwester. Der Bruder hieß Zadik Sultanovici. Er war verheiratet mit Sima, die Tochter hieß Etka. Sie war meine einzige Cousine mütterlicherseits und zwei oder drei Jahre älter als ich. Die Schwester meiner Mutter hieß Manja. Sie war mit Josef verheiratet, sie hatten aber keine Kinder. Manja wurde krank und ist gestorben, ich weiß gar nicht, woran sie gestorben ist.

Als wir zu Besuch bei den Grosseltern waren, haben wir in ihrem Haus gewohnt, in dem auch das Geschäft war. Auch mein Onkel Zadik und seine Familie haben in dem Haus gewohnt. Die Großmutter lag im Bett. Ich war nicht lange bei ihr, denn wir Kinder wurden rausgeschickt zum Spielen. Wir sollten nicht mitkriegen, wie krank die Großmutter war. Sie ist dann auch gestorben.

Leider sind diese Verwandten dort geblieben und nicht geflüchtet. Zuerst kamen 1940 die Russen und haben Bessarabien besetzt. Für die Russen war mein Großvater ein Kapitalist, ein Bourgeois. Er hat wahrscheinlich seine Ware, die er im Keller gelagert hatte, nicht deklariert, und das war ein Verbrechen für die Russen. Für so etwas wurden die Leute verhaftet und in Lager gesteckt. Mein Onkel Zadik starb vor 1940, mein Großvater, meine Tante und meine Cousine wurden von den Russen zum Polarkreis deportiert. Der Großvater ist bereits unterwegs gestorben, ich weiß nicht einmal, wo. Meine Tante Sima hat am Polarkreis mit ihrer Tochter Etka unter schrecklichen Verhältnissen gelebt, und hat uns und einem ihrer Brüder, der in Rumänien gelebt hat, Briefe geschrieben, in denen stand, dass sie ihren Mann beneide, der vorher gestorben war. Die Familie hat versucht, ihnen zu helfen und Pakete geschickt. Aber zu dieser Zeit war das schwer, trotzdem haben auch meine Eltern getan, was nur möglich war. Mit falschem Namen ist es dann meiner Tante und ihrer Tochter gelungen, in etwas südlichere Regionen zu kommen. Nach dem Krieg haben sie es nach Czernowitz geschafft, das wieder zur Sowjetunion gehörte. Viel später erfuhren wir, dass Etka nach dem Krieg Medizin studiert hatte und Ärztin geworden war. Sie hatten während des Krieges soviel Schreckliches erlebt und große Angst, so dass sie mit niemand im Ausland Kontakte haben wollten, denn dies hätte sie gefährdet. Meine Eltern, meine Brüder und ich haben zu dieser Zeit bereits in Israel gelebt. Wir haben ein einziges Mal einen Brief nach dem Krieg von ihnen bekommen, da haben sie geschrieben, was sie alles mitgemacht haben. Das war nach 1957, da waren mein Mann und ich schon in Wien.

Meine Eltern sind beide im Jahre 1888 geboren, mein Vater Aron Lanis in Kishinew, meine Mutter Chana Sultanovici in Tighina. Beide Städte gehörten damals zum Russischen Reich, die Gegend war ein Teil der Provinz Bessarabien. 1918 wurde Bessarabien von Rumänien besetzt. Der Teil Bessarabiens aus dem meine Eltern kamen, war immer eine umstrittene Provinz. Immer wollten es die Rumänen und die Russen, es war schrecklich.

Meine Eltern haben sich in Moskau kennen gelernt. Meine Mutter hatte in Moskau Zahnmedizin studiert und als Zahnärztin gearbeitet. Das war noch in der Zarenzeit, also vor 1918. Meine Mutter hat ohne ihre Familie in Moskau gelebt, und dort hat sie meinen Vater kennen gelernt. Mein Vater hatte Chemie studiert. Wie sie sich kennen gelernt haben, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich auf der Universität. Aber das kann ich nicht genau sagen. Während des Studiums wurden sie bestimmt durch die Familien unterstützt, denn ich weiß, dass meine Eltern in jungen Jahren sogar auf der Krim 1 Urlaub gemacht haben.

1916 oder 1917 haben meine Eltern in Moskau geheiratet. Meine Mutter war eine sehr schöne Frau, aber schüchtern und introvertiert. Mein Vater war eher ein Lebemann und sehr eifersüchtig. Sicher haben meine Eltern religiös geheiratet, denn sie kamen aus religiösen Familien. Aber fromm waren sie beide nicht, sie hatten auch keinen koscheren [Anm koscher.: nach jüdischen Speisevorschriften rituell; rein] Haushalt. Als 1917 die Oktoberrevolution in Russland begann, war meine Mutter schwanger. Wie die Revolution begonnen hat, gab es kein Heizmaterial mehr, und meine Eltern haben beschlossen, zu den Eltern, also zu meinen Großeltern mütterlicherseits, nach Tighina zu fahren. Sie haben geglaubt, die Kommunisten in Russland werden sich nur eine kurze Zeit halten können. Meine Mutter hat es aber nicht bis Tighina geschafft, auf dem Weg, in Tiraspol, hat sie meinen Bruder Leon entbunden. Tiraspol war die Grenze zwischen Russland und Rumänien. Meine Eltern sind danach erst einmal in Tighina geblieben, denn sie konnten durch die politischen Umstände in Russland nicht mehr zurück. Ihr Vermögen hatten sie in ihrer Moskauer Wohnung unter den Parkettbrettern versteckt, das ist dort geblieben - auf ewig. Einen Teil des Vermögens hatte mein Vater dem norwegischen Konsul in Moskau übergeben. Ich weiß nicht, wieso er zu ihm eine Beziehung hatte, ich weiß nur, dass es so war. Es war ausgemacht, dass, falls meine Eltern flüchten werden, der Botschafter das Vermögen in Verwahrung nimmt, und meine Eltern es sich von ihm holen. Aber mein Vater hat es nie gekriegt. Was passiert ist, weiß ich nicht.

Meine Eltern haben wieder von vorn angefangen. Meine Mutter hat aber nie wieder als Zahnärztin gearbeitet. In Bessarabien wurde viel Russisch gesprochen, aber auch Rumänisch und Jiddisch. Sie hätte ihren Doktor in Rumänien nostrifizieren müssen, aber ihr Rumänisch war zu schlecht. Sie hat es jedenfalls nicht geschafft zu nostrifizieren, und dann ist mein Bruder Moishe geboren.

Mein Vater war ein großer Zionist und sogar auf einem Zionistenkongress in Basel. Sein Cousin, er hieß Shenkar, war auch Zionist und ist 1917 aus Moskau, als meine Eltern nach Rumänien geflüchtet sind, mit seiner Frau nach Palästina geflüchtet. Sie sind dort geblieben, und Shenkar hat eine Textilfabrik, eine Unterwäschefabrik, aufgebaut. Lodzia hieß die Fabrik. In Israel gibt es Institutionen, die nach dem Cousin meines Vaters benannt wurden. Mein Vater ist Anfang der 1920er Jahre nach Palästina gefahren, um sich das Land anzusehen. Als er nach Palästina kam, hatte sein Cousin sich schon etwas aufgebaut. Aber für das Geld, das mein Vater besaß, hätte er nur ein Zrif kaufen können. Zrifs waren Umzugscontainer, in denen man gewohnt hat. Man hat Möbel in diese Container gebracht, dann hat man sie als Wohnung benützt. Holz war teuer in Palästina, und die Container waren aus Holz gemacht. Man konnte zum Beispiel am Strand von Tel-Aviv darin wohnen. Das war aber meinem Vater zu wenig, denn Rumänien war damals ein schönes und reiches Land, voller blühender Natur und bis jetzt noch unerforschter Reichtümer im Boden. Es gab Flüsse, Fische, Obst, Gold, Erdöl und das Meer - was kann man mehr haben. Also ist er nach Tighina zurückgekommen, und meine Eltern haben beschlossen, ich weiß nicht warum, sich in Galatz nieder zu lassen. Galatz liegt auch heute in Rumänien und ist eine Hafenstadt an der Donau. Damals war einer der Haupttransportwege der Transport auf der Donau. Es waren nicht die Züge - von Lastautos und Bussen war noch nicht einmal die Rede. Alles wurde mit großen Schiffen übers Schwarze Meer gebracht, auf Flussschiffe umgeladen und über die Donau bis nach Wien gebracht. Galatz war deshalb eine sehr kosmopolitische und interessante Stadt, in der Juden, Armenier, Griechen und natürlich Rumänen lebten. Warum mein Vater Galatz als unseren Wohnsitz ausgewählt hat, weiß ich nicht.

Mein Vater hat sich in Galatz eine Textilfabrik für Wollstoffe aufgebaut. Die Fabrik war am Rande von Galatz, in der Strada Trajan. Sie war für damalige Verhältnisse sehr groß. Wir haben Stoffe hergestellt, dicke Schals und so etwas ähnliches wie Loden für die Bauern in der ganzen Gegend. Wie viele Angestellte für meinen Vater gearbeitet haben, weiß ich nicht, aber es müssen viele gewesen sein. Er hatte eigentlich eine komplette Fabrik. Er hat Wolle gekauft und davon Garn gemacht, das Garn gefärbt, den Stoff produziert und ihn dann verkauft. Aber eines Tages hat ein Feuer die Fabrik vernichtet. Das passierte vor dem 2. Weltkrieg. Es war keine Brandstiftung! Mein Vater hat die Fabrik nicht wieder aufgebaut, er hat dafür ein Geschäft im Zentrum von Galatz, in der Strada Mare [Anm.: rum. die große Straße], einen Stoffgroßhandel eröffnet, in dem es hauptsächlich Wollstoffe für Herren und für Damen gab. Damals hat man sich Kleider, Anzüge und Mäntel beim Schneider nach Maß anfertigen lassen. Es gab viele Schneidereien. Mein Vater stand selber in dem Geschäft und hatte drei rumänische Angestellte. In der Strada Mare waren die meisten Textilgeschäfte und Großhändler, die Stoffe verkauft haben. Viele Leute aus der Umgebung haben bei meinem Vater die Stoffe gekauft.

Meine Kindheit

Vor unserem Haus gab es einige wenige Stufen. Wenn man die Eingangstür öffnete, kam man in ein Vorzimmer. Nach dem Vorzimmer befanden sich unser Speisezimmer, das Büro meines Vaters, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer meiner Eltern, das Zimmer meiner Brüder und mein Zimmer. Dann kam ein langer Gang, und da waren das Frühstückszimmer, Küche, Bad und zwei Zimmer für das Personal. In jedem Zimmer stand ein Kachelofen. Wir hatten einen großen Garten mit einem Volleyballplatz. Wir waren sehr sportlich, haben auch Tennis gespielt und sind Eislaufen gegangen. Auch zwei Hunde, das waren Mischlinge, gehörten zu unserer Familie. Puffi hieß der eine. Sie hatten Hundehütten im Garten.

Meine Brüder waren acht und zehn Jahre, als ich 1928 in Galatz geboren wurde. Meine Geburt war für sie und ihre Freunde eine Sensation. Ich hatte eine sehr schöne Kindheit, denn meine Brüder waren sehr lieb zu mir, und ich kannte alle ihre Freunde, weil sie regelmäßig Volleyball in unserem Garten spielten. Es war eine große, sehr schöne Gesellschaft - jüdische und christliche Kinder. Auch Mädchen waren dabei. Zwischen diesen Kindern bin ich aufgewachsen. Bis vor kurzem hatte ich noch Kontakt mit denen, die noch am Leben waren. Meine Brüder hatten auch Motorräder und haben mich immer mitgenommen, und als ich zehn Jahre alt war, haben meine Eltern mir ein Fahrrad gekauft.

Wir hatten immer ein schönes Familienleben. Mehrere Bedienstete und Mädchen, die im Haus wohnten, haben meiner Mutter im Haushalt geholfen. Meine Mutter war eine sehr gute Köchin. Noch viele Jahre später haben meine Freunde vom guten Essen meiner Mutter geschwärmt.

Mein Vater war sehr gebildet. Er hat meine Brüder, obwohl er nicht fromm war, religiös erzogen. Die meisten jüdischen Burschen gingen in die jüdische Schule, aber 
Leon und Moische sind in ein rumänisches Gymnasium gegangen, das sehr anspruchsvoll war - vergleichbar vielleicht mit dem Theresianum 2 in Wien.

Meine Mutter hatte nur wenige Freundinnen, weil sie introvertiert und entwurzelt war. Aber wir hatten immer Gesellschaften zu Hause. Die Gäste waren meist russische Juden, weil meine Mutter sich mit rumänischen Juden nicht anfreunden konnte. Ich habe, obwohl ich viel sozialer als meine Mutter bin, das auch empfunden, als ich nach Wien gekommen bin, weil ich niemanden gekannt habe. Es war hier auch so: die Polen, die Ungarn, die Juden - jeder lebte in einem kleinen Ghetto. Das ist eben so, jede Gruppe hat seinen eigenen Charakter. Die Bekannten meines Vaters waren Akademiker, hauptsächlich Anwälte und Ärzte. Zum Beispiel war ein sehr guter Freund meines Vaters Kinderarzt. Ich kann mich erinnern, dass ich auf diesen Gesellschaften Geschichten und Gedichte vorgetragen habe, zum Beispiel von Schalom Aleijchem 3 und Bialik 4. Mein jüngerer Bruder war auch so introvertiert wie meine Mutter. Mein älterer Bruder und ich sind uns sehr ähnlich. Wir haben den Charakter vom Vater - wir sind sehr lebenslustig.

Den Schabbat 5 haben wir nicht gefeiert, aber alle hohen Feiertage 6. Wir hatten Sitze für die hohen Feiertage in einer der schönsten Synagogen von Galatz. Vor Pessach 7 wurde zu Hause alles geputzt, und am Sederabend 8 bei dem wunderbaren Essen wurde immer gesagt, dass der Prophet Elia durch den Schornstein kommt - aber ich hab ihn nie gesehen!

Eine jüdische Schule für Mädchen gab es in Galatz nicht. Vis-a-vis unseres Hauses war der Kindergarten und die Volksschule der katholischen Nonnen. Beide habe ich besucht. Die Rumänen waren sehr große Nationalisten. Aber der kulturelle Einfluss der Franzosen war damals sehr groß. Rumänien war rumänisch-orthodox, aber auch sehr französisch. Es war zum Beispiel vornehm, Französisch zu sprechen. In den rumänischen orthodoxen Schulen gab es viele Antisemiten. Aber es gab eine gigantische Schule mit einem Internat, die französisch orientiert war. Das war eine Klosterschule, in die auch ich gegangen bin. Diese Schule war wunderschön, Notre Dame de Sion hieß sie. Auch ein Internat gehörte dazu. In diese Schule, die vom Staat anerkannt war, gingen viele jüdische Mädchen - in meiner Klasse waren vier oder fünf. Die Schule war fantastisch ausgestattet, es gab sogar einen riesengroßen Garten. Gelehrt wurde in rumänischer Sprache. Ich habe aber auch Französisch und Deutsch gelernt. Eine Lehrerin, das  alte Fräulein Berta, hat uns Schiller und Goethe gelehrt. Die deutsche Sprache und die deutsche Literatur sind mir geblieben. Dadurch war mir die ganze deutsche Kultur nicht fremd. Französisch war aber die erste Fremdsprache. Es gab auch Klaviere für uns Kinder und Physik - und Chemie-Säle. Die Atmosphäre in der Schule war wunderbar. Es gab überhaupt keinen Antisemitismus. Wir jüdischen Mädchen waren mit den christlichen Mädchen befreundet. In der Schule gab es auch Unterricht in Ethik. Da hat man uns Moral im besten Sinne gelehrt. Ein Teil unserer Nonnen hat auch in der Volksschule für arme Kinder gearbeitet, deren Eltern fürs Lernen nicht zahlen konnten. Da wurde auch Essen ausgegeben. Uns, deren Eltern genug Geld hatten, um das Schulgeld zu bezahlen, wurde ein Gefühl gegeben für Menschen, die wenig hatten. Ich hatte immer die Neigung zu helfen. Mir hat dieser Unterricht sehr viel gegeben.

Die Schule hatte auch eine wunderschöne Kirche mit herrlichen alten Fenstern. Damals gab es in den katholischen Kirchen Luxus mit Pomp, die Altäre waren voll Spitzen und Blumen. Für ein Kind wie mich war das wirklich wunderschön. Wir trugen dunkle Schuluniformen. Für die Feste und Feiertage besaßen wir weiße Krägen, weiße gestärkte Manschetten und weiße Handschuhe. Für besonders gute Schülerinnen gab es seidene Schleifen und Medaillen als Auszeichnung. Wenn wir in die Kirche gingen, hat man uns weiße Voiles gegeben. In der Kirche sind alle Mädchen zum Altar gegangen und standen in der Schlange vor dem Altar. Die katholischen Mädchen haben die Hostie bekommen, wir jüdischen Mädchen nicht. Das hat mich aber nicht gestört, ich habe mich nie als Außenseiterin gefühlt. Ich hätte aber auch gern gehabt, was die Katholiken haben - zum Beispiel Weihnachten mit der ganzen Familie und mit dem geschmückten Baum und den Geschenken zu feiern. Ich war ja ein Kind, und wir hatten keine Familie, nur ein paar Bekannte, die zu Chanukka 9 zu uns gekommen sind. Wenn ich jetzt zurücksehe, denke ich: das war eine sehr gute Erziehung, und mir hat das nicht geschadet. Ich habe auch nie den Wunsch verspürt, Katholikin zu werden, denn es wäre ja möglich gewesen, dass mich die Katholiken in der Schule von ihrer Religion überzeugt hätten. Das haben sie aber nie versucht.

Während des Krieges

Als meine Brüder mit der Schule fertig waren, hat mein Vater sie nach Brünn [tsch. Brno, heute Tschechien] auf die deutsche Technische Hochschule geschickt. Zuerst ging Leon, der Ältere, und später ging auch Moishe nach Brünn. In Brünn hatte Leon privat bei einer Hausfrau ein möbliertes Zimmer gemietet. Das war damals so üblich. Und als Moishe nach Brünn kam, haben beide zusammen in dem Zimmer gewohnt. Sie waren dort sehr glücklich. 1939 ist Hitler in Prag einmarschiert, da waren wir froh, dass meine Brüder zurückkommen sind. Sie kamen über Wien mit einem Schiff auf der Donau, mit dem Zug wäre es nicht mehr gegangen. Sie haben es gerade noch geschafft, aus Brünn wegzukommen.

Seit 1934 hatte sich Rumänien politisch an Deutschland angeschlossen. 1940 kamen die Russen und haben Bessarabien besetzt. 1941 flüchteten die Russen dann vor den Deutschen, aber da die Rumänen mit den Deutschen verbündet waren, waren die Deutschen in Rumänien keine Besatzungsmacht. Aber die Juden in Czernowitz und in dieser Umgebung zum Beispiel, die nicht mit den Russen geflüchtet waren, wurden von den Deutschen ermordet oder von den Rumänen nach Transnistrien 10 deportiert.
Wir sind in Galatz geblieben, die ganze Familie. Die jüdischen Männer, auch mein Vater und meine Brüder, wurden interniert. Aber es gab immer wieder Verhandlungen zwischen dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde und dem rumänischen Ministerpräsidenten Ion Antonescu 11. Wir durften den Internierten sogar etwas Essen bringen, aber nicht viel. Wir haben nicht gewusst, was mit ihnen geschieht. Die Rumänen waren geteilt, es gab eine nationalistische Bewegung, die sehr antisemitisch war und Schreckliches angerichtet hat. Es haben an einigen Orten Pogrome stattgefunden, in Jassi zum Beispiel wurden Juden in einem Zug erschossen. Bekannte haben uns das erzählt, das waren Russen, wie meine Eltern. Aber bei uns in Galatz ist das nicht passiert. Die jüdischen Männer von Galatz wurden nach zwei, drei Wochen wieder nach Hause geschickt. Bis zum Ende des Krieges haben wir in unserem Haus gewohnt und „fast normal“ gelebt. Mein Vater durfte als Jude zwar sein Geschäft nicht weiter führen, aber er hatte vor dem Krieg Goldmünzen gekauft und diese Goldmünzen hat er in Blumentöpfen vergraben und langsam gegen alles eingetauscht, was wir zum Leben brauchten, denn wir durften sogar einkaufen gehen.

Als der Krieg begann, wurden die jüdischen Kinder aus der katholischen Schule hinausgeschmissen. Es wurde eine jüdische Schule für Mädchen eröffnet, in die ich dann gegangen bin. Das war kein Problem, denn Kinder gewöhnen sich schnell um. Wir haben uns alle angefreundet, und wir konnten uns sogar ganz normal in den Strassen bewegen. Wir haben uns oft bei mir getroffen, zusammen gespielt und als wir älter waren auch Schallplatten gehört und getanzt. Wenn zu den Feiertagen meine Eltern im Tempel waren, zum Beispiel zu Jom Kippur 12, waren immer viele jüdischen Burschen und Mädchen bei mir. Meine Eltern waren den ganzen Tag im Tempel, und wir haben machen können, was wir wollten. Sie haben das auch gewusst und hatten nichts dagegen. Zu Purim 13 haben wir uns verkleidet und zusammen gefeiert, wir hatten viel Spaß miteinander. Wir hatten in Galatz wirklich Glück! Mein Vater hat immer BBC London gehört, und dadurch hat er gewusst, dass man die Juden deportiert. Aber das ganze Ausmaß über die Ermordung der europäischen Juden haben wir erst nach dem Krieg erfahren.

Als die Russen 1944 in Galatz einmarschierten, waren wir glücklich, weil der Krieg für uns vorbei war. Die Truppen der Roten Armee sind durch die Strassen marschiert. Unter ihnen waren auch viele jüdische Soldaten. Einige von ihnen sind dann desertiert und in das damalige Palästina geflüchtet.

Nach dem Krieg

Ich bin die letzten zwei Schuljahre wieder in die katholische Schule Notre Dame de Sion zu den Nonnen gegangen und habe maturiert. Zum Abschied gab es eine wunderbare Maturafeier.

Eine neue Regierung hatte sich gebildet, in der auch Juden waren, die in Russland überlebt hatten. Es wurde nicht sofort begonnen alles zu verstaatlichen. Moishe, mein jüngerer Bruder, wollte unsere Fabrik wieder aufbauen, und mein Vater wollte ihm die Chance geben, denn Moishe war ein Fachmann. Er hat meinem Bruder einen Teil des noch vorhandenen Geldes gegeben, und der hat damit die Maschinen in Ordnung bringen lassen.

Ich bin dann nach Bukarest übersiedelt, weil ich Welthandel studieren wollte. Ich habe inskribiert und zwei Jahre an der Universität Bukarest studiert. Ich hatte eine kleine Garconniere gemietet und war sehr glücklich, denn Bukarest war sehr schön, ins besonders für mich überhaupt, da ich aus der Provinz kam. Es gab Theater und Konzerte - es war ein anderes Leben. Es war schon auch einiges durch den Krieg zerstört worden, aber es standen auch noch die alten schönen Häuser. Es gibt auch jetzt noch einige davon. Es war ein Leben im Wohlstand in Bukarest, es gab gegenüber der Provinzstadt, aus der ich kam, viel mehr Luxus. Ich war jung und lebenshungrig und wollte schon immer raus aus der Provinz.

Meine Gesellschaft damals waren Burschen und Mädchen meines Alters, mit denen ich mich sehr gut verstanden habe. Ich hatte ein wirklich schönes Jugendleben im Kreise meiner gleichaltrigen Freunde. Wir waren jener kleine Teil der jüdischen Jugend Europas, die den Holocaust fast nicht erlebt hatte. Die Burschen haben damals sogar ein Orchester gegründet.

Mein Mann hieß Gersh [Grisha] Muzicant. Er wurde am 12. Februar 1917 in Kishinew [Cishinoiu – Moldavien], das gehörte damals noch zum Königreich Österreich-Ungarn, geboren. Er war ein Freund meiner Brüder, denn seine Eltern sind, als er noch ein Kind war, nach Galatz übersiedelt. Ich glaube, einige seiner Geschwister sind in Galatz geboren. Gesehen haben wir uns schon in meiner Kindheit, aber er hat sich nicht für mich interessiert und ich mich nicht für ihn, denn er war zehn Jahre älter als ich. Ich habe ihn erst in Bukarest bei meinem Bruder Leon kennen gelernt. Leon hatte 1941 in Galatz Rosika, ein jüdisches Mädchen, in das er immer verliebt gewesen war, geheiratet. Sie sind 1943 nach Bukarest gezogen. In Bukarest war es für Juden nicht gefährlich. Sie haben sich dort eine Wohnung gekauft und zusammen gelebt. Nach meiner Matura, das war 1947, habe ich Leon und Rosika in Bukarest besucht. Da war ich auch das erste Mal am Meer, denn Rosika und ihre Schwester sind mit mir für eine Woche auf Sommerfrische nach Carmen Silva  [heute: Eforie Sud; Eforie Sud war 1912 als Kurort entstanden. Der Ort wurde zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg Carmen Silva genannt, nach dem Künstlernamen der Königin Elisabeth von Rumänien], einem Urlaubsort am Schwarzen Meer, gefahren. Das war wunderbar für mich, ich habe das erste Mal das Meer gesehen. Viele meiner Freundinnen haben nach dem Krieg in Bukarest gelebt, und wir haben Ausflüge zusammen gemacht, auch in die Berge, und wir haben viel gefeiert. Dort, in Bukarest, haben mein Mann und ich uns kennen gelernt. Grisha hatte zu der Zeit bereits die Handelsakademie abgeschlossen,

Der Altersunterschied zwischen meinem Mann und mir hat mich zuerst gestört. Wenn man so jung ist, hat man das Gefühl, zehn Jahre älter ist bereits alt, denn gesellschaftlich sind zehn Jahre schon ein Unterschied. 1949 haben wir dann aber in Bukarest, im Tempel Coral, geheiratet. Die ganze Familie war dabei, auch meine Eltern sind aus Galatz zur Hochzeit gekommen. Das war eine sehr schöne Hochzeit. Ich trug ein langes weißes Kleid mit einem Schleier. Mein Schwager Musa Zamir ist 93 Jahre, hat drei Töchter und lebt in Israel in einem Kibbutz. Er hat in seinem Wohnzimmer ein Hochzeitsbild von mir und meinem Mann stehen. Nach der Trauung sind wir in einem Restaurant essen gegangen, aber nicht koscher, denn koschere Restaurants gab es damals nicht.

Mein Leben in Israel

Nach relativ kurzer Zeit wurde in Rumänien mit der Verstaatlichung des Privateigentums begonnen, und der Kommunismus hat sein wahres Gesicht gezeigt. Auch das Unternehmen meines Vaters wurde von den Kommunisten verstaatlicht. Wir haben wieder alles verloren. So war das! Viele rumänische Juden, denen es irgendwie möglich war, sind vor den Kommunisten geflüchtet. Das war eine große Emigrationswelle nach Frankreich und nach Israel. Damals sind auch wir gegangen. 1950 sind wir mit dem Schiff von Constanza über das Schwarze Meer direkt nach Israel gefahren.

In Haifa gibt es drei Ebenen. Unten ist der Hafen. Als wir in Haifa ankamen, haben wir auf der zweiten Ebene, die Hadar heißt, in einem Hotel gewohnt. Die Besitzerin war eine Deutsche, die hat sich sehr überlegt, ob sie uns ein Zimmer gibt, ob wir zahlen können. Aber sie hat eben auch das Geld gebraucht. Einige unserer Sachen haben wir nach Israel mitnehmen können. Mein Mann war in Rumänien nach dem Krieg kaufmännisch tätig, er war Prokurist bei einer Schifffahrtsgesellschaft. Er hat in dieser Zeit sehr viel Geld verdient. Leider konnte er das ganze Geld nicht nach Palästina überweisen. Einen Teil des Geldes hat er deshalb einem Freund nach Wien mitgegeben. Kurze Zeit nach unserer Ankunft in Haifa haben wir ein paar Möbel, einen Teppich und ein Klavier verkauft und sind nach Wien gefahren, um bei dem Freund meines Mannes unser Geld zu holen. Da hat man uns gesagt, ein anderer Freund sei gekommen und mit dem Geld durchgegangen. Aber zum Glück hatten wir gerade genug Geld, um nach einigen Monaten ein Büro zu eröffnen, und wir haben uns eine Wohnung bei sehr netten russischen Einwanderern gekauft. Der Mann war Chauffeur bei Eged. Eged ist die Busgesellschaft in Israel. Er hatte ein Haus gebaut, und wir haben von ihm eine Wohnung gekauft. Das war uns sehr angenehm, weil wir mit ihm russisch sprechen konnten. Die russische Sprache war uns vertraut. Das Haus war oben am Carmel in der Mihalstraße, direkt am Wald. In der Nacht haben die Schakale geheult. Natur pur!

In Haifa hatten wir eine sehr schöne Gesellschaft. Nur Deutsche haben dort gewohnt, es war wirklich europäisch - die Strassen, die Gehsteige, schöne Häuser, große Villen. Und es gab im Zentrum das Cafe Haas. In dem Cafe standen Tische wie in Wien, und die Tischdecken waren rot-weiß kariert. Das werde ich nicht vergessen, das hat auf mich so einen großen Eindruck gemacht. Und man hat wirklich gelebt wie in Wien, man hat sich auf einen Kaffee getroffen.

Beruflich war es für meinen Mann in Israel nicht einfach. Zuerst  hat er in Haifa mit zwei älteren Leuten, die er geschäftlich noch aus Rumänien gekannt hat, eine Art Reisebüro mit einer Zollabfertigung für Neueinwanderer eröffnet, die mit Kisten ins Land kamen und deren Inhalt der israelische Zoll natürlich sehen wollte, um Ware zu finden, die verzollt werden musste. Das Büro ist nicht schlecht gegangen, aber dann ist der eine gestorben. Da haben sie es aufgelassen.
1952 ist mein Sohn Ariel in Haifa geboren.
1953 ist mein Bruder Leon gekommen, und danach sind auch meine Eltern gekommen. Sie haben es geschafft, alle unsere Sachen gegen Bezahlung Ausländern, die aus Rumänien ausgewiesen wurden, mitzugeben. Wir waren dann sehr froh, dass wir meine Eltern, als sie nach Israel einwanderten, gleich vom Schiff in unsere Wohnung bringen konnten. Das war eine große Sache, und wir hatten ja sogar schon einige Möbel in unserer Wohnung. Eine Zeitlang haben wir dann mit meinen Eltern zusammen gewohnt.
Als mein Bruder Leon mit seiner Frau kam, hatten sie es schwerer als wir, weil es für meinen Bruder weniger Arbeitsmöglichkeiten gab, als für meinen Mann. Sie haben eine Wohnung in einer neuen Siedlung in Ramle bekommen, und sind nach Ramle gezogen. Mein Bruder hat bei dem Bauunternehmen Solel Bone einen Posten als Ingenieur bekommen. Damals hatten sie noch keine Kinder. Auch mein Vater hat in Ramle eine Arbeitsmöglichkeit gefunden. Holländer hatten in Ramle eine Fabrik für zahnärztliche Utensilien - Bohrmaschinen, Sterilisatoren - und verschiedenes andere aufgebaut. Sie waren schon lange in Palästina und hatten mit wenig Erfolg viel investiert und wollten die Fabrik verkaufen. Mein Vater hat geglaubt, dass das eine gute Chance wäre, und dass er die Fabrik übernehmen kann. Zuerst hat er mit den Holländern zusammen gearbeitet, dann ihre Ware zusammengestellt und verkauft und die Fabrik übernommen. Er war damals 63 Jahre alt und gesundheitlich nicht sehr gut beisammen. Er hatte zu hohen Blutdruck, und damals wurde nichts dagegen unternommen. Aber da er die vielen Jahre während des Krieges nicht arbeiten durfte, war er glücklich und hat gesagt, er fühle sich wie ein junger Student. Er wollte unbedingt arbeiten. Es war aber wahrscheinlich doch zu anstrengend, denn er ist mit den Eged Bussen durchs Land zu den Ärzten gefahren, um seine Fabriksprodukte vorzustellen und zu verkaufen.

Meine Eltern hatten in einem Provisorium bei meinem Bruder in Ramle gewohnt. Mein Vater hätte auch eine kleine Wohnung bekommen können, aber er wusste anfangs nicht, ob sie dort bleiben werden, und so hat er sein Recht auf eine kleine Wohnung meinem Bruder abgetreten. Dadurch hat mein Bruder eine Zweizimmerwohnung mit Küche bekommen. Nachdem meine Eltern kein Recht mehr auf eine Wohnung hatten und ihr Geld in die Fabrik steckten, sind sie zu meinem Bruder gezogen. Sie waren natürlich nicht sehr glücklich dabei, aber die Zeiten waren hart. Ich wäre froh gewesen, wenn meine Eltern bei mir geblieben wären, sich in Haifa eine Wohnung genommen hätten und nicht gearbeitet hätten. Leben und Lachen, wie man sagt! Sie hatten ja auch kein leichtes Leben - von Russland nach Rumänien, von Rumänien nach Israel und das mit sechzig Jahren! Aber so war ihr Schicksal. Mein Vater bekam einen Herzinfarkt und ist kurz darauf gestorben. Er war erst 65 Jahre alt. Das war 1953.
Meine Mutter ist nach dem Tod meines Vaters bei meinem Bruder geblieben, denn sie hing sehr an ihm. Er hatte ihr neben seiner Wohnung eine kleine sehr spartanisch ausgestattete Wohnung gekauft. Man musste vieles selber herrichten, zum Beispiel das Badezimmer und den Gehsteig etc. Für mich war es sehr mühsam, wenn ich meine Mutter besuchen wollte.

Mein Bruder ist nach dem Tod meines Vaters von Solel Bone weggegangen und hat sich um die Fabrik gekümmert, denn das ganze Geld steckte ja in der Fabrik. Sie konnten es nicht herausnehmen, weil die Ware noch nicht verkauft war. Mein Bruder hat dann in der Fabrik gearbeitet und sie übernommen. Sie existiert noch heute. Mein Vater hatte einen jungen irakischen Juden eingestellt. Zuerst hat er ihn in die handwerkliche Schule geschickt und dann in die Fabrik genommen. Er hat lange in der Fabrik gearbeitet, hat geheiratet und zum Schluss hat er dann die Fabrik meinem Bruder abgekauft.

Meine Schwägerin ist erst vor Kurzem gestorben. Aber Leon ist schon vor ungefähr 15 Jahren gestorben. Seine zwei Kinder Zwi Lanis und Miri Lazar leben in Israel.

Mein jüngerer Bruder Moishe ist erst 1959 nach Israel gekommen. Er war auch Bauingenieur wie Leon und war in Tel Aviv bei der Gemeinde angestellt. Er hat unter anderem in Tel Aviv das Spital Ichilov mitgebaut, er war sehr tüchtig. Auch er ist schon lange tot. Er war in Europa, wollte sich mit seinem Sohn Aron treffen, der in Amerika lebt, und da hat er einen Herzinfarkt erlitten und ist gestorben.

1954 sind wir nach Tel Aviv gezogen, dann kam der Suez Krieg 14 1956. Es war sogar in Tel Aviv ein Fliegeralarm, und mein Sohn war vier Jahre damals. Er erinnert sich noch an die nächtlichen Alarme, wo wir alle in den Luftschutzkeller mussten. 

Mein Mann hat in Tel Aviv ein Reisebüro eröffnet. Tel Aviv war schon damals sehr schön. Das Meer, der Strand, und wir haben in der Nähe des Habima Theaters gewohnt, in der Rechov Ben – Zion, in einem wunderschönen Haus. Das Haus hat der Familie Rekanati gehört, die die Besitzer der Discont Bank waren. Wir hatten eine Wohnung im Parterre gemietet. Es gab die Dizengoffstraße [Anm.: bekannte Einkaufsstrasse in Tel Aviv] noch nicht, sie ist erst entstanden, aber die Ben-Jehuda und die Allenby. In der Allenby war das Mograbi Kino. Manche Leute hatten Geld und haben in die Stadt investiert, und sie hat begonnen, sich zu verändern. Wir haben viele Freunde gefunden, denn damals war eine sehr große Alijah 15 aus Rumänien. Es sind 400 000 Leute nach Israel gekommen. Eine Schulkollegin war dabei. Die anderen Schulkollegen sind später gekommen und haben sich in verschiedenen Städten Israels niedergelassen. Wir treffen uns natürlich noch heute, wir haben uns gefunden nach so vielen Jahren. Aber zuerst waren noch nicht viele da.
Es gab in Israel zu dieser Zeit wenige Leute, die Geld hatten, um zu verreisen, und der internationale Tourismus war auch noch nicht entwickelt. Aber es gab Leute, die Israel wieder verlassen wollten. Und wenn ich jetzt an diese Zeit denke, ist das kein Wunder, denn es gab wenig Arbeit und wenige Wohnungen. Manche haben bis 1956 in Zelten gewohnt.

Wien

Ich bin die einzige der Familie, die Israel verlassen hat. Die anderen sind alle dort geblieben.

Mein Mann wollte weg. Nicht nur, dass er weg wollte, er hatte auch den Mut zum nochmaligen Neuanfang. Für mich war die Zeit in Israel die schönste meines Lebens. Da habe ich mich zu Hause gefühlt, meine ganze Familie war dort, und mit den Leuten hatte ich ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Mein Mann und ich waren 1955 in Wien zu Besuch. Wir haben im Hotel Regina, nahe der Votivkirche, gewohnt. Mein Mann hatte einen Geschäftspartner, der aus Israel nach Wien gegangen war, und wir sind gekommen, um diesen Geschäftspartner zu treffen. Israel war gerade acht Jahre alt, das Land war neu und hell, und Wien erschien mir dunkel und trist. Die Häuser waren in einem katastrophalen Zustand. Es gab viele Häuser, die nicht renoviert waren, auch am Graben waren die Häuser alle schwarz. Da war das schöne Geschäft Braun, das hatte in der Auslage ein paar Puppen, die so komisch dastanden und ein paar Handschuhe. Wien war außerdem noch zerstört. Viele Kriegsruinen waren nur eingezäunt. Es war so deprimierend! Wir haben diesen Freund besucht und uns über verschiedenes erkundigt, denn mein Mann hat schon damit spekuliert, dass wir nach Wien kommen, weil nach dem Staatsvertrag 16 die Russen weggegangen sind. Wir wollten nicht herkommen, solange die Stadt geteilt war. Wir sind dann noch in die Schweiz gefahren und haben die Sachen aus der Schweiz nach Israel geschickt. In Mailand waren wir auch, weil mein Bruder Leon einen guten Freund in Mailand hatte, dem er aus Rumänien Sachen geschickt hatte, die wir mitbringen sollten. Ich war froh, als ich wieder nach Israel zurückkam.

Als wir dann 1956 nach Wien gekommen sind, habe ich niemanden gekannt. Ich war sehr verzweifelt! Dann hat man mich zufällig der so genannten Bukowina 17 Gruppe vorgestellt, die haben aber nicht Rumänisch, sondern fast nur Deutsch gesprochen. Sie haben gesagt, sie sind aus Czernowitz, viele aber waren aus der Umgebung von Czernowitz, und die blieben unter sich. Die meisten waren ältere Damen.

Als wir in Wien ein Zimmer [im 1. Bezirk in der Reischachstrasse] zu mieten gesucht haben, da hat man lieber einer Familie mit einem Hund ein Zimmer vermietet, als einer Familie mit einem Kind. Das war wirklich schlimm. Die Wohnungen wurden mit Kohle geheizt, der Winter war grau und kalt - das war ein Alptraum gegen das weiße und warme Israel. Es war für mich auch so, dass Österreich ein deutsches Land war, und ich wusste, dass viele Österreicher für Hitler gewesen waren. Gut, ich hatte nicht hier gelebt und gelitten, aber ich habe mich immer gefragt, wie die Leute, die das hier erlebt hatten, zurückkommen konnten. Aber mein Gott, das muss jeder selber wissen. Irgendjemand hat mir dann gesagt, wenn ich jüdische Gesellschaft suche, soll ich ins Gartenbau-Cafe gehen, da treffen sich die Frauen der Wizo 18, die spielen Karten. Ich hatte in Israel durch die geschäftlichen Verbindungen meines Mannes viel ältere Gesellschaft. Diese Damen waren sehr tüchtig, sie waren sehr gute Hausfrauen. Ich war lange Zeit allein, bis meine Mutter nach Wien gekommen ist, und dann hat sie bei mir gewohnt. Das war von Israel damals noch eine Weltreise um nach Wien zu Besuch zu kommen. In Wien musste ich neue Bekanntschaften finden. Die polnischen Juden waren die größte Gruppe unter den Juden in Wien. Sie kamen 1946 aus Lagern nach Wien. 1956, gerade als wir gekommen sind, war in Ungarn Revolution, und da sind viele Ungarn, darunter auch Juden nach Wien gekommen. Die Polen hatten schon einen höheren Lebensstandard. Gewohnt haben sie aber alle noch immer in Untermietzimmern aus Koffern, weil sie bis zum Staatsvertrag 1955 nicht gewusst haben, ob die Russen bleiben und sie wieder flüchten müssen. Das war mir alles so fremd, daran hab ich mich erst gewöhnen müssen.

Ein paar Damen, ehemalige Wienerinnen, haben mir imponiert. Da war eine gewisse Frau Eigler. Ihre Eltern waren noch vor Hitler gestorben, und eine Schwester hatte nach Australien geheiratet. Sie war mit einem Rumänen verheiratet, und den Krieg haben sie zusammen in Bukarest überlebt. Nach dem Krieg ist sie mit ihrem Mann nach Wien gekommen. Für diese Zeit damals waren sie wohlhabend. Sie hatten ein herrliches Appartement in der Karlsgasse. Diese Frau Eigler war die Erste, die mich zu einem Tee in ihre Wohnung eingeladen hat, denn in Wien hat man sich doch nur im Kaffeehaus getroffen. Und man musste auch anrufen, ob man kommen darf. Auch das war für mich so fremd, weil in Israel alles offen war, und alle Leute gesagt haben: komm zu uns nach Hause; es war auch alles formloser. Herr und Frau Eigler hatten eine Wohnung mit einem Kamin, vielen Möbeln, Stuckatur an der Decke…so etwas hatte ich noch nirgendwo gesehen. Durch sie habe ich dann noch andere Wiener Juden kennen gelernt. Sie waren während des Krieges emigriert und sind nach dem Krieg nach Wien zurückgekommen. Das war eine sehr nette Gesellschaft. Von diesen Damen lebt heute leider nur noch eine.

Viele Juden waren nur mit einem Rucksack geflüchtet, junge Burschen, die keine Chance gehabt hatten, etwas zu lernen. Die haben dann oft Geschäfte mit den Russen gemacht, und so sind sie zu Geld gekommen. Deren Kinder, haben dann später studieren können. Das ist heute die zweite Generation.

In Israel war Ari zwei Jahre im Kindergarten, und er konnte schon etwas Hebräisch sprechen Als wir nach Wien gekommen sind, war er vier Jahre alt. Für ihn war der Umzug nicht so einschneidend, er war noch zu klein. Und wir sind auch alle Feiertage, besonders aber im Winter und im Frühjahr nach Israel zur Familie gefahren. Ari hat in Wien dann das Lycee, das ist die französische Schule, vom Kindergarten bis zur Matura besucht. Es war die Zeit, in der ich noch so verzweifelt war, dass ich niemanden kannte, und ich war glücklich, dass es diese Schule in Wien gab. Und langsam hatte ich ein paar jüdische Freundinnen, aber es war nicht leicht, sich zu integrieren.

Nachdem wir nach Wien gekommen waren, hat mein Mann nicht genau gewusst, welche Richtung er beruflich einschlagen soll. Eine Zeitlang hatte er einen rumänischen Kompagnon. Mit ihm zusammen hat er die Hilfe durch Care Pakete 19 aus Amerika gestartet und durchgeführt. Nachher ist das auseinander gegangen, und mein Mann hat dann versucht, wieder im Reisebüro zu arbeiten. Zu dieser Zeit sind schon viele Leute als Touristen und zu ihren Familien nach Israel gefahren. Er hat auch versucht, amerikanische Touristen nach Österreich zu holen. Er hatte dann einen Job beim Reisebüro Capri, das war am Graben, wo jetzt die Firma Schöps [mittlerweile „Nespresso“] ist. Der Inhaber war ein sehr anständiger Mensch, ein erklärter Sozialdemokrat, Svoboda hieß er. Er war nach einem Gespräch mit meinem Mann einverstanden, ihn arbeiten zu lassen. Zwar ohne Gehalt, aber mit einem Anteil an Prozenten der Kunden, die er in die Firma bringen würde. Es war nicht leicht, weil meinem Mann nicht einmal ein Schreibtisch zugeteilt wurde. Sein Büro war in einer großen Aktentasche. In der Firma arbeitete ein Prokurist, der wollte die Firma von Herrn Svoboda übernehmen, und der war eifersüchtig auf meinen Mann, weil mein Mann sehr tüchtig war. Damals brauchte man, um ein Reisebüro zu führen, eine Lizenz. Und die wurde nicht erteilt, das wurde sehr restriktiv behandelt. Am Ring war ein kleines Geschäft, und mein Mann wollte das Geschäft als Reisebüro mit einem anderen älteren Herrn betreiben. Aber der hat sich das dann überlegt, und es ist nicht zustande gekommen.

Wir haben in einer 2-Zimmer Untermietwohnung in der Taborstraße 24a gewohnt, und wollten uns eine andere Wohnung suchen. Am Stephansplatz gab es das Wohnungsvermittlungsbüro Mayerl. Mein Mann ist dort rauf gegangen und hat gesagt, wir hätten gerne eine Wohnung. Die haben uns wirklich eine Wohnung mit Zentralheizung und zwei Zimmern im vierten Bezirk, in der Pressgasse 11, im ersten Stock mit Lift, vermietet. Da waren wir überglücklich! Vor uns hat dort ein Regisseur gewohnt, Oscar Fritz Schuh, glaube ich, hat er geheißen [Anm.: Oscar Fritz Schuh, 1904-1984 war ein deutscher Dramaturg, Regisseur und Intendant]. Aber wir haben ihn nicht gekannt. Er hat die Wohnung mit Einrichtung verkauft: das Schlafzimmer, viele Stellagen und die Küche, die komplett, sogar mit Töpfen, eingerichtet war, haben wir übernommen.
Meine Tochter Desiree ist 1958 dort zur Welt gekommen. Meine Kinder hatten ein Zimmer, wir hatten ein Schlafzimmer, und das große Vorzimmer war unser Wohnzimmer. Wenn meine Mama bei uns gelebt hat, hat sie mit den Kindern im Zimmer geschlafen.

Mein Mann hat weiter sein Reisebürounternehmen am Graben geführt. Eine Tages kam ein Herr Dauber und hat zu ihm gesagt: Muzicant, ich brauch ein Geschäft am Graben. Also mein Mann, der sehr tüchtig war, hat sofort geschaltet und gesagt: Sicher, ich habe etwas für Sie. Dann ist er zur Firma Mayerl gegangen und hat gefragt, ob sie nicht ein Geschäft am Graben haben. Die Firma Mayerl hat ihm ein Geschäft angeboten, und der Herr Dauber hat es gekauft. Die Provision hat mein Mann mit den Angestellten der Firma Mayerl geteilt. Und dadurch ist er auf die Idee gekommen, selber ein Immobilien Vermittlungsbüro zu gründen. Sein erstes Büro befand sich in der Hegelgasse. Das war das Büro der tschechischen Fluglinie, und die haben ein größeres Lokal gebraucht, das ihnen mein Mann in der Wollzeile vermittelt hat. In der Hegelgasse war der Beginn der Immobilienfirma Columbus.

Ich möchte etwas über die Familie meines Mannes erzählen: Mein Mann und seine Geschwister waren während des Krieges vor den Deutschen und Rumänen bis nach Kasachstan geflüchtet, sonst hätten sie nicht überlebt. Sein Bruder Witja, der nicht verheiratet war, war Soldat in der Roten Armee und ist in Odessa umgekommen. Die anderen haben den Krieg überlebt. Nach dem Krieg war es nicht allen Geschwistern möglich, aus der UdSSR heraus zu kommen, denn Czernowitz gehörte ab 1944 zur UdSSR, und die Russen haben nach ein paar Monaten die Grenzen abgeriegelt. Mein Mann und sein Bruder Jascha haben es rechtzeitig geschafft, aber seine drei Schwestern, Raja, Polja und Frieda, sind zurück nach Czernowitz gekommen, als man nicht mehr herauskam. Jascha war Buchhalter und mit Klara verheiratet. Er ist ungefähr 1953 nach Israel emigriert. Ihr Sohn Leon lebte in Israel. Wir haben damals ein bisschen mit den Schwestern meines Mannes nach dem Krieg korrespondiert und sie gebeten, meine Tante Sima und ihre Tochter Etka aufzusuchen. Das waren die, die von den Russen an den Polarkreis deportiert worden waren. Das haben sie auch gemacht, aber meine Tante wollte nicht kommunizieren. Raja, sie war die älteste Schwester meines Mannes, und ihr Mann Nathan, der vor dem Krieg Fleischgroßhändler war, sind nach dem Krieg in Czernowitz gestorben, da waren wir schon in Wien. Nathan hatte in der Roten Armee 20 gekämpft und Raja war 1942 nach Transnistrien deportiert worden. Beide haben sich nach dem Krieg in Czernowitz wieder getroffen, da konnten sie aber nicht mehr heraus. Nathan ist an einer Magenoperation gestorben und Raja ist während einer Operation aus der Narkose nicht mehr aufgewacht. Als sie gestorben sind, ist ihr Sohn David allein zurück geblieben. Den David haben mein Mann und ich 1962 zu uns geholt. Die Polja, die geschieden war, und ihren Sohn haben wir auch rausgeholt. Zuerst waren sie in Wien, dann sind sie nach Israel gegangen. Polja ist in Israel gestorben, auch ihr Sohn ist leider erkrankt und in Israel nach langem Leiden verstorben. 

Frieda war die jüngste Schwester meines Mannes. Sie war sehr hübsch. Sie ist zusammen mit meinem Mann vor den Deutschen aus Czernowitz nach Russland geflüchtet. Jeder, der konnte, ist geflüchtet. Meinen Mann hat das russische Militär geholt. Frieda blieb ganz allein. Sie hat den Krieg in Samarkand überlebt und einen Usbeken geheiratet, der dort Chef der kommunistischen Partei war. Er hieß Radjabow, seinen Vornamen weiß ich nicht. Er hatte ihr den Hof gemacht, und sie hatte es sehr gut bei ihm. Da hat sie beschlossen, ihn zu heiraten. Sie haben drei Kinder bekommen: Larissa, Alexander und Swetlana. Larissa wurde Ärztin und hat in Leningrad gelebt. Die anderen zwei haben mit den Eltern in Samarkand gelebt. Der Mann von Frieda ist in Samarkand gestorben.

Ich habe Frieda, Larissa und ihre Tochter aus der Sowjetunion herausgeholt. Das war zu Kreisky-Zeiten, da gab es eine Auswanderungswelle russischer Juden aus der Sowjetunion. Mein Mann ist 1977 gestorben, ich war damals schon allein. Ein ehemaliger Nachbar meiner Schwägerin, ein Jude, lebte in Berlin und hat mich kontaktiert. Und ich habe im Andenken an meinen Mann, der seine Familie geliebt hat, geholfen, sie herauszuholen. Sie sind dann nach Wien eingereist und weiter nach Berlin gefahren. Die jüdische Gemeinde in Berlin hat sie aufgenommen und ihnen geholfen, und sie konnten sich ein Leben in Berlin aufbauen. In den 1980er Jahren gab es wieder eine Auswanderungswelle russischer Juden aus der Sowjetunion, da haben sie den Rest der Familie aus Samarkand nach Berlin geholt. Frieda ist aber nicht in Berlin geblieben. Nach einigen Jahren ist sie nach Israel ausgewandert und vor ungefähr drei Jahren gestorben. 

Den David, den Sohn von Raja und Nathan, haben wir bei uns aufgenommen. Da hat uns die Wiener jüdische kommunistische Ärztin Dr. Tannenbaum geholfen. Sie hatte in der Roten Armee gekämpft, und sie war unsere Hausärztin - ein fantastischer Mensch! Wir waren zu dieser Zeit noch nicht einmal österreichische Staatsbürger und haben mit ihr darüber gesprochen, was wir tun können, wie wir helfen können. Sie hatte Beziehungen zur russischen Botschaft, und sie hat alles eingefädelt. Nachdem Davids Eltern gestorben waren, hatte sich seine Tante Frieda, die Schwester seines Vaters, um ihn gekümmert. Sie war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Ich habe gedacht, dass es dem Kind nicht gut geht in Czernowitz, denn ich kannte ja die Russen. Aus diesem Grund hat ihn seine Tante wohl auch zu uns gegeben, damit er eine bessere Zukunft hat. Leicht ist es ihr sicher nicht gefallen. Später ist sie dann nach Israel ausgewandert, und der David hat sie dort noch besucht.

Mein Mann und ich haben dann in Wien die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Der David war in der Schule in Czernowitz unter sehr großen Druck gesetzt worden:’ Wohin fährst du, zu den Kapitalisten’, - lauter solche Sachen haben sie zu ihm gesagt. Das war 1961, er war dreizehn Jahre alt.

Als er gekommen ist, war es Sommer, und wir waren wie immer in Reichenau an der Rax. Wir sind mit dem Zug bis zur Grenze gefahren und dann von Waggon zu Waggon gegangen, um ihn zu finden. Wir haben ihn ja nicht gekannt. Dann haben wir ihn gefunden. Er trug einen grauen Trainingsanzug, und seine Haare waren ganz geschoren. Er sah aus wie ein Sträfling. Das war ein Eindruck - nicht zu beschreiben! Wir sind dann mit ihm nach Reichenau gefahren. In Reichenau haben wir den Direktor der Volksschule engagiert, der hat mit ihm täglich Deutsch gelernt, und David hat begonnen, Deutsch zu sprechen.

In Wien hatten wir inzwischen eine Dreizimmerwohnung in der Kettenbrückengasse. Oft war auch meine Mutter aus Israel bei uns über mehrere Jahre zu Besuch. Aber sie wollte immer wieder zurück nach Israel. Israel war ihre Heimat geworden. Die Wohnung war etwas klein für so viele Leute, aber damit hatte ich kein Problem. Es war eine sehr schöne Zeit. Im Wohnzimmer war eine Eckbank. Da haben wir gesessen, und mein Mann und ich haben da geschlafen. Ari und Desi haben ein Zimmer gehabt, in dem auch meine Mutter geschlafen hat, und der David hat ein Zimmer gehabt. Mein Sohn Ari, der vier Jahre jünger ist, hat den David immer als seinen großen Bruder vorgestellt. Meine Tochter Desi war klein, sie war fast noch ein Baby, ungefähr zwei Jahre alt. Für sie war es dann selbstverständlich, dass er da war. Ich werde nie vergessen, dass mein Sohn, ohne dass ich es ihm gesagt habe, den David so gut aufgenommen hat. Das war sehr berührend! Beide Kinder waren überhaupt nicht eifersüchtig.

Jetzt standen wir wegen der Schule vor einem Problem. David hatte ja erst begonnen Deutsch zu lernen. Mein Mann und ich haben Russisch gesprochen, die Kinder nicht. Wir haben ihn dann im Theresianum untergebracht. Das war die einzige Schule mit einem Internat, in dem auch Russisch als Fach unterrichtet wurde. Ich habe gesagt, wenn er zu Hause bleibt, wird er nur russisch sprechen, und so konnte er sich schneller integrieren. Das Theresianum war nicht weit von unserer Wohnung entfernt, und jedes Wochenende kam er nach Hause. Dort war damals ein phänomenaler Mensch Direktor. Mein Mann hat ihm den Fall geschildert. ‚Wie machen wir das’, hat der Direktor meinen Mann gefragt. Da hat ihm mein Mann gesagt: ‚Schauen Sie, wir haben einen großen Sack Kohle und müssen ihn in den fünften Stock bringen. Das können wir nur mit einem Kübel rauf bringen, das heißt langsam, langsam, und schauen wir uns das an.’
So hat mein Mann das gesagt, und das hat sehr auf ihn gewirkt, und sie haben ihn aufgenommen. Wir haben ihm Nachhilfelehrer genommen für jedes Fach, Deutsch bis zur Matura. Er hat auch Latein lernen müssen. Ich hab gewusst, was er gern isst, und ich bin immer ins Internat gegangen und habe ihm Esspakete gebracht, die er natürlich mit allen Kindern dort geteilt hat. Allerdings war das Theresianum damals noch antisemitisch, und er hat Deutsch mit einem jiddischen Akzent gesprochen. Ich nehme an, der jiddische Akzent kam daher, dass seine Verwandten in Russland vielleicht Jiddisch gesprochen haben. Aber im Theresianum wurde auch Russisch unterrichtet, und das war gut für ihn. Das war für ihn wenigstens ein bisschen was von zu Hause. Er war ein Phänomen in der Schule, und manche Lehrer waren sehr nett. Die Kinder haben ihn, das war die Chrustschow 21 Zeit, Chrustschow genannt. Sicher hatte er es nicht leicht. Wir waren fremd für ihn, und die Gesellschaft war ihm fremd. Wir haben uns wirklich bemüht, ihm soviel Wärme wie möglich und ein zu Hause zu geben.

David hat maturiert ohne ein Jahr zu verlieren. Das war eine großartige Leistung! Jedes Wochenende ist er nach Hause gekommen. Die Urlaube haben wir natürlich zusammen verbracht. Ich freue mich, dass alles gelungen ist. Mein Mann wollte ihn nach der Matura nach Israel schicken, aber ich habe mich widersetzt. Dort wäre er verloren gewesen. Er hätte wieder von vorn beginnen müssen, wieder in einer ganz fremden Gesellschaft. Und die Familie meines Mannes, die in Israel gelebt hat, hätte sich seiner nicht annehmen können, weil sie eigene Sorgen hatten. Das Leben in Israel war und ist nicht so leicht. Ich denke, er wäre wirklich untergegangen. Aber dann hat er Medizin inskribiert und ist ein „Hippie“ geworden. Er ist von zu Hause ausgezogen, wir haben ein paar Jahre nichts von ihm gewusst. Das war sehr schwer. Ich weiß bis heute nicht, wo er gesteckt hat. Es wird Zeit, dass er mir das jetzt mal erzählt - wo er war und was er alles gemacht hat. Wir wollten, er soll studieren und sich ein bisschen Geld verdienen. Er hätte Kinder von Bekannten unterrichten können, die in der Schule Schwierigkeiten hatten. Aber das war ihm zu bürgerlich. Mein Mann hat ihm und unseren Kindern eine Wohnung gekauft, die sollten sie vermieten, damit sie während des Studiums etwas Geld haben. Aber es war nichts zu machen. Er wollte das nicht. Er wollte sein Leben führen, da konnte man nichts machen. Aber er ist dann zurückgekommen, Gott sei Dank! Nun ist er verheiratet und hat zwei sehr gelungene Kinder. Sein Sohn Benjamin studiert, er ist nächstes Jahr fertiger Arzt. Er ist sehr tüchtig, sehr begabt. Ich bin so glücklich darüber. Und sein Sohn Daniel studiert Jus und engagiert sich in der Politik. Dodo, ich nenne den David immer Dodo, hat seine Medizinausbildung in Linz gemacht. Ich denke mir, aber ich weiß es nicht, dass er dort viele antisemitische Erfahrungen gesammelt hat. Aber ich habe es nie aus ihm herausgeholt, ich bin keine Bohrerin. Während des Studiums in Linz hat er seine Frau kennen gelernt. Sie ist Lehrerin. Ich schätze sie sehr, weil die Kinder enorm profitiert haben und sehr an den Eltern hängen. Der Dodo ist eine Enzyklopädie. Er ist unheimlich gebildet! Es gibt kein Buch, das erschienen ist, von dem er nichts weiß. Und er weiß sehr viel über das Judentum. Das hat er auch seinen Söhnen mitgegeben. Aber religiös ist er nicht. Seine Frau ist keine Jüdin, aber die Söhne haben beschlossen, mehr über das Judentum heraus zu finden.
Der Dodo hat sehr lange auf der Baumgartner Höhe als Oberarzt auf der Psychiatrie gearbeitet. Dann hat er an einem Projekt mit einem Kollegen, einem Freund, der auch Arzt ist, gearbeitet. Sie haben das Projekt ESRA 22 erfunden und es meinem Sohn Ari und der IKG [Anm.: Israelitische Kultusgemeinde] vorgestellt, und mein Sohn hat das dann gemeinsam mit seinen Kollegen in der Kultusgemeinde umgesetzt.
Seit dieser Zeit ist David Primar der Ambulanz von ESRA, und nicht nur das, er ist Trauma - Spezialist. Er ist sehr begehrt, er reist herum und hält Vorträge.

Jetzt, nach vierzig Jahren war er das erste Mal wieder in Czernowitz, vorher konnte er nicht hinfahren, so emotional war das für ihn.

Mein Sohn hat nach der Matura Medizin studiert. Er hat schon als Turnusarzt gearbeitet.
Er wollte Röntgenologe werden, und er hatte schon eine Ausbildungsstelle, da ist
mein Mann gestorben. Mein Mann hatte einen Herzinfarkt. Das war im Sommer nach dem Urlaub. Wir sind nach Hause gekommen, und ihm war schlecht. Aber man hat den Herzinfarkt damals nicht sofort erkannt. Das war vor dreißig Jahren, da war eine Angiographie 23 ein Problem. Außerdem war ein schrecklicher Sturm und Hagel, und kein Arzt wollte kommen. Dann habe ich einen Notfallarzt gerufen, der gekommen ist und der den Herzinfarkt aber nicht diagnostiziert hat. Erst in der Früh hat man ihn dann ins AKH eingeliefert. Mein Mann hat dann noch sechs Monate gelebt. Im Jänner 1977 ist er gestorben. Das war schrecklich! Der Infarkt hatte einen großen Schaden hinterlassen. Das war schlimm, und es ist furchtbar, weil das heute wahrscheinlich nicht seinen Tod bedeutet hätte. Er war nicht krank - es gab keinen Grund. Und er hat immer so bewusst gelebt und sich immer kontrolliert, weil seine Familie ihm so wichtig war. Ich habe ja nicht gearbeitet, und er hat für uns gesorgt. Mein Mann hat viel gearbeitet, und er war immer besorgt um uns alle, er war wirklich ein guter Familienvater und zweifelsohne ein guter Mann und Schwiegersohn und ein guter Mensch. Und er war gut zu seiner Familie, die seit Beginn des Krieges verstreut war, und viele von ihnen hatten keine Kindheit, und das Leben in Israel war schwer.

Nach dem Tod meines Mannes hat sich mein Sohn überlegt, die Firma zu übernehmen. Die Firma ist gut gegangen, und mein Sohn hat sich dann Karenzurlaub vom Spital genommen und sich alles genau angeschaut. Viele Anwälte mit denen mein Mann gearbeitet hatte, haben sich dann gewundert, dass so ein junger Mann mit 25 Jahren sich traut, diese Firma zu übernehmen. Dieser Beruf hat sehr viel mit der Person zu tun, besonders damals war das so. Es ist nicht nur eine Ware, die man zum Verkauf anbietet, der Käufer muss großes Vertrauen in den Verkäufer setzen. Aber der Ari hat es versucht, und es ist ihm gelungen.

Mein Sohn war ein ehrgeiziger Student und politisch immer sehr engagiert. Er hat zum Beispiel den ersten jüdischen Kindergarten initiiert. Es gab schon Kinder der Nachfolgegeneration, die geheiratet haben und selber Kinder bekommen haben. Ari und seine spätere Frau Judith gingen ins Lycée Français, aber viele ihrer Freunde gingen in österreichische Schulen. Es hat ihnen die Möglichkeit gefehlt, ihre Kinder jüdisch zu erziehen, es gab keine Einrichtungen damals. Sie wollten ihre Kinder aber jüdisch erziehen. Und da haben sich damals junge Juden zusammengesetzt, Spender gesucht und gefunden und den ersten jüdischen Kindergarten in Wien nach dem Krieg, in der Grünentorgasse war der, glaube ich, gegründet. Das war gar nicht so einfach, denn sie mussten die Kinder auch durch Sicherheitskräfte schützen. Und als die Kinder dann heran gewachsen sind, musste eine jüdische Schule gegründet werden. Auch das ist gelungen. Das Gebäude in der Castellezgasse war vor dem Krieg die Volksschule der Kultusgemeinde. Alle seine Freunde haben mitgearbeitet, damit die Schule wieder entsteht. Sie haben Komitees gegründet, viele Stunden gearbeitet, bis 1980 die jüdische Schule wiedereröffnet wurde. Und als 1992 die ersten Kinder die Matura absolviert haben, wurden von überall auf der Welt die Überlebenden des letzten Maturajahrgangs vor dem Krieg, das war 1938, eingeladen. Diese Feier 1992 war sehr ergreifend.

Meine Tochter Desi ist Zahnärztin geworden. Sie hatte in Wien viele Jahre eine Ordination. Die hat sie verkauft und ist für sechs Jahre nach Paris gegangen. Vor ungefähr zwei Jahren ist sie nach Wien zurückgekommen und hat wieder eine Ordination im 9. Bezirk eröffnet.

Mein zweiter Mann hieß Marcel Orenstein. Es war Zufall, dass wir uns wieder getroffen haben. Ich kannte ihn bereits in meiner Jugend, denn wir waren Jugendfreunde. Er gehörte zu der Gruppe Jugendlicher, zu der ich auch gehörte. Ich war schon damals verliebt in ihn. Aber in meiner Jugendzeit waren die Beziehungen zwischen den jungen Leuten anders als heute. Da war man noch so ein bisschen mehr auf Abstand. Er ist mit seiner Familie vor mir nach Bukarest gezogen, da war ich noch in Galatz. Und dann habe ich in Bukarest meinen Mann kennen gelernt und geheiratet, und wir sind nach Israel emigriert. Marcel hat fünfzig Jahre in Rumänien gelebt. Er war Textilingenieur in Bukarest. Seine Eltern sind dort geblieben und gestorben. Er hat geheiratet, hat sich aber scheiden lassen und seinen Sohn zu sich genommen. Seine Mutter hat den Buben praktisch aufgezogen. Mein Mann war ja die Generation meiner Brüder, und die hatten Freunde. Und einer von denen war ein sehr, sehr, guter Mensch. Er war wirklich wie unser Bruder, denn er ist als Christ unter Juden aufgewachsen. Er hieß Cornelius Stefanescu, war Anwalt und mit einem Cousin von ihm bin ich noch in Verbindung gestanden. Dieser Cousin lebt seit langer Zeit in Schweden. Cornelius Stefanescu hat erfahren, dass ich verwitwet bin. Seine Tochter wiederum war nach Amerika ausgewandert. Er wollte zu ihr nach Amerika, hatte ein Ausreisevisum aus Rumänien bekommen, musste aber in Rom noch auf seine Papiere warten. Da habe ich gesagt, dass ich nach Rom komme, um ihn zu sehen. Wir waren zwei Wochen in Rom und haben viel über die Vergangenheit gesprochen. Und er hat mich gefragt, ob ich mich nicht vielleicht einmal mit dem Marcel treffen möchte. Und ich habe gesagt, dass ich es nicht weiß. Wir hatten uns ja die ganzen Jahre nicht gesehen und auch nichts voneinander gehört, denn mein Mann war sehr eifersüchtig auf diese Bekanntschaft. Wir hatten uns ja nicht getrennt, sondern das Leben hatte uns auseinander gerissen. Cornelius ist nach Amerika gefahren, hat sich dort aber nicht einleben können und ist wieder nach Bukarest gegangen. Dort hat er den Marcel getroffen und hat unser erstes Treffen eingefädelt. .Das war eben Schicksal.

Als wir uns das erste Mal getroffen haben, war das sehr ergreifend. Er war mir trotz der vielen Jahre, die vergangen waren, relativ vertraut. Einen ganz Fremden hätte ich nicht kennen lernen wollen und können. Ich war so eingeschüchtert. Aber nachdem wir doch die Kindheit miteinander verbracht hatten, gab es viel, was uns verbunden hat. Auch die Kriegsjahre und vor allem habe ich seine Familie gekannt, wir hatten denselben Background, und das war schon besonders verbindend. Wenn daraus ein Film gemacht werden würde, würde man sagen, das sei Kitsch. Als mein Mann gestorben ist, war ich 50 Jahre alt, und 53 Jahre war ich alt, als mein zweiter Mann nach Wien gekommen ist. Wir waren also noch jung. Marcel war ein Jahr älter als ich. Als er kam, war mein Sohn Ari schon verheiratet, und meine Tochter Daisy war achtzehn Jahre alt. Wir haben gut zusammengelebt. Vor vier Jahren ist Marcel gestorben.

In Rumänien haben wir niemanden mehr. Ich war schon ein paar Mal dort, auch mit meinem zweiten Mann. Nur einige christliche Freundinnen, mit denen ich in der Schule war, die sind noch dort, die habe ich besucht, und es war ganz nett. Es hat sich vieles dort sehr verändert, denn im Krieg war viel zerstört und wurde dann neu aufgebaut. Unsere Häuser stehen noch, aber es wohnen Fremde in diesen Häusern, und viele Bekannte trifft man nur auf dem Friedhof.

Glossar

1 Krim

Halbinsel im nördlichen Schwarzen Meer

2 Theresianum

von Maria Theresia 1746 zur Heranbildung von Staatsbeamten gegründete Ritterakademie; von Jesuiten, nach Aufhebung dieses Ordens, von Piaristen und weltlichen Lehrern betreut; 1778 mit der Savoyischen Ritterakademie vereinigt, 1783 durch Joseph II. aufgehoben, 1791 als Theresianisch-Leopoldinische Akademie wieder eröffnet, seit 1849 auch Nichtadeligen zugänglich. Ab 1918 nur noch Führung eines Gymnasiums, ab 1925 Realgymnasium der Stiftung ‚Theresianische Akademie’, 1938 Umwandlung in eine nationalpolitische Erziehungsanstalt, 1945 aufgelöst, 1957 als öffentliches Gymnasium (mit Internat) wieder eröffnet.

3 Scholem Alejchem, [hebr

Friede mit euch], geboren 1859 als Shalom Yakov Rabinowitsch in der Nähe von Kiew, war ein jiddischsprachiger Schriftsteller. Er starb 1916 in New York.

4 Bialik, Chaim Nachman [1873-1934]

jüdischer Dichter, Autor und Journalist, der auf Hebräisch schrieb; einer der einflussreichsten hebräischen Dichter; gilt in Israel als Nationaldichter.

5 Schabbat [hebr

: Ruhepause]: der siebente Wochentag, der von Gott geheiligt ist, erinnert an das Ruhen Gottes am siebenten Tag der Schöpfungswoche. Am Schabbat ist jegliche Arbeit verboten. Er soll dem Gottesfürchtigen dazu dienen, Zeit mit Gott zu verbringen.
Der Schabbat beginnt am Freitagabend und endet am Samstagabend.

6 [Die] Hohen Feiertage

Rosch Haschana [Neujahrsfest] und Jom Kippur [Versöhnungstag]

7 Pessach

Feiertag am 1. Frühlingsvollmond, zur Erinnerung an die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, auch als Fest der ungesäuerten Brote [Mazza] bezeichnet.

8 Seder [hebr

: Ordnung]: wird als Kurzbezeichnung für den Sederabend verwendet. Der Sederabend ist der Auftakt des Pessach-Festes. An ihm wird im Kreis der Familie (oder der Gemeinde) des Auszugs aus Ägypten gedacht.

9 Chanukka [hebr

: Weihe]: Das achttägige Chanukkafest erinnert an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr. nach dem erfolgreichen Makkabäeraufstand gegen hellenisierte Juden und mazedonische Syrer. Die Makkabäer siegten und führten den jüdischen Tempeldienst wieder ein. Laut der Überlieferung fand sich Öl für nur einen Tag; durch ein Wunder hat das Licht jedoch acht Tage gebrannt, bis neues geweihtes Öl hergestellt worden war.

10 Transnistrien

Östlich des Dnestr gelegene Teil Moldawiens. Transnistrien wird hauptsächlich von Russen und Ukrainern bewohnt. Von 1941 bis 1944 wurde das Gebiet als Transnistria bezeichnet und an Rumänien, das sich am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligte, angeschlossen. Viele rumänische Juden wurden nach Transnistria deportiert und dort ihrem Schicksal überlassen. Die Überlebenden kehrten 1945 nach Rumänien zurück.

11 Ion Antonescu [1882 bis 1946] war Generalstabschef des Heeres und diktatorisch regierender Ministerpräsident

Er regierte ab 1940 zuerst mit Hilfe der faschistischen Eisernen Garde, später als Militätdiktator und hielt sich an die faschistischen Achsenmächte. Unter Antonescus Herrschaft wurden Hunderttausende von rumänischen und ukrainischen Juden nach Transnistrien deportiert. Die im Oktober 2003 gegründete Internationale Kommission zur Erforschung des Rumänischen Holocaust, hat ihren Abschlussbericht Ende 2004 vorgelegt. Darin wird von mehr als 300 000 umgekommenen Juden und über 20 000 ermordeten Roma berichtet. Antonescu wurde im August 1944 gestürzt, der Sowjetunion ausgeliefert und am 1. Juni 1946 von einem rumänischen Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.

12 Jom Kippur

der jüdische Versöhnungstag, der wichtigste Festtag im Judentum.
Im Mittelpunkt stehen Reue und Versöhnung. Essen, Trinken, Baden, Körperpflege, das Tragen von Leder und sexuelle Beziehungen sind an diesem Tag verboten.

13 Purim

Freudenfest, das an die Errettung des jüdischen Volkes aus drohender Gefahr in der persischen Diaspora erinnert. Nach der Überlieferung versuchte Haman, der höchste Regierungsbeamte des persischen Königs, die gesamten Juden im Perserreich auszurotten. Der [jüdischen] Königin Ester gelang es jedoch, den König von den unlauteren Absichten Hamans zu überzeugen und so die Juden zu retten.

14 Suezkrieg, die Suezkrise [auch

Sinai-Krieg und Sinai-Feldzug] im Jahr 1956 war eine in einen bewaffneten Konflikt mündende Krise zwischen Ägypten auf der einen und einer Allianz aus Großbritannien, Frankreich und Israel auf der anderen Seite. Hauptstreitpunkt war die Kontrolle über den strategisch bedeutsamen Suezkanal.

15 Alija [hebr

Aufstieg]: Bezeichnung für die Einwanderung nach Israel, bzw. Palästina.

16   Staatsvertrag

Der Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich wurde am 15. Mai 1955 in Wien zwischen den Alliierten Besatzungsmächten USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien und der österreichischen Regierung unterzeichnet. Österreich kündigte an, nach Abschluss des Staatsvertrags aus freien Stücken die immerwährende Neutralität zu erklären, die somit zwar nicht im Staatsvertrag, jedoch mit diesem in engem Zusammenhang steht.

17 Bukowina, Die - historische Landschaft in Südosteuropa

Die nördliche Hälfte gehört zur Ukraine und ist Teil der Oblast Czernowitz. Die südliche Hälfte gehört zu Rumänien und ist Teil der Bezirke Suceava und Botosani. Die Bukowina, so wie das östlich davon liegende Bessarabien, ist ein Teil der historischen Region Moldau. Nordwestlich davon liegt Galizien, im Südwesten grenzt es an Siebenbürgen.

18 Wizo

Akronym für Womens International Zionist Organisation. International tätige zionistische Frauenorganisation

19 CARE [Cooperative for American Remittances to Europe]

Nach dem Zweiten Weltkrieg von 22 US-amerikanischen Wohlfahrtsverbänden gegründete private Hilfsorganisation zur Koordinierung von Hilfsaktionen für Europa. Zwischen 1946 und 1960 erreichten fast zehn Millionen CARE-Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung oder Werkzeugen Deutschland und andere europäische Staaten.

20 Rote Armee

die Rote Arbeiter- und Bauernarmee, kurz Rote Armee, war die Armee der Sowjetunion. Meist bezeichnet der Begriff die Streitkräfte Sowjetrusslands oder der Sowjetunion zwischen 1918 und 1946. Sie wurde unter der maßgeblichen Beteiligung Leo Trotzkis mit Hilfe von Militärspezialisten der zaristischen Armee in der Revolutionszeit aufgebaut.

21 Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch [1894 – 1971]

Ab September 1953 Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU nimmt Chruschtschow den selbst vorangetriebenen Personenkult um Stalin und die von Stalin begangenen Verbrechen zum Anlass, eine grundlegende Wende in Politik und Wirtschaft zu vollziehen. 1958 wird er Regierungschef und vereint damit wieder das höchste Staats- und Parteiamt in einer Person. 1964 wird er seinen Ämtern enthoben.

22 ESRA

1994 gegründet, bemüht sich das psychosoziale Zentrum ESRA um die medizinische, therapeutische und sozialarbeiterische Versorgung von Opfern der Shoah und deren Angehörigen sowie um die Beratung und Betreuung von in Wien lebenden Juden; weiters bietet ESRA Integrationshilfen für jüdische Zuwanderer

23 Angiographie

Bei der herkömmlichen Angiographie wird in ein bestimmtes Gefäß ein jodhaltiges Kontrastmittel injiziert, das sich anschließend im Blut in Flußrichtung verteilt. So erhält man von einem gewählten Blickwinkel aus ein Einzelbild des Gefäßinnenraumes.