Fanny Grossmann

Fanny Grossmann 
Österreich 
Wien 
Name des Interviewers: Tanja Eckstein 
Datum des Interviews: Dezember 2002 

Fanny Grossmann und ihr Ehemann Ludwig wohnen in einer Zweizimmerwohnung am Rande des Praters.

Fanny Grossmann ist eine kleine, sehr zarte Frau, die es in ihrem Leben nie wirklich leicht hatte.

Sie ist sehr liebevoll, sorgt sich sofort darum, ob man auch genug Essen zu Hause hat

und lässt mich nicht ohne Kuchen oder Kekse oder ein selbstgenähtes Täschchen nach Hause gehen.

Besondere Sorgen macht sie sich um ihre Tochter und ihre Enkelkinder.

  • Meine Familiengeschichte

Die Eltern meines Vaters habe ich nie gesehen. Der Großvater hieß Leib Tuchmann und seine Frau hieß Sarah, geborene Landesmann. Sie hatten fünf Kinder. Zwei Töchter, Frieda und Erna, und drei Söhne - meinen Vater Josef sowie Max und Markus.

Meine Tante Frieda Rubin, geborene Landesmann, war sehr gescheit und hat Gedichte geschrieben. Sie hatte eine Tochter, die an Knochenkrebs litt. Wahrscheinlich wegen der Ärzte kam Tante Frieda mit ihrer Tochter nach Wien; daran kann ich mich noch erinnern.

Die Tochter ist leider gestorben. Tante Frieda hatte sie so sehr geliebt und schrieb nach deren Tod Gedichte über sie.

Meine Tante Erna war mit dem Juwelier und Uhrmacher Samuel Zuckerberg verheiratet. Er hatte ein Geschäft im 3.Bezirk, in der Fasangasse. Ihr Sohn hieß Gustav Zuckerberg. Tante Erna ist noch vor dem Holocaust (1925) gestorben und Onkel Samuel hat danach eine gewisse Olga (geborene Hecker) geheiratet.

Als die Deutschen nach Wien einmarschiert sind, haben Olga und Samuel aus Verzweiflung versucht, sich und den achtjährigen Sohn Heinz mit Gas umzubringen. Heinz Zuckerberg ist dabei gestorben, aber die Eltern haben überlebt.

Zum Glück konnten sie sich mit einem illegalen Schiffstransport nach Palästina retten, wo sie sich nach kurzer Internierung in Jerusalem niederließen.

Nach dem Tod des Gatten Samuel in den 50er Jahren übersiedelte Olga nach England, wo sie anfangs bei ihrer Schwester und danach bis zu ihrem Tod in einem Heim wohnte. Gustav Zuckerberg emigrierte bereits 1937 mit einem Schülerzertifikat nach Palästina und kehrte nach dem Krieg 1947 nach Wien zurück. 

Max, jüdisch Moses Isaak, Landesmann wurde am 25. August 1893 in Tyczin in Galizien [heute: Ukraine] geboren. Er arbeitete als Kapellmeister, spielte Violine und konnte innerhalb weniger Sekunden Vierzeiler dichten.

Zwei- bis dreimal in der Woche kam Onkel Max zu uns zur Jause. Danach ging er entweder in eines der Kaffeehäuser im 2. Bezirk um zu musizieren, oder er spielte die musikalische Untermalung in Kinos zu Stummfilmen. Er war ein Multitalent, konnte aber keine einzige Note lesen.

Zweimal war er verheiratet. Seine zweite Frau, die Bronislawa hieß und Blanka genannt wurde, heiratete er 1938. Blanka wurde 1907 in Lemberg [Lwiw, Ukraine] geboren. Onkel Max wurde 1940 im KZ Buchenwald ermordet. Auch Blanka wurde ermordet.

Mein Vater wurde am 29.September 1885 in Tyczyn [heute: Polen] geboren. Sein Name war Josef Landesmann.

Ich kann mich noch ein wenig an meine Urgroßmutter väterlicherseits erinnern. Sie saß mit viel Schmuck behangen im Haus des Großvaters, in dem sie sicher gelebt hat; sie sprach jiddisch, und die Tür zum Hof durfte nicht geschlossen werden, wenn sie da so saß.

Ich besitze eine Chronik der Familie mütterlicherseits, die hat eine Verwandte in Amerika, Estelle Guzik heißt sie, erstellt. Meine Familie wurde über die ganze Welt verstreut. Heute leben Nachkommen in Brasilien, Amerika und in Uruguay.

Mein Großvater mütterlicherseits hieß Mendel Guzik. Er wurde 1870 geboren und lebte in dem kleinen Ort Strzyzow [Polen], mit dem Zug eine halbe Stunde von Rzezsow [Polen] entfernt. Rzezsow ist ein bekannter Ort, nicht allzu weit von Krakau entfernt.

Die Großmutter hieß Fanny - jüdisch Feige Guzik - und war eine geborene Landesmann. Ich wurde nach ihr benannt. Sie wurde 1865 geboren und ist 1903 in Wien gestorben. Meine Großeltern waren von Galizien zur ärztlichen Behandlung nach Wien gefahren, deshalb ist sie in Wien gestorben. Ihr Grab ist auf dem Zentralfriedhof, 1. Tor.

Mein Großvater hatte mehrere Geschwister, über die ich aber sehr wenig weiß:

Mechel Guzik heiratete Rachel Markowitz. Er lebte von 1872 bis 1953.

Lazar Guzik wurde 1866 geboren und war mit Mascha Landesmann verheiratet. Lazar wurde in den 1940er Jahren ermordet. Mascha starb schon 1927.

Zwi Hersch Guzik wurde 1875 geboren, heiratete in erster Ehe Chaja Schwinger und in zweiter Ehe Chana Schatzer. Er wurde in den 1940er Jahren ermordet. Chana lebte von 1882 bis 1942. Ich nehme an, auch sie wurde ermordet.

David Guzik wurde 1872 in Sanok geboren. Er war mit Chana Moritz verheiratet. Er wurde 1942 ermordet.

Das Haus des Großvaters war eine große Villa. Meine Mutter fuhr einige Male auf zwei Monate in den Schulferien mit mir nach Strzyzow zum Großvater. Er hatte extra für meine Mutter und mich außen am Haus eine Stiege mit einem Geländer gebaut, damit wir nicht durch die Küche in unser Zimmer gehen müssen, wenn wir zu Besuch sind. So konnten wir vom Hof aus direkt in unser Zimmer.

Leider hat der Großvater nur jiddisch gesprochen und ich habe ihn überhaupt nicht verstanden. Er war reich, denn er besaß Wälder und hatte mehrere Angestellte. Seine Arbeiter haben die Bäume gefällt, die Baumstämme entrindet und Bretter daraus zugeschnitten.

Ich habe gern dabei zugeschaut. Die Holzbretter hat man dann in einem überdachten Hangar, der auf einem sehr großen Platz stand, zum Trocknen gestapelt. Die Bretter hat er verkauft, und davon hat er gelebt.

Wenn ich am Land bei einem Ausflug an einem Sägewerk vorbeikomme, erinnert mich der Geruch von dem Holz immer noch ganz stark an meinen Großvater. Außerdem hat er noch einen Arbeiter gehabt, der hat Dachziegeln hergestellt.

Auch dabei habe ich gern zugeschaut, wie die Ziegel in die Form geschmiert und dann gebrannt wurden. Beim Großvater wurden auch weiße große Ringe für Brunnen hergestellt, die lagen im Hof herum.

1934 oder 1935 waren wir auch dort; ich war schon 14 oder 15 Jahre alt. Da hat er begonnen, ein zweistöckiges Haus bei der Bahnstation zu bauen. Das sollte ein Hotel werden.

Der Großvater war ein sehr frommer Jude. Ich sehe ihn immer vor mir, wie er jeden Morgen mit den Tefillin 2 das Morgengebet spricht. Immer hat er nachgedacht, wie er was machen könnte. Ich habe selbst gesehen, wie er während des Gebetes ein Möbelstück genommen und woanders und dann wieder zurückgestellt hat - alles während des Morgengebetes!

Nach dem Tod der Großmutter hat mein Großvater Gisela Rettig geheiratet. Sie hatte zwei Töchter. Ihre Kinder haben sich mit den Kindern des Großvaters gut verstanden, aber die neue Frau des Großvaters mochte seine Kinder nicht.

Aus diesem Grunde hat meine Mutter eigentlich alles zurückgelassen und ist mit 28 Jahren zu einem Cousin nach Wien gegangen. Sie war noch nicht verheiratet und hat geglaubt, sie müsse unbedingt heiraten, bis sie dreißig Jahre alt ist. Das hat sie dann auch getan.

Der Onkel in Wien, der sie unterstützt hat, hieß Heinrich - jüdisch Chaim - Steinmetz. Er war Kaufmann und hatte ein Ratengeschäft. Meine Mutter ist für ihn kassieren gegangen und er hat ihr geholfen, eine Wohnung in Wien zu finden.

In erster Ehe war er mit Helene, geborene Blass, verheiratet. Sie hatten drei Töchter - Selma, Berta und Gisela - und lebten im 20. Bezirk am Gaußplatz 3.

Die älteste Tochter Selma wurde 1907 geboren und ist sehr revolutionär gewesen. 1936 ging sie nach Spanien um als Krankenschwester im Spanischen Bürgerkrieg 3 gegen Franco zu kämpfen. Während des 2. Weltkriegs war sie in Frankreich im Widerstand und musste mit ansehen, wie ihr Freund gefoltert wurde. Nach dem Krieg war sie Klavierlehrerin in Wien.

Berta wurde 1908 geboren, heiratete einen ungarischen Dichter Tardos und lebte mit ihm in Budapest. Sie hat im ungarischen Radio in deutscher Sprache eine Sendung für Österreich gesprochen. Die Ehe wurde später aber wieder geschieden. Berta war in Frankreich im Widerstand und ist nach dem Krieg in Frankreich geblieben.

Gisela, Gundl genannt, wurde 1916 geboren und war sehr gescheit. Sie hat studiert und war Doktor der Philosophie. Auch sie hat im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft. Dann ist sie nach Belgien geflohen. Sie wurde aber verraten und ins KZ deportiert.

Das war schon gegen Ende des Krieges und sie hat überlebt. Sie war mit einem österreichischen Juden namens Hernstadt verheiratet, der nach dem Krieg bei der Polizei gearbeitet hat.

Onkel Chaims erste Ehefrau Helene starb 1933. 1936 heiratete er Eugenie, geborene Piskaty. Chaim Steinmetz und Eugenie wurden 1939 aus ihrer Wohnung am Gaußplatz hinausgeworfen, lebten bis 1941 im 2. Bezirk in der Ferdinandstraße 19 Tür 15 und wurden am 31. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt 4 [Lodz, Polen] deportiert und ermordet.

Meine Mutter hieß Gisela. Sie hatte zwei Brüder, drei Schwestern und zwei Stiefschwestern.

Lotte, Esther und Sophie waren ihre leiblichen Schwestern, Moische und Josef ihre Brüder. Henia und Cilla waren Stiefschwestern.

Josef ist als junger Mann gestorben. Ich habe ihn zwar gesehen, kann mich aber nicht an ihn erinnern.

Tante Sophie war mit Jarmus verheiratet. Sie haben zwei Kinder gehabt und waren eine eher arme Familie. Sie haben in Strzyzow [Ukraine] gelebt, aber nicht mit dem Großvater zusammen. Alle vier wurden im Holocaust ermordet.

Onkel Moische konnte sehr gut Mandoline spielen und heiratete erst mit ungefähr 33 Jahren eine Frau Gruber. Das war 1937 oder 1938. Onkel Moische wurde ermordet und von seiner Frau habe ich nie wieder gehört; wahrscheinlich wurde auch sie ermordet.

Nach dem Krieg bemühten sich die Verwandten von Frau Gruber erfolgreich um das Erbe meines Großvaters. Meine Mutter, von der sie nicht wussten, dass sie den Krieg überlebt hat, hat sich mit Hilfe von Anwälten ebenfalls um das Erbe bemüht, aber nach einiger Zeit aufgegeben.

Tante Esther war mit Josef Wolf verheiratet. Sie hatten vier Kinder. Nach dem 1. Weltkrieg importierte er Tabak aus Rumänien nach Österreich und wurde sehr reich. Er kaufte Häuser und besaß sehr viele, zum Beispiel eines in Altmünster am Traunsee.

Leider war er aber ein Kartenspieler und verspielte alles. Nur ein Haus blieb, in Wien im 6. Bezirk in der Nelkengasse 2. Dort haben sie auch gewohnt. Sie haben dann sogar einmal illegal dem Marschall Tito 5 in der Wohnung Unterschlupf gewährt. Allerdings bekamen sie dafür etwas bezahlt.

Die schöne Fanny war die älteste Tochter meiner Tante Esther. Fannys erster Mann hieß Rudi Eichenbaum. Sie sind vor dem Krieg nach Frankreich gegangen, da herrschte in Wien eine große Arbeitslosigkeit. In Frankreich arbeiteten sie bei einem Zirkus als Buchhalter.

Fanny und Rudi ließen sich irgendwann scheiden. Nach dem Krieg war Rudi Eichenbaum Direktor der Länderbank in Wien. Er hat aber dann Reynolds geheißen und hat auch ein Buch geschrieben, das ich leider nie gesehen habe. Fannys zweiter Mann war ein französischer Politiker namens Dutet.

Er war kommunistischer Abgeordneter und wurde im Parlament erschossen. In Paris soll sogar eine Straße nach ihm benannt sein. Fanny hat sich in den 60er Jahren umgebracht.

Tante Esther wurde in Maly Trostinec [Weißrussland] ermordet.

Tante Lotte hat lange mit uns in Wien zusammen gelebt.

Meine Mama wurde am 8. August 1889 in Lenki [Polen] geboren. Sie war eine sehr ehrgeizige und lerneifrige Frau. Sie lernte Deutsch in der Schule und war so eifrig, dass sie immer schon eine viertel oder halbe Stunde vor Schulbeginn vor dem Schultor gestanden ist. Als ihre Mutter starb, war sie vierzehn Jahre alt.

Zunächst sind alle Geschwister meiner Mutter in Polen geblieben. Nur sie ist nach Wien gegangen und hat den Josef Landesmann geheiratet; das war 1919.

Mein Vater hat im 1. Weltkrieg als Soldat gedient und ist dann nach Wien gekommen, um meine Mutter zu heiraten. Dazu muss ich sagen, dass er ein Cousin meiner Mutter gewesen ist. Immer wenn ich körperliche Schwächen an mir entdecke, denk ich: O je, das kommt von der verwandtschaftlichen Nähe meiner Eltern.

  • Meine Kindheit

Ich wurde am 2. September 1920 in Wien geboren und meine Großmütter waren Schwestern. Warum wir den Namen Landesmann und nicht Tuchmann, wie der Vater meines Vaters hieß, bekommen haben, weiß ich nicht. Ich glaube, wir hießen zuerst alle Tuchmann, aber es gibt kein Dokument darüber und als ich in die Schule kam, hieß ich Landesmann.

Mein Vater hat Buchhaltung gelernt; wo, das weiß ich nicht. Da er in Österreich keine Arbeit fand, hat er im Ausland gearbeitet und ist immer im Sommer auf Urlaub gekommen, um uns zu besuchen. Meine Mutter wollte mich in Wien nicht aus der Schule nehmen, und so haben wir weiter in Wien gelebt.

Mein Papa hat ein paar Jahre in Polen gearbeitet, als Buchhalter in einer Weinhandlung. Aber die meisten Jahre war er in Deutschland, in Siegen. Das ist in Westfalen. Sein Bruder Markus hatte dort einen Eier- und Butter- Großhandel. Für ihn hat mein Vater als Buchhalter gearbeitet.

Der Bruder hatte eine deutsche Frau, wahrscheinlich eine Jüdin, die nicht kochen konnte. Jeden Tag gab es Kartoffeln mit ein paar Eiern darüber geschüttet; das hat mein Vater erzählt. Er hat dort gewohnt und gearbeitet und hat der Mama Geld geschickt, nicht allzu viel, aber doch.

Die Mama hat hier in Wien Heimarbeit, Stickerei, gemacht. Sie konnte wunderbar Monogramme sticken und Bettwäsche und Polster besticken. Lotte, die Schwester meiner Mutter, ist dann nach Wien gekommen und hat bei uns gewohnt. Die hat auch sehr schön gestickt und hat auch als Heimarbeiterin gearbeitet.

Sie hat lange mit uns gelebt, aber meine Mutter hat irgendwann gesagt, sie soll schon endlich heiraten und ausziehen. Sie hat dann einen Marktfahrer namens Weihard geheiratet. Freitag musste Tante Lotte sehr früh schon den Tiegel mit den Nudeln ins Backrohr stellen und später kam jemand, um das Backrohr abzudrehen, weil sie am Schabbat nicht arbeiten durfte.

Beide sind vor dem Krieg illegal nach Palästina gegangen. Palästina war damals englisches Mandatsgebiet und jemand hat sie verraten. Sie wurden eingesperrt, aber Tante Lotte ist aus dem Gefängnis ausgebrochen. Jemand hat sie aber auf der Straße erkannt und sie ist nach Polen abgeschoben worden.

Das war 1935 oder 1936, das weiß ich, denn zu dem Zeitpunkt war ich gerade mit meiner Mutter beim Großvater in Polen. Sie war sehr mager und hat schlecht ausgeschaut, aber sie ist noch einmal nach Palästina gegangen. Sie ist dafür eine Scheinheirat eingegangen. Ich habe nie wieder von ihr gehört.

Wir haben im 9. Bezirk in der Stroheckgasse 2, Tür 20 gewohnt. Meine Mama hat darauf geachtet, dass ich ein geordnetes Leben führen kann und dass ich mein Essen habe. Ich weiß, dass sie oft in finanziellen Schwierigkeiten gewesen ist. Jedes Mal, wenn es ganz schlimm war, hat sie die Leuchter genommen und ins Versatzamt getragen.

Und wenn sie etwas Geld hatte, hat sie sie wieder ausgelöst. Die silbernen Leuchter waren in einer Lade in einem Wäscheschrank, und damit sie ja nicht zerkratzt werden, waren sie in ein Geschirrtuch eingewickelt. Mich hat die Mama die Not nicht spüren lassen. Ich habe jeden Tag Butterbrote und mein weiches Ei gehabt.

Ich bin in die Volksschule gegangen, dann in die Hauptschule. In der Klasse waren wir acht jüdische Kinder und wir hatten zusammen jüdischen Religionsunterricht. Der Unterricht fand in unserer Klasse statt.

Wir haben auch hebräisch lesen gelernt. Ein paar Buchstaben weiß ich noch, das M und das L, auch Gebete haben wir gelernt. Wir sind auch gemeinsam in den Tempel gegangen, der in der Müllnergasse war.

Später war ich bei den 'Roten Falken'6 und da war ein Bursch, der hat mich immer abgeholt. Er hat es zu Hause nicht so gut gehabt. Meine Mutter hat ihn immer eingeladen, mit uns Nachtmahl zu essen, bevor wir zum Heimabend gegangen sind.

Zu den jüdischen Festen waren wir aber immer allein. Meine Mama war religiös, sie hat ein lebendes Huhn über ihren Kopf geschwungen, bevor es koscher geschlachtet wurde. Am Jom Kippur hat sie gefastet und Pessach hat sie das Geschirr ausgekocht und wir haben den Sederabend gefeiert.

Ich war damals schon 'revolutionär' und habe einmal aus Protest Brotstücke in der Wohnung verstreut, nachdem meine Mama alles für Pessach gründlich sauber gemacht hat. Heutzutage sehe ich das als sehr schlimm an, aber damals waren wir durch die 'Roten Falken', die ja anti-religiös waren, gegen alles Religiöse aufgehetzt.

An einem Sederabend war auch mein Vater gerade in Wien, und da hat er mit mir das ' Ma nischtana halajla haseh [Was zeichnet diese Nacht vor allen Nächten aus? Frage zu Beginn der Haggadah, gestellt vom jüngsten Kind] gesungen und die Fragen beantwortet.

Aber ich bin schon auf Nadeln gesessen, denn ich habe ein politisches Rendezvous gehabt. Die Sozialdemokraten waren zwischen 1934 und 1938 verboten. Da haben wir dann illegal gearbeitet.

Wir haben bei den 'Roten Falken' viel miteinander unternommen. Der Rudolf Ekstein, der nach seiner Emigration über London nach Amerika ein bekannter Psychoanalytiker in Los Angeles geworden ist, ist unser Falkenführer gewesen.

Er war ein paar Jahre älter als wir und hat uns immer Vorträge gehalten; er war sehr gescheit. In der Hauptschule haben wir Französisch gelernt, und die 'Roten Falken' waren in einer Weltjugendliga, und ich konnte in einem internationalen Lager mit französischen Jugendlichen Französisch sprechen.

Wir hatten sogar eine Lagerzeitung, da bin ich auch zu sehen. Und es gab eine Mandolinengruppe.

1935 waren die Sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratischen Organisationen schon verboten, aber da hatten wir noch eine Fahrt zum Mondsee.

  • Während des Krieges

Nach der Hauptschule besuchte ich einen einjährigen Kurs und lernte Hauswirtschaft und Kochen, aber auch Deutsch und andere Gegenstände. Danach habe ich zwei Jahre lang eine jüdische Fachschule für Weißnähen und Damenkleider nähen besucht.

Danach war ich fertige Gesellin. Dann bin ich auf Arbeitssuche gegangen, das war nicht so leicht. Und ungefähr nach einem halben Jahr habe ich endlich Arbeit gehabt. Das war 1938. Und dann ist der Hitler gekommen.

Ich hatte einen Posten in einer jüdischen Firma am Graben, im 1. Bezirk. Siebzig Schneiderinnen waren wir. Ich war da gerade sechs Wochen und ich war so froh, einen Posten zu haben. Da ist der Nazikommissar gekommen und hat den Besitzern die Firma weggenommen.

Wir drei Jüdinnen haben 'die Papiere gekriegt'. Auf der Stelle haben sie uns abgefertigt, ausgezahlt und nach Hause geschickt. Ich bin weinend nach Hause gegangen. Dann habe ich wieder geschaut, ob ich nicht doch irgendwo arbeiten kann.

Eine jüdische Schneiderin hat mich aufgenommen. Da war ich vier Wochen. Dann hat sie mich gerufen und gesagt: 'Weisungsgemäß muss ich Sie entlassen.' Weisungsgemäß!

Ich habe gesehen, ich kann nicht arbeiten, da habe zu Hause geschneidert, illegal für Freundinnen. Ich habe keine Praxis gehabt, aber ich habe Schnitte machen können und zuschneiden. Ich habe sogar einen Mantel geschneidert.

Mein Vater kam 1937 aus Deutschland nach Wien zurück. Von der Familie seines Bruders Markus Landesmann habe ich nie wieder etwas gehört.

Antisemitismus habe ich erst erlebt, als der Hitler gekommen ist; da ging es los. Er hat irgendwie geschlummert. Bei uns im Haus wohnte eine Sozialdemokratin, die Unterschriften gesammelt hat, 'damit sie nicht in einem Haus mit Juden wohnen muss'.

Es gab noch ein oder zwei Leute, die offen gegen uns waren, aber nicht viel mehr. Über Nacht ist das passiert. Vorher hatte ich nichts Negatives erlebt, weder von Kindern noch von Lehrern.

Ich war allerdings entweder mit jüdischen oder sozialdemokratischen Jugendlichen zusammen. In unserer Roten Falken Gruppe waren sicher die Hälfte jüdische Jugendliche.

Eine Bekannte hat für mich in England Arbeit gesucht. Sie war Köchin in England und hat mich als Schneiderin angepriesen. Die englischen Damen hatten so Teenachmittage, da hat diese Bekannte ein Bild von mir herumgezeigt und gefragt, ob nicht jemand für mich ein Permit beantragen will - als Stubenmädchen.

Und da hat sich dann eine gemeldet, eine Missis Christie, eine Schottin, sie hat das Permit beantragt. Das hat aber sechs Monate gedauert und dann noch einmal sechs Monate, weil ich zu dem Zeitpunkt staatenlos war, denn die Polen haben uns die polnische Staatsbürgerschaft aberkannt, weil die Familie schon so lange aus Polen weg war.

Da hat man sich lang anstellen müssen, um einen Pass für Staatenlose zu bekommen. Im März 1939 ist es mir dann geglückt. Ich bin losgefahren, die Mama und der Papa blieben zurück.

Ich habe meine Lady dazu gekriegt, für meine Mutter ein Permit als Köchin zu beantragen. Und das ist sich auch noch ausgegangen - in letzter Sekunde.

Meine Eltern mussten ihre Wohnung räumen und in die Berggasse ziehen. Als ich schon weg war, ist ein SA-Mann in unsere Wohnung gekommen und hat gesagt: 'Hier wird meine Mutter wohnen!'

Er hat meiner Mutter 150 Mark für alle Möbel und was sonst noch da war, gezahlt, und meine Eltern mussten ein paar Tage später mit einer zweiten Familie in die Berggasse ziehen.

Die Mama ist im August 1939 gekommen. Als die Mama kam, habe ich schon ein bisschen Englisch können. Wenn die Lady ihr das Menü angesagt hat, konnte ich das schon übersetzen. Meine Mutter war sehr revolutionär. Eines Tages im Winter sind die Lady und ich in die Küche gekommen, um das Menü zu bestellen.

Da hat meine Mutter gesagt: 'Heute koche ich nicht!' Da, wo meine Mutter in der Küche stand und kochte, war eine Tür in den Garten. Die war kaputt und der Wind hat Schnee hineingeblasen. Meine Mutter hat gesagt: 'Bis die Tür nicht repariert ist, koche ich nicht!' Die Tür wurde sehr schnell gemacht.

Das Haus war ein Herrschaftshaus mit einem Riesengarten, groß wie ein Park. Ich habe meine Mutter immer Mama gerufen. Nach einiger Zeit hat das ganze Haus sie Mama genannt. Die Lady war 48 Jahre alt und hatte eine sechs-, siebenjährige Tochter, die mich sehr sekkiert hat.

Sie war ein richtig kleines Biest. Zum Geburtstag hatte sie ein neues Fahrrad bekommen. Ich durfte mir das Fahrrad ausborgen. Da bin ich herum gefahren, um für meinen Vater einen Butlerposten zu finden.

Mein Vater hat vom 4. Mai 1939 bis November 1939 in der Berggasse gewohnt. Er und sein Bruder wurden bei Kriegsausbruch im September 1939 ins KZ Buchenwald deportiert. Ich besitze ein Dokument, da steht: 'Abgemeldet Stadion, in Haft.'

Da haben sie alle im Stadion in Wien zusammengepfercht. Eine Schwester meiner Mutter, die Esther Wolf, die auch in Wien lebte, ist von der Kultusgemeinde verständigt worden, dass die Urnen von meinem Vater Josef und seinem Bruder Max eingetroffen sind. Angeblich ist mein Vater in Weimar im Krankenhaus gestorben.

Aber in Wirklichkeit wurde er am 2. Januar 1940 im KZ Buchenwald ermordet. Meine Tante musste noch für die Urnen zahlen, die aus Buchenwald an die Kultusgemeinde geschickt worden waren. Sie war auch noch bei dem Begräbnis der Urnen. Dann ist sie selber 1942 nach Maly Trostinec 7 deportiert und ermordet worden.

Die Lady hatte Damenkränzchen und da wollte sie, ich soll im Dirndl servieren. Ich hab aber nur ein Winterdirndl gehabt. Sie ist mit mir in die Ortschaft gefahren, hat zwei Stoffe gekauft, rotweiß und blauweiß kariert und Blusenstoff und Schürzenstoff. Ich durfte drei Tage an den zwei Dirndln nähen, damit ich in den Kleidern servieren konnte.

Anfangs hat sie mir nicht gesagt, dass ich täglich zwei Stunden frei habe. In den zwei freien Stunden - von zwei bis vier Uhr nachmittags - habe ich für sie genäht. Später bin ich dann drauf gekommen, dass mir eigentlich zwei freie Stunden zukommen.

Meine kommunistischen Freunde in London schrieben mir, ich soll Emigranten im Umkreis aufsuchen und organisieren. Ich erhielt Adressen und ich bin jeden Sonntag, wenn ich nachmittags frei hatte, irgendwo hin gefahren und hab die jungen Leute organisiert; einer war auf einer Farm, einer war da und ein anderer dort.

Ich musste immer vorher die Polizei fragen, ob ich mehr als drei Kilometer wegfahren darf. Das war gar nicht so einfach. Wir waren 'feindliche Ausländer', nämlich Deutsche, denn Österreich existierte nicht mehr. Die Engländer waren sehr misstrauisch.

Sonntags bin ich sehr häufig mit dem Autobus nach London zum Heimabend von 'Young Austria' 8 gefahren. Das Haus von 'Young Austria' wurde von den englischen Behörden zur Verfügung gestellt.

Da gab es einen Theatersaal, ein Restaurant und vieles mehr. Bei einem Heimabend hab ich meinen späteren Ehemann Ludwig und seinen Bruder wiedergesehen. Ich habe ihn schon aus Wien gekannt, aber wir waren nicht befreundet.

Er hat mich immer beobachtet, aber ich war damals in Siggi Wallach verliebt, einen Unerreichbaren. Der lebt noch heute in Brüssel. Er war ein paar Jahre älter als wir und konnte Gitarre spielen und Lieder singen, das hat mir alles sehr gut gefallen. Der Siggi Wallach hat das KZ Auschwitz überlebt.

Der Ludwig hat mich abends immer zum Autobus begleitet, denn ich musste vor zehn Uhr zu Hause sein. Dann wurde ich schwanger. Nach ein paar Monaten hat die Lady gesagt, sie wolle keine Kinder und keine Hunde - trotzdem sie selbst ein Kind hatte.

Ich habe ihr gesagt, dass meine Mutter und ich kündigen und die Lady hat gesagt: 'You are very ungrateful, I saved your life'. Und wir haben gesagt: 'We are grateful enough, we worked so hard.' Sie hat uns halt ziehen lassen. Wir sind nach London übersiedelt und haben ein Untermietzimmer genommen.

Während des Blitzkriegs haben wir die Nächte auf dem Bahnhof in einer Untergrundbahn verbracht. Die deutschen Bomber sind jeden Abend um halb sieben gekommen. Da hat man schon den Koffer vorbereitet gehabt, 1941 war das. In der Früh haben wir geschaut, ob das Haus noch steht. Zu dieser Zeit war der Ludwig interniert.

Ich hab damals in London einen guten Posten als Zuschneiderin gehabt. Ludwig und ich haben dann geheiratet und am 21. Februar 1942 wurde unsere Tochter Mariane Ruth geboren.

Den Namen Mariane habe ich ihr für den Fall gegeben, dass wir einmal nach Österreich zurückgehen, und Ruth hat uns auch so gut gefallen; also hat sie zwei Namen. Mariane hab ich mit einem 'n' geschrieben, denn ich hab an Ariane gedacht. Das hab ich mir so ausgedacht.

In Manchester war es zuerst schwer, eine Wohnung zu finden. Dann haben wir gemeinsam mit einer anderen Familie, Peter und Hertha Aschner, für ein Jahr ein möbliertes Haus gemietet. Ludwig hatte eine Arbeit als Elektriker im Norden von Manchester gefunden.

Hertha hatte drei Kinder, aber ihr Mann hat sie noch in England verlassen. Sie heißt jetzt Ruth Rimond. Sie ist nach Israel gegangen und hat einen sehr lieben Mann, den Moishe Rimond, kennen gelernt. Leider ist er voriges Jahr gestorben. Sie fährt manchmal nach England und kommt auch nach Wien. Da können wir uns sehen, wir sind sehr gute Freundinnen.

Die Mama hatte ich in London allein gelassen, sie ist aber dann auch nach Manchester gekommen, denn die V-Waffen haben London erreicht, nicht aber Manchester. Da sind dann sehr viele Leute in den Norden gezogen

Dann sind wir mit meiner Mutter in ein unmöbliertes Haus gezogen und haben mit einer anderen Familie zusammen gewohnt. Auch Ludwigs Schwester ist mit ihrem Sohn zu uns gekommen. Da waren wir wieder eine richtige Familie.

Anfangs war meine Mutter mit meinem Mann nicht so einverstanden; sie war wohl ein bisschen eifersüchtig. Sie hatte geplant, dass wir nach dem Krieg nach Amerika auswandern und ich dort heiraten werde. Das hat sie auch dem Ludwig gesagt.

Ich habe meine Mutter in England überzeugt, auch politisch tätig zu werden. Sie war sogar Mitglied in der kommunistischen Sympathisantengruppe und hat mit Hilfe des Manchester Guardian, des Chronicle und des Daily Worker einen Wochenbericht für 'Young Austria' erarbeitet.

Sie hat das sehr gewissenhaft gemacht, hat Referate gehalten und ist dann sogar Mitglied der Kommunistischen Partei geworden.

Auch ich war die ganze Zeit politisch sehr aktiv. Im 'Young Austria' wurden wir dazu erzogen, nach Ende des Krieges zu helfen, ein neues, gutes Österreich aufzubauen. Trotz dieser Erziehung blieben sehr viele Emigranten in England.

Auch wir haben uns in England gut gefühlt. Aber wir glaubten, dass wir nach dem Krieg in Österreich helfen müssen, dass man auf uns warte.

  • Nach dem Krieg

Im November 1946 sind wir nach Wien übersiedelt. Wir kamen gerade zum Winter und hatten keine Wohnung. In der Rembrandtstraße im 2. Bezirk, bei der Mutter eines Bekannten, konnten wir ein Zimmer mieten. Diese Frau Huber hat sich sehr mit uns gefreut, weil wir Matrosensäcke, feste weiße Säcke mit sehr vielen Konservendosen mitgebracht hatten.

Da haben wir dann zusammen gewirtschaftet, ich habe sie natürlich teilhaben lassen und das war für sie eine große Hilfe. In der Wohnung gab es keine Fensterscheiben, nur Bretter - alles war zerstört, und unsere Tochter, die nur Englisch konnte, hat gesagt:

'No I am not staying here, it's too dark.' Ich habe sie in den Kindergarten im Augarten gegeben, ein Kindergarten der SPÖ, und sie hat schnell Deutsch gesprochen, sogar im schlimmsten Dialekt.

Meine Mama ist zuerst in England geblieben. Als sie dann dort allein war und ich in Österreich, hat sie von einer Verwandtschaft aus Amerika Papiere gekriegt. Ich bin zu ihr gefahren, in 14 Tagen haben wir beide alles erledigt und dann hat sie sich auf den Weg nach Amerika gemacht.

Als sie ankam, hat der alte Onkel, der für sie eingereicht hatte, nicht mehr gelebt und die anderen Verwandten waren gar nicht nett zu ihr. Die haben gesagt: 'Wir sind auch mit dem Orangenwagerl hausieren gegangen,' das hieß, sie soll sich allein durchschlagen.

Dann wollte sie als Näherin arbeiten, da hieß es: 'In Chicago können Sie eine Arbeit haben,' aber meine Mutter war in New York, in Brooklyn. Es war Sommer und sehr heiß. Sie ist mit den Stöckelschuhen im Teer der Straße stecken geblieben, und da hat es ihr gereicht.

Sie ist weinend auf die österreichische Botschaft gegangen und hat gesagt: 'Was soll ich machen, meine Tochter ist in Österreich und mir gefällt es hier nicht.' Und der Beamte hat gesagt:

'Na, fahren sie doch zu ihrer Tochter nach Österreich!' Und die Mama ist gekommen und hat sich um uns gekümmert, so dass ich arbeiten gehen konnte. Sie hat unsere Tochter betreut, wenn sie von der Schule nach Hause gekommen ist.

Wir haben in der Schule nicht mitgeteilt, dass unsere Tochter Jüdin ist. In ihrem englischen Geburtsschein ist keine Religion eingetragen. Wir haben dann einfach gesagt, sie sei konfessionslos.

Und sie ist in keinen Religionsunterricht gegangen. Unsere Tochter hat gewusst, warum wir das verschweigen: Wir hatten Angst vor den Lehrern und Direktoren. Wir wussten, es gibt noch viele Antisemiten in Wien.

In England hat meine Mutter ihre Religion nicht ausgeübt. Aber als sie dann in Österreich war, ist sie wieder in den Tempel gegangen. In Wien hat sie wieder Zeit gehabt, fromm zu sein und wurde es auch wieder.

Sie hat darauf geachtet, samstags, am Schabbat nicht zu arbeiten und hat auch die anderen Feiertage eingehalten. Zu Pessach 9 hat sie Mazzes 10 gekauft, Jom Kippur 11 und Rosch Haschana 12 hat sie sehr gefeiert. Noch am Tag vor ihrem Tod hat sie gefastet. Sie starb im Oktober 1967 in Wien.

Ich war in Wien als Schneiderin tätig und war zwölf Jahre lang Betriebsrätin. Ich habe für die Arbeiterschaft und für mich gekämpft. Ich war vielleicht in 30 Firmen in den 35 Jahren. In der Schneiderei ist es nicht so leicht, bis man sich ein Platzerl findet, wo alle zufrieden sind.

Wir vom 'Young Austria' haben am 50. Jahrestag der Besetzung Österreichs ein Wiedersehenstreffen in Wien veranstaltet. Da kam auch der Schauspieler Otto Tausig, der damals in London mit uns Theater gespielt hat. Das war ein sehr schönes Treffen, wir waren beim Heurigen, dann waren wir im Rathaus eingeladen, es gab ein großes Programm.

Ludwig und ich sind in Wien auch manchmal in den Tempel gegangen. Wir gehen aber eher zu informativen Veranstaltungen und manchmal gehen wir zu ESRA 13 zum Mittagessen oder zum Kaffeenachmittag.

Unsere Tochter hat zwei Kinder. Der Sohn ist 38 Jahre alt, er möchte jetzt religiös leben und eine Familie gründen.

  • Glossar

1 KZ Majdanek: Eigentlich KZ Lublin - war das erste Konzentrationslager der IKL [Inspektion der Konzentrationslager (IKL) war die zentrale Verwaltungs-und Führungsbehörde für die nationalsozialistischen Konzentrationslager] im Generalgouvernement. Es lag im Osten Polens in Majdanek, einem Vorort Lublins.

Neben Auschwitz-Birkenau war Majdanek das einzige KZ der IKL, das auch als Vernichtungslager genutzt wurde.

2 Tefillin: lederne 'Gebetskapseln', die im jüdischen Gebet an der Stirn und am linken Arm getragen werden und Texte aus der Torah enthalten.

3 Spanischer Bürgerkrieg [1936 bis 1939]: Der Spanische Bürgerkrieg zwischen der republikanischen Regierung Spaniens und den Putschisten unter General Francisco Franco ausgetragen.

Er endete mit dem Sieg der Anhänger Francos und dessen bis 1975 währender Diktatur. Franco wurde von Anfang an durch das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien unterstützt, die Republikaner, vor allem aber die kommunistische Partei, von der Sowjetunion. Zahlreiche Freiwillige aus der ganzen Welt kamen nach Spanien, um in den 'Internationalen Brigaden' für die Republik zu kämpfen.

4 Ghetto Litzmannstadt: Dieses Ghetto (auch Ghetto ?ód?) war eines der größten Ghettos des Dritten Reiches (neben denen in Warschau und Krakau). Es diente, wie die anderen Ghettos auch, der Unterbringung jüdischer Bürger vor der Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.

5 Tito [Josip Broz, 1892 - 1980] Jugoslawischer Politiker. Als Broz 1934 Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Jugoslawiens wurde und in den politischen Untergrund ging, nahm er das Pseudonym Tito an.

Tito führte im 2. Weltkrieg die kommunistischen Partisanen im Kampf gegen die deutschen Besatzer. Nach dem Krieg wurde er zunächst Ministerpräsident und schließlich Staatspräsident, ein Amt, das er bis zu seinem Tod bekleidete.

6 Rote Falken: Die Roten Falken war eine 1925 gegründete und 1934 aufgelöste sozialdemokratische Jugendorganisation [für 10-14-jährige]. Nach 1945 wurden die Roten Falken wiedererrichtet und sind seither eine der sozialdemokratischen Jugendorganisationen.

7 Maly Trostinec: Zwischen Mai und Oktober 1942 trafen insgesamt 16 Züge mit mehr als 15.000 Menschen aus Wien, Königsberg, Theresienstadt und Köln in Minsk ein. Entsprechend einer Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich wurden die Deportationsopfer sofort nach ihrer Ankunft ermordet.

8Young Austria: 1939 gegründete, kommunistisch geführte, Jugendorganisation österreichischer Flüchtlingen in Großbritannien. sich sechs Jugendliche in London; sie bildeten den Grundstock von "Young Austria". 1300 Jugendliche wurden Mitglieder.

9 Pessach: Feiertag am 1. Frühlingsvollmond, zur Erinnerung an die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, auch als Fest der ungesäuerten Brote [Mazza] bezeichnet.

10 Mazzot [Einz. Mazza]: Ungesäuertes Brot, für das nur eine der fünf Getreidearten Weizen, Gerste, Dinkel, Hafer oder Roggen verwendet werden darf. Die Mazzot wird als das 'Brot der Armut' bezeichnet, 'das unsere Väter in Ägypten gegessen haben'.

Es gilt aber auch als das Brot der Erlösung, die so schnell kam, 'dass der Teig unserer Vorfahren keine Zeit hatte zu säuern', bevor er gebacken wurde. Mazza essen gilt nur am ersten Abend des Pessachfestes, dem Sederabend, als Pflicht.

An den restlichen Tagen des Festes darf man zwar weiterhin nichts Gesäuertes [Chamez] zu sich nehmen, muss aber keine Mazza essen

11 Jom Kippur: der jüdische Versöhnungstag, der wichtigste Festtag im Judentum. Im Mittelpunkt stehen Reue und Versöhnung. Essen, Trinken, Baden, Körperpflege, das Tragen von Leder und sexuelle Beziehungen sind an diesem Tag verboten.

12 Rosch Haschana [heb.: Kopf des Jahres]: das jüdische Neujahrsfest. Rosch Haschanah fällt nach dem jüdischen Kalender auf den 1. Tischri, der nach dem gregorianischen Kalender auf Ende September oder in die erste Hälfte des Oktobers fällt.

13 ESRA: 1994 gegründet, bemüht sich das psychosoziale Zentrum ESRA um die medizinische, therapeutische und sozialarbeiterische Versorgung von Opfern der Shoah und deren Angehörigen sowie um die Beratung und Betreuung von in Wien lebenden Juden; weiters bietet ESRA Integrationshilfen für jüdische Zuwanderer.